BT-Drucksache 17/8356

Auswirkungen der Regelungen zur Gewährung von Arbeitslosengeld für Arbeitslose mit kurzen Anwartschaftszeiten (§123 Abs. 2 SGB III)

Vom 17. Januar 2012


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8356
17. Wahlperiode 17. 01. 2012

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Sabine Zimmermann, Dr. Lukrezia Jochimsen, Diana Golze,
Herbert Behrens, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich,
Werner Dreibus, Klaus Ernst, Dr. Rosemarie Hein, Katja Kipping, Jutta Krellmann,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Petra Pau, Jens Petermann, Yvonne Ploetz,
Ingrid Remmers, Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Auswirkungen der Regelungen zur Gewährung von Arbeitslosengeld
für Arbeitslose mit kurzen Anwartschaftszeiten (§ 123 Absatz 2 SGB III)

Viele prekär Beschäftigte sind nicht in der Lage, Anwartschaften für den (aus-
reichenden) Bezug von Arbeitslosengeld I aufzubauen. Die Gründe: „Entweder
war die Beschäftigungszeit zu kurz, um Ansprüche zu erwerben, oder das
früher erzielte Lohneinkommen war zu niedrig, um mit dem daraus abgeleite-
ten Arbeitslosengeld-Anspruch den Bedarf zu decken und muss mit Arbeits-
losengeld II aufgestockt werden“, so die Bundesagentur für Arbeit. Der Effekt:
Jede/jeder vierte Beschäftigte, der arbeitslos wird, ist sofort auf Arbeitslosen-
geld II (ALG II) bzw. Hartz IV angewiesen. So verloren nach Angaben der
Bundesagentur für Arbeit in den letzten zwölf Monaten bis Ende November
2011 etwa 2,8 Millionen Beschäftigte ihren Job. 737 000 wanderten danach so-
fort ins Hartz-IV-System, pro Monat waren dies 61 000. Vor drei Jahren, im
November 2008 waren es monatlich noch 51 000. Ein Bereich der besonders
von häufig kurzen Beschäftigungszeiten charakterisiert ist, ist der der Medien-
und Kulturschaffenden. Aus diesen Reihen sind in der Vergangenheit mehrfach
konkrete Forderungen nach einer Überprüfung und Korrektur der Anwart-
schaftszeiten nach § 123 Absatz 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch
(SGB III) auf Arbeitslosengeld I gegenüber der Regierungspartei geltend ge-
macht worden. Zwischenzeitlich ist keine Bewegung zu diesem Thema fest-
zustellen. Obwohl diese Regelung zeitlich befristet ist und nur noch bis zum
1. August 2012 gelten soll, geht die Bundesregierung von einer Auswertung der
begleitenden Wirkungsforschung im Jahr 2014 aus (Schriftliche Fragen 47
und 48 auf Bundestagsdrucksache 17/7902). Dies widerspricht allen Erwartun-
gen, denn die Untersuchung der beabsichtigten Wirkung der besonderen An-
wartschaftsregelungen sollte eigentlich vor der Entscheidung über eine Verlän-
gerung überprüft werden.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Ist es zutreffend, dass bereits 2007 eine Studie des Instituts für Arbeits-
markt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) zu den
Auswirkungen der Verkürzung der Rahmenfrist auf Künstlerinnen und
Künstler sowie Kulturschaffende erarbeitet wurde, und zu welchen Ergeb-
nissen kommt diese Studie gegebenenfalls?

2. Ist diese Studie veröffentlicht (gegebenenfalls wo?), und falls nein, aus wel-
chem Grund ist sie nicht veröffentlicht worden?

Drucksache 17/8356 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Welche Studien zu der Verkürzung der Rahmenfrist und ihren Auswirkun-
gen auf die Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld durch Arbeitnehmer
und Arbeitnehmerinnen mit kurzen Beschäftigungszeiten sind der Bundes-
regierung ansonsten bekannt, und zu welchen Ergebnissen kommen diese?

4. Wie bewertet die Bundesregierung die Effekte der Verkürzung der Rah-
menfrist?

5. Welche diesbezüglichen Reformvorschläge kennt die Bundesregierung,
und wie bewertet sie diese jeweils?

6. Wann wurden zwischen dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales
(BMAS) und dem IAB welche Verabredungen zur Evaluierung von § 123
SGB III getroffen?

a) Gibt es zwischenzeitlich erste Zwischenergebnisse, und wenn ja, wie
sehen diese aus?

Wenn nein, warum nicht?

b) Welche Berufsgruppen und Branchen sind in die Untersuchung einbezo-
gen worden?

7. Wie viele Anspruchsberechtigte haben im Bund sowie in den einzelnen
Bundesländern seit Inkraftsetzung der gesetzlichen Regelung nach § 123
Absatz 2 SGB III Arbeitslosengeld für welche Dauer und in welcher Höhe
erhalten (wenn möglich für den Bund auch die Entwicklung im Zeitverlauf
darstellen und getrennt nach Frauen und Männer ausweisen)?

8. Wie viele Anträge auf Arbeitslosengeld I nach § 123 Absatz 2 SGB III
wurden aufgrund der Nichterfüllung der Nummer 1 abgelehnt (bitte ge-
trennt nach Frauen und Männern ausweisen)?

9. Wie viele Anträge auf Arbeitslosengeld I nach § 123 Absatz 2 SGB III
wurden aufgrund der Nichterfüllung der Nummer 2 abgelehnt (bitte ge-
trennt nach Frauen und Männern ausweisen)?

10. Wie hoch sind die durchschnittlichen Leistungen in der Summe für diejeni-
gen Antragstellenden aus dem Kultur- und Medienbereich, deren Anträge
zur Gewährung von Arbeitslosengeld I nach § 123 Absatz 2 SGB III nicht
abgelehnt worden sind?

11. Wie bewertet die Bundesregierung die beiden Regelungen in § 123 Absatz 2
Nummer 1 und 2 SGB III?

Sind die beiden Regelungen angesichts der Anzahl anerkannter Anträge zu
eng gefasst und sollten daher gelockert werden?

12. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das Ausmaß und die
Zunahme von Beschäftigungsverhältnissen mit kurzer Dauer (soweit vor-
handen bitte auch verfügbare Untersuchungen anführen)?

13. Wie hoch ist die Zahl der Beschäftigten, die in einem gleitenden Jahreszeit-
raum mehrere Beschäftigungsverhältnisse mit einer Dauer von jeweils
maximal zwölf Wochen hatten (wenn möglich getrennt nach Frauen und
Männern ausweisen)?

14. In welchen zehn Branchen kommt die kurzfristige Beschäftigung am Häu-
figsten vor, untergliedert nach der Dauer der Beschäftigung von bis zu
sechs Wochen, bis zwölf Wochen, bis sechs Monate, bis zwölf Monate
(bitte Frauen und Männer getrennt ausweisen)?

15. Wie lang sind die durchschnittlichen Beschäftigungszeiten von Beschäftig-
ten mit Arbeitsverhältnissen von kurzer Dauer in den zehn Branchen (bitte

Frauen und Männer getrennt ausweisen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8356

16. Wie hoch ist die Anzahl und der Anteil der Betroffenen, die in die Arbeits-
losenversicherung einzahlen, aber keine Ansprüche auf Arbeitslosengeld I
erlangen, weil die Voraussetzungen des § 123 Absatz 2 Nummer 1 und/
oder Nummer 2 SGB III nicht erfüllt sind?

17. Wie stellt sich die Entwicklung der Zu- und Abgänge in der Arbeitslosen-
versicherung aus den Bereichen Kunst/Kultur/Medien in den zwei Jahren
vor der Inkraftsetzung der Neuregelung des § 123 Absatz 2 SGB III und in
den zwei Jahren nach Inkraftsetzung dar (bitte Frauen und Männer getrennt
ausweisen)?

18. Plant die Bundesregierung, die nach § 123 SGB III bis zum 1. August 2012
befristete Regelung zu verlängern, unbefristet fortzuführen, oder durch
eine Neuregelung zu ersetzen, und wie begründet sie ihre Antwort?

19. Hält es die Bundesregierung für notwendig, die Anzahl von Beschäftigun-
gen mit regelmäßig kurzer Dauer einzugrenzen, und wie begründet sie ihre
Antwort?

20. Ist der Bundesregierung die Studie der Westfälischen Wilhelms-Universität
Münster aus dem Jahr 2010 zur Erhebung der Arbeits- und Lebenssituation
von Schauspielerinnen und Schauspielern in Deutschland bekannt, und
welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung daraus gewonnen?

Sind darüber hinaus weitere Studien bekannt?

21. Ist der Bundesregierung bekannt, dass von den repräsentativ befragten
Betroffenen lediglich ca. 5 Prozent in die Lage versetzt sind, Arbeitslosen-
geld I zu beziehen, und welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregie-
rung daraus?

22. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass in der Bundesrepublik
Deutschland faire Arbeitsbedingungen und soziale Standards vorhanden
sind, die für ein erfolgreiches nationales und internationales Wirken der
Film- und Fernsehindustrie notwendig sind, und wenn ja, wie begründet sie
dies, und wenn nein, warum sind diese Arbeitsbedingungen nicht die Regel?

23. Wie hoch ist das Beitragsaufkommen in den Kunst- /Kultur- /Medienbran-
chen in den einzelnen Jahren seit der Inkraftsetzung der neuen Regelung,
und welche Leistungen an Arbeitslosengeld I stehen dem gegenüber?

24. Wie lassen sich nach Auffassung der Bundesregierung die Anforderungen
aus dem SGB II und angrenzenden Verordnungen durch Künstlerinnen und
Künstler, die im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeit-
suchende stehen, einhalten, wenn diese äußerst kurzfristig Castings oder
andere berufsbedingte Events besuchen müssen, um gegebenenfalls einen
Job zu erhalten, aber objektiv nicht in der Lage sind, sich beispielsweise
rechtzeitig abzumelden?

25. Welche Ergebnisse liegen der Bundesregierung aus dem jährlichen Monito-
ring vor, mit welchem die Neuregelung auf Bitten des Haushaltsausschus-
ses des Deutschen Bundestages begleitet werden sollte?

26. Welche Kontrollen hat die Bundesregierung in der Branche der Film- und
Fernsehindustrie seit 2009 zur Einhaltung arbeitsrechtlicher und tarifver-
traglicher Normen, beispielsweise zur Einhaltung der täglichen Maximal-
arbeitszeit, unternommen, und wenn erfolgt, welche Ergebnisse brachten
diese Kontrollen?

Berlin, den 17. Januar 2012
Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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