BT-Drucksache 17/7852

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7113, 17/7123, 17/7124, 17/7125 - Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012 (Haushaltsgesetz 2012) hier: Einzelplan 14 Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7852
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Paul Schäfer (Köln), Inge Höger, Harald Koch, Christine
Buchholz, Kathrin Vogler, Katrin Kunert, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
Dr. Dietmar Bartsch, Steffen Bockhahn, Roland Claus, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Annette Groth, Heike Hänsel, Andrej Hunko, Michael Leutert,
Stefan Liebich, Dr. Gesine Lötzsch, Niema Movassat, Thomas Nord,
Alexander Ulrich, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6600, 17/6602, 17/7113, 17/7123, 17/7124, 17/7125 –

Entwurf eines Gesetzes
über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2012
(Haushaltsgesetz 2012)

hier: Einzelplan 14
Geschäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Verteidigungshaushalt wird eine enorme Belastung für den Staatshaushalt
bleiben. Entgegen den 2010 vereinbarten Vorgaben, die Einsparungen in Höhe
von 8,3 Mrd. Euro bis 2014 vorsahen, wird aufgrund der auf den Weg gebrachten
Strukturreform der Streitkräfte der Verteidigungsetat nominell sogar um 0,4 Pro-
zent erhöht. Außerdem wird die Gesamtsumme der Einsparungen halbiert. Bis
2015 soll der Verteidigungsetat nur geringfügig auf 30,43 Mrd. Euro gesenkt
werden. Die zukünftige Personalstruktur und die damit verbundenen Reduzie-
rungen schienen auf den ersten Blick erheblich, doch erbringen sie in ihrer Ziel-
struktur gerade einmal Einsparungen von ca. 300 Mio. Euro, die kaum nennens-
wert sind. Damit werden auch in Zukunft mehr als 10 Prozent der öffentlichen
Gelder für militärische Belange ausgegeben. Das heißt, etwa 400 Euro pro Jahr

pro Kopf der Bevölkerung werden in Rüstung und Militär investiert.

Der Verteidigungshaushalt zeugt nicht vom Willen, notwendige Einsparungen
vorzunehmen, sondern unterwirft sich den Zielen eines fortgesetzten Umbaus
der Bundeswehr zu einer Interventionsarmee. Es wird offensichtlich, dass die
Bundesregierung aus dem Debakel in Afghanistan nicht gelernt hat. Umfas-
sende Auswertungen und Bilanzen der ernüchternden Erfahrungen von Aus-
landseinsätzen der Bundeswehr im letzten Jahrzehnt sind bisher ausgeblieben.

Drucksache 17/7852 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

An der milliardenschweren Beschaffungspolitik soll festgehalten werden. In
zweierlei Hinsicht ist dies bedenklich: Zum einen lähmen die Ausgaben schon
jetzt den Handlungsspielraum (insgesamt ca. 11 Mrd. Euro für die Vorhaben
A400M, Eurofighter, TIGER, PUMA, Fregatte 125 in den nächsten fünf Jahren),
und zum anderen dienen viele der Vorhaben vor allem der Interventionsfähig-
keit.

Diese Maßnahmen sind mit den Zielen einer realistischen Abrüstungspolitik
nicht zu vereinbaren, sondern führen letztlich zu einer weitergehenden Militari-
sierung und einer Zunahme von verlustreichen Auslandseinsätzen. Indikator
hierfür ist die Zahl der für Auslandseinsätze vorgesehenen Einsatzkräfte, die auf
mindestens 10 000 aufgestockt werden soll. Dass die Wehrpflichtigen hierfür,
das heißt in besonderer Auslandsverwendung, nicht eingesetzt werden konnten,
erleichterte den Verzicht auf sie. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Zahl
der unverzichtbaren Berufs- und Zeitsoldaten lediglich um 20 000 reduziert
wurde.

Die derzeitigen Reformvorhaben der Bundeswehr laufen in die falsche Rich-
tung. Sie sind geprägt von Effizienzsteigerung, Einsatzoptimierung und Privati-
sierung sowie von einem zunehmend an Auslandseinsätzen orientiertem Mehr-
bedarf an Rüstungsmaterial. Diese Mittel fehlen an anderer Stelle, z. B. für Ab-
rüstungsbemühungen und für eine präventive Friedens- und Sicherheitspolitik.
Die gegenwärtig und zukünftig größten Herausforderungen für den Frieden und
die weltweite Sicherheit sind nichtmilitärischer Art, wie z. B. fehlende Vertei-
lungsgerechtigkeit, Hunger und Armut, die Folgen des Klimawandels und die
wachsende internationale Konkurrenz, unter anderem um die zuneige gehenden
knappen Ressourcen. Auch den immer wieder beschworenen sicherheitspoliti-
schen Risiken und Bedrohungen durch die Weiterverbreitung von Massenver-
nichtungswaffen, Terrornetzwerken und den regionalen Auswirkungen soge-
nannter gescheiterter Staaten kann mit militärischen Mitteln nicht nachhaltig
begegnet werden.

Die Reform der Bundeswehr muss auf eine solide friedenspolitische und finan-
zielle Basis gestellt werden. Umfassende Abrüstungsmaßnahmen sind zweifel-
los mit hohen Kosten verbunden, auch gesellschaftlichen. Doch langfristig ge-
sehen sind sie die einzige Möglichkeit für nachhaltige Einsparungen im Vertei-
digungshaushalt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. in einem ersten Schritt hin zu einer glaubwürdigen Friedens- und Abrüs-
tungspolitik die 2010 vereinbarten Sparvorgaben für den Einzelplan 14 ein-
zuhalten und die Auslagerung von Verteidigungskosten in andere Etats rück-
gängig zu machen;

2. die derzeitigen Auslandseinsätze der Bundeswehr zu beenden und die damit
verbundenen Einsparungen bei Beschaffungsvorhaben, wie z. B. A400M,
Eurofighter, Schützenpanzer PUMA oder Fregatte 125 (insgesamt mit einem
Volumen von weit über 20 Mrd. Euro), für die Finanzierung einer neuen frie-
densorientierten Außen- und Sicherheitspolitik zu verwenden;

3. die Streitkräfte sowie die Militär- und Rüstungsausgaben um 50 Prozent in-
nerhalb der nächsten zehn Jahre zu reduzieren;

4. den Auftrag der Bundeswehr ausschließlich auf den Zweck der Landesvertei-
digung nach den Artikeln 87a und 115a zu beschränken;

5. die laufenden Privatisierungsprojekte zu beenden und auf die weitere Ausla-
gerung von Bundeswehraufgaben auf externe Unternehmen zu verzichten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7852

6. sich nicht mehr am Ausbau der Interventionskapazitäten von NATO und EU
zu beteiligen und zunächst die Beteiligung an NATO Response Force (NRF)
und European Battle Groups (EUBG) zu beenden sowie keine Einheiten
mehr für die European Rapid Reaction Forces (ERRF) bereitzustellen;

7. einen durch eine konsequente politische Entscheidung für Rüstungskontrolle
und die Stärkung der entsprechenden internationalen Vereinbarungen in
mehrfacher Hinsicht wichtigen Beitrag zur weltweiten Abrüstung zu leisten,
insbesondere durch

– die Auflösung des Tornado-Geschwaders in Büchel und die Beendigung
der technischen nuklearen Teilhabe Deutschlands,

– durch Abrüstung konventioneller Waffen und internationales Eintreten für
eine Wiederaufnahme des KSE-Prozesses (KSE = Konventionelle Streit-
kräfte in Europa),

– durch Demilitarisierung von Forschung & Entwicklung, Kürzung der ent-
sprechenden Mittel für Rüstungsforschung an Universitäten und Unter-
bindung einer Finanzierung durch EU-Mittel;

8. aus Einsparungen im Verteidigungshaushalt ein langfristiges Konversions-
programm zu konzipieren, aus dem sowohl betroffene Kommunen für die
Nachnutzung der Standorte unterstützt als auch (ehemalige) Bundeswehran-
gehörige beim Wiedereinstieg ins zivile Berufsleben gefördert werden;

9. den großen Herausforderungen für den Frieden und die weltweite Sicherheit
mit zivilen Instrumenten – Diplomatie, Stärkung des Völkerrechts, globale
Zusammenarbeit und Initiativen zur Umsetzung einer gerechten Weltwirt-
schaftsordnung, allgemeine Abrüstung und Stopp von Rüstungsexporten – zu
begegnen und die Perspektive einer vollständigen Abrüstung der Bundes-
wehr im Zusammenhang mit universal oder regional ausgehandelten Abrüs-
tungsprozessen aufrechtzuerhalten.

Berlin, den 21. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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