BT-Drucksache 17/780

Private Kranken- und Pflegeversicherung - Existenzminimum zukünftig auch für Hilfebedürftige

Vom 23. Februar 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/780
17. Wahlperiode 23. 02. 2010

Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Klaus Ernst, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Diana Golze, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler, Jörn Wunderlich,
Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Private Kranken- und Pflegeversicherung – Existenzminimum zukünftig auch für
Hilfebedürftige

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, die „Gesundheitsreform“ der CDU/
CSU-SPD-Koalition von 2007, hat einen Widerspruch geschaffen. Die grund-
sätzlich zu begrüßende Pflichtversicherung gegen den Krankheits- oder Pflege-
fall führt bei hilfebedürftigen Privatversicherten häufig zu inakzeptablen sozia-
len Härten. Bei den Hilfebedürftigen handelt es sich zumeist um Solo-Selbstän-
dige mit geringen Erlösen aus ihrer Tätigkeit. Aufgrund eines zu niedrigen staat-
lichen Zuschusses zur Kranken- und Pflegeversicherung müssen die Bezieher
von Arbeitslosengeld II (ALG II) bzw. Sozialhilfe die ungedeckten Beträge
selbst übernehmen. Die Deckungslücke von bis zu 183,09 Euro pro Monat ist
aus den Zuwendungen der Grundsicherung nicht aufzuwenden und zwingt viele
Betroffene in die Verschuldung.

Die Leistungen bei Hilfebedürftigen müssen zwar auch dann von der privaten
Kranken- und Pflegeversicherung in vollem Umfang gewährt werden, wenn sie
mit den Beitragszahlungen im Rückstand sind. Dennoch erwerben die Versiche-
rungsunternehmen bei nur unvollständiger Zahlung der Beiträge finanzielle An-
sprüche gegen die Versicherten, die auch rechtlich durchgesetzt werden können.

Alle Bundestagsfraktionen haben das prinzipielle Recht jeder Bürgerin und je-
den Bürgers, mindestens das Existenzminimum für ihren Lebensunterhalt zur
Verfügung zu haben, am 14. Mai 2009 sowie am 2. Juli 2009 in den Debatten zu
dem Antrag der Fraktion DIE LINKE. „Krankenversicherung für Selbständige
bezahlbar gestalten“ anerkannt – Taten sind daraus leider nicht gefolgt. In skan-
dalöser Weise haben es die zuständigen Bundesregierungen bislang versäumt,
hilfebedürftigen Privatversicherten ein Leben auf dem ohnehin zu niedrigen
Niveau der Grundsicherung zu ermöglichen. Zu begrüßen ist, dass sich die neue
Bundesregierung für eine Abhilfe einsetzt. Dabei müssen jedoch gesetzliche wie

private Kranken- und Pflegeversicherungen für die gleichen Leistungen auch
gleichhohe Beiträge erhalten. Den privaten Kranken- und Pflegeversicherungen
höhere Prämien aus öffentlichen Geldern zu gewähren als den gesetzlichen, ist
inakzeptabel.

Zwar haben Sozialhilfe- sowie ALG-II-Bezieherinnen und -bezieher (SGB XII
und SGB II) vor Gericht schon erstreiten können, dass der Sozialhilfe- bzw.

Drucksache 17/780 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Grundsicherungsträger den kompletten Basistarif zahlen muss und ihnen somit
das Existenzminimum gewährt wird. Allerdings hat sich für die Betroffenen in
der Realität kaum etwas verbessert. Die bisherige Rechtsprechung war so
unklar, dass sich die Urteile der Gerichte, die auf diesen Regelungen beruhen,
zum Teil widersprechen. Selbst in der Interpretation der Intentionen des Gesetz-
gebers besteht Uneinigkeit innerhalb der Justiz. Um rechtliche Klarheit zu schaf-
fen, besteht dringender Regelungsbedarf von Seiten des Gesetzgebers. Es darf
nicht länger hingenommen werden, dass Teile der Bevölkerung unter dem Exis-
tenzminimum leben müssen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

schnellstmöglich einen Gesetzentwurf im Deutschen Bundestag vorzulegen, der
Folgendes regelt:

1. Die Hilfebedürftigen erhalten genau den Betrag, den sie den Versicherungs-
unternehmen im Basistarif tatsächlich zahlen müssen, also bis hin zum hal-
ben Höchstsatz der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung des Vor-
jahres.

2. Die finanzielle Mehrbelastung der Kommunen als Träger der Sozialhilfe ist
durch den Bund auszugleichen. Die Bundesagentur für Arbeit als Träger der
ALG-II-Zahlungen bekommt für ihre Mehrausgaben einen entsprechend er-
höhten Bundeszuschuss.

3. Versicherten, die durch die bisherige Regelung seit dem 1. Januar 2009 bereits
weniger als das Existenzminimum zur Verfügung haben, wird schnellstmög-
lich eine Nachzahlung vom Sozialhilfe- bzw. ALG-II-Träger in Höhe der Dif-
ferenz erstattet.

4. Damit die gesetzlichen Kranken- bzw. Pflegekassen nicht wesentlich
schlechter gestellt werden als die privaten Versicherungsunternehmen, erhal-
ten sie für jedes hilfebedürftige Mitglied einen Beitrag, der dem durchschnitt-
lichen Beitrag aller Mitglieder der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversi-
cherung entspricht.

Berlin, den 23. Februar 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die private Pflichtversicherung von Krankheit darf im Basistarif derzeit bis zu
290,63 Euro monatlich kosten, die der Pflege bis zu 36,55 Euro. Derzeit betragen
die staatlichen Zuschüsse zur Krankenversicherung 126,05 Euro und zur Pflege-
versicherung 18,04 Euro. Ausgehend von dem aktuellen Regelsatz für Ver-
sicherte nach dem SGB II oder dem SGB XII in Höhe von monatlich 359 Euro
resultiert eine Unterdeckung in Höhe von bis zu 183,09 Euro. Die verbleibenden
175,91 Euro pro Monat sind zur Existenzsicherung unbestritten völlig unzurei-
chend.

Der beschriebene Konflikt resultiert grundsätzlich aus der Trennung von gesetz-
licher und privater Krankenversicherung. Mit der Einführung einer solida-
rischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung wäre nicht nur das Existenzmini-
mum für jeden Versicherten/jede Versicherte gesichert. Die Finanzierung der

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/780

Kranken- und Pflegeversicherung würde zudem auf eine gerechte und solide
Basis gestellt werden.

Um den Betroffenen aber auch innerhalb des bestehenden Systems einen schnel-
len Ausweg aus ihrer existenzbedrohenden und entwürdigenden Situation zu
bieten, ist eine sofortige und rückwirkende Erhöhung der staatlichen Zuschüsse
auf die Höhe des Durchschnittsbeitrages der gesetzlich Versicherten auf ca. 260
Euro notwendig.

Eine Klärung der auch gerichtlich offensichtlich unklaren Rechtslage zugunsten
der Hilfebedürftigen haben unter anderem bereits der Bundesrat (vgl. Bundes-
tagsdrucksache 16/12677 vom 22. April 2009, Nummer 48), die Bundesarbeits-
gemeinschaft der freien Wohlfahrtspflege in einer Stellungnahme dazu und der
Deutsche Verein für öffentliche und private Fürsorge e. V. (in: „Position des
Deutschen Vereins zur Beitragslücke gemäß § 12 Abs. 1c Satz 6 Versicherungs-
aufsichtsgesetz“) gefordert.

Zu den oben genannten Regelungen im Einzelnen:

Zu Abschnitt II

Zu Nummer 1

Diese Regelung ist notwendig, um den Betroffenen das Existenzminimum zu
gewähren. Die Alternative wäre, die Versicherungsunternehmen zu zwingen,
sich mit den Zahlungen zufriedenzugeben, die bislang für hilfebedürftige ge-
setzlich Kranken- und Pflegeversicherte gewährt wurden. Diese sind allerdings
auch in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung bei fast identischen
Leistungsansprüchen in keiner Weise angemessen.

Zu Nummer 2

Die derzeit schon finanziell angeschlagenen Kommunen sowie die schon jetzt
durch Beiträge unterfinanzierte Bundesagentur für Arbeit sollen für die entste-
henden Mehrausgaben einen Ausgleich erhalten.

Zu Nummer 3

Die Hilfebedürftigen sind seit Anfang 2009 zwar gesetzlich verpflichtet worden,
eine Krankenversicherung abzuschließen. Die Kosten wurden aber nur zum Teil
übernommen. Damit mussten viele Hilfebedürftige im besten Fall ihre Erspar-
nisse für ihre Kranken- und Pflegeversicherung aufwenden oder aber bei den
Versicherern bzw. anderen Schulden machen. Die Gewährung des Existenz-
minimums soll daher auch rückwirkend geschehen.

Zu Nummer 4

Daher sind auch die Zahlungen für hilfebedürftige gesetzlich Krankenver-
sicherte auf ein ähnliches Niveau zu erhöhen. Die Durchschnittseinnahmen pro
Mitglied und Monat (ca. 260 Euro) bieten sich hier als Größe an.

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