BT-Drucksache 17/9187

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht

Vom 28. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/9187
17. Wahlperiode 28. 03. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Rüdiger Veit, Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel,
Michael Hartmann (Wackernheim), Petra Ernstberger, Iris Gleicke, Kerstin Griese,
Frank Hofmann (Volkach), Christel Humme, Daniela Kolbe (Leipzig), Ute Kumpf,
Christine Lambrecht, Kirsten Lühmann, Caren Marks, Aydan Özog˘uz,
Thomas Oppermann, Gerold Reichenbach, Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Sonja Steffen, Dr. Dieter Wiefelspütz, Dr. Frank-Walter Steinmeier und
der Fraktion der SPD

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger
im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht

A. Problem

Im Juli 2010 hat die Bundesregierung die Vorbehalte zur UN-Kinderrechtskon-
vention zurückgenommen. Um die deutsche Rechtslage an die Maßstäbe der
Kinderrechtskonvention anzupassen, bedürfen mehrere Regelungen des Asyl-
verfahrensgesetzes, des Aufenthaltsgesetzes und des Achten Buches Sozial-
gesetzbuch der Änderung.

B. Lösung

Eine dem Alter angemessene Behandlung von Minderjährigen wird durch fol-
gende Maßnahmen sichergestellt:

• Im Aufenthalts- und im Asylverfahrensgesetz wird klargestellt, dass bei der
Rechtsanwendung das Wohl des Kindes ein vorrangig zu berücksichtigender
Gesichtspunkt ist.

• Die aufenthalts- und asylrechtliche Verfahrensfähigkeit wird von bisher 16
auf 18 Jahre angehoben. So wird allen unbegleiteten Minderjährigen bis zur
Volljährigkeit im Asylverfahren ein gesetzlicher Vertreter (Vormund) zur
Seite gestellt.

• Zudem wird gewährleistet, dass das Jugendamt als Vormund regelmäßig eine
Ergänzungspflegschaft für die fachlich kompetente Vertretung des Minder-
jährigen in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren beantragt.

• Auch für 16- und 17-jährige Personen entfällt die Pflicht, in einer Aufnahme-
einrichtung zu wohnen. Stattdessen werden sie regelmäßig durch das Jugend-

amt in Obhut genommen. Damit entfällt auch ihre länderübergreifende Um-
verteilung auf Aufnahmeeinrichtungen.

• Ebenso wird klargestellt, dass unbegleitete Minderjährige nicht in Gemein-
schaftsunterkünften untergebracht werden, sondern in Obhut zu nehmen
sind.

Drucksache 17/9187 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

• Das Flughafenverfahren findet keine Anwendung auf unbegleitete Minder-
jährige. Stattdessen sind sie durch das Jugendamt in Obhut zu nehmen, um so
die Durchführung eines Clearingverfahrens zu gewährleisten. Dadurch ent-
fällt auch der umstrittene Aufenthalt im Flughafentransit für diese Personen-
gruppe.

• Zur Gewährleistung eines Clearingverfahrens wird die Zurückweisung an der
Grenze für unbegleitete Minderjährige ausgeschlossen.

• Bei der Altersfestsetzung wird die Beteiligung des Jugendamtes für solche
Fälle sichergestellt, in denen nach einer medizinischen Untersuchung Zwei-
fel fortbestehen. So wird sichergestellt, dass von der Behörde vorgenommene
Altersfestsetzungen bei verbleibenden Zweifeln nicht allein auf Grundlage
medizinischer, sondern auch auf Grundlage pädagogischer und psychologi-
scher Erkenntnisse vorgenommen werden.

• Bei der Altersfestsetzung werden medizinische Untersuchungen zudem zur
Umsetzung der Richtlinie 2005/85/EG von der Einwilligung des Ausländers
abhängig gemacht.

C. Alternativen

Keine.

D. Finanzielle Auswirkungen und Bürokratiekosten

Die stets vorzunehmende Inobhutnahme Minderjähriger kann zu Mehrkosten
für die kommunalen Träger der Jugendhilfe führen. Ebenso können durch die
Vertretung der 16- und 17-Jährigen sowie die in der Regel zu beantragende Er-
gänzungspflegschaft wegen der Kostentragung durch die Staatskasse auf Grund-
lage von § 1915 Absatz 1 i. V. m. § 1835 Absatz 3 und 4 des Bürgerlichen Ge-
setzbuchs (BGB) zusätzliche Kosten entstehen.

nach § 42 Absatz 1 Nummer 3 des Achten Buches Sozial- des Gesetzes vom 6. Juli 2009 (BGBl. I S. 1696) geändert
worden ist, wird wie folgt geändert:
gesetzbuch besteht.“

Artikel 2

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntma-

§ 42 wird wie folgt geändert:

1. In Absatz 1 wird folgender Satz 3 angefügt:

„Aufnahmeeinrichtungen nach § 44 des Asylverfahrens-
gesetzes und Gemeinschaftsunterkünfte nach § 53 Ab-
satz 1 des Asylverfahrensgesetzes sind keine geeignete
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/9187

Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Situation Minderjähriger
im Aufenthalts- und Asylverfahrensrecht

Vom …

Der Bundestag hat mit Zustimmung des Bundesrates das
folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Asylverfahrensgesetzes

Das Asylverfahrensgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 2. September 2008 (BGBl. I S. 1798), das durch
Artikel 18 des Gesetzes vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I
S. 2586) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 10 Absatz 3 Satz 2 wird die Angabe „16“ durch die
Angabe „18“ ersetzt.

2. § 12 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird aufgehoben.

b) Absatz 2 wird Absatz 1.

c) Absatz 3 wird Absatz 2.

d) Im neuen Absatz 2 wird die Angabe „16“ durch die
Angabe „18“ ersetzt.

e) Es wird folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Bei allen Maßnahmen, die Minderjährige be-
treffen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt,
der vorrangig zu berücksichtigen ist.“

3. In § 14 Absatz 2 Nummer 3 wird die Angabe „16“ durch
die Angabe „18“ ersetzt.

4. § 14a wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird die Angabe „16“ durch die An-
gabe „18“ ersetzt.

b) In Absatz 2 wird die Angabe „16“ durch die An-
gabe „18“ ersetzt.

5. In § 18a wird nach Absatz 1 folgender Absatz 1a einge-
fügt:

„(1a) Absatz 1 findet keine Anwendung auf unbeglei-
tete minderjährige Ausländer.“

6. In § 53 Absatz 1 wird folgender Satz 3 angefügt:

„Satz 1 gilt nicht, wenn eine Pflicht zur Inobhutnahme

(BGBl. I S. 2437) geändert worden ist, wird wie folgt ge-
ändert:

1. In § 1 wird folgender Absatz 3 angefügt:

„(3) Bei allen Maßnahmen, die Minderjährige betref-
fen, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vor-
rangig zu berücksichtigen ist.“

2. § 15 wird wie folgt geändert:

In Absatz 4 wird folgender Satz 3 angefügt:

„Ein unbegleiteter minderjähriger Ausländer darf nicht
zurückgewiesen werden.“

3. § 49 Absatz 6 wird wie folgt geändert:

a) In Satz 1 werden nach den Wörtern „zu befürchten ist“
die Wörter „und er zuvor eingewilligt hat“ eingefügt.

b) Nach Satz 2 wird folgender Satz 3 eingefügt:

„Verbleiben nach Messungen und ähnlichen Maßnah-
men im Sinne von Satz 1 Zweifel, so ist gemäß § 72
Absatz 7 das Jugendamt zu beteiligen.“

4. In § 72 wird folgender Absatz 7 angefügt:

„(7) Die Feststellung des Lebensalters (§ 49 Absatz 3)
soll in Zweifelsfällen im Einvernehmen mit dem Jugend-
amt stattfinden.“

5. § 80 wird wie folgt geändert:

a) Absatz 1 wird aufgehoben.

b) Absatz 2 wird Absatz 1.

c) Absatz 3 wird Absatz 2.

d) Absatz 4 wird Absatz 3 und die Angabe „16“ wird
durch die Angabe „18“ ersetzt.

Artikel 3

Änderung des Achten Buches Sozialgesetzbuch

Das Achte Buch Sozialgesetzbuch – Kinder- und Jugend-
hilfe – (Artikel 1 des Gesetzes vom 26. Juni 1990, BGBl. I
S. 1163) in der Fassung der Bekanntmachung vom 14. De-
zember 2006 (BGBl. I S. 3134), das zuletzt durch Artikel 12
chung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt
durch Artikel 4 Absatz 5 des Gesetzes vom 30. Juli 2009

Einrichtung oder sonstige Wohnform im Sinne von Ab-
satz 2.“

Drucksache 17/9187 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. In Absatz 3 werden in Satz 4 nach dem Wort „veranlas-
sen“ ein Semikolon und die Wörter „die Bestellung einer
Ergänzungspflegschaft für die Vertretung des Minderjäh-
rigen in asyl- und aufenthaltsrechtlichen Angelegenhei-
ten soll veranlasst werden“ eingefügt.

Artikel 4

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 28. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

CSU und FDP umzusetzen und den Vorbehalt zurückzuneh- erfasst Kinder. Artikel 1 KRK definiert jeden Menschen bis

men. Schließlich wurde die Erklärung zur Rücknahme des
Vorbehalts am 13. Juli 2010 bei den Vereinten Nationen hin-
terlegt.

zum vollendeten 18. Lebensjahr als Kind, also auch 16- und
17-Jährige.

Der sachliche Schutzbereich des Artikels 22 Ansatz 1 KRK
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/9187

Begründung

A. Allgemeiner Teil
Das Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom
20. November 1989 (kurz: Kinderrechtskonvention, KRK)
wurde am 20. November 1989 von der Generalversammlung
der Vereinten Nationen angenommen. Es trat am 2. Septem-
ber 1992 in Kraft.

Bei der Ratifizierung am 6. März 1992 gab die damalige
Bundesregierung mehrere Vorbehaltserklärungen ab. Zwei
davon haben sich zwischenzeitig erledigt. Denn es wurden
innerstaatliche Gesetzesänderungen vorgenommen, mittels
derer Kindern die von den Vorbehalten betroffenen Rechte
gewährt werden. Von praktischer Bedeutung war bis vor
Kurzem nur noch der Vorbehalt Nummer IV. Er lautet:
„Nichts in dem Übereinkommen kann dahin ausgelegt wer-
den, daß die widerrechtliche Einreise eines Ausländers in das
Gebiet der Bundesrepublik Deutschland oder dessen wider-
rechtlicher Aufenthalt dort erlaubt ist; auch kann keine Be-
stimmung dahin ausgelegt werden, daß sie das Recht der
Bundesrepublik Deutschland beschränkt, Gesetze und Ver-
ordnungen über die Einreise von Ausländern und die Bedin-
gungen ihres Aufenthaltes zu erlassen oder Unterschiede
zwischen Inländern und Ausländern zu machen.“

Nichtregierungsorganisationen haben den Vorbehalt von Be-
ginn an scharf kritisiert. Nachdem der Bundesrat bereits kurz
vor Ende der 13. Wahlperiode die Rücknahme gefordert hat-
te (Bundesratsdrucksache 771/98 – Beschluss –, S. 3), hat
sich der Deutsche Bundestag in der 14. und 15. Wahlperiode
mehrfach für seine Rücknahme ausgesprochen (Bundes-
tagsdrucksache 14/1681 i. V. m. Bundestags-Plenarprotokoll
14/58, S. 5155; Bundestagsdrucksache 14/4884, S. 4 i. V. m.
Bundestags-Plenarprotokoll 14/155, S. 51247; Bundestags-
drucksache 14/7330, S. 6 i. V. m. Bundestags-Plenarproto-
koll 14/198, S. 19327; Bundestagsdrucksache 14/6169
i. V. m. Bundestags-Plenarprotokoll 14/222, S. 22059; Bun-
destagsdrucksache 15/136, S. 10 i. V. m. Bundestags-Plenar-
protokoll 15/31, S. 2429; Bundestagsdrucksache 15/4724
i. V. m. Bundestags-Plenarprotokoll 15/184, S. 17337).
Auch die Kinderkommission des Deutschen Bundestages hat
die Rücknahme gefordert (Rücknahme der Vorbehaltserklä-
rungen gegen die UN-Kinderrechtskonvention, Beschluss
der Kinderkommission vom 8. November 2006, Kom-
Drucksache 16/12).

Nachdem die Rücknahme zunächst lange Zeit am Wider-
stand einzelner Bundesländer gescheitert ist, nahm der Bun-
desrat am 26. März 2010 einen Antrag der Länder Rhein-
land-Pfalz, Berlin, Bremen und Brandenburg an, mit dem er
sich für die Rücknahme des Vorbehalts aussprach (Bundes-
ratsdrucksache 829/09 – Beschluss –; siehe auch Bundes-
rats-Plenarprotokoll 868 vom 26. März 2010, S. 95 f.). Da-
rauf hin beschloss die Bundesregierung am 3. Mai 2010, ihre
Ankündigung aus dem Koalitionsvertrag zwischen CDU,

Weg zu einer angemessenen Behandlung ausländischer Kin-
der in Deutschland noch nicht vollendet. Vielmehr stellt sich
nun die Aufgabe, Regelungen, die im Widerspruch zur Kin-
derrechtskonvention stehen, zu ändern. Daneben gilt es meh-
rere Änderungen vorzunehmen, die nicht durch die Kinder-
rechtskonvention zwingend vorgegeben, gleichwohl aber für
einen sachgerechten Umgang mit den besonderen Bedürfnis-
sen von Kindern sachlich geboten sind. Zuletzt müssen An-
forderungen der Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über ge-
meinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur
Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger, so-
weit sie Garantien für Minderjährige enthält, umgesetzt wer-
den.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Asylverfahrensgesetzes)

Zu Nummer 1

Es handelt sich um eine Anpassung, die aus der in § 12
Absatz 1 vorgenommenen Änderung folgt. Auf die dort ge-
gebene Begründung wird verwiesen.

Zu Nummer 2

Zu den Buchstaben a bis d

Nach bisheriger Rechtslage ist ein Ausländer, der das sech-
zehnte Lebensjahr vollendet hat, im Asylverfahren zur Vor-
nahme von Verfahrenshandlungen fähig. Von der Asylan-
tragstellung über die Widerspruchs- und Klageerhebung sind
alle Verfahrenshandlungen erfasst. Problematisch hieran ist,
dass der Minderjährige durch aktives Tun oder Unterlassen
damit auch Fehler begehen kann, die sich prozessual zu sei-
nen Lasten auswirken, etwa durch das Verstreichenlassen
von Rechtsmittelfristen. Diese Regelung stimmt nicht mit
der KRK überein. Deshalb wird § 12 Absatz 1 aufgehoben.

Die Unvereinbarkeit der Verfahrensfähigkeit ab vollendetem
sechzehntem Lebensjahr ergibt sich aus Artikel 1 i. V. m.
Artikel 22 Absatz 1 KRK ebenso wie aus Artikel 1 i. V. m.
Artikel 22 Absatz 2 Satz 2 KRK.

Artikel 22 Absatz 1 KRK verpflichtet die Vertragsstaaten da-
zu, geeignete Maßnahmen zu treffen, „um sicherzustellen,
dass ein Kind, das die Rechtsstellung eines Flüchtlings be-
gehrt (…), angemessenen Schutz und humanitäre Hilfe bei
der Wahrnehmung der Rechte erhält, die in diesem Überein-
kommen oder in anderen internationalen Übereinkünften
über Menschenrechte (…) festgelegt sind, und zwar unab-
hängig davon, ob es sich in Begleitung seiner Eltern oder
einer anderen Person befindet oder nicht.“

Der personelle Schutzbereich des Artikels 22 Ansatz 1 KRK
Die Rücknahme des Vorbehalts ist ein wichtiger Schritt für
die Kinderrechte in Deutschland. Doch allein damit ist der

umfasst Schutz und humanitäre Hilfe bei der Wahrnehmung
der in der KRK und anderen internationalen Übereinkünften

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festgelegten Rechte. Ein Kind, das Asyl beantragt, nimmt
seine Rechte aus dem Abkommen über die Rechtsstellung
der Flüchtlinge vom 28. Juli 1951 (GFK) wahr, gerichtet ins-
besondere auf die Anerkennung als Flüchtling gemäß Arti-
kel 1 Buchstabe A Absatz 2 und das daraus folgende Zurück-
weisungs-, Ausweisungs- und Abschiebungsverbot des
Artikels 33 Absatz 1 GFK. Der Schutz bei der Wahrneh-
mung dieser Rechte kann nur dann effektiv sein, wenn er
auch die rechtliche Vertretung durch einen gesetzlichen Ver-
treter umfasst. Denn allein mit Hilfe eines gesetzlichen Ver-
treters kann ein Kind in einer fremden Umgebung seine
Rechte in einem komplizierten rechtlichen Verfahren effek-
tiv wahrnehmen. Die Vorenthaltung einer gesetzlichen Ver-
tretung für Kinder im Alter zwischen sechzehn und siebzehn
Jahren verstößt deshalb gegen Artikel 1 i. V. m. Artikel 22
Absatz 1 KRK.

Artikel 22 Absatz 2 Satz 2 KRK verpflichtet die Vertrags-
staaten dazu, dem Kind, das die Rechtsstellung eines Flücht-
lings begehrt, dessen Eltern oder andere Familienangehörige
aber nicht ausfindig gemacht werden können, denselben
Schutz zu gewähren wie jedem anderen Kind, das aus seiner
familiären Umgebung herausgelöst ist. Artikel 22 Absatz 2
Satz 2 KRK lässt keine Rechtfertigung für Ausnahmen zu.

In anderen Rechtsgebieten als dem Asylverfahren gelten
Kinder nicht als verfahrensfähig. Deshalb wird ihnen, wenn
sie keinen gesetzlichen Vertreter haben, zum Schutz ihrer
rechtlichen Interessen ausnahmslos eine Vertretung beige-
ordnet. Nur im Asylverfahren gilt das gemäß § 12 Absatz 1
nicht. Damit erhalten unbegleitete Minderjährige im Asyl-
verfahren nicht denselben Schutz wie Kinder in anderen
Verfahren. Vor diesem Hintergrund stellt die asylverfahrens-
rechtliche Sonderstellung nach § 12 Absatz 1 eine gegen Ar-
tikel 22 Absatz 2 Satz 2 KRK verstoßende, nicht zu rechtfer-
tigende Ungleichbehandlung unbegleiteter minderjähriger
Asylsuchender gegenüber anderen Minderjährigen dar.

Mit der Streichung von § 12 Absatz 1 fällt eine Spezialvor-
schrift weg. Folglich gilt die allgemeine Regel des § 12
VwVfG i. V. m. § 2 BGB. Hiernach sind allein Volljährige
nach bürgerlichem Recht zur Vornahme von Verfahrens-
handlungen fähig. Damit ist der gemäß § 1773 Absatz 1
BGB, § 42 Absatz 3 Satz 4 des Achten Buches Sozialgesetz-
buch (SGB VIII) vom Jugendamt unverzüglich zu bestellen-
de Vormund auch im Rahmen des Asylverfahrens vertre-
tungsbefugt. Diese Vertretungsbefugnis umfasst auch die
Beantragung einer Ergänzungspflegschaft, vgl. hierzu auch
die Begründung zu Artikel 3 Nummer 1).

Durch die von Beginn an bestehende Verpflichtung zur Be-
stellung eines Vormundes kann auch die in der Praxis bisher
oft vorgenommene Einleitung eines Asylverfahrens für 16-
und 17-Jährige vor Bestellung eines Vormundes nicht mehr
aufrechterhalten werden.

Die Streichung der asylrechtlichen Verfahrensfähigkeit 16-
und 17-Jähriger soll darüber hinaus dazu beitragen, eine ver-
einzelt praktizierte rechtswidrige Praxis bei der kinder- und
jugendhilferechtlichen Inobhutnahme zu beenden. Teilweise
werden 16- und 17-jährige unbegleitete minderjährige Asyl-
suchende nach wie vor in asylrechtlichen Aufnahmeeinrich-

Das dürfte eigentlich nicht geschehen. § 42 Absatz 1 Num-
mer 3 SGB VIII statuiert die Verpflichtung des Jugendamtes,
unbegleitete Minderjährige in Obhut zu nehmen. Es besteht
kein Zweifel, dass diese Pflicht gegenüber allen unter 18-
Jährigen besteht (vgl. hierzu auch Peter, JAmt 2006, S. 60
(62)). Denn § 42 Absatz 1 Nummer 3 stellt auf die im
SGB VIII legal definierten Begriffe Kinder und Jugendliche
ab. Er erfasst damit gemäß § 7 Absatz 1 Nummer 1 jede Per-
son, die noch nicht vierzehn Jahre alt ist, als Kind, sowie jede
Person, die 14, aber noch nicht 18 Jahre alt ist, als Jugend-
lichen. Sobald das Jugendamt den minderjährigen Ausländer
in Obhut nimmt, ist dieser verpflichtet, in der Einrichtung
der Jugendhilfe oder einer sonstigen geeigneten Wohnform
i. S. d. § 42 Absatz 1 Satz 2 SGB VIII zu wohnen. Dann
entfällt nach der Ausnahmevorschrift des § 48 Nummer 1
AsylVfG die Verpflichtung, in einer Aufnahmeeinrichtung
zu wohnen.

Doch trotz dieser klaren Rechtslage berichten Rechtsanwälte
und Verbände immer wieder, dass Jugendämter die asylver-
fahrensrechtliche Handlungsfähigkeit zum Maßstab nehmen
und aus ihr fälschlich folgern, dass für 16- und 17-jährige
Asylsuchende die Pflicht zur Inobhutnahme nach § 42 Ab-
satz 1 Nummer 3 SGB VIII nicht gelte. Sie sehen dann von
der Inobhutnahme ab. So wird vereinzelt eine Praxis fortge-
führt, die bereits 2005 durch die Neufassung von § 42 Ab-
satz 1 Nummer 3 durch das Gesetz zur Weiterentwicklung
der Kinder- und Jugendhilfe (BGBl. I S. 2729 (Nr. 57)) be-
seitigt werden sollte.

Das eben dargestellte Missverständnis kann wegen der Strei-
chung der asylrechtlichen Handlungsfähigkeit auf Seiten der
Rechtsanwender beim Jugendamt künftig nicht mehr entste-
hen.

Zu Buchstabe e

Die Berücksichtigung des Kindeswohls nach Artikel 3 KRK
ist ein wichtiges Prinzip der Kinderrechtskonvention. Behör-
den und Gerichte sind schon jetzt verpflichtet, dieses Prinzip
zu berücksichtigen. Denn Artikel 3 KRK ist in innerstaatli-
ches Recht umgesetzt (BGBl. 1992 II, S. 121) und stellt nach
zutreffender, in der Literatur vertretener Auffassung eine für
innerstaatliche Behörden und Gerichte unmittelbar anwend-
bare Norm des Völkerrechts dar (Lorz, Nach der Rücknahme
der deutschen Vorbehaltserklärung: Was bedeutet die unein-
geschränkte Verwirklichung des Kindeswohlvorrangs nach
der UN-Kinderrechtskonvention im deutschen Recht?, Hrsg.
National Coalition, Berlin 2010, S. 4; Cremer, Die UN-Kin-
derrechtskonvention. Geltung und Anwendbarkeit in
Deutschland nach der Rücknahme der Vorbehalte, Hrsg.
Deutsches Institut für Menschenrechte, Berlin 2011, S. 18;
Wabnitz, Der Kindeswohlvorrang der UN-Kinderrechtskon-
vention (UN-KRK) nach der Rücknahme der deutschen Vor-
behaltserklärung, in: ZKJ 2010, S. 428 (429)).

Bislang zeigt sich die Rechtsprechung jedoch sehr zögerlich,
dies konsequent umzusetzen. Eine Auswertung der seit Juli
2010 ergangenen Urteile ergibt Folgendes: Die Rechtspre-
chung lässt die Frage nach der unmittelbaren Anwendbarkeit
von Artikel 3 KRK bislang offen. Es wird darauf verwiesen,
dass bei Kindern oder Familien betreffenden Sachverhalten
schon zuvor Artikel 6 des Grundgesetzes (GG) und Artikel 8
tungen (§ 44 AsylVfG) oder Gemeinschaftsunterkünften
(§ 53 AsylVfG) untergebracht.

der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) be-
rücksichtigt worden seien. Bei der im Rahmen der genannten

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/9187

Artikel zu treffenden Abwägung werde auch das Kindes-
wohl berücksichtigt (BVerwG, Beschluss vom 10. Februar
2011, Az. 1 B 22/10, § 4; Bay. VGH, Beschluss vom 8. Juli
2011, Az. 10 ZB 10.3028, §§ 12 – 15; OVG Lüneburg, Be-
schluss vom 18. Januar 2011, Az. 8 PA 317/10, § 16 f; OVG
Lüneburg, Beschluss vom 29. März 2011, Az. 8 LB 121/08,
§ 63; ähnlich bereits vor dem genannten BVerwG-Urteil
OVG Lüneburg, Beschluss vom 9. November 2010, Az. 8
PA 265/10, § 10; VG Oldenburg, Urteil vom 10. November
2010, S. 10, S. 10).

Diese Rechtsprechung wird Artikel 3 KRK nicht gerecht. Sie
übersieht, dass dieser gegenüber Artikel 6 GG und Artikel 8
EMRK die speziellere Norm ist. Die speziellere Norm kann
nicht unter Verweis darauf außer Acht gelassen werden, dass
im Rahmen der allgemeineren Normen des GG und der
EMRK bereits das Wohl des Kindes berücksichtigt wird. Das
gilt umso mehr, als damit ungeprüft vorausgesetzt wird, dass
Artikel 3 KRK keinen eigenständigen Bedeutungsgehalt ha-
be, der über die aus GG und EMRK abgeleiteten Grundsätze
hinausgehe. Das ist insofern zu kritisieren, als Artikel 3 KRK
auch dazu verpflichtet, das Kindeswohl anhand der verschie-
denen – ausschließlich in der KRK enthaltenen – kinderspe-
zifischen Rechte zu konkretisieren. Deshalb ist die Neurege-
lung als Klarstellung für die Rechtsanwendung erforderlich.

Zu Nummer 3

Die Änderung folgt aus der in § 12 Absatz 2 vorgenomme-
nen Anpassung des Kindesbegriffs an die Definition in Arti-
kel 1 KRK. Durch die in § 14 Absatz 2 Nummer 3 vorge-
nommene Änderung sind nunmehr auch 16- und 17-jährige
Minderjährige von dessen Privilegierung erfasst. Demnach
entfällt nun auch für diese Personengruppe die Wohnpflicht
in einer Aufnahmeeinrichtung nach § 47 Absatz 1 AsylVfG.

Damit wird eine Konstellation gelöst, die in der Praxis bis-
lang zu Problemen führt. Wenn ein minderjähriger Auslän-
der von sechzehn oder siebzehn Jahren noch vor der jugend-
hilferechtlichen Inobhutnahme einen Asylantrag stellt, gilt
einerseits § 14 Absatz AsylVfG. Der Asylantrag ist also bei
der Außenstelle des Bundesamtes für Migration und Flücht-
linge zu stellen. Sobald der unbegleitete Minderjährige hier
einen Antrag stellt, entsteht gemäß § 47 Absatz 1 AsylVfG
die Pflicht der Ausländerbehörde, den Ausländer einer Auf-
nahmeeinrichtung i. S. d. § 44 AsylVfG zuzuweisen. Ande-
rerseits besteht aber auch die Pflicht des Jugendamtes zur
Inobhutnahme nach § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII. So
entsteht eine Pflichtenkollision zwischen der Pflicht des
Jugendamtes zur Inobhutnahme und der Pflicht der Auslän-
derbehörde zur Zuweisung in eine Aufnahmeeinrichtung.
Die Lösung dieser Pflichtenkollision ist in Praxis und Wis-
senschaft umstritten (vgl. Wiesner, in: Wiesner, Reinhard
– Hrsg. –: Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar. 3. Auflage,
München 2006, § 42 Rn. 18).

Diese bislang nur im Wege der Auslegung zu lösende Pflich-
tenkollision führt nicht nur zu einem systematischen Wider-
spruch. Sie widerspricht auch, sofern im Einzelfall eine
Unterbringung in Gemeinschaftsunterkünften erfolgt, Arti-
kel 20 KRK. Nach dessen Absatz 1 hat ein Kind, das aus
seiner familiären Umgebung herausgelöst ist, Anspruch auf
den besonderen Schutz und Beistand des Staates. Nach Arti-

miliäre Betreuung des Kindes sicherstellen. Diesbezüglich
fordert Absatz 3 der genannten Norm „die Unterbringung in
einer geeigneten Kinderbetreuungseinrichtung“. Die von Ar-
tikel 20 Absatz 3 KRK geforderte geeignete Kinderbetreu-
ung wird nach Maßgabe des innerstaatlichen deutschen
Rechts durch die Inobhutnahme in einer Einrichtung der
Jugendhilfe oder sonstigen geeigneten Wohnform nach § 42
i. V. m. § 45 SGB VIII gewährleistet. Die Unterbringung in
einer Einrichtung der Jugendhilfe oder sonstigen Wohnform
nach § 42 SGB VIII unterliegt der Heimaufsicht gemäß § 45
SGB VIII bzw. § 48a SGB VIII. Mit diesem Erlaubnisvorbe-
halt werden das Kindeswohl gewährleistet, Gefahren vom
Kind abgewehrt und die Betreuung des Kindes durch geeig-
nete Fachkräfte sichergestellt. Für asylrechtliche Aufnahme-
einrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte hingegen gilt
die Heimaufsicht gemäß § 44 Absatz 3 und § 53 Absatz 3
AsylVfG nicht. Ohne Heimaufsicht und die damit verbun-
denen Kriterien kann nicht gewährleistet werden, dass in
diesen Einrichtungen das Kindeswohl gewährleistet ist.
Aufnahmeeinrichtungen stellen deshalb keine geeignete
Kinderbetreuungseinrichtung im Sinne des Artikels 20 Ab-
satz 3 KRK dar.

Die aufgezeigte Pflichtenkollision wird durch die in Num-
mer 1 vorgenommene Anhebung der Handlungsfähigkeit auf
achtzehn Jahre sowie die in § 14 Absatz 2 Nummer 3 vorge-
nommene Änderung gelöst. 16- und 17-jährige Asylsuchen-
de werden nunmehr wie unter 16-Jährige behandelt. Gemäß
der Privilegierungsnorm des § 14 Absatz 2 Nummer 3
AsylVfG ist der Antrag beim Bundesamt zu stellen. Die
Pflicht, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen, besteht in
diesen Fällen gemäß § 47 Absatz 1 AsylVfG nicht. Demnach
besteht allein die Pflicht des Jugendamtes, den Betroffenen
gemäß § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII in Obhut zu neh-
men.

Zuletzt folgt aus der Änderung des § 14 Absatz 2 Nummer 3
AsylVfG und der daraus resultierenden fehlenden Verpflich-
tung, gemäß § 47 Absatz 1 AsylVfG in einer Aufnahmeein-
richtung zu wohnen, dass auch § 45 i. V. m. § 47 AsylVfG,
die bislang die Grundlage für die bundesweite Umverteilung
16- und 17-Jähriger auf Aufnahmeeinrichtungen im Rahmen
des EASY-Programms bildeten, auf diese Personengruppe
nicht mehr anwendbar sind. Eine Umverteilung Minderjäh-
riger ist damit nicht mehr möglich. Stattdessen sind sie von
dem gemäß § 86 Absatz 7 SGB VIII örtlich zuständigen Ju-
gendamt in Obhut zu nehmen. Der aufgenommene Anteil an
Minderjährigen, nicht umverteilten Personen ist gemäß § 52
AsylVfG auf die Quoten nach § 45 anzurechnen. Ebenso er-
folgt ein Ausgleich der Kosten über § 89d SGB VIII.

Zu Nummer 4

Die in den Buchstaben a und b enthaltenen Änderungen fol-
gen aus der in § 12 Absatz 1 vorgenommenen Anpassung
des Kindesbegriffs an die Definition in Artikel 1 KRK.

Zu Nummer 5

Die Durchführung des Flughafenverfahrens hat zur Konse-
quenz, dass die betroffenen Ausländer in einer Unterkunft
am Flughafen untergebracht sind. Diese Form der Unterbrin-
kel 20 Absatz 2 KRK müssen Staaten nach Maßgabe des in-
nerstaatlichen Rechts in diesen Fällen eine andere als die fa-

gung steht in Widerspruch zu Artikel 20 KRK. Das zu Arti-
kel 1 Nummer 3 Gesagte gilt entsprechend.

Drucksache 17/9187 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Zudem ist bei dieser Personengruppe nach der Einreise die
Durchführung eines Clearingverfahrens i. S. d. § 42 Absatz 2
Satz 1 SGB VIII erforderlich. Ein solches kann nur in geeig-
neten Einrichtungen nach § 42 Absatz 1 SGB VIII durchge-
führt werden. Diese liegen regelmäßig außerhalb von Flug-
häfen. Folglich bedarf es der Inobhutnahme durch das
Jugendamt gemäß § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII, um
das Clearingverfahren nach § 42 Absatz 2 Satz 1 SGB VIII
durchführen zu können. Klarstellend ist darauf zu verweisen,
dass die Durchführung des Clearingverfahrens als Abschie-
bungshindernis nach § 60a Absatz 2 AufenthG zu bewerten
ist. Deshalb ist währenddessen eine Duldung auszustellen.

Zu Nummer 6

Satz 3 stellt klar, dass eine Verpflichtung zur Wohnsitznahme
in einer Gemeinschaftsunterkunft bei unbegleiteten minder-
jährigen Asylbewerbern nicht besteht, weil diese gemäß § 42
Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII durch das Jugendamt in
Obhut zu nehmen sind. Die Vorschrift schließt ein Konkur-
renzverhältnis zwischen § 53 AsylVfG und § 42 Absatz 1
Nummer 3 SGB VIII ausdrücklich aus und verhilft der letzt-
genannten Norm damit zu praktischer Wirksamkeit.

Zu Artikel 2 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Zu Nummer 1

Auf die Begründung zu Artikel 1 Nummer 2e wird verwie-
sen.

Zu Nummer 2

§ 15 Absatz 1 ordnet die Zurückweisung an der Grenze im
Wege der gebundenen Entscheidung an, wenn ein Ausländer
unerlaubt einreisen will. Absatz 2 derselben Norm ordnet
mehrere Gründe an, aus denen im Wege der Ermessensent-
scheidung eine Zurückweisung erfolgen kann.

Zwar ordnet § 15 Absatz 4 Satz 2 an, dass keine Zurückwei-
sung erfolgen darf, wenn der Betroffene einen Asylantrag
gestellt hat. Dieser Ausschluss gilt auch für minderjährige
Ausländer. Doch nicht in allen Fällen können unbegleitete
Minderjährige ein Asylbegehren spontan bei Kontakt an der
Grenze vortragen. Zum einen gibt es Fälle von Traumatisie-
rung, in denen erst im Rahmen eines Clearingverfahrens he-
rausgefunden werden kann, ob Bedarf nach internationalem
Schutz nach der Richtline 204/83/EG des Rates über Min-
destnormen für die Anerkennung und den Status von Dritt-
staatsangehörigen oder Staatenlosen als Flüchtlinge oder als
Personen, die anderweitig internationalen Schutz benötigen,
und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes vom
29. April 2004 (sog. Qualifikationsrichtlinie), besteht. Zum
anderen gibt es Fälle, in denen unbegleitete Minderjährige zu
ihrem eigenen Schutz von ihren Eltern ins Ausland geschickt
werden, ohne von möglichen Verfolgungsgründen zu wis-
sen. Auch hier ist ein Clearingverfahren erforderlich. Die
Durchführung eines Clearingverfahrens wird dadurch sicher-
gestellt, dass der in § 15 Absatz 4 neu geschaffene Satz 3 ein
Zurückweisungsverbot aufstellt.

Das neu geschaffene Zurückweisungsverbot setzt auch dem
bislang politisch umstrittenen Aufenthalt im Transitbereich
eines Flughafens für Minderjährige gemäß § 15 Absatz 6 ein

tung gemäß § 42 Absatz 1 Nummer 3 SGB VIII, das Kind in
Obhut zu nehmen. Hier ist in einem Clearingverfahren even-
tueller Schutzbedarf zu prüfen. Bis zur daran anschließenden
Entscheidung über die Einleitung eines Asylverfahrens ist
eine Duldung gemäß § 60a Absatz 2 des Aufenthaltsgesetzes
zu erteilen.

Mit einem solchen Vorgehen wird der Verpflichtung aus Ar-
tikel 20 KRK Rechnung getragen. Dieser fordert den beson-
deren Schutz und Beistand des Staates für ein Kind, das vo-
rübergehend oder dauernd aus seiner familiären Umgebung
herausgelöst wird. Dieser besondere Schutz und Beistand
wird nur durch das aufgezeigte Verfahren gewährleistet. Die
Zurückweisung an der Grenze hingegen würde dazu führen,
dass das Kindeswohl sowie eventuell bestehende Schutz-
bedürftigkeit i. S. d. Qualifikationsrichtlinie nicht ermittelt
werden kann.

Zu Nummer 3

Zu Buchstabe a

Nach Artikel 17 Absatz 5 Satz 2 Buchstabe b Richtlinie
2005/85/EG sind medizinische Eingriffe nur zulässig, wenn
der Minderjährige oder sein gesetzlicher Vertreter eingewil-
ligt hat. Das in 49 Absatz 6 Satz 1 eingefügte Einwilligungs-
erfordernis setzt diese europarechtliche Vorgabe um.

Zu Buchstabe b

Die Praxis der Altersfeststellung ist in den Bundesländern
unterschiedlich. Zuständig sind die Ausländerbehörden.
Doch werden je nach örtlicher Praxis auch Bundespolizei,
Landespolizei, Gesundheitsämter, Jugendämter und Jugend-
hilfe-Clearingstellen sowie das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge beteiligt. Ausgangspunkt ist meist eine me-
dizinische Untersuchung auf Grundlage von § 49 Absatz 6.
Ergänzend wird in der überwiegenden Zahl der Bundeslän-
der das Jugendamt beteiligt.

Doch geschieht Letzteres nicht in allen Bundesländern (Bun-
destagsdrucksache 16/13166, S. 29 ff.). So werden Alters-
festsetzungen bisweilen ausschließlich auf medizinische Un-
tersuchungen oder Eingriffe gestützt.

Eine allein auf einer medizinischen Untersuchung basieren-
de Festsetzung ist legitim, sofern das Ergebnis ausreichend
genau ist. Allerdings können Unsicherheiten bleiben. So
werden in einzelnen Bundesländern Röntgenuntersuchun-
gen der Handwurzelknochen vorgenommen, um das Alter
von Ausländern festzustellen (vgl. Bundestagsdrucksache
16/13166, S. 29 ff.). Bei dieser Methode ist von einer
Schwankung der Schätzung von etwa einem Jahr nach oben
wie nach unten auszugehen. Bereits das setzt jedoch voraus,
dass es sich um gesunde Personen handelt. Verschiedene
Krankheitsbilder können zu Abweichungen von mehreren
Jahren führen. Hinzu kommen mögliche Ungenauigkeiten,
sofern eine Vorgeschichte von Mangelernährung vorliegt.
Deshalb kann es gerade bei Röntgenuntersuchungen zu ver-
bleibenden Zweifeln kommen. Sofern dies im Einzelfall der
Fall ist, ist es geboten, auch das Jugendamt zu beteiligen.
Dieses hat die psychologischen und pädagogischen Kompe-
tenzen, die für eine weitere Präzisierung der Einschätzung
Ende, da dieser nur auf zurückgewiesene Ausländer i. S. d.
Absatzes 1 anwendbar ist. Stattdessen besteht die Verpflich-

erforderlich ist. Der Verweis auf das in § 72 Absatz 7 neu
eingefügte Beteiligungserfordernis stellt sicher, dass in

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/9187

Zweifelsfällen eine Beteiligung und Zustimmung des Ju-
gendamtes erfolgt.

Zu Nummer 4

Auf die Ausführungen zu Artikel 2 Nummer 3 a wird ver-
wiesen.

Zu Nummer 5

Das zu Artikel 1 Nummer 2a bis 2d Gesagte gilt entspre-
chend.

Zu Artikel 3 (Änderung des Achten Buches Sozial-
gesetzbuch)

Zu Nummer 1

Es handelt sich um eine Klarstellung, die verhindert, dass das
Jugendamt unter Verweis auf fehlende Kapazitäten eine
asylverfahrensrechtliche Aufnahmeeinrichtung oder Ge-
meinschaftsunterkunft im Einzelfall als geeignete Einrich-
tung oder sonstige Wohnform einstufen kann. In Aufnahme-
einrichtungen gilt die Heimaufsicht des § 45 SGB VIII
gemäß § 44 Absatz 3 AsylVfG und § 53 Absatz 3 AsylVfG

gebiet fehlt, in dem der Minderjährige der Vertretung bedarf.
Die diesbezügliche Rechtsprechung der Vormundschafts-
gerichte ist uneinheitlich. Vielfach nimmt die obergericht-
liche Rechtsprechung richtigerweise die Voraussetzungen
des § 1909 als gegeben an. Wenn der Amtsvormund nicht
über die spezielle Sachkunde im Ausländer- und Asylrecht
verfüge, verfüge er für seinen Aufgabenkreis nicht über die
zur sachgerechten Erledigung erforderliche Sachkunde
(OLG Frankfurt a. M., Beschluss vom 28. April 2000, Az. 20
W 549/99, mit Anmerkung von Peter, abgedruckt in JAmt
2003, S. 557 f).

Bereits jetzt beantragen zahlreiche Jugendämter, die die
Minderjährigen als Vormund vertreten, auf dem Gebiet des
Ausländer- und Asylrechts erfahrene Rechtsanwälte als Ver-
fahrenspfleger für dies Sachgebiet nach § 1909 BGB zu be-
stellen. Doch nicht alle Jugendämter stellen entsprechende
Anträge, und nicht alle Vormundschaftsgerichte folgen der
eben zitierten Auffassung.

Mit der Änderung soll sichergestellt werden, dass das Ju-
gendamt regelmäßig eine Ergänzungspflegschaft beantragt.
Die Norm ist als intendierte Ermessensnorm ausgestaltet, ein
Abweichen von der Soll-Vorschrift wird so ermöglicht, falls
nicht. Ohne Heimaufsicht aber ist nicht sichergestellt, dass in
der Aufnahmeeinrichtung das Kindeswohl gewährleistet ist.
Aufnahmeeinrichtungen stellen deshalb keine geeignete Un-
terbringung für Kinder dar.

Zu Nummer 2

Die Änderung trägt der erheblichen Komplexität der juristi-
schen Kenntnisse Rechnung, die man benötigt, um asyl- und
aufenthaltsrechtliche Verfahren zu betreuen.

Eine Ergänzungspflegschaft nach § 1909 BGB kann nach
überwiegender Auffassung angeordnet werden, wenn dem
Vormund die nötige Sachkunde in einem bestimmten Sach-

das Jugendamt ausnahmsweise selbst über einschlägig spe-
zialisierte, erfahrene juristische Fachkräfte verfügt. Mehr-
kosten gegenüber der ebenfalls denkbaren Variante, dass das
Jugendamt einen Rechtsanwalt beauftragt, entstehen nicht.

Gleichzeitig soll die Norm eine Wirkung auf die Auslegung
von § 1909 BGB durch die Gerichte entfalten. Der Gesetz-
geber bringt hier zum Ausdruck, dass er in der Regel nicht
von einer ausreichenden asyl- und aufenthaltsrechtlichen
Spezialisierung des Jugendamtes ausgeht. Nimmt ein Ge-
richt diese dennoch an und ordnet keine Ergänzungspfleg-
schaft an, so muss es dies als von der Regel abweichenden
Fall begründen.

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