BT-Drucksache 17/8796

Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen

Vom 29. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8796
17. Wahlperiode 29. 02. 2012

Antrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vorurteilsmotivierte Straftaten wirksam verfolgen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die Straftaten, die sich gegen eine Person wegen ihrer Nationalität, Hautfarbe,
ethnischen Herkunft, sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer Religion,
Weltanschauung, Behinderung, ihres Alters oder ihres gesellschaftlichen Status
richten, sind zutiefst verwerflich und fordern alle gesellschaftlichen Kräfte, sie
zu verhindern.

Bereits nach dem geltenden Recht können Beweggründe des Täters sowie die
Gesinnung, die aus einer Tat spricht, bei der Strafzumessung berücksichtigt
werden (§ 46 Absatz 2 des Strafgesetzbuchs (StGB)). Dies gilt selbstverständ-
lich auch für die Straftaten, die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit
motiviert sind.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung dazu auf,

1. gemeinsam mit den Ländern die Richtlinien für das Strafverfahren und das
Bußgeldverfahren vom 1. Januar 1977 (RiStBV) dahingehend zu ändern,
dass klargestellt wird, dass bei Mischantragsdelikten, die durch gruppen-
bezogene Menschenfeindlichkeit motiviert sind, das besondere öffentliche
Interesse an der Strafverfolgung in der Regel zu bejahen ist,

2. einen Entwurf für ein Gesetz vorzulegen, der in § 130 StGB (Volksver-
hetzung) alle Gruppen aufnimmt, deren Zugehörige davor geschützt werden
sollen, insbesondere wegen ihrer sexuellen Identität, ihres Geschlechts, ihrer
Weltanschauung, ihrer Behinderung oder ihres Alters zum Opfer volksver-
hetzender Handlungen zu werden und

3. eine Studie über die Anwendung des § 46 Absatz 2 StGB im Hinblick auf
die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motivierten Delikte in
Auftrag zu geben.
Berlin, den 28. Februar 2012

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/8796 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Vorurteilsmotivierte Straftaten gegen Menschen insbesondere wegen ihrer
Nationalität, Hautfarbe, ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts, ihrer Religion,
Weltanschauung, Behinderung, sexuellen Identität, ihres Alters oder ihres
gesellschaftlichen Status verletzen zutiefst deren Achtungsanspruch und billi-
gen weitere Straftaten, die teilweise mit unvorstellbarer Brutalität ausgeführt
werden. Die besondere Dimension des aus diesen Ressentiments entstandenen
Unrechts liegt darin, dass die Taten jeweils nicht nur gegen das Opfer als In-
dividuum gerichtet, sondern über die Leidenszufügung am jeweiligen Opfer
hinaus geeignet sind, weite Teile der Bevölkerung zu verunsichern und deren
Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts zu erschüttern.

Die durch gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit motivierten Delikte reichen
von einfacher Körperverletzung bis zu einem Mord. Einige dieser Delikte
werden entweder auf einen Strafantrag hin verfolgt oder aber dann, wenn die
Staatsanwaltschaft das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung
bejaht (sog. Mischantragsdelikte). Angesichts der Tatsache, dass vorurteils-
motivierte Straftaten dem freiheitlich demokratisch verfassten Gemeinwesen
widersprechen oder es sogar angreifen und einige Opfer aus Angst oder Scham
keinen Strafantrag stellen, soll das besondere öffentliche Interesse an der Straf-
verfolgung bei vorurteilsmotivierten Antragsdelikten in der Regel bejaht wer-
den. Zu diesem Zweck ist eine Ergänzung der an die Staatsanwaltschaften
gerichteten Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren vom
1. Januar 1977 (RiStBV) notwendig. Auswirkungen hat dies insbesondere auf
die Bestrafung der Körperverletzung nach § 223 i. V. m. § 230 StGB und die
Sachbeschädigung nach § 303 i. V. m. § 303c StGB.

Das Problem der vorurteilsmotivierten Straftaten wurde auch auf europäischer
Ebene thematisiert und führte dazu, dass am 28. November 2008 der Rahmen-
beschluss 2008/913/JI des Rates zur strafrechtlichen Bekämpfung bestimmter
Formen und Ausdrucksweisen von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit vom
Rat angenommen wurde. Den zwingenden Vorgaben des Rahmenbeschlusses
und des Zusatzprotokolls entspricht das deutsche Strafrecht nach der Änderung
von § 130 StGB (Volksverhetzung) im Jahr 2010 bereits.

Dennoch sollten in § 130 StGB (Volksverhetzung) alle Gruppen aufgenommen
werden, deren Zugehörige davor geschützt werden sollen, zum Opfer volksver-
hetzender Handlungen zu werden. Dieser horizontale Ansatz lehnt sich an den
Artikel 19 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union an, der
noch als Artikel 13 des Amsterdamer Vertrages Grundlage für die europäische
Antidiskriminierungsgesetzgebung war. Den Ansatz hat der deutsche Gesetzge-
ber bereits im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) verankert.

Über § 130 StGB hinaus sind nach § 46 StGB unter anderem Beweggründe und
Ziele des Täters sowie die Gesinnung, die aus seiner Tat spricht, bei der Straf-
zumessung einzubeziehen. Es ist in der deutschen Rechtspraxis anerkannt, dass
beispielsweise rassistische oder fremdenfeindliche Beweggründe nach § 46
StGB zu berücksichtigen sind und regelmäßig zu einer Strafschärfung führen
(vgl. Bundestagsdrucksache 17/3124, S. 8, Theune in Leipziger Kommentar
zum StGB, 12. Auflage 2007, § 46 Rn. 84; vgl. Kupna, Das Konzept der „Hate
Crimes“ in Deutschland, 2010, S. 197 f.; OLG Brandenburg, 2 Ss 71/00, 1 Ss
97/06; LG Neuruppin, 13 Ns 326 Js 14869/01 (20/02); AG Weimar, 596 Js
36556/06 2 Ls jug.; 556 Js 22206/08 2 Ls jug.).

Schließlich fordert der Antrag die Bundesregierung dazu auf, eine Studie in Auf-
trag zu geben, die die tatsächliche Praxis hinsichtlich § 46 Absatz 2 untersuchen
soll. Es gibt bislang keine ausreichende Rechtstatsachenforschung darüber, wie
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit als Beweggrund für Straftraten bei der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8796

Strafzumessung berücksichtigt wird. Für einige Erscheinungsformen vorurteils-
motivierter Kriminalität liegt praktisch gar keine Rechtstatsachenforschung vor,
wie beispielsweise für den Bereich homophober Gewalttaten.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.