BT-Drucksache 17/8208

Frühkindliche Sprachförderung und Sprachstandserhebungen im föderalen System

Vom 15. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8208
17. Wahlperiode 15. 12. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Diana Golze, Jan Korte, Agnes Alpers,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Dr. Dagmar Enkelmann, Nicole Gohlke,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Jens Petermann, Yvonne Ploetz, Ingrid Remmers, Dr. Ilja
Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Petra Sitte, Frank Tempel, Halina Wawzyniak,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Frühkindliche Sprachförderung und Sprachstandserhebungen im föderalen
System

In dem gemeinsamen Beschluss der Jugend- und der Kultusministerkonferenz
vom 13./14. Mai bzw. 3./4. Juni 2004 „Gemeinsamer Rahmen der Länder für
die frühe Bildung in Kindertageseinrichtungen“ wird festgestellt: „Die Sprach-
entwicklung und Sprachförderung in der Familie und in den Kindertagesein-
richtungen sind zentral bedeutsam für die Chancengerechtigkeit in der Schule,
deshalb muss Sprachförderung Prinzip in Kindertageseinrichtungen und Grund-
schulen sein.“

In den vergangenen Jahren sind sehr unterschiedliche Strukturen zur Förderung
der frühkindlichen Sprachkompetenz und zur Messung des Sprachstands von
4- bis 6-jährigen Kindern entstanden (vgl. Bildungsbericht 2010, S. 57). So wer-
den derzeit in 14 Bundesländern rund 17 verschiedene Verfahren zur Messung
des Sprachstands durchgeführt. Aus den Ergebnissen dieser Sprachstandserhe-
bung erfolgen je nach Bundesland sehr unterschiedliche Konsequenzen. In fast
allen Bundesländern werden Kinder mit diagnostiziertem Sprachförderbedarf
verpflichtet, an Maßnahmen zur frühkindlichen Sprachförderung teilzunehmen.
Diese unterscheiden sich aber zum Teil erheblich hinsichtlich ihres zeitlichen
Umfangs und des Förderzeitraumes. Auch deren Wirksamkeit bleibt unklar.
Der Bildungsbericht 2010 mahnt an, dass zwar Verbesserungen der Sprach-
fähigkeit aufgrund der Fördermaßnahmen zu beobachten seien, jedoch eine
Differenz zu den Kindern ohne Förderbedarf bestehen bleibe (Bildungsbericht
2010, S. 57).

Die Verbesserung der Sprachkompetenz bereits im Vorschulalter ist eines von
sieben Handlungsfeldern, die die Kultusministerkonferenz infolge der ka-
tastrophalen Ergebnisse der PISA-Studie im Dezember 2001 auf den Weg
brachte. Bis heute werden die bestehenden Maßnahmen und Verfahren nicht
systematisch gemeinsam evaluiert und so bleibt deren Nutzen und Effizienz im

Dunkeln. Zudem empfehlen nur einige Bundesländer, „auf welche Weise Kin-
der in dieser Zeit durch Erzieherinnen, Grundschullehrerinnen oder andere
Fachkräfte sprachlich gefördert werden sollen“ (Bildungsbericht 2010, S. 57).
Faktisch würde die inhaltliche Gestaltung der Förderung im Ermessen der Trä-
ger verbleiben.

Die Kultusministerkonferenz hat bei ihrem Treffen am 9. und 10. Juni 2011 in
Hannover beschlossen, die bisherigen Programme zur frühkindlichen Sprach-

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förderung auf den Prüfstand zu stellen mit dem Ziel, ländergemeinsame Emp-
fehlungen zu erarbeiten (dpa vom 13. Juni 2011).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. a) Wie viele unterschiedliche Sprachstandstests existieren bundesweit, und
inwiefern unterscheiden sich diese (bitte nach Ländern, Zielgruppen, ab-
soluten Zahlen, Anteil und Alter der Kinder mit diagnostiziertem Förder-
bedarf und Finanzvolumen aufschlüsseln)?

b) Wie viele Kinder, die keine Kindertagesstätte besuchen, nehmen an
Sprachstandstests bzw. Sprachstandserhebungsverfahren oder Maßnah-
men zur frühkindlichen Sprachförderung teil (bitte anteilig und absolut
nach Ländern aufschlüsseln), und wie werden die Kinder erreicht?

2. Wie werden die Ergebnisse im Rahmen der verschiedenen Sprachstandstests
erhoben (bitte einzeln nach standardisiertem Fragebogen, beobachtender
Teilnahme, Gespräch etc. aufschlüsseln)?

3. Nach welchen Anforderungen werden Sprachstandstests, gemessen an den
unterschiedlichen Zielgruppen der Kinder mit diagnostiziertem Förderbe-
darf, durchgeführt, und welche Anforderungen werden in der Förderung zu-
grunde gelegt?

4. Wie viele Maßnahmen der frühkindlichen Sprachförderung existieren in den
Bundesländern, und wie viele Maßnahmen führt der Bund vollständig oder
teilweise im Bereich frühkindliche Sprachförderung durch oder finanziert er
(bitte – sofern möglich – nach Bund und Ländern, Zielgruppen, absoluten
Zahlen und Anteil der teilnehmenden Kinder mit diagnostiziertem Förderbe-
darf insgesamt und in den jeweiligen Maßnahmen, wöchentlichem Stunden-
volumen der Maßnahme, Maßnahmenzeitraum, Anteil von Kindern mit
Migrationshintergrund, Eintrittsalter der teilnehmenden Kinder und Finanz-
volumen aufschlüsseln)?

5. Wie viele Maßnahmen sind dabei als dauerhafte Maßnahmen angelegt, und
wie viele weisen einen Modell- oder Projektcharakter auf (bitte nach prozen-
tualen Anteilen aufschlüsseln sowie Laufzeit der Projektmaßnahmen aus-
weisen)?

6. Wie viele Kinder werden insgesamt und aus welchen Zielgruppen erfasst?

7. a) Wie hoch waren seit 2001 die jährlichen Ausgaben im Bereich frühkind-
liche Bildung und frühkindliche Sprachförderung (bitte nach Forschungs-
förderung und Projektförderung, nach Jahr sowie nach Bund und Län-
dern aufschlüsseln)?

b) Welche Maßnahmen sind im Bereich frühkindliche Bildung und früh-
kindliche Sprachförderung im Haushaltsjahr 2012 geplant (bitte nach
Finanzaufwand und Maßnahme aufschlüsseln und dabei die Förderung
von Forschungsprojekten getrennt ausweisen)?

8. Welche Maßnahmen berücksichtigen im Bereich frühkindliche Bildung und
frühkindliche Sprachförderung die Bedürfnisse von Kindern mit Behinde-
rung und deren Anspruch auf Barrierefreiheit, inklusive Angeboten und per-
sönlicher Assistenz gemäß der UN-Behindertenrechtskonvention?

9. Wie häufig und in welcher Weise werden die Fördermaßnahmen der früh-
kindlichen Sprachförderung und die Verfahren zur Sprachstandserhebung
evaluiert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8208

10. Welche Ergebnisse zeigen diese Evaluationen der Fördermaßnahmen der
frühkindlichen Sprachförderung und der Verfahren zur Sprachstandserhe-
bung?

11. Welche Konsequenzen und Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
aus den Evaluationen der Fördermaßnahmen der frühkindlichen Sprachför-
derung und der Verfahren zur Sprachstandserhebung?

12. Wo werden die Ergebnisse der Evaluationen der Fördermaßnahmen der
frühkindlichen Sprachförderung und den Verfahren zur Sprachstandserhe-
bung veröffentlicht?

Wenn keine Veröffentlichung erfolgt, warum nicht?

13. a) Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung geplante oder bereits be-
schlossene einheitliche, ländergemeinsame Richtlinien und Empfehlun-
gen, um die frühkindliche Sprachförderung und die Verfahren zur Sprach-
standserhebung zu vereinheitlichen (Regelungsgegenstand etc.)?

Wenn ja, welche?

Was wird darin geregelt?

b) Wollen die Länder nach Kenntnis der Bundesregierung einheitliche
Standards für die frühkindliche Sprachförderung und/oder für Verfahren
zur Sprachstandserhebung erarbeiten?

Wenn ja, bis wann (bitte gegebenenfalls Zeitplan angeben)?

14. a) Welchen Einfluss kann die Bundesregierung auf die Verhandlungen zur
Erarbeitung der Empfehlungen laut Beschluss der Kultusministerkonfe-
renz vom 9. und 10. Juni 2011 nehmen?

b) Welche Schwerpunkte oder Positionen bringt die Bundesregierung bei
diesen Verhandlungen ein, und welche Maßnahmen und Strategien sind
Verhandlungsgegenstand?

15. Wie viele Beschäftigte des Bundesministeriums für Bildung und Forschung
(BMBF) werden aus welchen Bereichen für das Themengebiet frühkindliche
Bildung und wie viele Beschäftigte werden speziell für das Themengebiet
frühkindliche Sprachförderung eingesetzt (bitte nach Abteilungs- und
Gruppenebene, Tätigkeit und Arbeitsumfang für das Thema aufschlüsseln)?

16. Wie viele Kindertageseinrichtungen nehmen am Bundesprogramm „Offen-
sive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ teil?

17. Wie viele am Bundesprogramm „Offensive Frühe Chancen: Schwerpunkt-
Kitas Sprache & Integration“ teilnehmende Kindertageseinrichtungen ha-
ben sich in der Onlinestellenbörse auf dem Internetportal www.fruehe-
chancen.de registriert, da sie noch auf der Suche nach einer Fachkraft sind?

18. a) Wie viele Fachkräfte haben auf dem Internetportal www.fruehe-chancen.
de ein Profil angelegt, um sich bei einer am Bundesprogramm „Offen-
sive Frühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“ teilneh-
menden Kindertageseinrichtung zu bewerben (bitte nach Geschlecht
aufschlüsseln)?

b) Wie viele dieser registrierten Fachkräfte verfügen dabei jeweils über eine
besondere Fortbildung in den Bereichen a) Sprachförderung, b) Förderung
von Kindern unter drei Jahren und c) Interkulturelle Kompetenz?

19. Wie viele Fachkräfte sind nach Kenntnis der Bundesregierung in den Län-
dern in der frühkindlichen Sprachförderung tätig, und über welche Quali-
fikationen verfügen sie?

Drucksache 17/8208 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
20. Welche Aus- und Fortbildungsprogramme für Personal im Bereich der
frühkindlichen Sprachförderung wurden realisiert (bitte nach Ländern und
Themen aufschlüsseln), und welche finanziellen Hilfen wurden bzw. wer-
den durch den Bund dafür geleistet?

21. a) Inwiefern berücksichtigen die existierenden Maßnahmen und Programme
zur Sprachförderung eine frühe Erkennung eventueller organisch beding-
ter Sprachbeeinträchtigungen, z. B. durch Hörschädigung, um diese mög-
lichst frühzeitig zu behandeln (bitte eine Auflistung der Programme bei-
fügen)?

b) Welche Möglichkeiten gibt es nach Ansicht der Bundesregierung, neben
den Maßnahmen der Sprachstandserhebung und der Sprachförderung
auch in Zukunft eine medizinische Versorgung durch frühzeitige Dia-
gnose, z. B. das sogenannte Neugeborenenscreening, zu gewährleisten?

c) Inwiefern wird nach Kenntnis der Bundesregierung sichergestellt, dass
die bisherigen Frühfördermaßnahmen weiterhin angeboten werden?

Berlin, den 15. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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