BT-Drucksache 17/8151

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. - Drucksachen 17/5106, 17/7966 - Rente erst ab 67 - Risiken für Jung und Alt

Vom 13. Dezember 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/8151
17. Wahlperiode 13. 12. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze,
Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Klaus Ernst, Diana Golze,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 17/5106, 17/7966 –

Rente erst ab 67 – Risiken für Jung und Alt

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Es ist fünf vor zwölf, um die Rentenkürzung durch die Rente erst ab 67 zu ver-
hindern. Bereits ab Januar 2012 werden die Menschen durch die Rente erst ab
67 mit zusätzlichen Abschlägen bestraft.

Es ist sozialpolitisch unverantwortlich, an der Anhebung des Renteneintritts-
alters festzuhalten. Die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
(Bundestagsdrucksache 17/7966) belegt dies eindrücklich. Entgegen dem all-
gemeinen Trend ist die Lebenserwartung von langjährig rentenversicherten
Männern mit deutlich unterdurchschnittlichem Einkommen in den vergangenen
zehn Jahren um 1,5 bis zwei Jahre gesunken. Männer dieser Gruppe starben im
Jahr 2010 durchschnittlich vor dem 76. Lebensjahr und damit bis zu zwei Jahre
früher als noch im Jahr 2001. Alarmierend ist dieser Trend in den neuen Bun-
desländern.

Nicht einmal 10 Prozent der 64-Jährigen sind sozialversicherungspflichtig be-
schäftigt. Nur wenige Menschen gehen mit 65 Jahren direkt aus einer Erwerbs-
tätigkeit in die Rente. Bereits im März 2012 belaufen sich die zusätzlichen Ab-
schläge durch die Rente erst ab 67 auf bis zu 0,9 Prozent. In den nächsten Jahren
steigen die zusätzlichen Abschläge auf bis zu 7,2 Prozent. Eine Rente nach
45 Jahren Durchschnittsverdienst würde damit um fast 100 Euro gekürzt. Für

heute Erwerbstätige, für die jüngere Generation insgesamt, ist die Rente erst ab
67 also schlicht eine zusätzliche Rentenkürzung.

Während die Einschnitte für die Rentnerinnen und Rentner ab nächstem Jahr
erheblich sind, profitieren die Beschäftigten in 2012 überhaupt nicht von der
Rente erst ab 67. Und selbst in 20 Jahren, wenn die Rente erst ab 67 voll gelten
soll, würden Durchschnittsverdienende in heutigen Werten durch niedrigere

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Beiträge nur um 6,30 Euro pro Monat entlastet. Wer wegen zu niedrigem Lohn
zusätzlich mit Arbeitslosengeld II (ALG II) aufstocken muss, hätte unter Um-
ständen sogar keinen einzigen Cent zusätzlich in der Tasche, da das zusätzliche
Einkommen auf das ALG II angerechnet wird.

Ältere Erwerbslose haben praktisch keine Chance eine Beschäftigung zu finden,
geschweige denn eine gut bezahlte. Zusätzlich hat die Koalition der CDU/CSU
und FDP die Rentenansprüche für Langzeiterwerbslose komplett gestrichen.
Und die Bundesregierung hält an der Zwangsverrentung von erwerbslosen
ALG-II-Beziehenden ab dem 63. Lebensjahr fest. Wer gesundheitliche Ein-
schränkungen hat, findet ebenfalls nur selten einen guten Arbeitsplatz. Gleich-
zeitig hat die Bundesregierung die Erwerbsminderungsrente drastisch gekürzt.
Eine Erwerbsminderungsrente deckt schon heute oftmals nicht das Existenz-
minimum. Dabei steigt mit zunehmendem Alter, also auch durch die Rente erst
ab 67, das Risiko einer Erwerbsminderung an. Die Rente erst ab 67 trifft be-
stimmte Bevölkerungs- und Berufsgruppen also besonders hart. Dies belegt die
Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage „Rente erst ab 67 – Risiken
für Jung und Alt“ (Bundestagsdrucksache 17/7966).

Die Älteren sollen länger arbeiten, unabhängig davon, ob sie dazu überhaupt in
der Lage sind. Gleichzeitig wird so den Jüngeren ein qualifizierter Einstieg ver-
wehrt. Die Zahl der Ausbildungsplätze sinkt, die jungen Menschen verbleiben
immer länger in Warteschleifen und die Qualität der Arbeitsplätze lässt immer
mehr zu wünschen übrig. Die von der Bundesregierung gewollte Ausweitung
des Niedriglohnsektors, von der gerade jüngere Menschen betroffen sind,
nimmt ihnen jegliche Zukunftsperspektive. Doch die Bundesregierung verweist
nur auf die Interessen der Unternehmen und tut die Probleme der Menschen als
irrelevant ab. Dies darf in einer Gesellschaft, die den Anspruch hat, demokra-
tisch und sozial zu sein, nicht hingenommen werden.

Die Erhöhung des Rentenalters auf 67 Jahre ist vermutlich nicht der letzte
Schritt in einer langen Reihe von Rentenkürzungen. Es wird bereits offen dis-
kutiert, das Renteneintrittsalter noch weiter anzuheben. So versucht die Regie-
rung Merkel auf europäischer Ebene im Schatten der europäischen Staatsschul-
denkrise, das Renteneintrittsalter in ganz Europa weiter zu erhöhen. Zum Aus-
gleich der Rentenkürzungen sollen die Menschen immer mehr privat vorsor-
gen. Das ist für die Beschäftigten jedoch deutlich teurer und unsicherer als die
gesetzliche Rente. Gleichzeitig vernachlässigt die private Altersvorsorge den
Solidarausgleich und allzu oft die Absicherung gegen eine Erwerbsminderung.
Mit der Kürzung der gesetzlichen Rente sowie der Anhebung der Altersgrenzen
steigt das Armutsrisiko also erheblich an.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die Anwendung der Anhebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Ren-
tenversicherung nach dem RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz sowie in al-
len anderen infolgedessen geänderten Gesetzen und Regelungen auszuset-
zen und

2. umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die im RV-Altersgrenzenan-
passungsgesetz und daraus folgenden Gesetzesänderungen vorgesehene An-
hebung der Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie alle
damit zusammenhängenden Folgeänderungen zurücknimmt.

Berlin, den 13. Dezember 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/8151

Begründung

Die Rente erst ab 67 ist das direkte Resultat einer völlig verfehlten Rentenpoli-
tik. Die Reformen haben die Kosten der Altersvorsorge nicht gesenkt, sondern
tendenziell sogar noch erhöht. Der Unterschied liegt darin, dass die Versicher-
ten einen immer größeren Teil selbst bezahlen müssen; einerseits durch hohe
Beiträge zur privaten Vorsorge und andererseits durch massive Rentenkür-
zungen. Damit ist klar: Die Rente erst ab 67 dient lediglich dem Ziel, die Unter-
nehmens- und Aktiengewinne immer weiter in die Höhe zu treiben. Für die
Menschen bleibt real immer weniger übrig. Die Rente erst ab 67 ist weder ge-
sellschaftlich noch wirtschaftlich vernünftig.

Gleichzeitig ist die Rente erst ab 67 den meisten Menschen individuell nicht
zuzumuten. Denn solange es nicht die Regel ist, gesund bis zum 65. Lebensjahr
arbeiten zu können, ist eine Anhebung des Eintrittsalters schlicht eine Renten-
kürzung. Und die vorliegende Antwort der Bundesregierung belegt beein-
druckend, dass die Menschen aus vielfältigen Gründen nicht bis zum 65. Ge-
burtstag, geschweige denn darüber hinaus, arbeiten können. So waren 2010 nur
33 Prozent der 60- bis unter 65-Jährigen beschäftigt. Von diesen gingen 6,7 Pro-
zent einer sozialversicherungspflichtigen Teilzeitbeschäftigung nach. Und nur
19,1 Prozent sind einer regulären sozialversicherungspflichtigen Vollzeit-
erwerbstätigkeit nachgegangen. Unmittelbar vor der Rente, also mit 64 Jahren,
hatten nur noch 8,7 Prozent eine sozialversicherungspflichtige Vollzeitstelle und
3,1 Prozent eine sozialversicherungspflichtige Teilzeitstelle. Insgesamt sind
21,4 Prozent aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung in Rente
gegangen. Dem gegenüber sind 16,1 Prozent – in Ostdeutschland sogar 28 Pro-
zent – aus der Erwerbslosigkeit in Rente gegangen und weitere 34,6 Prozent
haben vor der Rente weder gearbeitet noch sich arbeitslos gemeldet. Mittler-
weile haben knapp 50 Prozent der Zugänge in Altersrenten Abschläge von
durchschnittlich 11,4 Prozent – Tendenz weiter steigend. Damit ist mindestens
für diese Hälfte das höhere Rentenalter schlicht eine Rentenkürzung.

Gleichzeitig steigt im Alter das Risiko einer Erwerbsminderung. Rund 21 Pro-
zent der Versichertenrentenzugänge sind schon heute Erwerbsminderungsren-
ten. Diese Zahl wird ab nächstem Jahr noch einmal deutlich steigen. Zudem
liegt die Erwerbslosigkeit der über 60-Jährigen mit 7,9 Prozent – im Osten so-
gar 12,1 Prozent – deutlich über dem Durchschnitt von 6,4 Prozent. Gleich-
zeitig hat, wer mit 60 Jahren erwerbslos ist, kaum Chancen, noch einmal einen
Job zu bekommen. Nur 17,5 Prozent der über 60-Jährigen nehmen aus der Er-
werbslosigkeit heraus eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung auf.
Damit stellt die Rente erst ab 67 für Erwerbslose und gesundheitlich beein-
trächtigte Personen schlicht eine Rentenkürzung dar.

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