BT-Drucksache 17/7502

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN -17/4519, 17/6736- Für eine an den Bürgerrechten ausgerichtete Polizei

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7502
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Omid Nouripour, Kai Gehring, Ingrid
Hönlinger, Memet Kilic, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth
(Augsburg), Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Kai Gehring, Ingrid Hönlinger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
– Drucksachen 17/4519, 17/6736 –

Für eine an den Bürgerrechten ausgerichtete Polizei

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Die große Mehrheit aller Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten in Deutsch-
land führt ihre Arbeit professionell und im Einklang mit den Gesetzen aus.
Gewalttätige Übergriffe und ungesetzliches Handeln sind also keineswegs ein
Massenphänomen. Kommt es aber zu solchem Fehlverhalten, zeigen sich
immer wieder Schwierigkeiten, Straftaten in den Reihen der Polizei aufzu-
klären.

Eine sichtbare Kennzeichnung auf den Uniformen aller Beamtinnen und
Beamten der Bundespolizei ist geeignet, erforderlich und auch angemessen,
um Verdächtige zu identifizieren, die Aufklärung zu erleichtern und somit auch
Amtspflichtverletzungen vorzubeugen. Die Bundesregierung verneint diese
Erforderlichkeit und lehnt eine individuelle Kennzeichnungspflicht bei Ein-
sätzen der Bundespolizei in geschlossenen Einheiten ab (vgl. Bundestagsdruck-
sache 17/6736). Sie beruft sich hierzu auf fehlende Erkenntnisse (ebd., Antwort
zu den Fragen 1a und 1b) und ignoriert damit den wissenschaftlichen For-
schungsstand. Ferner lässt sie die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofs für Menschenrechte (EGMR) bewusst unberücksichtigt, wonach Ermitt-
lungsverfahren gegen Polizistinnen und Polizisten wegen unverhältnismäßiger
Gewaltanwendung nur dann effektiv sind, wenn sie zur Ermittlung der Täterin-

nen oder Täter führen (Ogur ./. Türkei, Urteil der Großen Kammer vom 20. Mai
1999, Rn. 88, und Finucane ./. Großbritannien, Urteil vom 1. Juli 2003, Rn. 67).
Der Gerichtshof sieht durch unzureichend effektive Ermittlungen die Menschen-
rechte der Betroffenen verletzt (vgl. EGMR, Makaratzis ./. Griechenland, Urteil
vom 20. Dezember 2004, Rn. 76). Indem die Bundesregierung vertritt, dass es
einer Erleichterung der Aufklärung von Polizistinnen oder Polizisten vorgewor-
fenen Straftaten nicht bedürfe (Bundestagsdrucksache 17/6736, Antwort zu

Drucksache 17/7502 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Frage 1c), nimmt sie eine fehlerhafte Verhältnismäßigkeitsprüfung zu Lasten der
Bürgerinnen und Bürger vor.

Wenn Grund zu der Annahme besteht, dass Bundespolizistinnen oder -polizisten
Straftaten begangen haben, bedarf es umgehender, umfassender, unparteiischer
und unabhängiger Ermittlungen. Die Möglichkeit, Strafanzeige zu erstatten,
trägt dem Rechtsschutzbedürfnis der Bürgerinnen und Bürger in dieser Hinsicht
nicht immer ausreichend Rechnung, auch wenn die Staatsanwaltschaften (§ 160
Absatz 2 der Strafprozessordnung) zur Objektivität und zur unparteiischen Auf-
klärung des Sachverhalts verpflichtet sind. Zur Aufklärung von Vorwürfen
schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen bedarf es deshalb darüber hinaus
und entgegen der Ansicht der Bundesregierung (Bundestagsdrucksache 17/6736,
Antwort zu Frage 5a) eines unabhängigen Untersuchungsmechanismus zur Auf-
klärung derartiger Vorwürfe.

Zum Schutz von in Gewahrsam genommenen Menschen müssten in Gewahr-
samseinrichtungen der Bundespolizei besonders geschulte Beamtinnen und Be-
amte eingesetzt werden und die dortigen Vorgänge besser und umfassender do-
kumentiert werden. Dies ist derzeit nicht der Fall und die Bundesregierung
sieht hierbei keinen Handlungsbedarf (Bundestagsdrucksache 17/6736, Ant-
wort zu Frage 6).

Die rechtmäßige, sichere und verhältnismäßige Anwendung von Zwangsmitteln
durch die Bundespolizei ist nicht immer gewährleistet. Zwar ist eine diesbezüg-
liche Ausbildung Teil des Vorbereitungsdienstes und Gegenstand jährlicher Fort-
bildungen (Bundestagsdrucksache 17/6736, Antwort zu Frage 7e), doch vermag
dies eine unverhältnismäßige Anwendung in Einzelfällen nicht auszuschließen.
Ein unverhältnismäßiger Einsatz staatlicher Zwangsmittel kann aber eine gravie-
rende Menschenrechtsverletzung darstellen.

In den Statistiken der Strafrechtspflege, insbesondere in der „Erhebung von
statistischen Daten bei den Staats- und Amtsanwaltschaften“ und in der „Straf-
verfolgungsstatistik“, deren Ergebnisse das Statistische Bundesamt auf Bundes-
ebene zusammenstellt und veröffentlicht, werden Ermittlungs- und Strafverfah-
ren gegen und Verurteilungen von Angehörigen der Bundespolizei nicht geson-
dert erfasst. Auch bei der Bundespolizei liegen keine statistischen Erhebungen
hierzu vor (Bundestagsdrucksache 17/6736, Antwort zu Frage 8). Es ist daher
nicht möglich festzustellen, wie viele Ermittlungsverfahren gegen Angehörige
der Bundespolizei eingestellt werden, weil die handelnde Polizistin oder der
handelnde Polizist nicht ermittelt werden kann, oder wie viele Ermittlungs-
bzw. Strafverfahren gegen Angehörige der Bundespolizei wegen Straftaten im
Amt eingeleitet und beendet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sicherzustellen, dass alle uniformierten Polizeibeamtinnen und Polizei-
beamten der Bundespolizei im Amt durch eine sichtbare Kennzeichnung auf
ihrer Uniform identifiziert werden können, auch wenn sie Helme oder an-
dere Schutzkleidung tragen;

2. einen unabhängigen Untersuchungsmechanismus – z. B. in Form von Polizei-
beauftragten – zu schaffen, der gewährleistet, dass bei Vorwürfen schwer-
wiegender Menschenrechtsverletzungen durch Polizeibeamtinnen und Poli-
zeibeamte der Bundespolizei umgehende, umfassende, unparteiische und
unabhängige Ermittlungen geführt werden;

3. sicherzustellen, dass in Gewahrsamseinrichtungen der Bundespolizei zum
Schutz von in Gewahrsam genommenen Menschen besonders geschulte Be-
amtinnen und Beamte eingesetzt werden und die dortigen Vorgänge besser

und umfassender dokumentiert werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7502

4. sicherzustellen, dass in der Aus- und Fortbildung der Bundespolizei die Schu-
lungen über die rechtmäßige, sichere und verhältnismäßige Anwendung von
Zwangsmitteln intensiviert werden und die Menschenrechtsbildung zu einem
integralen und obligatorischen Bestandteil der Aus- und Fortbildung aller
Polizistinnen und Polizisten der Bundespolizei wird;

5. Daten über die Anzahl von Ermittlungs- und Strafverfahren gegen Polizis-
tinnen und Polizisten der Bundespolizei wegen vermeintlicher oder tatsäch-
licher Straftaten im Amt sowie die Art ihrer Beendigung zu erheben und
dabei auch gesondert festzustellen, wie viele Ermittlungsverfahren gegen
Angehörige der Bundespolizei eingestellt werden, weil die handelnde
Polizistin oder der handelnde Polizist nicht ermittelt werden kann.

Berlin, den 25. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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