BT-Drucksache 17/7504

Konversion von Bundeswehrstandorten als Entwicklungschance für Kommunen

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7504
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Inge Höger, Paul Schäfer (Köln), Harald Koch, Kathrin Vogler,
Katrin Kunert, Jan van Aken, Christine Buchholz, Sevim Dag˘delen,
Dr. Diether Dehm, Wolfgang Gehrcke, Annette Groth, Heike Hänsel,
Andrej Hunko, Stefan Liebich, Niema Movassat, Thomas Nord, Alexander Ulrich,
Katrin Werner, Dr. Dagmar Enkelmann, Harald Weinberg, Cornelia Möhring,
Raju Sharma, Dr. Dietmar Bartsch, Heidrun Bluhm, Sabine Leidig, Kornelia Möller
und der Fraktion DIE LINKE.

Konversion von Bundeswehrstandorten als Entwicklungschance für Kommunen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das vom Bundesminister der Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière, Ende Ok-
tober 2011 vorgelegte Standortkonzept der Bundeswehr ist Bestandteil des um-
fangreichen Reform- und Umstrukturierungsprozesses der Bundeswehr zur In-
terventionsarmee. 31 Standorte sollen geschlossen werden, ca. 90 Standorte
sollen signifikant verkleinert werden. Der Abbau von Bundeswehrstandorten
ist zwar längst überfällig, dennoch ist die Bundesregierung nach wie vor ver-
antwortlich dafür, den Prozess sozialverträglich und im Sinne einer wirtschaft-
lich nachhaltigen, regionalen Entwicklung zu gestalten. Insbesondere in struk-
turschwachen Regionen werden betroffene Kommunen vor gewaltige Heraus-
forderungen gestellt. Hier sind Bund und Länder in der Pflicht, durch finan-
zielle Hilfen sicherzustellen, dass die Kommunen nicht allein gelassen werden.

Die Erfahrungen mit Standortschließungen in den vergangenen 20 Jahren ha-
ben gezeigt, dass mit einem langfristig angelegten und finanziell abgesicherten
Konversionsprogramm neue soziale und ökologische Perspektiven für die
Kommunen entstehen können. Ehemalige militärische Liegenschaften wurden
gewinnbringend umfunktioniert, sei es durch privatökonomische Nutzung (An-
siedlung von produzierendem oder dienstleistendem Gewerbe), sei es durch
kommunale Nutzung (Kultur- und Bildungseinrichtungen) oder durch Schaf-
fung von Naturreservaten, gegebenenfalls verbunden mit Ökotourismus. Bei-
spiele für gelungene Konversion finden sich sowohl im Osten als auch im
Westen des Landes: In Mecklenburg-Vorpommern wurden auf dem ehemaligen
Kasernengelände Basepohl nahe der Stadt Stavenhagen die Voraussetzungen
für einen der größten Solarparks Norddeutschlands geschaffen; in Baden-

Württemberg beispielsweise wurden ehemalige Kasernen der französischen
Streitkräfte unter breiter Bürgerbeteiligung in das sogenannte Französische
Viertel umgewandelt, das Lebens- und Arbeitsraum für Bevölkerungsgruppen
unterschiedlicher Einkommensschichten bietet.

Leider wird die Chance, die eine solche Liegenschaftskonversion bedeuten
kann, noch immer zu selten wahrgenommen. Stattdessen konzentrieren sich die
betroffenen Städte und Gemeinden aus Sorge um mögliche Negativfolgen eines

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Verlusts an Arbeitsplätzen und Steuereinnahmen auf den Wettstreit untereinan-
der. Dabei wird ausgeblendet, dass militärische Standorte nur in begrenztem
Umfang zu der lokalen ökonomischen Entwicklung beitragen. Bundesweite
Untersuchungsergebnisse zwischen 2003 und 2007 haben gezeigt, dass durch
Standortschließungen zwar Strukturveränderungen stattfanden, jedoch keine
signifikanten negativen Auswirkungen festzustellen waren; im Gegenteil: Zi-
vile Nachnutzungen sind ökonomisch häufig besser regional eingebunden und
bewirken dadurch auch einen Anstieg der Steuereinnahmen (vgl. Alfredo R.
Palayo u. a., The Regional Economic Effects of Military Base Realignments
and Closures in Germany, Ruhr Economic Paper No. 181, April 2010).

Bislang ist die Bundesregierung nicht bereit, die Verantwortung für eine ko-
härente Konversionspolitik im Zuge der Schließung von militärischen Liegen-
schaften zu übernehmen. Auch bei der gegenwärtigen Reform der Bundeswehr
spielen die sozialen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Aspekte – wenn
überhaupt – nur eine untergeordnete Rolle. Um nicht die Chancen für eine lang-
fristig sinnvolle regionale Entwicklung zu verspielen, ist es daher dringend
notwendig, jetzt ein langfristiges Konversionsprogramm aufzulegen, das die
Entwicklung und Umsetzung sinnvoller Nachnutzungskonzepte ermöglicht.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Einführung eines zwischen Bund
und Ländern abgestimmten Konversionsprogramms zum Gegenstand hat.
Ziel des Programms soll sein, einen fairen, dauerhaften Lastenausgleich
zwischen Bund, Ländern und Kommunen unter Berücksichtigung der sozia-
len, wirtschaftlichen und ökologischen Folgen von militärischen Standort-
schließungen sowie bei der Umwidmung von Rüstungsproduktion auf zivile
Güter zu gewährleisten. Hierzu sind folgende strukturelle Maßnahmen ein-
zuleiten:

a) für die Umsetzung des Konversionsprogramms ist das Gesetz über die
Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BImAG) dahingehend zu än-
dern, dass die Kommunen den ersten Zugriff auf die zu verwertenden
Liegenschaften in ihrem Territorium erhalten. Für die Zukunft ist sicher-
zustellen, dass die Realisierung gesamtgesellschaftlicher Interessen bei
der Zuschlagserteilung Priorität hat vor einer rein fiskalischen Verwer-
tung der Liegenschaften;

b) eine Bundesbeauftragte bzw. ein Bundesbeauftragter für Konversion (zur
Koordination von Querschnittsaufgaben) ist zu ernennen, deren bzw. des-
sen Amt sich am Beispiel der erfolgreichen Landesbeauftragten für Kon-
version orientiert. Er bzw. sie übernimmt die Koordinierung einer neu zu
besetzenden interministeriellen Arbeitsgruppe;

c) eine kontinuierliche, wissenschaftliche Begleitung der erfolgten Kon-
versionsprozesse ist zu gewährleisten, u. a. durch die Förderung der Kon-
versionsforschung;

2. für ein solches Konversionsprogramm ausreichende finanzielle Unter-
stützung zur Verfügung zu stellen, indem

a) aus Mitteln des Verteidigungshaushalts ein Konversionsfonds zur Finan-
zierung von Planungs- und Machbarkeitsstudien, Wirtschaftsförderpro-
grammen, Städtebauförderung, weiteren Sonderförderprogrammen sowie
regionalen und kommunalen Kompensationsprogrammen aufgelegt wird;

b) über ein Förderprogramm bei der KfW Bankengruppe verbilligte Kredite
für Kommunen, die Konversionsflächen erwerben und entwickeln wol-

len, bereitgestellt werden;

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c) Kommunen bei dem Erwerb von Konversionsflächen eine Verbilligung
von mindestens 50 Prozent des kalkulierten Liegenschaftswertes einge-
räumt wird, sofern das Konversionskonzept unter frühzeitiger und breiter
Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erarbeitet und umgesetzt wird
und der Verwirklichung regionaler Entwicklungsziele dient;

3. sich bei der Europäischen Union für eine Neuauflage von konversionsspezi-
fischen Fördermitteln (ähnlich der Programme KONVER I und KONVER II)
sowie Instrumenten und Fonds für Strukturhilfe einzusetzen;

4. bei der Umsetzung des Konversionsprogramms folgende Kriterien zu be-
rücksichtigen und gegebenenfalls die Voraussetzung für deren Anwendung
zu schaffen:

a) die kommunale und regionale Gestaltungshoheit bei der Umsetzung von
Konversionsmaßnahmen zu stärken;

b) Mechanismen für eine transparente und kontinuierliche Beteiligung der
Bevölkerung sowie anderer relevanter Akteure auf der lokalen, regio-
nalen und überregionalen Ebene zum Zweck einer partnerschaftlichen
Planung und Umsetzung der Konversionsmaßnahmen zu entwickeln und
zu unterstützen.

Berlin, den 26. Oktober 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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