BT-Drucksache 17/8652

Gesundheitliche und rechtliche Bewertung von E-Zigaretten

Vom 10. Februar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8652
17. Wahlperiode 10. 02. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Karin Binder, Matthias W.
Birkwald, Jutta Krellmann, Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer,
Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Gesundheitliche und rechtliche Bewertung von E-Zigaretten

Die elektrischen bzw. elektronischen Zigaretten (E-Zigaretten) werden von den
Herstellern als gesündere Art des Rauchens, manchmal auch als Weg, mit dem
Rauchen aufzuhören, beworben. Laut Hersteller simuliert das Inhalieren einer
verdampften Flüssigkeit mit oder ohne Nikotin das Rauchen, während die ande-
ren schädlichen Substanzen des Tabakrauchs (z. B. Teer) vermieden würden.
Auch die Belästigung und gesundheitliche Gefährdung durch Passivrauchen
würden erheblich gemindert. Entsprechend werden die E-Zigaretten seit einigen
Jahren von Menschen genutzt, um an Orten zu rauchen, an denen sonst nicht ge-
raucht werden darf, um Gesundheitsgefahren für sich selbst oder andere zu ver-
mindern, aber auch, weil sie langfristig kostengünstiger sind. Laut Herstellern
nimmt die Zahl der Nutzerinnen und Nutzer in letzter Zeit massiv zu.

Bisher liegen nur wenige internationale Studien vor, die Gesundheitsgefahren
und Inhaltsstoffe von E-Zigaretten untersuchen. So kommt eine Metastudie aus
den USA von Zachary Cahn und Michael Siegel zu dem Ergebnis, dass E-Ziga-
retten ein gewaltiges Potential im Kampf gegen tabakbedingte Morbidität und
Mortalität bieten (Journal of Public Health Policy Vol. 31 Issue 1, S. 1–16, April
2010). Eine andere Studie warnt vor dem Inverkehrbringen der E-Zigaretten,
bevor die gesundheitlichen Risiken geklärt und die Angabe der Inhaltsstoffe
sichergestellt wurden (Anna Trtchounian, Prue Talbot, Electronic nicotine
delivery systems: is there a need for regulation? 2010).

In Deutschland fehlt eine offizielle verlässliche Einschätzung der Gesundheits-
gefahren, so dass Konsumierende vor allem mit den Aussagen der Hersteller
konfrontiert sind. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen jedoch die Mög-
lichkeit erhalten, sich über Gesundheitsgefahren und Inhaltsstoffe verlässlich in-
formieren und so ihre Gesundheitsrisiken abschätzen zu können. Neben der ge-
sundheitlichen Bewertung fehlt auch die rechtliche Klarheit. Das Bundesinstitut
für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) hat im Jahr 2009 ein Fabrikat
der nikotinhaltigen E-Zigaretten als Arzneimittel eingestuft. Der Verkauf von
anderen Fabrikaten ging weiter, ohne dass die Bundesregierung für Rechtssi-
cherheit gesorgt hätte. Inzwischen ist der Verkauf von E-Zigaretten in einigen

Bundesländern untersagt worden. Andere Bundesländer haben sich noch nicht
geäußert. Ende des Jahres 2011 ließ das BfArM verlauten, es gäbe in dieser
Sache noch keine Grundsatzentscheidung. Der Niedersächsische Städte- und
Gemeindebund (NSGB) meinte entsprechend am 29. Dezember 2011 im „Ham-
burger Abendblatt“, es „bedürfe einer verlässlichen gesetzlichen Regelung auf
der Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse“. Völlig unklar ist auch, inwieweit
die Nutzung von E-Zigaretten den Nichtraucherschutzbestimmungen unterliegt.

Drucksache 17/8652 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Professor Dr. Dr. Jürgen Ruhlmann vom Lungenkrebszentrum Bonn wertet das
Vorgehen als Niederlage im Kampf gegen die Tabakzigarette. „Weil die Politik
sich nicht traut, die tödliche Tabakzigarette zu verbieten, stoppt sie den Erfolg
ihrer Alternative. Das ist ökonomisch und gesundheitspolitisch unsinnig.“
(www.derwesten.de, 2. Februar 2012).

Eine gesundheitliche Bewertung und rechtliche Klarstellung sind zwingend er-
forderlich, um noch nachzuweisende Gesundheitsvorteile der E-Zigaretten ge-
genüber herkömmlichen Tabakwaren nutzen zu können, Konsumentinnen und
Konsumenten über Art und Umfang möglicher Gesundheitsgefahren zu infor-
mieren sowie den rechtlichen Rahmen von Verkauf und Anwendung zu bestim-
men. Die E-Zigaretten sind seit Jahren auf dem Markt. Dennoch fehlt immer
noch eine offizielle Stellungnahme der Bundesregierung.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie funktionieren E-Zigaretten, und seit wann sind sie in Deutschland er-
hältlich?

2. Wie viele Fabrikate sind auf dem Markt, und wie unterscheiden sie sich?

3. Wie viele Menschen konsumieren in Deutschland E-Zigaretten oder andere
E-Tabakprodukte, und wie entwickelt sich diese Zahl?

4. Welche Hersteller von E-Zigaretten sind der Bundesregierung bekannt, und
welche Überschneidungen gibt es mit Tabakwarenherstellern?

5. Werden die E-Zigaretten vorrangig importiert bzw. eher auf dem europä-
ischen Markt hergestellt?

6. Wird das in den Liquids verarbeitete Nikotin aus Tabak extrahiert oder che-
misch synthetisiert?

7. Welche sonstigen Stoffe enthalten die auf dem Markt befindlichen Liquids
(bitte alle bekannten Stoffe auflisten und nach Trägerflüssigkeiten, Aromen
und sonstigen Stoffen sortieren)?

Kann diese Liste als abschließend bewertet werden?

8. Welche Daten gibt es über die Wirkungen des in E-Zigaretten häufig ver-
wendeten Propylenglykols oder anderer entsprechend verwendeter Flüssig-
keiten bei inhalativer Aufnahme?

9. Wie reagieren die enthaltenen Stoffe während der Verdampfung?

Welche Stoffe könnten entstehen und welche sind bislang nachgewiesen?

Welche Beurteilungen bezüglich des Gesundheitsrisikos liegen dafür vor?

10. Welche der Substanzen (außer Trägerflüssigkeit und Nikotin) werden in
welchem Maße inhaliert, und welche Menge verbleibt jeweils im Körper?

11. Wie viel Trägerflüssigkeit wird pro Inhalation inhaliert, und wie viel davon
wird nicht wieder ausgeatmet?

12. Welche Begleitsubstanzen aus Extraktion oder Synthese sind in den Liquids
zu finden, und welche davon werden inhaliert?

13. Wie viel Nikotin ist pro Zug im Dampf von E-Zigaretten enthalten?

Wie viel davon verbleibt im Körper?

Welche Spannbreite gibt es bei den unterschiedlichen Liquids?

Wie groß ist die Menge im Vergleich zu Tabakzigaretten?
14. Ist die Menge des im Dampf enthaltenen Nikotins bei gleichem Liquid ab-
hängig vom verwendeten Verdampfungsgerät oder vom Batteriezustand?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8652

15. Welche Stoffe aus dem Dampf gelangen nach Ausatmung durch die Konsu-
mierenden oder von E-Zigaretten in die Raumluft?

Wie schätzt die Bundesregierung die E-Zigaretten toxikologisch für Men-
schen in der unmittelbaren Umgebung (Passivkonsumierende) ein?

Wie hoch ist die Gefährdung im Verhältnis zur Tabakzigarette?

16. Wie viele Züge sind mit einem Liquiddepot möglich?

Wird dem Konsumierenden zur Kenntnis gegeben, wann die aufgenom-
mene Menge Nikotin in etwa der Nikotinmenge durch eine herkömmliche
Tabakzigarette entspricht, oder gibt es andere Mechanismen, die eine mög-
liche Nikotinintoxikation anzeigen?

17. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung hinsichtlich des Wissens der
Verbraucherinnen und Verbraucher insbesondere über die gesundheits-
schädlichen Wirkungen der E-Zigaretten?

18. Sind wissenschaftliche Institute des Bundes in der Lage, bei unzureichender
Datenlage insbesondere zu den in den Fragen 7 bis 17 angesprochenen wei-
tere Untersuchungen durchzuführen?

Falls ja, hat die Bundesregierung diese Untersuchungen veranlasst, bzw.
wann wird sie das tun?

Falls nein, bis wann sollen entsprechende Untersuchungs- bzw. Forschungs-
möglichkeiten entwickelt werden, bzw. wie will die Bundesregierung den
Gesundheitsschutz von Konsumierenden von E-Tabakprodukten sicherstel-
len?

19. Wie bewertet die Bundesregierung das Gesundheitsrisiko einer reinen Niko-
tininhalation, vor allem bei langzeitigem Konsum?

20. Welchen Anteil an der Tabakabhängigkeit hat das Nikotin, und wie ist das
Abhängigkeitsrisiko beim Konsum von E-Zigaretten im Vergleich zu
Tabakzigaretten zu bewerten?

21. Wie wird die Unbedenklichkeit der verwendeten Zusatzstoffe gewährleis-
tet?

Wird diese Unbedenklichkeit bei Bedingungen getestet, die für Anwende-
rinnen und Anwender von E-Zigaretten übertragbar sind?

22. Welche Daten zu Fällen von Nikotinintoxikation nach Gebrauch von E-Zi-
garetten sind der Bundesregierung bekannt?

Wie schätzt die Bundesregierung die Gefahr einer akut toxischen Dosierung
im Vergleich zu Tabakzigaretten ein?

23. Wie schätzt Bundesregierung die E-Zigaretten im Vergleich zu Tabakziga-
retten bezüglich ihres Gesundheitsrisikos für die Konsumierenden ein?

Welche (vergleichenden) Daten gibt es zum Langzeitgebrauch?

24. Wie bewertet die Bundesregierung das Gesundheitsrisiko durch Begleit-
stoffe (alle Inhaltsstoffe des Rauches bzw. des Dampfes außer Nikotin) im
Vergleich zu Tabakzigaretten?

25. Wie wird sichergestellt, dass der Nikotingehalt im Dampf über die Nut-
zungsdauer eines Liquiddepots konstant bleibt?

26. Ist die Menge des in dem Liquid vorhandenen Nikotins kennzeichnungs-
pflichtig?

Drucksache 17/8652 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

27. Welche Gerichtsurteile und rechtlichen Einschätzungen zu E-Zigaretten
sind der Bundesregierung bekannt?

Welche Sachverhalte betrafen diese und wie lauten sie?

28. Wie bewertet die Bundesregierung Äußerungen des Juristen Prof. Wolfgang
Voit, der bei www.derwesten.de vom 2. Februar 2012 sagte, dass E-Zigaret-
ten als Genussmittel nicht auf der Grundlage des Arzneimittelrechts ver-
boten werden könnten?

29. Wie bewertet die Bundesregierung die Rechtslage für Kommunen in Län-
dern, die den Verkauf von E-Zigaretten untersagt haben?

Welche externen rechtlichen Expertisen (beispielsweise von Ländern, Kom-
munen, Staatsanwaltschaften etc.) sind der Bundesregierung bezüglich der
Pflichten der Kommunen und der Staatsanwaltschaften bekannt?

Wie bewertet die Bundesregierung insbesondere Äußerungen der Staats-
anwaltschaft Essen, aus dem Verbot in Nordrhein-Westfalen und in Essen
allein ließen sich keine strafrechtlichen Konsequenzen ableiten?

30. Sind die Landesministerien befugt oder sogar verpflichtet, den Verkauf von
E-Zigaretten zu untersagen, wenn die (arzneimittel-)rechtliche Einordnung
von den zuständigen Bundesbehörden noch nicht vorgenommen wurde?

31. Welche maßgeblichen Urteile sind der Bundesregierung bekannt, die gege-
benenfalls auf die Einstufung von E-Zigaretten übertragbar sind?

32. Wie ist der Einsatz von Zusatzstoffen in Tabakprodukten gesetzlich regle-
mentiert?

Wie ist der Einsatz von Zusatzstoffen in Liquids für E-Zigaretten gesetzlich
reglementiert?

33. Wie sind die E-Zigaretten nach Ansicht der Bundesregierung rechtlich ein-
zuordnen (bitte getrennt nach nikotinfreier und nikotinhaltiger Verwendung
aufführen und jeweils begründen)?

Welche Gründe sprechen nach Ansicht der Bundesregierung für eine glei-
che rechtliche Einstufung von E-Zigaretten und Tabakzigaretten und welche
sprechen dagegen?

34. Haben Anwender/Anwenderinnen und Hersteller von E-Zigaretten nach
Ansicht der Bundesregierung ausreichende Rechtssicherheit?

Falls nein, was unternimmt die Bundesregierung, um Rechtssicherheit her-
zustellen?

35. Dürfen E-Zigaretten von Deutschland aus über den (internationalen) Inter-
nethandel bestellt werden?

36. Dürfen E-Zigaretten in Deutschland in einem Vor-Ort-Geschäft verkauft
werden (bitte gegebenenfalls unterschiedliche Länder- bzw. Kommunal-
regelungen aufführen)?

37. Welche Voraussetzungen muss ein Funktionsarzneimittel erfüllen?

Sind Tabakzigaretten und Kaffee Funktionsarzneimittel?

Falls nein, warum nicht?

38. Erwartet die Bundesregierung aufgrund der Verbreitung der E-Zigaretten
Mindereinnahmen aus der Tabaksteuer?

39. Erwägt die Bundesregierung, eine Steuer auf E-Zigaretten einzuführen, und
falls ja, wie soll diese ausgestaltet sein?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8652

40. Mit welchen Motivationen werden nach den Informationen der Bundes-
regierung E-Zigaretten konsumiert?

Welche Motivation herrscht nach Ansicht der Bundesregierung vor?

41. Wie groß ist der Anteil der Nutzerinnen, die vorher keine Tabakzigaretten
geraucht haben?

Stimmt die Bundesregierung der Behauptung zu, dass für die Konsumentin-
nen und Konsumenten die Alternative zu E-Zigaretten in der Regel her-
kömmliche Tabakprodukte sind und nicht die Nikotinabstinenz?

42. Sieht die Bundesregierung im Gebrauch von E-Zigaretten eine Möglichkeit,
Schäden durch aktives und passives Rauchen zu vermindern, falls sich in
klinischen Studien herausstellt, dass der Dampf weniger toxisch ist als der
Rauch von Tabakprodukten?

43. Welche klinischen Daten liegen zur Eignung von E-Zigaretten zur Raucher-
entwöhnung vor?

44. Darf momentan mit E-Zigaretten als Mittel gegen Tabakabhängigkeit ge-
worben werden?

45. Welche bundes- und landesrechtlichen Vorschriften gibt es für den Nicht-
raucherschutz?

46. Inwieweit sind die Vorschriften für den Nichtraucherschutz für E-Zigaretten
anzuwenden?

Welche landesrechtlichen Regelungen sind der Bundesregierung diesbezüg-
lich bekannt?

47. Ist das Rauchen von E-Tabakprodukten in öffentlichen Einrichtungen des
Bundes erlaubt bzw. findet es statt?

Wenn ja, warum ist es erlaubt?

Wenn nein, warum nicht?

48. Wie werden die E-Zigaretten in den anderen Staaten der Organisation für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) rechtlich einge-
stuft?

49. Wie bewerten die Gremien der EU die E-Zigaretten?

Berlin, den 10. Februar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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