BT-Drucksache 17/8921

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs

Vom 7. März 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8921
17. Wahlperiode 07. 03. 2012

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Rüdiger Veit, Daniela Kolbe (Leipzig), Petra Ernstberger,
Gabriele Fograscher, Iris Gleicke, Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann
(Wackernheim), Frank Hofmann (Volkach), Ute Kumpf, Christine Lambrecht,
Kirsten Lühmann, Caren Marks, Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann,
Dr. Sascha Raabe, Gerold Reichenbach, Swen Schulz (Spandau), Sonja Steffen,
Dr. Dieter Wiefelspütz, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und
freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs

A. Problem

Im Jahr 2007 wurde der Ehegattennachzug ausländischer Ehegatten mit dem
Gesetz zur Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der EU
(BGBl. 2007 I S. 1970) reformiert. Seitdem müssen nachzugswillige Ehegatten
aus Drittstaaten schon bei Beantragung eines Visums, also vor der Einreise in
das Bundesgebiet, einfache Deutschkenntnisse nachweisen. Gefordert wird das
Niveau A 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens (GER).

Die Regelung wurde eingeführt, um Zwangsverheiratungen zu verhindern (Bun-
destagsdrucksache 16/5065, S. 172 ff.). Allerdings fehlen bislang empirische
Belege dafür, dass dieses Ziel durch das Erfordernis des Spracherwerbs vor der
Einreise erreicht wird. Vielmehr sind zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen es
Ehepartnern in freiwillig geschlossenen Ehen langfristig unmöglich ist, in ehe-
licher Lebensgemeinschaft in Deutschland zu leben. Deshalb wird das 2007 ein-
geführte Erfordernis des Sprachnachweises vor der Einreise aufgehoben. Aller-
dings werden die geltenden Regelungen, wonach der nachziehende Ehegatte bei
fehlenden Sprachkenntnissen einen Integrationskurs nach der Einreise nach
Deutschland besuchen muss, beibehalten.

Daneben besteht im Freizügigkeitsgesetz/EU Anpassungsbedarf an Vorgaben
des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

B. Lösung

Das Erfordernis des Spracherwerbs vor der Einreise beim Ehegattennachzug
wird aufgehoben. Daneben wird die Visumsregelung des Freizügigkeitsgeset-
zes/EU an die Rechtsprechung des EuGH angepasst.

C. Alternativen

Keine.

D. Finanzielle Auswirkungen und Bürokratiekosten

Keine.

Drucksache 17/8921 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des aufenthalts- und
freizügigkeitsrechtlichen Ehegattennachzugs

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt
durch Artikel 1 des Gesetzes vom 23. Juni 2011 (BGBl. I
S. 1266) geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

1. In § 28 Absatz 1 Satz 5 wird nach den Wörtern „§ 30
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1“ die Angabe „und 2“ und werden
nach dem Komma die Wörter „Satz 3 und“ gestrichen.

2. § 30 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) Satz 1 wird wie folgt geändert:

aa) In Nummer 1 wird das Komma durch das Wort
„und“ ersetzt.

bb) Nummer 2 wird aufgehoben.

cc) Nummer 3 wird Nummer 2.

b) Satz 2 wird wie folgt geändert:

aa) Nach der Angabe „Satz 1 Nr. 1“ wird die Angabe
„und 2“ gestrichen.

bb) In Nummer 3 wird die Angabe „Nr. 3“ durch die
Angabe „Nummer 2“ ersetzt.

c) Satz 3 wird aufgehoben.

Artikel 2

Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

Das Freizügigkeitsgesetz/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I
S. 1950, 1986), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom
23. Juni 2011 (BGBl. I S. 1266) geändert worden ist, wird
wie folgt geändert:

In § 2 Absatz 4 werden die Sätze 2 und 3 durch die folgenden
Sätze 2 bis 5 ersetzt:

„Familienangehörige, die nicht Unionsbürger sind, bedürfen
für die Einreise grundsätzlich eines deklaratorischen Visums.
Die Erteilung richtet sich nach Artikel 5 Absatz 2 und Arti-
kel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen
Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht
der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im
Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und auf-
zuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68
und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/
EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/
EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl.
L 229 vom 29.6.2004, S. 35). Die zuständige Behörde hat
Familienangehörigen, die nicht Unionsbürger sind und die
einen Unionsbürger begleiten oder ihm nachziehen, an der
Grenze ein Ausnahmevisum zu erteilen, wenn der Fami-
lienangehörige seine Identität und seine Familienangehörig-
keit im Sinne von Artikel 2 Absatz 2 Nummer 2 der Richt-
linie 2004/38/EG darlegen kann und keine Anhaltspunkte
dafür vorliegen, dass er eine Gefahr für die öffentliche Ord-
nung, Sicherheit oder Gesundheit gemäß § 6 Absatz 1 Satz 2
darstellt. Der Besitz einer gültigen Aufenthaltskarte eines
anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union nach Ar-
tikel 5 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG entbindet von der
Visumpflicht und berechtigt den Inhaber zur Inanspruch-
nahme der Freizügigkeitsrechte in den anderen Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union unabhängig davon, ob der frei-
zügigkeitsberechtigte Unionsbürger diesen Familienangehö-
rigen begleitet oder ihm nachzieht.“

Artikel 3

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 7. März 2012

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8921

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Es wird daran festgehalten, dass nachziehende Ehegatten aus
Drittstaaten Deutsch können oder, wo dies nicht der Fall ist,
Deutsch lernen müssen. Aus diesem Grund sollen Goethe-
Institute weiterhin Sprachkurse im Ausland anbieten. So
können interessierte Nachzugswillige deren Angebot auch
vor der Einreise nach Deutschland freiwillig in Anspruch
nehmen. Eine Verpflichtung zum Deutschlernen allerdings
soll erst in Deutschland bestehen, also nach der Einreise. Das
ist für die eheliche Lebensgemeinschaft weniger belastend.

Als Ziel des 2007 eingeführten Spracherfordernisses nannte
die Gesetzesbegründung die Bekämpfung von Zwangsehen
(Bundestagsdrucksache 16/5065, S. 172 ff.). Der zwingende
Erwerb von Sprachkenntnissen vor der Einreise war als Be-
fähigung zur Selbsthilfe gedacht: „Schwiegerfamilien, de-
nen die neu einwandernden Opfer von Zwangsverheiratun-
gen nach der Einreise ausgesetzt sind, nutzen die mangeln-
den deutschen Sprachkenntnisse willentlich oder indirekt
aus, um ein eigenständiges Sozialleben der Opfer zu verhin-
dern.“ (Bundestagsdrucksache 16/5065, S. 173). Opfern von
Zwangsheirat sollte also die Möglichkeit gegeben werden,
sich von ihren Ehegatten zu emanzipieren und gegebenen-
falls Beratungsangebote in Anspruch zu nehmen.

Zudem wurde der Regelung präventive Wirkung beigemes-
sen: „Gebildete Männer und Frauen sind nach dem Familien-
bild der betreffenden Kreise unattraktiver, sie sind schwerer
‚kontrollierbar‘, worauf es den Zwang ausübenden Personen
aber maßgeblich ankommt. Auch einfache Sprachkenntnisse
bedeuten eine solche Bildung“ (Bundestagsdrucksache 16/
5065, S. 173).

Ohne Zweifel trifft den Gesetzgeber eine menschenrecht-
liche Schutzpflicht, Maßnahmen gegen Zwangsheiraten zu
treffen. Doch fehlt es bis heute an empirischen Belegen, dass
die Regelung tatsächlich zur Verhinderung von Zwangsehen
geeignet ist. Eine von der Bundesregierung im September
2010 veröffentlichte Evaluierung (Bundestagsdrucksache
17/3090) brachte diesbezüglich keinerlei Erkenntnisse. Auf
die Zweckerreichung wird nur an einer Stelle eingegangen.
Allerdings enthält der Bericht hier statt belastbarer Empirie
ebenso vage wie unbelegte Ausführungen: „Die Evaluierung
[…] erbrachte auch Erkenntnisse über die Erreichung der
Ziele der Regelung, die in der Förderung der Integration und
in der Vermeidung von Zwangsehen liegen. […] Ferner be-
richteten Lehrer von Einzelfällen, in denen Frauen offen-
sichtlich absichtlich durch die Prüfung fallen, um eine unge-
wollte Ehe in Deutschland zu vermeiden.“

Gleichzeitig haben sich die Befürchtungen von Kritikern
bewahrheitet, die schon bei der Verabschiedung der Rege-
lung unverhältnismäßige Erschwernisse für freiwillig ge-
schlossene Ehen vorhergesagt hatten.

Viele Betroffene können keine Kurse besuchen, weil es in
ihrem Land keine Goethe-Institute oder vergleichbare Kurse
gibt. In anderen Ländern wiederum ist das Goethe-Institut
weit vom Wohnort entfernt. Das kann zu nicht überwind-
baren finanziellen Belastungen führen, wenn am Ort des
Goethe-Instituts eine neue Wohnung angemietet werden und

gleichzeitig am Wohnort die Berufstätigkeit aufgegeben wer-
den muss. Hinzu kommen finanzielle Belastungen durch den
Kurs selbst. Gemessen am heimischen Lebensstandard ist er
oftmals sehr teuer. Ebenfalls vor teils unlösbaren Problemen
stehen alleinerziehende Personen, die neben der Berufstätig-
keit die Kinderbetreuung besorgen müssen und dadurch we-
der Zeit noch Geld für einen Kurs im Heimatstaat haben. Die
genannten Probleme sind umso stärker, je schwieriger der
Erwerb einer europäischen Sprache wegen der Andersartig-
keit gegenüber der Muttersprache, etwa asiatischer Spra-
chen, ist. Zuletzt gibt es Fälle von Analphabetismus, in de-
nen der Abschlusstest zur unüberwindbaren Hürde wird.

Anhand von Berichten von Rechtsanwälten und Verbänden
ist ebenso wie durch zahlreiche Petitionen und persönliche
Zuschriften an Bundestagsabgeordnete deutlich geworden,
dass es einen erheblichen Anteil von Ehepartnern gibt, für
die die Zusammenführung wegen des Spracherfordernisses
über Monate, Jahre oder auf unbestimmte Zeit unmöglich
wird (vgl. hierzu die Dokumentation von Einzelfällen des
Bundesfachverbands binationale Partnerschaften e. V., „Ha-
ben Sie noch eine Idee?“ – Erfahrungen mit der Verschär-
fung beim Ehegattennachzug, Frankfurt am Main 2008).

Das ist insofern nicht hinnehmbar, als ein gemäß Artikel 6
des Grundgesetzes (GG) und Artikel 8 der Europäischen
Menschenrechtskonvention (EMRK) verfassungs- und men-
schenrechtlich geschütztes Gut beeinträchtigt wird. Zwar
haben das Bundesverfassungsgericht (BVerfG, Beschluss
vom 25. März 2011, Az. 2 BvR 1413/10) und das Bundes-
verwaltungsgericht (BVerwG) zwischenzeitig festgestellt,
dass die Regelung mit dem Grundgesetz ebenso wie mit der
Richtlinie 2004/38/EG vereinbar sei (BVerwG, Urteil vom
30. März 2010, Az. 1 C 8.09). Entgegen dieser Auffassung
kritisierten aber mehrere Sachverständige in einer öffentli-
chen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des
Deutschen Bundestages am 6. Juni 2011 das Urteil. Nach wie
vor vertraten sie die zutreffende Auffassung, dass die der-
zeitige Regelung unvereinbar mit dem Grundgesetz, der Eu-
ropäischen Menschenrechtskonvention sowie europäischem
Sekundärrecht sei (siehe hierzu die Stellungnahmen von
Susanne Schröder, Deutscher Anwaltverein, Ausschuss-
drucksache 17(4) 266 E, S. 2 ff., Prof. Dr. Thomas Groß,
Ausschussdrucksache 17(4) 266 C, S. 2 ff. und des Verban-
des binationaler Partnerschaften, Hiltrud Stöcker-Zafari,
Ausschussdrucksache 17(4) 266 F, S. 12 ff.).

Auch wurde in der genannten Anhörung zu Recht kritisiert,
dass eine europarechtlich gebotene Klärung nach wie vor
ausstehe. Das BVerfG hatte sich zu dieser Frage gar nicht ge-
äußert, das BVerwG hatte darauf verzichtet, dem EuGH die
Frage nach der Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2004/38/EG
im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens vorzulegen
(Schröder, a. a. O., S. 3 und 4). Das BVerwG hatte darauf
verwiesen, dass von einem „acte-claire“ auszugehen sei
(BVerwG, a. a. O., Rn. 28). Nach der Acte-claire-Rechtspre-
chung des EuGH entfällt die Verpflichtung höchstinstanz-
licher Gerichte, eine gemeinschaftsrechtliche Frage dem
EuGH vorzulegen, wenn „die richtige Anwendung des Ge-
meinschaftsrechts derart offenkundig ist, dass keinerlei

Drucksache 17/8921 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Raum für einen vernünftigen Zweifel an der Entscheidung
der gestellten Frage bleibt“ (EuGH, Rs. 284/81 (C.I.L.F.I.T.),
Slg. 1982, 3415, Rn. 16). Die Auffassung des BVerwG war
schon unter Zugrundelegung der gemeinschaftsrechtlichen
Dogmatik nicht richtig (zutreffend die Kritik bei Marx, in:
ZAR 2011, S. 15 (17 f.)). Nunmehr verdeutlicht auch eine
aktuelle Stellungnahme der EU-Kommission, dass nicht von
der Eindeutigkeit ausgegangen werden kann, die die Acte-
claire-Doktrin fordert: In einer Stellungnahme vom 4. Mai
2011 hat die Kommission die Ansicht vertreten, das in Arti-
kel 7 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG genannte Merkmal
der Integrationsmaßnahmen erlaube es nicht, einem Familien-
angehörigen den Nachzug nur deshalb zu verweigern, weil er
einen Integrationstest im Ausland nicht bestanden habe
(Schriftelijke Opmerkingen […] in de zaak C-155/11 PPU).

Unabhängig von der europarechtlich gebotenen Klärung
wird auch aus rechtspolitischen Gründen nicht länger am
obligatorischen Spracherwerb im Ausland festgehalten.
Zwar sind Sprachkenntnisse unzweifelhaft Voraussetzung
für die Integration eines Ausländers. Ebenso können sie von
Bedeutung sein, wenn sich eine von einer Zwangsehe betrof-
fene oder anderweitig unter patriarchalen Strukturen lei-
dende Frau in Deutschland an Beratungsstellen wenden
möchte. Doch das Aufenthaltsgesetz trägt diesem Umstand
schon jetzt ausreichend Rechnung.

Nachziehende Ehegatten haben gemäß § 44 Absatz 1 Num-
mer 1 Buchstabe b AufenthG einen Anspruch auf Zulassung
zum Integrationskurs. Jeder nachziehende Ehegatte kann
also freiwillig einen Integrationskurs besuchen.

Neben der freiwilligen Teilnahme können nachziehende
Ehegatten auch zur Teilnahme verpflichtet sein. Fehlen dem
nachziehenden Ehegatten einfache Kenntnisse der deutschen
Sprache, so ist er gemäß § 44a Absatz 1 Nummer 1 Buch-
stabe a AufenthG zur Teilnahme an einem Integrationskurs
verpflichtet. Diese Verpflichtung trifft alle nachziehenden
Ehegatten, die sich nicht auf dem Niveau B 1 des GER ver-
ständigen können.

Das geltende Recht stellt auch eine ausreichende Kontrolle
sicher, um zu gewährleisten, dass die Betroffenen ihrer Ver-
pflichtung zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integra-
tionskurs in der Praxis nachkommen.

Verletzt ein Ausländer seine Verpflichtung nach § 44a Ab-
satz 1 Satz 1 AufenthG zur ordnungsgemäßen Teilnahme am
Integrationskurs, ist dies bei der Entscheidung über die
Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis gemäß § 8 Absatz 3
AufenthG zu berücksichtigen. Diese Norm ist im März 2011
durch das Gesetz zur Bekämpfung der Zwangsheirat und
zum besseren Schutz der Opfer von Zwangsheirat sowie zur
Änderung weiterer aufenthalts- und asylrechtlicher Vor-
schriften effektiviert worden. Zum einen muss nunmehr die
Ausländerbehörde feststellen, ob der Ausländer einer etwa-
igen Pflicht zur ordnungsgemäßen Teilnahme am Integra-
tionskurs nachgekommen ist. Zum anderen formuliert der
neu eingefügte § 8 Absatz 3 Satz 2 AufenthG: „War oder ist
ein Ausländer zur Teilnahme an einem Integrationskurs nach
§ 44a Absatz 1 Satz 1 verpflichtet, soll die Verlängerung der
Aufenthaltserlaubnis jeweils auf höchstens ein Jahr befristet
werden, solange er den Integrationskurs noch nicht erfolg-
reich abgeschlossen oder noch nicht den Nachweis erbracht
hat, dass seine Integration in das gesellschaftliche und
soziale Leben anderweitig erfolgt ist.“

Die Integrationskurse in Deutschland werden flächende-
ckend angeboten. Die Betroffenen lernen die Sprache im In-
tegrationskurs im Alltag vor Ort. Das macht den Spracher-
werb einfacher und effektiver als im Ausland. Gleichzeitig
ist dies der für die Partnerschaft weniger belastende Weg, um
dem nachziehenden Partner Sprachkenntnisse abzuverlan-
gen. Der obligatorische Spracherwerb nach der Einreise ist
dem vor der Einreise deshalb als milderes Mittel vorzuziehen.

Im Übrigen verfehlen die verpflichtenden Sprachkurse im
Ausland zumindest dort ihr Ziel, wo zwischen Visabeantra-
gung und -erteilung viel Zeit vergeht. Viele Betroffene besu-
chen einen Kurs, beantragen anschließend das Visum und
müssen dann bis zu dessen Erteilung mehrere Monate war-
ten. Bis sie in Deutschland angekommen sind, haben sie viel
von ihren mühsam erarbeiteten Kenntnissen mangels Übung
wieder verloren.

Hinzu kommen beim obligatorischen Spracherwerb vor der
Einreise, wie er derzeit geregelt ist, Ungleichbehandlungen
zweierlei Art:

Zum einen sieht das Gesetz nach § 30 Absatz 1 Satz 3 Num-
mer 4 eine Ausnahme vom Spracherwerb für Ausländer vor,
wenn deren in Deutschland lebende Ehegatten wegen ihrer
Staatsangehörigkeit auch für einen Aufenthalt, der kein Kurz-
aufenthalt ist, visumfrei in das Bundesgebiet einreisen und
sich darin aufhalten dürfen. Bürger von Australien, Israel,
Japan, Kanada, der Republik Korea, von Neuseeland und der
Vereinigten Staaten von Amerika (§ 41 Absatz 1 AufenthV),
Andorra, Honduras, Monaco oder San Marino (§ 41 Absatz 2
AufenthV), der Schweiz (§ 28 AufenthV), Brasilien und El
Salvador (§ 16 i. V. m. Anlage A Nummer 1 AufenthV) so-
wie Mexiko (GMBl 1960 S. 27) ist, muss der ausländische
nachziehende Ehegatte vor der Einreise keinen Nachweis
von Sprachkenntnissen erbringen. Diese Ausnahme wurde
mit den wirtschaftlich engen Beziehungen Deutschlands zu
den in § 25 AufenthV genannten Staaten begründet (Bundes-
tagsdrucksache 16/5065, S. 175). Aus der aufenthaltsrecht-
lichen Privilegierung des in Deutschland lebenden zusam-
menführenden Ehepartners kann jedoch nicht pauschal
darauf geschlossen werden, dass die nachziehenden auslän-
dischen Ehegatten unabhängig von ihrer eigenen Staatsange-
hörigkeit einen geringeren Integrationsbedarf haben als an-
dere nachziehende Ausländer. Hier kommt es zu einer sach-
lich nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung gegenüber
Deutschen, die ihren Ehepartner nachziehen lassen möchten,
sowie gegenüber Ausländern aus nicht privilegierten Staa-
ten, die ihren Ehepartner nachziehen lassen möchten.

Zum anderen hat der EuGH in der Rechtssache Metock
(EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008, Rs. C-127/08) festgestellt,
dass die Richtlinie 2004/38 den Mitgliedstaaten keine eigene
Regelungskompetenz belässt, die Einreise von drittstaatsan-
gehörigen Familienangehörigen von EU-Bürgern zu regeln.
Dadurch, dass der Familiennachzug zu Unionsbürgern euro-
parechtlich geregelt ist, ist es den Mitgliedstaaten verwehrt,
eigene Regelungen zu treffen. Daraus folgt unter anderem,
dass von drittstaatsangehörigen Ehegatten von Unionsbür-
gern kein Deutschtest als Bedingung für die Einreise nach
Deutschland verlangt werden kann, wenn sich der Unions-
bürger in Deutschland aufhält. Dem trägt die Visapraxis des
Auswärtigen Amts bereits jetzt Rechnung. Dadurch kommt
es zu einer gemeinschaftsrechtlich zwar zulässigen, rechts-
politisch aber unerwünschten Inländerdiskriminierung zu-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8921

sammenführungswilliger Deutscher gegenüber zusammen-
führungswilligen EU-Bürgern.

B.Besonderer Teil

Zu Artikel 1 (Änderung des Aufenthaltsgesetzes)

Zu Nummer 1

Mit der Änderung wird der Verweis auf die in § 30 Absatz 1
Satz 1 normierte Sprachanforderung sowie die in § 30 Ab-
satz 1 Satz 3 enthaltene Ausnahme dazu gestrichen.

Zu Nummer 2

Zu Buchstabe a

Hiermit wird das Erfordernis einfacher Deutschkenntnisse
gestrichen.

Zu Buchstabe b

Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung.

Zu Buchstabe c

Die Ausnahmen sind nicht mehr erforderlich, nachdem die
Regel des Spracherfordernisses aufgehoben ist.

Zu Artikel 2 (Änderung des Freizügigkeits-
gesetzes/EU)

§ 2 Absatz 4 Satz 2 FreizügG/EU in der bislang geltenden
Fassung stellt für die Erteilung eines Visums auf die „Be-
stimmungen für Ausländer, für die das Aufenthaltsgesetz
gilt“, ab. Damit werden die für Drittstaatsangehörige allge-
mein geltenden Regelungen des deutschen Aufenthaltsgeset-
zes auch auf solche Drittstaatsangehörige erstreckt, die zum
Zwecke des Familiennachzugs zu Unionsbürgern einreisen
möchten. Das ist mit der Rechtsprechung des EuGH unver-
einbar.

Zwar kann dem EuGH zufolge von Familienangehörigen von
Unionsbürgern grundsätzlich ein Visum verlangt werden
(EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002, Rs. C-459/99 (MRAX),
Rn. 56 ff.). Dem trägt Satz 2 in seiner neuen Fassung Rech-
nung.

Allerdings hat der EuGH ebenso festgestellt, dass sich das
Recht auf Einreise allein aus der familiären Beziehung zum
Unionsbürger ergibt (EuGH, a. a. O., Rn. 59). Daraus folgt,
dass auch im Visumverfahren allein Identität, familiäre Be-
ziehung zum Unionsbürger, Nachzugs- oder Begleitungs-
absicht sowie eventuell entgegenstehende Gefahren für die
öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit geprüft
werden dürfen. Dem trägt der durch den neu eingefügten
Satz 3 eingefügte Verweis auf Artikel 5 Absatz 2 und Arti-
kel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38 EG Rechnung.

Der im neu eingefügten Satz 3 enthaltene Verweis berück-
sichtigt zudem das Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 25. Juli 2008 in der Rs. C-127/08 (Metock). Im genann-
ten Urteil hat der EuGH festgestellt, dass die Mitgliedstaaten
keine ausschließliche Zuständigkeit dafür haben, die Ein-
reise Familienangehöriger von Unionsbürgern zu regeln
(a. a. O., Rn. 66). Vielmehr sei „der Gemeinschaftsgesetz-
geber dafür zuständig, die Einreise und den Aufenthalt

vo n Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige eines
Unionsbürgers sind, in Bezug auf den Mitgliedstaat, in dem
der Unionsbürger sein Recht auf Freizügigkeit ausgeübt hat,
zu regeln, wie er es mit der Richtlinie 2004/38 getan hat“
(EuGH, a. a. O., Rn. 65).

Der nationale Gesetzgeber hat also keine Befugnis, neben
den vom Gemeinschaftsgesetzgeber getroffenen Regelungen
weitere Regelungen über den Nachzug von drittstaatsange-
hörigen Familienangehörigen zu treffen. Denn dies hätte
„zur Folge, dass die Freizügigkeit der Unionsbürger in einem
Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen,
je nach dem nationalen Zuwanderungsrecht unterschiedlich
ausgestaltet wäre, weil einige Mitgliedstaaten den Familien-
angehörigen eines Unionsbürgers die Einreise und den Auf-
enthalt gestatten, während andere ihnen dies verweigern.
(…) Ein solches Ergebnis wäre mit dem in Artikel 3 Ab-
satz 1 Buchst. c EG genannten Ziel eines Binnenmarkts, der
durch die Beseitigung der Hindernisse für den freien Per-
sonenverkehr zwischen den Mitgliedstaaten gekennzeichnet
ist, unvereinbar. Die Schaffung eines Binnenmarkts setzt
voraus, dass die Bedingungen, unter denen ein Unionsbürger
in einen Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit er nicht
besitzt, einreisen und sich dort aufhalten darf, in allen Mit-
gliedstaaten gleich sind“ (EuGH, a. a. O., Rn. 67 f.). Folglich
sind die Einreisevoraussetzungen für nachziehende Fami-
lienangehörige von Unionsbürgern auf die in Artikel 5 Ab-
satz 2 und Artikel 6 Absatz 2 der Richtlinie 2004/38/EG ge-
nannten Kriterien zu beschränken. Insoweit handelt es sich
auch nicht um ein Visum im konstitutiven Sinne, sondern
lediglich um ein solches deklaratorischer Art. Ist die Frei-
zügigkeitsberechtigung festgestellt, folgt das Aufenthalts-
recht unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht.

Der neu eingefügte Satz 4 setzt die Anforderungen des
EuGH, Urteil vom 25. Juli 2002, Rs. C-459/99 (MRAX),
um. Hier hat der EuGH zunächst auf die gemeinschaftsrecht-
liche Definition des Einreisevisums als eine von einem Mit-
gliedstaat ausgestellte Genehmigung oder Entscheidung, die
für die Einreise in dessen Hoheitsgebiet erforderlich ist
(EuGH, a. a. O., Rn. 59), verwiesen. Eine solche Erlaubnis
müsse, wenn der Familienangehörige sie bei der Einreise
noch nicht besitze, angesichts der Bedeutung des Schutzes
des Familienlebens gegebenenfalls unverzüglich an der Ein-
reisestelle erteilt werden (EuGH, a. a. O., Rn. 60).

Im neuen Satz 5 wird zum einen eine redaktionelle Anpas-
sung vorgenommen, da die genannte Richtlinie durch die in
Satz 3 (neu) vorgenommene Änderung bereits vollständig
genannt worden ist. Die vorgenommene Erweiterung dient
zum anderen der Klarstellung in Bezug auf eine bislang um-
strittene Frage. Es wird klargestellt, dass die Inanspruch-
nahme der Reiserechte durch freizügigkeitsberechtigte Fa-
milienangehörige nicht von der ständigen Begleitung oder
dem Nachziehen des freizügigkeitsberechtigten Ehegatten
abhängig ist, sondern durch die Ausstellung der Aufenthalts-
karte als gemeinschaftsrechtliche Aufenthaltserlaubnis wäh-
rend des Gültigkeitszeitraums vermittelt wird (ausführlich
hierzu Winkelmann, ZAR, S. 213 (217) und Verwaltungsge-
richt Berlin, Urteil vom 15. Juni 2011, Az. VG 35 K 55.11,
S. 9 f.).

Zu Artikel 3

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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