BT-Drucksache 17/794

Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der Allgemeinheit

Vom 24. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/794
17. Wahlperiode 24. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Kerstin Andreae, Christine
Scheel, Lisa Paus, Alexander Bonde, Dr. Thomas Gambke, Katrin Göring-Eckardt,
Britta Haßelmann, Priska Hinz (Herborn), Maria Klein-Schmeink, Stephan Kühn,
Beate Müller-Gemmeke, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Dr. Harald Terpe und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Gehaltsexzesse nicht länger auf Kosten der Allgemeinheit

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Unverhältnismäßig hohe und nur auf den kurzfristigen Erfolg ausgerichtete
Vergütungen gepaart mit einem nur sehr geringen persönlichen Haftungsrisiko
haben die gegenwärtige Krise mit vorangetrieben. Die Unternehmen sind auf-
grund von Fehlanreizen ihres Managements und stark erfolgsabhängig bezahl-
ten Mitarbeitern nicht selten kurzfristige Risiken eingegangen, die in keinem
Verhältnis zu den langfristigen Erfolgsaussichten standen. Gerade im Finanz-
sektor hat diese Haltung zu katastrophalen Ergebnissen geführt. Im Eigenhan-
del und Investmentbanking konnten einzelne Mitarbeiter durch ein riskantes
Verhalten Millionen verdienen, was ihren Instituten langfristig schadete. Es ist
deshalb überfällig, überhöhte Gehälter und Phantasieabfindungen wirksam zu
begrenzen und am nachhaltigen Erfolg des Unternehmens zu orientieren. Ein-
kommenschancen und persönliches Haftungsrisiko müssen wieder in ein ange-
messenes Verhältnis gebracht werden. Darüber hinaus müssen die Kontroll-
funktion der Aufsichtsräte gestärkt und die Mitbestimmungsrechte der Aktio-
närsversammlung erweitert werden.

Die bisher beschlossenen gesetzlichen Änderungen sind aber weitgehend wir-
kungslos geblieben. So hat das Gesetz zur Angemessenheit von Vorstands-
vergütungen mit seinen wachsweich formulierten Gummiparagraphen keine
Verhaltensänderung bei Unternehmenslenkern und hoch bezahlten Investment-
bankern ausgelöst. Auch der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über
die aufsichtsrechtlichen Anforderungen an die Vergütungssysteme von Institu-
ten und Versicherungsunternehmen wird die genannten Missstände nicht be-
seitigen. Statt überhöhten und kurzfristigen Vergütungen klare Grenzen zu
setzen, wimmelt der Gesetzentwurf von unbestimmten Rechtsbegriffen. Außer-
dem will die Bundesregierung nur die Fehlanreize von Vergütungssystemen bei
Banken und Versicherungen korrigieren und orientiert sich dabei an den Emp-

fehlungen des Financial Stability Board. Für die generelle Bekämpfung von
Selbstbedienungsmentalität und Gehaltsexzessen in deutschen Unternehmen
leistet der Gesetzentwurf keinen Beitrag.

Auch eine Sondersteuer auf die Boni von Bankern, wie von der Fraktion
DIE LINKE. vorgeschlagen, würde nicht zu einer Lösung des Problems führen.
Finanzielle Fehlanreize, mangelnde Transparenz und Kontrolle werden nicht

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beseitigt. Auch diese Lösung ist auf die Finanzbranche beschränkt und zudem
noch gestaltungsanfällig. So haben die britischen Banken bereits reagiert und
das Verhältnis von Festgehalt zu Sondervergütungen zugunsten von Ersterem
verändert. So kann eine Sondersteuer auf Boni leicht umgangen werden und
wird keines der damit verfolgten Ziele erreichen. Die vorgeschlagene zeitliche
Befristung zeigt, dass keine dauerhafte Lösung angestrebt wird, um Gehälter
wirksam zu begrenzen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. Vorschläge für gesetzliche Regelungen vorzulegen, welche die Mitfinanzie-
rung von überhöhten Gehältern und Abfindungen durch die Bürgerinnen
und Bürger begrenzen. Dazu soll

● der Betriebsausgabenabzug von Abfindungen auf 1 Mio. Euro pro Kopf
begrenzt werden. Verschiedenste Gestaltungsmöglichkeiten wie z. B.
Übergangsgelder oder Aktienoptionen sollen in diese Grenze umfassend
einbezogen werden.

● der volle Betriebsausgabenabzug von Gehältern auf 500 000 Euro jähr-
lich pro Kopf begrenzt werden. Darüber hinausgehende Bezüge sind nur
noch hälftig als Betriebsausgaben abziehbar. Die Begrenzung gilt für alle
fixen und variablen Gehaltsbestandteile;

2. Vorschläge für gesetzliche Regelungen vorzulegen, welche die Gehälter
stärker am langfristigen Erfolg des Unternehmens orientieren. Dazu soll

● das Gesamtgehalt höchstens zu einem Viertel variabel, also an den Erfolg
geknüpft, sein. Davon sollten alle variablen Bestandteile wie z. B. Boni,
Tantiemen und Aktienoptionen erfasst sein. Erfolgsbeteiligungen sollen
künftig grundsätzlich an dem langfristigen Erfolg des Unternehmens an-
knüpfen. Das bedeutet z. B., dass Aktienoptionen erst nach 10 Jahren
ausgeübt werden dürfen und dass der Bezugswert nicht unter dem Ak-
tienkurs zum Zeitpunkt der Ausgabe der Aktienoptionen liegen darf. Den
Erfolgsbeteiligungen soll auch die Beteiligung an den Verlusten des
Unternehmens gegenüberstehen;

3. Vorschläge für gesetzliche Regelungen vorzulegen, welche die persönliche
Haftung von Vorstandsmitgliedern strikter regeln. Dazu soll

● die Haftung gegenüber geschädigten Anlegern für falsche Kapitalmarkt-
informationen ausgeweitet werden.

● die zivilrechtliche Haftung auch dann greifen, wenn das Vorstands-
mitglied von der Fehlerhaftigkeit der Information hätte wissen müssen.

● Die Versicherungsbeiträge zur Managerhaftpflichtversicherung und im
Schadenfall die Selbstbeteiligung sollen zwingend aus dem Gehalt des
Vorstandsmitgliedes geleistet werden, d. h. die Versicherung der Mindest-
selbstbeteiligung soll nicht möglich sein;

4. Vorschläge für gesetzliche Regelungen vorzulegen, um die Aufsichtsräte
professioneller zu machen und damit ihre Kontroll- und Überwachungsfunk-
tion zu stärken. Dazu soll

● ein Vorstandsmitglied frühestens nach 5 Jahren in den Aufsichtsrat des-
selben Unternehmens berufen werden dürfen.

● die Zahl der Aufsichtsratsmandate pro Person auf maximal 5 begrenzt
werden, der Vorsitz im Aufsichtsrat zählt dabei doppelt. Vorstands-
mitglieder sollen maximal 2 Aufsichtsratsmandate in anderen Unter-

nehmen wahrnehmen dürfen, auch hier zählt der Vorsitz im Aufsichtsrat
doppelt;

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5. Vorschläge für gesetzliche Regelungen vorzulegen, um die Mitbestimmung
der Aktionärsversammlung zu erweitern. Dazu soll

● durch Beschluss der Hauptversammlung ein finanzieller Rahmen für die
Gesamtbezüge der einzelnen Vorstandsmitglieder der Gesellschaft vor-
gegeben werden. Einheitliche Berichtsregeln für die Gesamtbezüge der
Vorstandsmitglieder sollen für mehr Transparenz sorgen.

● in jedem Falle eine Pflicht zur Veröffentlichung der individuellen Vor-
standsgehälter bestehen. Die Möglichkeit, durch Beschluss der Hauptver-
sammlung eine Veröffentlichung zu verhindern, soll gestrichen werden.

Berlin, den 24. Februar 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Schon im März 2009 hatte die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einen
Antrag zur Neuausrichtung der Managervergütungen eingebracht, der die Mit-
finanzierung der Managergehälter durch die Allgemeinheit begrenzen, die ge-
samte Struktur der Vergütungen langfristig ausrichten und die entsprechenden
Kontrollmechanismen verbessern sollte (Bundestagsdrucksache 16/12112), um
die offensichtlichen Missstände und die Selbstbedienungsmentalität bei der
Bemessung von Abfindungen und Gehältern an das Management besser zu be-
kämpfen. Dieser Antrag wurde abgelehnt. An der Gesetzeslage hat sich bis heute
wenig geändert. Das Problem der Selbstbedienung im Bereich der Manager- und
hohen erfolgsabhängigen Vergütungen ist nicht gelöst.

Darüber hinaus birgt eine zu stark divergierende Einkommensentwicklung aber
auch an sich gesellschaftlichen Sprengstoff, der sich schnell gegen den Zu-
sammenhalt in einer Gesellschaft und die Akzeptanz marktwirtschaftlicher
Prinzipien richten kann. Fakt ist, dass sich die Einkommen in unserer Gesell-
schaft immer weiter auseinanderentwickeln. So ging das mittlere Einkommen
(Median) in Deutschland von 1992 bis 2003 um mehr als ein Drittel zurück;
insgesamt sanken die Markteinkommen der unteren 70 Prozent der Bevölke-
rung, besonders stark waren die Verluste der mittleren Einkommensschichten.
Dramatisch stiegen hingegen die Einkommen der Allerreichsten; so nahm das
Einkommen der reichsten 650 Deutschen um über 47 Prozent, das der reichsten
65 Deutschen gar um 131 Prozent zu (Bach, Stefan; Corneo, Giacomo; Steiner,
Victor: From Bottom to Top: The entire income distribution in Germany
1992–2003, Review of Income and Wealth 2009, S. 303 bis 330). Auch von der
positiven wirtschaftlichen Entwicklung vor der Finanzkrise haben überwiegend
höhere Einkommen profitiert. Die Reallöhne für breite Bevölkerungsschichten
stagnierten selbst im Aufschwung. Diese Entwicklung birgt eine enorme
soziale Sprengkraft. Die Bundesregierung hat bisher keine ausreichenden Maß-
nahmen ergriffen, um dem Auseinanderklaffen der Einkommensverteilung vor
allem bei den Reichsten entgegenzuwirken. Es ist die Aufgabe der Politik,
geeignete Rahmenbedingungen zu setzen, um von einer gesellschaftlichen
Mehrheit als ungerecht und nicht hinnehmbar empfundenen Auswüchse bei der
Bemessung von Gehältern möglichst von vorneherein zu verhindern.

1. Löhne und Gehälter mindern als Betriebsausgaben den Gewinn der betroffe-
nen Unternehmen. Diese zahlen entsprechend weniger Steuern. Es gibt zahl-

reiche Regelungen im Unternehmensteuerrecht, die den Abzug von Be-
triebsausgaben entweder sachlich oder der Höhe nach auf ein angemessenes

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Niveau beschränken. Für Gehälter fehlt eine solche gesetzliche Regelung, ist
aber dringend erforderlich. Die Selbstbereicherung von Angestellten über
Phantasieabfindungen und überhöhte Gehälter wird so von der Allgemein-
heit der Steuerzahler mitfinanziert. Eine Beschränkung der Abzugsfähigkeit
von überhöhten Abfindungen und Gehältern ist daher überfällig und wäre
ein wichtiger Schritt, um diese Gehälter steuerlich stärker zu belasten. Eine
Nichtabzugsfähigkeit erhöht die steuerliche Belastung auf den 500 000 Euro
übersteigenden Teil des Gehalts bei Körperschaften um im Schnitt knapp
30 Prozent (Körperschaftsteuer + Gewerbesteuer + Solidaritätszuschlag). Im
Gegensatz zu einer Sondersteuer auf Boni kann eine solche Maßnahme nicht
umgangen werden. Zusammen mit der Versteuerung beim Gehaltsempfän-
ger in der progressiven persönlichen Einkommensteuer ergibt sich so für den
Teil des Gehalts, der nicht mehr mit Leistung gerechtfertigt werden kann,
eine Gesamtsteuerbelastung von über 50 Prozent. Für die Unternehmen wird
so ein Anreiz gesetzt, überzogene Gehälter und Gehaltsbestandteile abzu-
senken und in der Zukunft die exorbitanten Erhöhungen der Vergangenheit
nicht zu wiederholen. Tun sie dies nicht, wird zumindest eine Beteiligung
der Allgemeinheit der Steuerzahler an diesen Gehältern verhindert.

2. Für eine Ausrichtung der Gehaltsstruktur auf den langfristigen Erfolg des
Unternehmens müssen die variablen Bestandteile, die heute bis zu 90 Pro-
zent der Vergütungen ausmachen, stark reduziert werden. Außerdem soll der
Gewinnbeteiligung durch ein Bonus-Malus-System auch eine Beteiligung an
den Verlusten gegenüberstehen, damit sich die unternehmerische Verantwor-
tung stärker auch im Entlohnungssystem widerspiegelt und entsprechende
Anreize ausgelöst werden. Durch die Begrenzung der variablen Gehalts-
bestandteile auf maximal ein Viertel der Gesamtvergütung ist auch die Betei-
ligung in Verlustjahren begrenzt. Eine langfristige Ausrichtung der erfolgs-
abhängigen Gehaltsbestandteile, wie z. B. Aktienoptionen, sollte mindestens
zwei Konjunkturzyklen, also etwa 10 Jahre, in den Blick nehmen.

3. Für einen wirksamen Anlegerschutz kommt es auf die Verfügbarkeit, die
Qualität und die Verlässlichkeit der Kapitalmarktinformationen an. Sind
Informationen falsch, muss dies harte Konsequenzen für diejenigen haben,
die für die Fehlinformation verantwortlich sind. Die zivilrechtliche Haftung
soll auch dann greifen, wenn das Vorstandsmitglied von der Fehlerhaftigkeit
der Information hätte wissen müssen. Um eine tatsächliche persönliche Haf-
tung des Vorstandsmitglieds zu erreichen, sollen die Beiträge zur Manager-
haftpflichtversicherung aber auch im Schadenfall die Mindestselbstbeteili-
gung zwingend aus dem Gehalt bezahlt werden. Das bedeutet, eine Zusatz-
versicherung für den Mindestselbstbehalt soll nicht möglich sein.

4. In der Krise versagt haben auch viele Kontrollsysteme in den Unternehmen,
also die Aufsichtsräte. Für mehr Professionalität und um Interessenkollisio-
nen entgegenzuwirken soll eine Person künftig höchstens 5 Aufsichtsrats-
mandate annehmen dürfen. Die Funktion des Aufsichtsratsvorsitzenden
zählt dabei doppelt, um der höheren Arbeitsbelastung und Verantwortung in
dieser Funktion Rechnung zu tragen. Aktive Vorstände sollen nur noch
2 Aufsichtsratsmandate annehmen dürfen und der Wechsel in den Aufsichts-
rat des eigenen Unternehmens soll ohne Ausnahme erst nach 5 Jahren mög-
lich sein.

5. Die Aktionäre brauchen deshalb mehr Mitspracherechte. Zukünftig soll die
Aktionärsversammlung den finanziellen Rahmen für die Gesamtbezüge der
einzelnen Vorstandsmitglieder vorgegeben. Managergehälter sollen ein-
deutig, umfassend und vor allem auch vergleichbar werden: Dafür sollen
einheitliche Berichtsregeln für die Gesamtbezüge der Vorstandsmitglieder in

das Aktiengesetz aufgenommen werden. Dabei sind sämtliche Vereinbarun-
gen, aus denen Zahlungen an das Management folgen können, wie z. B.

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Altersvorsorgevereinbarungen, ebenfalls einzubeziehen. Die Option, durch
Beschluss der Aktionärsversammlung eine Veröffentlichung der individuel-
len Vorstandsgehälter zu verhindern, widerspricht dem Transparenzgedan-
ken. Sie soll gestrichen werden.

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