BT-Drucksache 17/7530

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung - Drucksachen 17/6256, 17/7522 - Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz - BKiSchG)

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7530
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Diana Golze, Matthias W. Birkwald, Dr. Martina Bunge,
Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia Möhring,
Yvonne Ploetz, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Kirsten Tackmann,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann
und der Fraktion DIE LINKE.

zu der dritten Beratung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung
– Drucksachen 17/6256, 17/7522 –

Entwurf eines Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern
und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz – BKiSchG)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt eine gute Grundlage für die
Weiterentwicklung des Kinderschutzes vor. Die sich daraus ergebenden Chan-
cen sind zu nutzen. Für eine konsequente Umsetzung eines umfassenden
Kinderschutzes mit dem Fokus auf das Kindeswohl ist der vorliegende Gesetz-
entwurf allerdings nicht ausreichend. Er greift inhaltlich u. a. mit der Fokussie-
rung auf die frühen Hilfen, der Befugnis für sogenannte Berufsgeheimnisträger
zur Weitergabe von Informationen an das Jugendamt sowie der Führungszeug-
nispflicht für Ehrenamtliche zu kurz. Auch die Belange von Kindern und
Jugendlichen mit Behinderungen gemäß der seit März 2009 rechtsverbind-
lichen UN-Behindertenrechtskonvention berücksichtigt der Gesetzentwurf nur
unzureichend. Weitreichender Kinderschutz erfordert mehr. Der Gesetzentwurf
greift des Weiteren strukturell zu kurz, da die Umsetzung von den vielfach
unterfinanzierten Kommunen erfolgt. Gerade hier leisten die unterschiedlichen
Akteure unter schwierigen Bedingungen bestmögliche Arbeit. Die Chance
wurde vertan, den Kinderschutz auf eine breitere finanzielle und personelle
Basis zu stellen.

Der Gesetzentwurf legt einen bedeutenden Fokus auf frühe Hilfen. Der gute
Ansatz der frühen Hilfen, die auf einem breiten Netzwerk unterschiedlicher

gesellschaftlicher Akteure beruhen, ist perspektivisch nur unter zwei Gesichts-
punkten zu gewährleisten: Statt Pilotprojekte wie Familienhebammen zu för-
dern, ist eine dauerhafte Finanzierung der frühen Hilfen sicherzustellen und
hierfür die Basis zu verbreitern. Die Einbeziehung der frühen Hilfen in das
Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V), wie es der Bundesrat in seiner Stel-
lungnahme zum Bundeskinderschutzgesetz (BKiSchG) forderte, ist ein Weg,

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der geprüft werden sollte. Frühe Hilfen benötigen anschließende Unterstützung
mit adäquaten Hilfeangeboten für spätere Lebensphasen. Die hierfür notwen-
dige Infrastruktur ist seit Jahren lückenhaft und chronisch unterfinanziert. Mit
der Fokussierung des Gesetzes auf frühe Hilfen droht an dieser Stelle sogar
eine Mittelumschichtung zuungunsten der Infrastruktur für ältere Kinder und
Jugendliche.

Die Wirksamkeit des Gesetzes steht und fällt mit den organisatorischen und
fachlichen Rahmenbedingungen vor Ort. Dies ist die zentrale Schwachstelle
nicht nur im Kinderschutz, wie Prof. Dr. Dr. h. c. Reinhard Wiesner passend
anmerkt: „Bei all den Aktivitäten des Gesetzgebers darf nicht aus dem Blick
geraten, dass die Rechtsgrundlagen ein wichtiger Baustein für einen besseren
Kinderschutz sind, letztlich entscheidend sind aber die organisatorischen und
fachlichen Rahmenbedingungen vor Ort – in erster Linie die Personalaus-
stattung in den Jugendämtern“ (Reinhard Wiesner: Der Kinderschutz auf der
Agenda des Bundesgesetzgebers, in: ZKJ 10.2011, S. 377). Neben fachlichen
Aspekten ist für erfolgreichen Kinderschutz die Personalausstattung der
Jugendämter vor Ort ausschlaggebend, welche wiederum von der finanziellen
Lage der Kommunen abhängig ist.

Kinderschutz muss mehrdimensional umgesetzt werden. Zwischen Kinder-
gesundheit und sozialer Ungleichheit besteht ein enger Zusammenhang. Kin-
derarmut wirkt sich langfristig und im weiteren Lebensverlauf negativ auf die
Gesundheit aus. Kinder aus Familien mit niedrigem Einkommen, mit nied-
rigem Bildungsgrad und Kinder mit Migrationshintergrund weisen höhere ge-
sundheitliche Risiken auf. Ein großer Teil der sozial bedingten gesundheit-
lichen Ungleichheit erklärt sich allein aus der sozialen Position. Deshalb ist
eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik zu entwickeln, um die sozial be-
dingte Ungleichheit der Gesundheitschancen verringern zu können. Arbeits-
markt-, Wirtschafts-, Bildungs-, Sozial-, Kinder-, Familien-, Wohnungsbau-
und Umweltpolitik müssen hierfür Hand in Hand arbeiten. Erforderlich ist,
lebensweltorientierte Ansätze zu stärken. Damit werden die Menschen in ihrem
Lebensumfeld erreicht, also dort, wo sie leben, spielen, lernen und arbeiten. Für
einen wirksamen Kinderschutz ist es unbedingt notwendig, in der notwendigen
Breite vorzugehen.

Die Aufwertung des Kinderschutzes ist ein wichtiger Schritt, dem aber nun
weitere folgen müssen. Das Kindeswohl ist dabei als Maßstab zu nehmen. Par-
allel dazu muss die breit gefächerte Arbeit mit Kindern und Jugendlichen im
Rahmen des SGB VIII gestärkt werden. Hierbei müssen die Rechte von Kin-
dern und Jugendlichen auf Schutz, Förderung und Beteiligung eine besondere
Rolle spielen. Die Verankerung eines uneingeschränkten Rechtsanspruches auf
unabhängige Beratung für Kinder und Jugendliche im SGB VIII würde dies
unterstreichen. Gleichzeitig muss die finanzielle Ausgangslage der Kommunen
gestärkt werden, damit diese ihren Verpflichtungen in der Kinder- und Jugend-
hilfe nachkommen können und einen wirksamen Kinderschutz bieten können.
Hier bleibt der Gesetzentwurf der Bundesregierung substanzlos. Somit ist zu
befürchten, dass die finanziell klammen Kommunen an anderer Stelle der
Kinder- und Jugendhilfe Mittelkürzungen vornehmen werden, um die auf-
gewerteten Aufgaben des Kinderschutzes zu erfüllen. Daher muss dringend
nachjustiert werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der vorsieht, die Rechte von Kindern und
Jugendlichen auf Förderung, Schutz und Beteiligung ins Grundgesetz aufzu-
nehmen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7530

2. eine Neuregelung der Bund-Länder-Finanzen anzustreben, um die Aufgaben
von Ländern und Kommunen zur Sicherung des Kindeswohls in allen Berei-
chen strukturell zu gewährleisten;

3. das BKiSchG umgehend so weiterzuentwickeln, dass der Kinderschutz tat-
sächlich umfassend gewährt und die Finanzierung der einzelnen Maßnah-
men sichergestellt werden. Dabei sind insbesondere folgende Punkte zu be-
rücksichtigen:

a) Familienhebammen sind nicht nur als Projekt für einen beschränkten
Zeitraum zu fördern. Hier ist eine Regelfinanzierung herzustellen, die
eine flächendeckende und bedarfsorientierte Beteiligung im Rahmen der
Netzwerke frühe Hilfen ermöglicht. Sowohl zur Finanzierung als auch
zur Qualitätsentwicklung und -sicherung sind die Familienhebammen in
die Gesundheitsförderung im SGB V einzubeziehen.

b) Kinderschutz muss mehr als die frühen Hilfen in den ersten Lebensjahren
umfassen. Auch für spätere Lebensphasen müssen adäquate Strukturen
und Angebote flächendeckend geschaffen werden. Dazu bedarf es auch
eines eigenständigen jugendpolitischen Konzeptes, das der Bund in Zu-
sammenarbeit mit Ländern und Kommunen entwickelt.

c) Die Jugendämter müssen personell verstärkt und strukturell in die Lage
versetzt werden, neben den bereits bestehenden Aufgaben die durch das
BKiSchG übertragenen zusätzlichen Aufgaben erfüllen zu können. Dazu
zählen insbesondere die Qualitätssicherung, Netzwerkarbeit und Bera-
tung von Einrichtungen. Im Allgemeinen Sozialen Dienst (ASD) ist eine
Fallzahlbegrenzung wie im Vormundschaftsrecht zu prüfen.

d) Die Zusammenarbeit der Jugendämter mit anderen Institutionen im Be-
reich des Kinderschutzes muss unter dem Grundgedanken des SGB VIII
und unter Federführung der Jugendämter erfolgen, um den umfangrei-
chen Schutz des Kindes zu gewährleisten. Die gesetzliche Pflicht zur Zu-
sammenarbeit muss beidseitig formuliert werden.

e) Kinderschutz darf nicht an Kommunikations- und Sprachbarrieren schei-
tern. Deshalb ist im SGB I eine rechtliche Klarstellung vorzunehmen,
dass zur Reduzierung von Sprachbarrieren im Bedarfsfall Dolmetscher-
bzw. Übersetzungskosten übernommen werden. Auch sind die vorhande-
nen Regelungen im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention zu er-
gänzen, damit alle Angebote barrierefrei zur Verfügung gestellt werden.

f) Der in § 8 Absatz 3 SGB VIII formulierte Rechtsanspruch von Kindern
und Jugendlichen auf eine unabhängige Beratung ohne Kenntnis der Per-
sonensorgeberechtigten darf nicht an Vorbehalte, wie zum Beispiel das
Vorliegen einer Not- und Konfliktlage, gekoppelt werden. Die Beratung
ist barrierefrei zu gestalten gemäß § 17 Absatz 1 Nummer 4 SGB I.

g) Im Bereich des ehrenamtlichen Engagements ist eine praktikable Alters-
grenze für die Vorzeigepflicht eines polizeilichen Führungszeugnisses
einzuführen, damit engagierten Jugendlichen der Zugang zum Ehrenamt
nicht direkt durch bürokratische Hürden erschwert wird.

h) Eine regelmäßige Evaluierung über Umsetzung und Wirksamkeit der
Regelungen ist im Gesetz zu verankern und durch eine Berichtspflicht
sicherzustellen;

4. eine gesundheitsförderliche Gesamtpolitik zu entwickeln, um die sozial
bedingte Ungleichheit der Gesundheitschancen zu verringern. Diese muss
Arbeitsmarkt-, Wirtschafts-, Bildungs-, Sozial-, Kinder-, Familien-, Woh-
nungsbau- und Umweltpolitik umfassen;

Drucksache 17/7530 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
5. lebensweltorientierte Ansätze zur Gesundheitsförderung von Kindern zu
stärken, damit Kinder in ihrem Lebensumfeld erreicht werden, also dort, wo
sie leben, spielen und lernen.

Berlin, den 25. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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