BT-Drucksache 17/7824

Die OSZE ausbauen und stärken

Vom 22. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7824
17. Wahlperiode 22. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Uta Zapf, Doris Barnett, Dr. h. c. Gernot Erler, Petra Ernstberger,
Iris Gleicke, Ute Kumpf, Dr. Rolf Mützenich, Thomas Oppermann, Dr. Frank-Walter
Steinmeier und der Fraktion der SPD
sowie der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln),
Marieluise Beck (Bremen), Kai Gehring, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour,
Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Die OSZE ausbauen und stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit 1975 die „Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ ins
Leben gerufen wurde, hat sich die aus ihr hervorgehende Organisation für
Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) zum wichtigsten Forum
für gesamteuropäische Sicherheitszusammenarbeit entwickelt. Die Zusammen-
arbeit im Rahmen der drei Dimensionen (Politisch-Militärische Dimension,
Wirtschafts- und Umweltdimension und Menschliche Dimension) war wegwei-
send für viele spätere Ansätze regionaler Zusammenarbeit (einschließlich der
MENA-Region, MENA – Middle East and North Africa) und hat zum Aufbau
erfolgreicher Instrumente ziviler Krisenprävention geführt.

Als Verhandlungs- und Konsultationsrahmen für kooperative multilaterale
Sicherheit hat sie bei vertrauensbildenden Maßnahmen und Transparenz, durch
konventionelle Abrüstung und die Unterstützung beim Aufbau rechtsstaatlicher
Strukturen und die Hilfe bei der Umsetzung menschenrechtlicher Normen die
Stabilität und Sicherheit ihrer jetzt 56 Teilnehmerstaaten gefördert. Nach Erfol-
gen in den 90er-Jahren befindet sich die OSZE heute jedoch in einer Krise. An-
gesichts der zunehmenden Bedeutung von Regionalzusammenschlüssen
innerhalb der UNO (vgl. Kapitel VIII der Satzung der Vereinten Nationen) für
eine erfolgreichere Friedensarbeit muss diese Krise dringend überwunden wer-
den.

Die neu entfachte Diskussion über neue Sicherheitsstrukturen (Korfu-Prozess
und die Ergebnisse der Gipfeldiskussion in Astana) ist für die OSZE eine große
Chance, ihre Rolle als wichtigstes Forum gesamteuropäischer Sicherheit und

Kooperation zurückzugewinnen. Die geografische Ausdehnung der OSZE um-
fasst Europa, Nordamerika, Russland und Zentralasien und damit einen für Ge-
samteuropa sicherheitsrelevanten Raum. Die Entspannung zwischen den USA
und Russland sowie die Wiederannäherung zwischen Russland und der NATO
haben zudem einen dynamischen Dialogprozess in der OSZE begünstigt.

Insbesondere die Einführung der „Menschlichen Dimension“, die 1989 mit
dem Abschlussdokument der dritten Folgekonferenz in Wien beschlossen

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wurde, war ein großer Erfolg für die Menschenrechte; das Konzept der
„Menschlichen Dimension“ des dritten Korbs der OSZE beinhaltet die Ver-
pflichtung, die Menschenrechte und Grundfreiheiten zu achten. Der Mensch-
lichen Dimension liegt die Erkenntnis zu Grunde, dass stabile Sicherheit nicht
ohne Achtung der Menschenrechte und intakte demokratische Institutionen
erlangt werden kann.

Anfang Dezember 2010 fand in Astana unter kasachischem Vorsitz zum ersten
Mal seit zehn Jahren ein OSZE-Gipfeltreffen statt, das neue Impulse zur Wei-
terentwicklung der OSZE gegeben hat. Seit dem letzten Gipfel in Istanbul 1999
hat es zwischen den Teilnehmerstaaten eine zunehmende Uneinigkeit über die
Aufgaben der OSZE und ihr politisches Gewicht gegeben. Wahlbeobachtun-
gen, Feldmissionen und das Drängen auf Einhaltung der Menschenrechte gerie-
ten besonders bei den Folgestaaten der Sowjetunion in die Kritik und die ver-
trauensbildenden Maßnahmen (Wiener Dokument – WD – 1999) stagnierten,
während das Forum für Sicherheitskooperation unumstritten blieb.

Die Nichtratifizierung des adaptierten Vertrages über Konventionelle Streit-
kräfte in Europa (AKSE-Vertrag) und die Suspendierung des KSE-Vertrages
durch Russlands, die ungelösten Konflikte innerhalb oder zwischen OSZE-
Staaten (Berg-Karabach, Transnistrien, Georgien – Abchasien/Südossetien)
und die neuen Herausforderungen und Gefahren (z. B. Terrorismus, Cyber-
sicherheit, Menschenhandel) erfordern einen neuen Sicherheitsdialog in der
OSZE, der maßgeblich dazu beitragen kann, dass die OSZE sich wieder zu
einem wesentlichen Element gesamteuropäischer Sicherheit entwickelt.

Auf dem Gipfel von Astana haben alle Mitgliedstaaten ihr Bekenntnis zu den
Prinzipien der OSZE erneuert. Dazu gehört auch ein klares Bekenntnis zu der
„Menschlichen Dimension“ der OSZE. Es ist als Erfolg zu werten, dass die
Nachfolgestaaten der Sowjetunion sich dabei erstmals formal zu den Prinzipien
der OSZE bekannt haben. Darüber hinaus wurde erstmals in einem Abschluss-
dokument das Ziel einer Sicherheitsgemeinschaft erwähnt.

Den Anstoß zu diesem notwendigen neuen Sicherheitsdialog gab auch der Vor-
schlag des russischen Präsidenten Dimitri Medwedew zu einem „Europäischen
Sicherheitsvertrag“, der „unteilbare Sicherheit“ für alle Teilnehmerstaaten ge-
währleisten soll. Die OSZE hat ihn im sogenannten Korfu-Prozess aufgegriffen.
Der russische Vorschlag berührt Kernaufgaben der OSZE wie Konfliktpräven-
tion, Krisenmanagement und Konfliktlösung. Er bietet jedoch keine befriedi-
gende Antwort auf die Frage, welche Rolle die NATO und die EU (Gemeinsame
Außen- und Sicherheitspolitik/Europäische Sicherheits- und Verteidigungspoli-
tik) in diesem Sicherheitsheitssystem einnehmen sollen. Daher sollte der Dialog
über eine europäische Sicherheitsarchitektur nicht nur in der OSZE, sondern
auch im NATO-Russland-Rat geführt werden.

Die OSZE hat unter griechischem Vorsitz im Dezember 2009 den Korfu-Pro-
zess in Gang gesetzt. Ein umfassender und transparenter Dialog hat es den Teil-
nehmerstaaten ermöglicht, ihre Anliegen und Vorschläge zur Stärkung der
europäischen Sicherheit einzubringen. Der kasachische Vorsitz hat diese Vor-
schläge in einem Zwischenbericht im Juli 2010 vorgelegt.

Ein Aktionsplan zu allen drei OSZE-Dimensionen wurde in Astana nicht ver-
abschiedet, aber die OSZE hat in Astana den Auftrag erteilt, einen überarbeite-
ten Aktionsplan vorzulegen, der auf dem Ministerratstreffen im Dezember 2011
beraten werden soll.

Das Büro für demokratische Institutionen und Menschenrechte (ODHIR) ist die
bedeutendste Institution für die Menschliche Dimension der OSZE. Es liegt im
Interesse aller Mitgliedstaaten, für eine Stärkung dieser Institution einzutreten,

um die Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten im OSZE-Raum
zu unterstützen. Insbesondere mit Hilfe des/der Beauftragten für Medienfreiheit

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muss es weiterhin das Bestreben der OSZE sein, die Medien- und Pressefreiheit
wieder stärker in den Fokus der dritten Dimension zu rücken.

II. Der Deutsche Bundestag bedauert,

dass es in Astana nicht gelungen ist, den Aktionsplan für die drei Dimensionen
der OSZE zu verabschieden.

III. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass

● im Korfu-Prozess die Diskussion zur Stärkung und Verbesserung der euro-
päischen Sicherheitsstrukturen aufgegriffen und vorangetrieben wurde,

● in der Gipfelerklärung von Astana die wichtigsten OSZE-Grundsätze von
allen Teilnehmerstaaten bekräftigt wurden.

IV. Der Bundestag fordert die Bundesregierung auf, im Rahmen der EU und der
OSZE

● sich verstärkt auf höchster politischer Ebene für die Stärkung der OSZE ein-
zusetzen,

● sich für die Entwicklung der OSZE als Sicherheits- und Friedensgemein-
schaft einzusetzen,

● sich für eine Einigung über den bereits erarbeiteten Aktionsplan für Sicher-
heit und Zusammenarbeit in Europa und seine Umsetzung stark zu machen,

● die strittigen Punkte des Aktionsplans zu diskutieren und zu bearbeiten und
hierfür konkrete Vorschläge vorzulegen,

● sich weiterhin für die Erarbeitung einer substanziellen Agenda und für kon-
krete Aufträge für einen Aktionsplan einzusetzen,

● sich im Rahmen der OSZE aktiv und mit eigenen Konzepten an einem sub-
stanziellen Dialog mit Russland über eine umfassende europäische Sicher-
heitsarchitektur zu beteiligen und Verhandlungen über eine Charta der
OSZE zu unterstützen sowie im NATO-Russland-Rat einen Dialog über eine
europäischen Sicherheitsarchitektur zu führen,

● mit engagierten Maßnahmen für den Erhalt der sicherheitspolitischen Stan-
dards der konventionellen Rüstungskontrolle zu werben und mit unseren
Partnern abgestimmte Initiativen für neue Schritte bei der konventionellen
Rüstungskontrolle und Abrüstung für Europa vorzulegen,

● substanzielle Beiträge zur Modernisierung des Wiener Dokuments 1999
(WD 99) über vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen beizusteuern,
wie eine Absenkung der Schwellenwerte für Notifizierung von Militärmanö-
vern, eine Erhöhung der Inspektionsquoten, eine Vergrößerung der Inspek-
tions- und Evaluierungsteams und die Einbeziehung anderer Kategorien in
das Dokument wie Trägermittel, Rapid Reaction Forces oder Marinestreit-
kräfte,

● mit gleichem Nachdruck für einen umfassenden abrüstungs- und rüstungs-
kontrollpolitischen Ansatz im OSZE-Raum zu werben und neue Gespräche
und Verhandlungen voranzutreiben, um das konventionelle Rüstungs-
kontrollregime in Europa zu stärken und für das 21. Jahrhundert zu moderni-
sieren,

● grenzüberschreitenden Herausforderungen wie Terrorismus, organisierter
Kriminalität, Menschenhandel sowie sicherheitsrelevanten Aspekten der
Energiesicherheit und des Klimawandels stärkere Aufmerksamkeit zu wid-
men,
● die existierenden und bewährten Instrumente der drei Dimensionen zu festi-
gen und weiterzuentwickeln,

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● den Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit
(1994) durch eine bessere Implementierung zu stärken,

● die Beratungen zu einer Kleinwaffenkonvention voranzutreiben und alle
OSZE-Teilnehmerstaaten zum Beitritt zur Landminen- und zur Streumuni-
tionskonvention aufzufordern,

● im Rahmen eines verstärkten Dialogs auch Militärdoktrinen und Verteidi-
gungsplanung einzubeziehen,

● die Rolle der OSZE bei Frühwarnung, Krisenprävention und Krisenbewälti-
gung zu stärken und auszubauen und die Instrumente zur schnelleren Kri-
senreaktion weiterzuentwickeln sowie die Vernetzung mit der EU und UNO
in diesen Bereichen voranzutreiben,

● die Feldmissionen der OSZE zu stabilisieren, die eine wichtige Rolle bei
Kriseninterventionen, beim Monitoring, aber auch bei Polizeiaktionen haben,
und sie noch stärker auf neue transnationale Gefahren und Herausfor-
derungen auszurichten (organisierte Kriminalität, Menschenhandel, Geld-
wäsche und Drogenhandel),

● sich intensiv um die Stärkung der OSZE im Bereich Konfliktprävention zu
bemühen,

● für die Regelung von ungelösten Konflikten (Berg-Karabach, Georgien –
Abchasien/Südossetien – Transnistrien) und „neuen“ Konflikten (Kirgisis-
tan) politische Lösungen zu unterstützen,

● eine stärkere Kooperation bei der Analyse und der Entwicklung von Gegen-
strategien gegen neue grenzüberschreitende Gefahren (einschließlich Cyber-
Angriffe) anzustreben,

● sich in der menschlichen Dimension für die Stärkung des Büros für demo-
kratische Institutionen und Menschenrechte in Warschau sowie der Be-
auftragten für Medienfreiheit (Wien) und des Hohen Kommissars für natio-
nale Minderheiten (Den Haag) einzusetzen und die Fortentwicklung der
Aktivitäten zur Wahlbeobachtung zu unterstützen,

● darauf zu bestehen, dass die Menschliche Dimension der OSZE gleich-
berechtigter Bestandteil der Organisation bleibt,

● die Entwicklung stärkerer Instrumente in der Menschlichen Dimension zu
unterstützen, um die OSZE-Verpflichtungen umzusetzen, insbesondere
durch ein Evaluierungsgremium und durch verstärkte Einbeziehung von
Nichtregierungsorganisationen,

● sich dafür einzusetzen, dass mit Hilfe des/der Beauftragten für Medienfrei-
heit die Medien- und Pressefreiheit wieder stärker in der Fokus der dritten
Dimension gerückt wird und seine/ihre Arbeit größtmögliche Unterstützung
erhält,

● die zweite Dimension der Umwelt- und Wirtschaftsthemen insbesondere
unter dem Gesichtspunkt der Konfliktprävention zu stärken (Energiesicher-
heit, Wassermanagement, Klimawandel).

Die Bundesregierung wird aufgefordert, dem Deutschen Bundestag kontinuier-
lich über die Fortschritte des Sicherheitsdialoges und bei der Erarbeitung und
der Umsetzung eines Aktionsplans zu berichten.

Berlin, den 22. November 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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