BT-Drucksache 17/8481

Rentenversicherung stärken und solidarisch ausbauen - Solidarische Mindestrente einführen

Vom 25. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8481
17. Wahlperiode 25. 01. 2012

Antrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, Dr. Martina
Bunge, Heidrun Dittrich, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz,
Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn
Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Rentenversicherung stärken und solidarisch ausbauen –
Solidarische Mindestrente einführen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Ziel einer vernünftigen Politik der Altersvorsorge ist es, den einmal erreich-
ten Lebensstandard halten zu können und Armut im Alter zu vermeiden. Die
Rentenpolitik der schwarz-gelben Koalition verfehlt beide Ziele.

Vor zehn Jahren wurde von der damaligen Bundesregierung aus SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN ein verantwortungsloser Paradigmenwechsel
eingeleitet. Alle anschließenden Rentenreformen folgten dem gleichen Zweck.
Das Ziel der Lebensstandardsicherung wurde aufgegeben – wie auch die fak-
tische Armutsvermeidung – und durch das Ziel der Beitragssatzstabilität ersetzt.
Die Renten folgen seitdem nicht mehr den Löhnen. So wird die Rente bis zum
Jahr 2030 um rund ein Fünftel entwertet werden.

Die politisch aufgerissene Versorgungslücke sollen die Menschen stattdessen
verstärkt mit privater (und betrieblicher) Vorsorge schließen. „Drei-Säulen-
Modell“ wird diese Lastenverschiebung auf die Versicherten beschönigend
genannt. Sie soll den Eindruck einer höheren Stabilität und Nachhaltigkeit ver-
mitteln. Entlastet werden jedoch nur die Unternehmen. Dabei zeigt sich zehn
Jahre nach dem Paradigmenwechsel: Das Drei-Säulen-Modell ist gescheitert.
Die private Riester-Vorsorge kann die gemachten Versprechen nicht halten.

Hohe Verwaltungskosten und eine geringe Rendite machen die Riester-Rente
ineffizient. Sie ist zudem intransparent, weil die hohen Kosten und die schmale
Rendite kaum durch die Sparerinnen und Sparer zu erkennen sind. Und die
Riester- Rente ist ineffektiv, weil sie das politisch gesetzte Ziel, die Ver-
sorgungslücke zu schließen, nicht zu erreichen in der Lage ist. Letztendlich ist
sie sozial ungerecht, weil seit 2002 die Versicherten über 25 Mrd. Euro aus ihrer
Tasche in die Riester-Produkte gesteckt haben. Der Staat hat nochmal 12 Mrd.
Euro an Subventionen dazugegeben. Etliche Milliarden davon fließen in die
Taschen der Versicherungsunternehmen. Die Spaltung zwischen Arm und Reich
wird verschärft und der Finanzmarkt erheblich zusätzlich aufgebläht. Die private
Vorsorge kennt keine Solidarität, keinen Ausgleich. Das Drei-Säulen-Modell ist
also keineswegs nachhaltig oder gar zukunftsweisend.

Die Folgen dieser verfehlten Alterssicherungspolitik liegen auf der Hand: Das
Leistungsniveau der Rente sinkt. Zudem sinken die Neurenten durch die ver-

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fehlte Arbeitsmarkt- und Beschäftigungspolitik. Wer vor zehn Jahren nach
langjähriger gesetzlicher Versicherungszeit in die Rente ging, hatte im Durch-
schnitt 1 021 Euro zur Verfügung, im Jahr 2010 waren es nur noch 919 Euro.

Die Altersarmut ist wieder in der Gesellschaft angekommen. Bei den einen als
Angst um die Zukunft, bei den anderen als heute schon spürbarer Mangel an
Einkommen. 14 Prozent der Menschen ab 65 Jahre sind arm. Frauen sind
stärker betroffen als Männer. Westdeutsche sind heute noch stärker betroffen als
Ostdeutsche. Nach 1990 waren aber immer mehr Ostdeutsche phasenweise oder
dauerhaft erwerbslos. Deshalb ist es absehbar, dass in Zukunft die Altersarmut
verstärkt die Ostdeutschen treffen wird.

Dies alles zeigt: Es ist höchste Zeit für ein anderes Konzept. Es ist Zeit für eine
solidarische Rentenversicherung, die dem Ziel der Lebensstandardsicherung
ebenso folgt wie dem der Armutsvermeidung. Die Rentenversicherung muss
Erwerbstätigen, welche lange eingezahlt haben, garantieren, dass sie im Alter
oder bei Erwerbsminderung ihren Lebensstandard ohne erhebliche Einbußen
aufrechterhalten können.

Gleichzeitig bedürfen jene der Solidarität, die wegen Kindererziehung, Pflege,
Arbeitslosigkeit oder Zeiten niedriger Erwerbseinkommen nur geringe oder
zum Teil gar keine eigenen Beiträge einzahlen und somit auch nur spärliche
Rentenansprüche aufbauen können. Daher müssen auch Zeiten der Kinder-
erziehung, Pflege oder Erwerbslosigkeit zu eigenen Rentenansprüchen führen,
wie jede Form der Erwerbsarbeit auch, sei sie nun abhängig oder selbstständig.

Altersarmut muss aktiv bekämpft werden. Niemand soll im Alter von weniger
als 900 Euro leben müssen. Deswegen ist es Zeit für eine solidarische Min-
destrente.

Für Männer und Frauen stellt während ihrer mittleren, in der Regel durch
Erwerbstätigkeit geprägten, Lebensphase, welche Phasen der Kindererziehung,
Pflege und Erwerbslosigkeit ausdrücklich einschließt, das Erwerbseinkommen
direkt oder indirekt das wichtigste Einkommen dar. Wenn Menschen von die-
sem Erwerbseinkommen gut leben können, vermeidet eine lebensstandard-
sichernde Rente im Leistungsfall auch Armut. Hier wird zugleich deutlich,
dass eine gute Rente nicht ohne gute Arbeit zu erreichen ist. Arbeitsmarkt- und
Rentenpolitik müssen deshalb immer zusammengedacht werden. Gute Arbeit,
gute Löhne und eine gute Rente sind der beste Schutz vor Altersarmut.

Dieser Zusammenhang gilt auch und gerade für Frauen. Denn noch immer wer-
den sie am Arbeitsmarkt erheblich diskriminiert. Sie verdienen weniger Geld,
haben schlechtere Aufstiegschancen und arbeiten häufiger (und oft unfreiwillig)
in Teilzeit als Männer. Gleichzeitig sind es vor allem Frauen, die wegen Kinder-
erziehung oder Pflege einer Mehrfachbelastung ausgesetzt sind und gerade des-
wegen ihre Erwerbsarbeit reduzieren müssen.

Unabdingbar ist die gleiche Bezahlung für die gleiche Arbeit (equal pay). Dies
gilt gleichermaßen zwischen den Geschlechtern als auch zwischen Stamm-
beschäftigten und Leiharbeiterinnen bzw. Leiharbeitern. Gleichfalls unersetz-
lich sind ein gutes, gebührenfreies Angebot an Ganztageskinderbetreuung ab
dem ersten Lebensjahr und eine humane und solidarische Pflegeabsicherung,
damit pflegebedürftige Menschen stärker auf professionelle Pflege zurückgrei-
fen können. Dann und nur dann können Frauen und Männer Familie und Beruf
nach ihren Vorstellungen verbinden, statt ihre Erwerbsarbeit reduzieren oder gar
aufgeben zu müssen.

Frauen wie Männer sollen sich gleichwertig an der Kindererziehung oder Pflege
beteiligen. Dafür brauchen sie verbindliche Rechte, bei Bedarf ihre Erwerbs-
arbeit vorübergehend reduzieren zu können. Gleichzeitig müssen soziale Be-
rufe, wie beispielsweise in der Kindererziehung oder Pflege, in denen vor allem

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8481

Frauen arbeiten, aufgewertet und ihrer Verantwortung entsprechend erheblich
besser bezahlt werden. Einen ersten kleinen Schritt hierzu stellt ein flächen-
deckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 10 Euro brutto pro Stunde dar.

Der Schutz vor Altersarmut ist zentral für ein zukunftsweisendes Renten-
konzept. Die solidarische Rentenversicherung gewährleistet in der Regel, dass
Menschen im Alter eine gute und auskömmliche Rente haben. Da ein leistungs-
bezogenes Rentensystem jedoch vor allem die im Erwerbsleben erreichte
Einkommensposition widerspiegelt, kann nicht in jedem Einzelfall Armuts-
festigkeit garantiert werden. Um wirksam vor Altersarmut zu schützen, muss
ein armutsfestes Einkommen im Alter in Form einer solidarischen Mindestrente
unabhängig von eigenen Beiträgen all jenen gewährt werden, deren eigenes
Einkommen nicht ausreicht. Nur dann ist sichergestellt, dass niemand im Alter
in Armut leben muss.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

bis spätestens zum 1. Juli 2012 einen Gesetzentwurf vorzulegen, der eine neue
und moderne Rentenpolitik einleitet, die sich an folgenden Eckpunkten orien-
tiert:

1. Eine gute Rente ist nicht ohne gute Arbeit zu erreichen. Arbeitsmarkt- und
Rentenpolitik müssen deshalb zusammengedacht und zusammengeführt
werden. Gute Arbeit, gute Löhne und eine gute Rente sind zugleich der beste
Schutz vor Altersarmut. Deswegen wird mindestens

a) die Forderung nach guter Arbeit im Sinne von sicheren, geregelten, ge-
schützten und Existenz sichernden sowie die Entgeltgleichheit zwischen
den Geschlechtern und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf garantie-
renden Beschäftigungsverhältnissen umgesetzt,

b) jede Stunde Erwerbsarbeit der Sozialversicherungspflicht unterworfen,

c) unverzüglich das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne Aus-
nahme ab dem ersten Einsatztag in der Leiharbeit festgeschrieben und
langfristig Leiharbeit verboten,

d) befristete Beschäftigung eingedämmt und

e) ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 10 Euro
brutto pro Stunde eingeführt.

2. Eine gute Rente sichert den erarbeiteten Lebensstandard. Niemand soll hinter
den Standard zurückfallen, den sie oder er während der Berufsphase erreicht
hat. Die Lebensstandardsicherung muss wieder als Leistungsziel verankert
werden, damit langjährig Versicherte künftig eine Rente deutlich oberhalb
der Armutsgrenze erhalten.

Konkret müssen dafür mindestens folgende Punkte umgesetzt werden:

a) Das Sicherungsniveau der Rente muss nachhaltig verbessert werden:

– Zum Ausgleich bereits durchgeführter Rentenkürzungen werden die
Rentenwerte sofort um mindestens 4 Prozent angehoben.

– Damit die Renten den Löhnen folgen, werden die so genannten Dämp-
fungsfaktoren (Altersvorsorgeanteil sowie Nachhaltigkeitsfaktor) in
der Rentenanpassungsformel ebenso wie der Nachholfaktor gestrichen.

– Die Beitragssatzobergrenzen werden unverzüglich abgeschafft.

b) Mit Blick auf den Grundsatz „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und glei-
che Rente für gleiche Lebensleistung“ wird der Rentenwert Ost auf das
Westniveau angehoben und die Höherwertung beibehalten.

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c) Die Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung
(Rente erst ab 67) wie auch in den anderen Alterssicherungssystemen
wird zurückgenommen.

d) Ein abschlagsfreier flexibler Rentenzugang nach 40 Beitragsjahren wird
eingeführt.

e) Der Schutz bei der Erwerbsminderung ist deutlich zu verbessern, indem

– die Zurechnungszeit unmittelbar vom 60. auf das 63. Lebensjahr ver-
längert wird,

– die Abschläge auf Erwerbsminderungsrenten generell abgeschafft
werden,

– der Finanzierungsdeckel bei Leistungen zur Rehabilitation abgeschafft
und das Prinzip „Reha vor Rente“ konsequent angewendet und ge-
stärkt wird und

– der Zugang zur Erwerbsminderungsrente erleichtert wird, insbeson-
dere indem die tatsächliche Arbeitsmarktlage berücksichtigt wird.

3. Der Kreis der Pflichtversicherten in der solidarischen Rentenversicherung
wird deutlich ausgeweitet und mehr Solidarität eingeführt.

a) Künftig wird neben den bisher Pflichtversicherten – also u. a. sozialver-
sicherungspflichtig Beschäftigten, Kindererziehenden, Pflegenden, Er-
werbslosen – jede und jeder Erwerbstätige – also auch Beamtinnen und
Beamte, Abgeordnete, Freiberuflerinnen und Freiberufler und Selbstän-
dige – in der (gesetzlichen) solidarischen Rentenversicherung pflichtver-
sichert, sofern sie oder er am Stichtag nicht bereits in einem anderen Al-
terssicherungssystem obligatorisch versichert ist.

b) Die Beitragsbemessungsgrenze wird zunächst deutlich erhöht und dann
mittelfristig abgeschafft. Umgekehrt zur „Rente nach Mindestentgelt-
punkten“ werden aus sehr hohen Einkommen resultierende hohe Renten-
anwartschaften abgeflacht.

4. Teilhabe darf auch im Alter nicht enden. Deshalb muss der Solidarausgleich
innerhalb der Rente gestärkt werden. Die Armutsvermeidung ist neben der
Lebensstandardsicherung als zweites Ziel in der solidarischen Rentenver-
sicherung zu verankern, damit niemand im Alter in Armut leben muss.

a) Der Solidarausgleich ist zu stärken und damit sind die eigenständigen
Rentenansprüche zu verbessern, indem

– die „Rente nach Mindestentgeltpunkten“ für Beschäftigte mit niedri-
gen Einkommen entfristet wird,

– die Rentenbeiträge für Langzeiterwerbslose (ALG II) auf der Basis des
halben Durchschnittsverdienstes aus Steuermitteln entrichtet werden,

– die dreijährige Kindererziehungszeit auch auf Zeiten vor 1992 aus-
geweitet wird,

– die Beiträge für die Pflege von Angehörigen verbessert werden (zahlt
die Pflegeversicherung), damit Zeiten der oft langjährigen Pflege nicht
zu Rentenlücken und Altersarmut führen,

– der Zeitraum der Bewertung von Fachschulzeiten und Zeiten der Teil-
nahme an berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen im Rahmen der
begrenzten Gesamtleistungsbewertung auf fünf Jahre erhöht und auf
Zeiten der Schul- und Hochschulausbildung ausgeweitet wird.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/8481

b) Damit niemand im Alter von weniger als 900 Euro leben muss, wird eine
einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente ein-
geführt,

– auf die alle in Deutschland lebenden Menschen auf individueller Basis
und auf der Grundlage gesetzlicher Unterhaltsansprüche, unabhängig
von vorheriger Beitragsleistung, einen Rechtsanspruch haben,

– mit der das Einkommen im Alter, ausgenommen Wohngeldanspruch,
wenn es weniger als 900 Euro beträgt, mit einem Zuschlag auf
900 Euro netto angehoben werden,

– bei der ein Vermögen bis zu 20 000 Euro und zusätzlich ein Betrag in
Höhe von 48 750 Euro für die Altersvorsorge nicht angerechnet werden,

– bei der eine selbstgenutzte Immobilie unabhängig von der Haushalts-
größe mit einer Wohnfläche von bis zu 130 m2 nicht als Vermögen be-
rücksichtigt wird,

– die parallel zur jährlichen Anpassung des aktuellen Rentenwerts dyna-
misiert wird,

– bei der der Zuschlag aus Steuermitteln finanziert wird und

– die durch die Rentenversicherung ausgezahlt wird.

c) Parallel zur Einführung der solidarischen Mindestrente wird das Wohn-
geldgesetz reformiert und so modifiziert, dass Menschen, die in teureren
Wohngebieten leben und auf die Mindestrente angewiesen sind, nicht in
Armut leben müssen.

Berlin, den 25. Januar 2012

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN haben vor zehn Jahren einen verant-
wortungslosen Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik vollzogen. An die
Stelle der Lebensstandardsicherung durch die gesetzliche Rentenversicherung
haben SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN das Prinzip der Beitragssatz-
stabilität gesetzt (oder kurz: defined contributions statt defined benefits). Um
die Beiträge stabil zu halten, wird das Rentenniveau um ein Fünftel abgesenkt.
Dies ist der Weg in den sozialpolitischen Minimalstaat, der Altersarmut zum
Massenphänomen werden lässt.

DIE LINKE. will keinen Minimalstaat. Wir wollen Teilhabe sichern und Teil-
nahme ermöglichen. Wir wollen, dass die Menschen am gesellschaftlichen
Reichtum teilhaben und nicht mit Almosen abgespeist und leidlich bei Laune
gehalten werden und ansonsten zu schweigen haben.

Deswegen erteilen wir jeglichem Vorhaben, die Alterssicherung auf eine steuer-
finanzierte Minimalversorgung plus private Vorsorge umzustellen, eine klare
Absage. Deswegen ist das Ziel der Lebensstandardsicherung durch die gesetz-
liche Rentenversicherung so wichtig. Und deswegen ist es auch das Ziel der
solidarischen Rentenversicherung, dass möglichst wenige Menschen auf die
solidarische Mindestrente angewiesen sein werden.

Drucksache 17/8481 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die gesetzliche Rente spiegelt im Wesentlichen die vormalige Position der
Rentnerinnen und Rentner auf dem Arbeitsmarkt wider. Deswegen muss eine
umfassende Rentenpolitik einem doppelten Dreiklang folgen: gute Arbeit –
gute Löhne – gute Rente und Mindestlohn – Mindestsicherung – Mindestrente.

Jede und jeder soll in Würde leben können. Das muss für alle gelten – egal, ob
sie oder er noch nicht oder gerade nicht erwerbstätig ist, in Erwerbsarbeit ist,
also einen Job hat, oder aufgrund ihres oder seines Alters, einer Krankheit oder
Behinderung nicht mehr erwerbstätig sein kann oder muss.

Die wesentlichen Bausteine einer Strategie für gute Arbeit und gute Löhne hat
die Fraktion DIE LINKE. bereits vorgelegt: Gute Arbeit ist die Grundlage einer
guten Rentenpolitik. Gute Arbeit gibt es nur in sicheren, geregelten, geschützten
und vor allem auch Existenz sichernden Beschäftigungsverhältnissen, die
Frauen und Männern gleichermaßen und zu gleichen Bedingungen offenstehen
(Bundestagsdrucksachen 17/1396 und 17/891). Die Prekarisierung von Be-
schäftigungsverhältnissen, oftmals als Flexibilisierung getarnt, ist das Gegenteil
von guter Arbeit. Deshalb muss auch für Leiharbeitsverhältnisse das Prinzip
„Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ ohne Ausnahme ab dem ersten Einsatztag
gelten und Leiharbeit perspektivisch verboten werden und die Befristung von Ar-
beitsverhältnissen muss eingedämmt werden (Bundestagsdrucksache 17/1968).

Ohne einen Lohnmindeststandard am Arbeitsmarkt wird jedoch jede sozial aus-
gleichende Maßnahme in der Rentenpolitik zu einer Art nachlaufendem Kombi-
lohn. Eine gute Sozialpolitik muss hingegen stets den Kampf um gute Arbeits-
marktbedingungen und gerechte Teilhabe im Erwerbsleben unterstützen. Des-
wegen ist ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn in Höhe von 10 Euro
brutto pro Stunde für die Fraktion DIE LINKE. eine Mindestbedingung guter
Arbeitsmarktpolitik (Bundestagsdrucksachen 17/890 und 17/4038).

Malochen bis zum Tode ist der Trend, der sich derzeit mehr als deutlich ab-
zeichnet. Gute Arbeit und gute Löhne führen nur dann zu einer guten Rente,
wenn die gesetzliche Rentenversicherung wieder so ausgestaltet wird, dass sie
vor sozialem Abstieg ebenso wie vor Armut schützt. Deswegen müssen die
Kürzungsfaktoren, vor allem der Riester-Faktor und der Nachholfaktor, aus der
Rentenformel gestrichen werden (Bundestagsdrucksache 17/1145). Zudem
muss der Schutz bei Erwerbsminderung umfassend verbessert werden, indem
insbesondere die Abschläge gestrichen und die Zurechnungszeit auf das 63. Le-
bensjahr verlängert werden (Bundestagsdrucksache 17/1116). Dass die Rente
erst ab 67 eine reine Rentenkürzung ist, ist umfassend nachgewiesen worden
(Bundestagsdrucksachen 17/2271 und 17/7966). Sie muss deshalb ohne Wenn
und Aber sofort zurückgenommen werden (Bundestagsdrucksachen 17/2935,
17/3546, 17/8151).

Menschen mit langjähriger Beitragszeit sollen einen leichteren Zugang zur
Rente erhalten. Künftig soll jede oder jeder ohne Abschläge in Rente gehen
können, die oder der mindestens 40 Jahre lang Beiträge gezahlt hat.

Die Fraktion DIE LINKE. folgt einem einfachen Grundsatz: „Gleicher Lohn für
gleiche Arbeit und gleiche Rente für gleiche Lebensleistung“. Daraus folgt un-
weigerlich, dass nach 20 Jahren Sankt-Nimmerleinspolitik endlich der aktuelle
Rentenwert (Ost) auf das Westniveau angehoben und die Höherwertung bei-
behalten werden muss (Bundestagsdrucksache 17/4192). Wir wollen die renten-
politische Benachteiligung der ostdeutschen Rentnerinnen und Rentner endlich
beenden.

Das alles sind einzelne Bausteine einer solidarischen Alterssicherung, die die
gesetzliche Rentenversicherung in Richtung einer den Lebensstandard sichern-
den und weitgehend vor Altersarmut schützenden solidarischen Rentenver-
sicherung umbauen würden.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/8481

Die Fraktion DIE LINKE. will Solidarität auch bei der Finanzierung der Rente
herstellen. Daher wollen wir die Beitragsbemessungsgrenze (West: 5 600 Euro
im Monat/67 200 im Jahr 2012; Ost: 4 800 Euro im Monat/57 600 Euro pro Jahr)
zunächst erhöhen und dann mittelfristig abschaffen. Die Beitragsbemessungs-
grenze gibt an, bis zu welchem Bruttogehalt Versicherte Beiträge zahlen müs-
sen. Einkommen, das oberhalb dieser Grenze liegt, wird nicht – wie es technisch
heißt – „verbeitragt“. Die Rentenauszahlungen müssen im Gegenzug solidari-
scher gestaltet werden: Menschen mit höheren Einkommen sollen ein bisschen
weniger erhalten als sie eingezahlt haben. Menschen mit geringen Einkommen
sollen so viel mehr erhalten als sie eingezahlt haben, dass ihre Rente mindestens
900 Euro betragen werden wird.

Die solidarische Rentenversicherung wird weiterhin darauf beruhen, dass sie
durch Beiträge von Erwerbstätigen und Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern und
durch einen steuerfinanzierten Zuschuss aus dem Bundeshaushalt finanziert
wird. Wie bisher werden auch Nichterwerbstätige versichert sein. Zu den Nicht-
erwerbstätigen, deren Tätigkeit als Pflichtbeitragszeit gilt, zählen heute zum
Beispiel bereits Erwerbslose, die Arbeitslosengeld I erhalten, Menschen, die
einen Familienangehörigen pflegen oder die Kinder unter drei Jahren und unter
bestimmten Umständen auch unter zehn bzw. 18 Jahren erziehen bzw. pflegen.
Zu den Nichterwerbstätigen, deren Tätigkeit ohne Anrechnung von Beiträgen
gezählt wird, zählen zum Beispiel Schwangere, Hartz-IV-Leistungsberechtigte
oder (Hoch-)Schüler/-innen nach Vollendung des 17. Lebensjahres. Langzeit-
erwerbslosigkeit, Erwerbsminderung, prekäre Beschäftigung und insgesamt
Zeiten, in den keine oder allenfalls geringe Beiträge in die Rentenkasse einge-
zahlt werden, erhöhen das Risiko deutlich, im Alter arm zu werden. Ein zentra-
les Element der solidarischen Rentenversicherung ist es deshalb, den Solidar-
ausgleich deutlich zu stärken.

Einzelne Elemente zur Stärkung des Solidarausgleichs hat die Fraktion DIE
LINKE. im Bundestag bereits in Anträgen vorgelegt: Die soziale Sicherung der
von Langzeiterwerbslosigkeit Betroffenen muss deutlich verbessert werden
(Bundestagsdrucksache 17/1735 vom 18. Mai 2010). Die Bundesregierung aus
CDU, CSU und FDP hat dagegen zum 1. Januar 2011 die Pflichtbeiträge für
Hartz-IV-Betroffene gänzlich abgeschafft, nachdem sie unter Rot-Grün und
Schwarz-Rot bereits drastisch zusammengekürzt worden waren. In der solidari-
schen Rentenversicherung wird stattdessen für Hartz-IV-Betroffene ein Beitrag
in der Höhe gezahlt, als würden sie ein Einkommen in Höhe der Hälfte des
Durchschnittseinkommens beziehen.

Des Weiteren ist die Rente nach Mindestentgeltpunkten zu entfristen. Zeiten des
Arbeitslosengeldbezugs ab 1997 würden dann ebenso wie geringe Entgelte um
die Hälfte auf maximal 75 Prozent des Durchschnittsentgelts hochgewertet,
wenn 35 Jahre rentenrechtliche Zeiten vorhanden sind. Zu den rentenrechtlichen
Zeiten zählen Beitragszeiten (sowohl aus Pflichtbeiträgen wie beruflicher Aus-
bildung, Beschäftigung als Arbeitnehmer/-in, Sozialleistungen wie Arbeits-
losengeld I, Krankengeld, Übergangsgeld und Zeiten der Kindererziehung oder
der Pflege von Pflegebedürftigen als auch aus freiwilligen Beiträgen) und bei-
tragsfreie Zeiten (aktuell z. B. Schulausbildung, Bezug von Arbeitslosengeld II,
Arbeitsunfähigkeit, Schwangerschaft und Wochenbett).

Darüber hinaus sollen Kindererziehungszeiten auch vor dem derzeit geltenden
Stichtag 1. Januar 1992 bis zum dritten Lebensjahr angerechnet, die Zeiten der
Schul- und Hochschulausbildung nach dem 17. Lebensjahr als Beitragszeiten
anerkannt sowie die Pflegezeiten besser abgesichert werden.

Selbst wenn alle Dämpfungsfaktoren wie der Altersvorsorgefaktor, der Nach-
holfaktor und der Nachhaltigkeitsfaktor wieder aus der Rentenformel gestrichen
werden würden und somit die alte Rentenformel wiederhergestellt werden
würde, wird es aufgrund vermehrter gebrochener Erwerbsbiographien (vor allem

Drucksache 17/8481 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

im Osten), aufgrund langjähriger Arbeit im Niedriglohnsektor, von Phasen der
Erwerbslosigkeit, prekärer Beschäftigungen usw. künftig Menschen geben, die
ein armutsfestes (Alters-)Einkommen nicht erreichen werden.

Es wäre falsch, die von Altersarmut betroffenen Menschen auf die sogenannte
Grundsicherung im Alter nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch – SGB XII –
zu verweisen. Denn es gibt zahlreiche Betroffene, die keinen Antrag auf
„Grundsicherung im Alter“ stellen und dies auch niemals tun würden. Häufig
handelt es sich um Frauen, die es als schändlich empfinden, „zum Amt“ gehen
zu müssen. Sehr oft ist nicht bekannt, dass nur Kinder mit einem Einkommen
oberhalb von 100 000 Euro zu Unterhaltszahlungen verpflichtet sind. Die alte
Sozialhilferegelung ist noch sehr oft tief im Bewusstsein verankert.

Für Menschen jenseits der Regelaltersgrenze, die weniger als 900 Euro haben,
soll eine einkommens- und vermögensgeprüfte solidarische Mindestrente ein-
geführt werden, die Altersarmut bekämpft. Mit einer Höhe von 900 Euro läge
die solidarische Mindestrente deutlich oberhalb des durchschnittlich zuerkann-
ten Bruttobedarfs in Höhe von 688 Euro, der nach heute geltendem Recht des
SGB XII Menschen im Rentenalter durch die Grundsicherung im Alter (außer-
halb von Einrichtungen) zuerkannt wird. Für eine alleinlebende Person läge die
solidarische Mindestrente auf den ersten Blick knapp unterhalb der derzeitigen
Armutsrisikogrenze von 940 Euro. Angesicht starker regionaler Unterschiede
bei den aufzubringenden Mietkosten ergibt sich aber ein anders Bild: Während
die einen mit 900 Euro nicht in Armut leben, brauchen andere aufgrund höherer
Mieten mehr als diesen Betrag. Dieser fehlende Betrag kann bedarfsbezogen
durch ein modifiziertes Wohngeld ausgeglichen werden. In einem Zwei-Perso-
nen-Rentner-/-innenhaushalt ohne ausreichendes Einkommen und Vermögen
oder Unterhaltsansprüche erhielte jede Person 900 Euro, also insgesamt 1 800
Euro. Damit erhielte ein solcher Zwei-Personen-Rentner-/-innenhaushalt mit
der solidarischen Mindestrente in jedem Fall mehr Rente als dies bei der
Methode der Armutsrisikoschwelle berechneten Summe von insgesamt 1 410
Euro (erste Person 100 Prozent, zweite Person 50 Prozent von 940 Euro) oder
analog zur derzeit geltenden Methode im SGB II (bei zwei Erwachsenen jeweils
90 Prozent, bei 940 Euro für Alleinstehende = 1 692 Euro für zwei Personen)
der Fall ist.

Die Höhe der solidarischen Mindestrente wird parallel zur jährlichen Renten-
anpassung erhöht. Eine Dynamisierung entlang der Rentenanpassung ist jedoch
nur dann sinnvoll, wenn die Dämpfungsfaktoren (Altersvorsorgeanteil sowie
Nachhaltigkeitsfaktor) in der Rentenanpassungsformel ebenso wie der Nach-
holfaktor gestrichen worden sind.

Einen Anspruch auf die solidarische Mindestrente haben alle Menschen, deren
Alterseinkommen unterhalb von 900 Euro netto liegt. Sie müssen nicht zuvor in
der gesetzlichen Rentenversicherung versichert gewesen sein.

Bei der solidarischen Mindestrente handelt es sich um eine einkommens- und
vermögensgeprüfte Leistung. Jemand, dessen monatliches Gesamtnettoeinkom-
men inklusive gesetzlicher Unterhaltsansprüche ohne Berücksichtigung eines
Wohngeldanspruchs im Alter 900 Euro erreichte oder überstiege, hätte demzu-
folge keinen Anspruch auf Leistungen aus der solidarischen Mindestrente.

Unterhaltsansprüche, die aufgrund bestimmter Situationen (z. B. Gewalt-
androhungen) nicht erfüllt werden, gehen auf Antrag bis zur tatsächlichen
Zahlung an Unterhaltsberechtigte auf den Rentenversicherungsträger über und
werden währenddessen nicht als Einkommen angerechnet.

Niemand muss erst sein kleines Eigenheim verkaufen oder gar sein letztes
Hemd hergeben, um die Mindestrente zu erhalten. Die solidarische Min-
destrente sieht selbstverständlich Freibeträge für Vermögen vor, die deutlich
über die heutige Rechtslage hinausgehen. Die aus Steuermitteln finanzierte

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/8481

solidarische Mindestrente wird als Zuschlag oder im Einzelfall auch als Voll-
betrag von der Rentenversicherung ausgezahlt. Das Schonvermögen entspricht
der Summe, wie sie im Konzept der sozialen Mindestsicherung der Fraktion
DIE LINKE. vorgesehen ist. Es ist damit deutlich höher als im heutigen
SGB XII vorgesehen (aktuell nur 2 600 Euro). Die allgemeine Vermögens-
freigrenze ist demnach auf 20 000 Euro pro Person anzuheben (Bundestags-
drucksache 17/659). Aktuelle Rechtslage ist zudem, dass für jede Person ein
Betrag in Höhe von 750 Euro pro Lebensjahr für die Altersvorsorge freigestellt
ist.

Das Wohngeld ist zu modifizieren, so dass die Bruttowarmmiete berücksichtigt
wird und ein individualisierter Anspruch besteht, d. h. die derzeitige Berück-
sichtigung der Einkommen der Bedarfsgemeinschaft bzw. Wohngemeinschaft
aufgehoben wird.

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