BT-Drucksache 17/7653

Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches Engagement auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialgesetzbuch

Vom 9. November 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7653
17. Wahlperiode 09. 11. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katja Kipping, Katrin Kunert, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst,
Jutta Krellmann, Caren Lay, Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert,
Kathrin Senger-Schäfer, Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Kathrin
Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Anrechnung von Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches
Engagement auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch
Sozialgesetzbuch

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Derzeit gibt es mehr als 23 Millionen bürgerschaftlich engagierte Frauen und
Männer in Deutschland. Ausgeübt wird dieses Engagement vornehmlich in Ver-
einen, Initiativen, Stiftungen und Verbänden. Bürgerschaftlich Engagierte
sorgen u. a. dafür, dass Sportvereine und die freiwilligen Feuerwehren ihren
Betrieb aufrechterhalten können. Darüber hinaus findet bürgerschaftliches
Engagement in politischen Initiativen statt und trägt so zur Etablierung und
Stärkung demokratischer Strukturen jenseits der Parlamente und Kommunalver-
tretungen bei.

Bürgerschaftliches Engagement kann eine wertvolle Ergänzung regulärer Be-
schäftigung sein, wobei stets sichergestellt sein muss, dass die Bereitschaft zu
bürgerschaftlichem Engagement in der Bevölkerung in Zeiten angespannter
Haushaltslagen nicht als Lückenfüller für fehlende sozialversicherungspflich-
tige Arbeitsplätze oder für einen Abbau des Sozialstaates missbraucht werden
darf.

In bürgerschaftlichem Engagement spiegeln sich die Fähigkeiten und der Mut
der Menschen, ihre Angelegenheiten selbst in die Hand zu nehmen. Eine demo-
kratische Gesellschaft lebt von diesem Engagement. Gerade weil dieses nicht
auf materiellen Gewinn gerichtet ist, muss es durch eine wirksame Anerken-
nungskultur gewürdigt werden. Gute Rahmenbedingungen für das bürger-
schaftliche Engagement schaffen die Grundlage für den Erhalt und den Ausbau
von sozialer und demokratischer Teilhabe.
In diesem Sinne kann das bürgerschaftliche Engagement seine positiven
Wirkungen für die Gesellschaft nur dann erfüllen, wenn Zugang und Ausübung
für jedermann gleichermaßen gewährleistet sind. Es muss daher sichergestellt
sein, dass es weder unmittelbar noch mittelbar zu einer Schlechterstellung ein-
zelner gesellschaftlicher Gruppen, z. B. Erwerbsloser, Erwerbsgeminderter und
älterer Menschen, kommt. Insbesondere darf die Ausübung bürgerschaftlichen
Engagements keine Frage des Geldbeutels sein. Jegliche Nachteile für Beziehe-

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rinnen und Bezieher staatlicher Leistungen (Grundsicherung für Arbeitsuchende
und Sozialgeld, Hilfe zum Lebensunterhalt, Grundsicherung im Alter und bei
Erwerbsminderung) sind zu vermeiden.

Dies ist jedoch nach der aktuellen Rechtslage nicht gegeben.

Beziehende von Leistungen nach dem Zweiten und dem Zwölften Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB II, XII) riskieren Kürzungen ihrer Leistungen, wenn sie für
ihr bürgerschaftliches Engagement Aufwandsentschädigungen erhalten und
z. B. nicht detailliert belegen können, dass sie wegen ihres Engagements ent-
sprechende Ausgaben hatten.

Hieran hat sich auch durch die Anfang April 2011 in Kraft getretenen Neurege-
lungen im SGB II grundsätzlich nichts geändert.

Pauschale Aufwandsentschädigungen werden nunmehr grundsätzlich wie Ein-
nahmen aus Erwerbstätigkeit behandelt, wobei ein erhöhter monatlicher Grund-
freibetrag in Höhe von 175 Euro eingeräumt wird (§ 11b Absatz 2 Satz 3
SGB II). Die Nichtberücksichtigung als Einkommen gemäß § 11a Absatz 3
SGB II soll nur dann zur Anwendung kommen, wenn die gegenständliche Leis-
tung mit einer ausdrücklichen Zweckbestimmung (z. B. Fahrtkostenent-
schädigung, Kleidergeld, Materialkostenpauschale) versehen ist. Die Dekla-
rierung als Aufwandsentschädigung ist insoweit nicht ausreichend. Von Ein-
nahmen, die über die 175 Euro hinausgehen und nicht höher als 1 000 Euro
sind, bleiben 20 Prozent anrechnungsfrei.

Nach § 83 SGB XII sind Aufwandsentschädigungen insoweit als Einkommen
zu berücksichtigen und anzurechnen, auch wenn sie auf Grund öffentlich-recht-
licher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden,
aber die Sozialhilfe im Einzelfall demselben Zweck dient.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

einen Gesetzentwurf vorzulegen, der das Zweite und das Zwölfte Buch Sozial-
gesetzbuch dahingehend ändert, dass Aufwandsentschädigungen für bürger-
schaftliches Engagement nicht auf die Grundsicherungen nach diesen Gesetzen
anzurechnen sind.

Berlin, den 9. November 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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