BT-Drucksache 17/7483

Jetzt Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohns schaffen

Vom 26. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7483
17. Wahlperiode 26. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Brigitte Pothmer, Fritz Kuhn, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Britta Haßelmann, Katrin Göring-Eckardt, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth,
Kerstin Andreae, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn), Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Dr. Tobias Lindner, Elisabeth Scharfenberg,
Dr. Gerhard Schick und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Jetzt Voraussetzungen für die Einführung eines Mindestlohns schaffen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung, die Gewerkschaften, zunehmend
auch Arbeitgeber, viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler und immer
mehr Abgeordnete des Deutschen Bundestages – auch aus den Regierungsfrak-
tionen der CDU/CSU und FDP – sprechen sich für einen flächendeckenden
Mindestlohn aus. Die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft Deutsch-
lands (CDA) und selbst der FDP-Bundesminister Dirk Niebel sind dafür. Die
entscheidende Frage ist nicht mehr ob, sondern wie ein Mindestlohn eingeführt
wird, der den sozialen und wirtschaftlichen Anforderungen gerecht wird.

Ein allgemeiner Mindestlohn ist eine elementare Grundlage sozialer Gerechtig-
keit. Die Bundesregierung hat es bisher versäumt, dafür die Rahmenbedingungen
zu schaffen. Daher erhalten viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer keine
angemessene Entlohnung. Die Folge ist Armut trotz Arbeit. Zudem beklagen
immer mehr Betriebe unlautere Wettbewerbspraktiken durch Dumpinglöhne.

Der Niedriglohnsektor ist in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren dra-
matisch angewachsen. Inzwischen arbeiten mehr als 6,5 Millionen Menschen
für einen Niedriglohn, 3,4 Millionen davon für weniger als 7 Euro die Stunde.
Kaum ein anderes Land hat in den letzten Jahren eine so starke Zunahme von
Niedriglöhnen zu verzeichnen gehabt wie Deutschland. Während in allen ande-
ren europäischen Ländern gesetzliche Mindestlöhne oder gleichwirkende Rege-
lungen den Niedriglohnsektor eindämmen, die Beschäftigten vor Lohndumping
schützen und für fairen Wettbewerb sorgen, gibt es in Deutschland bisher keine
allgemeingültige Lohnuntergrenze.

In Großbritannien wird seit 1999 die Höhe des Mindestlohns durch eine unab-
hängige Kommission (Low Pay Commission) festgesetzt und modifiziert. Dies

geschah und geschieht in großer Einigkeit und führt zu einer breiten Akzeptanz
des Mindestlohns in der Gesellschaft, der Wirtschaft und der Politik.

Drucksache 17/7483 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

umgehend einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem die rechtliche Grundlage
für die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns geschaffen wird. Dabei sol-
len folgende Maßgaben berücksichtigt werden:

1. Die Mindestlohnhöhe wird durch eine unabhängige Kommission festgelegt.

2. Die Kommission setzt sich aus Vertreterinnen und Vertretern der Gewerk-
schaften, der Arbeitgeber und der Wissenschaft zusammen.

3. Bei der Ermittlung der Mindestlohnhöhe werden die sozialen und wirtschaft-
lichen Anforderungen berücksichtigt. Ziel ist es, angemessene Arbeitsbedin-
gungen zu schaffen, faire Wettbewerbsbedingungen zu gewährleisten sowie
sozialversicherungspflichtige Beschäftigung zu erhalten.

4. Der Mindestlohn wird in der von der Kommission beschlossenen Höhe durch
eine von der Bundesregierung zu erlassene Rechtsverordnung wirksam.

Berlin, den 25. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Ein allgemein gültiger Mindestlohn, der eine absolute Lohnuntergrenze dar-
stellt, die Beschäftigten vor Armutslöhnen schützt und für faire Wettbewerbs-
bedingungen sorgt, ist eine elementare Grundlage sozialer Gerechtigkeit. Es ist
nicht akzeptabel, wenn Menschen zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen. Mehr als
eine Million Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer werden hierzulande mit
einem Stundenlohn unter 5 Euro abgespeist. Beschäftigte in Minijobs, unter
25- Jährige, befristet Beschäftigte, gering Qualifizierte, Ausländerinnen und Aus-
länder sowie Frauen sind überproportional von Niedriglöhnen betroffen. Aber
auch der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten mit einer abgeschlossenen Berufs-
ausbildung hat sich in den letzten Jahren deutlich erhöht. Für die Betroffenen be-
deutet dies häufig, dass sie ihren Lebensunterhalt nicht alleine bestreiten können.
1,3 Millionen Erwerbstätige müssen ihr Arbeitseinkommen mit Arbeitslosen-
geld II aufstocken.

Die Gewerkschaften kämpfen seit Jahren für den Mindestlohn und nahezu
80 Prozent der Bevölkerung sprechen sich in Umfragen für seine Einführung aus
(vgl. zum Beispiel Infratest dimap April 2011). Auch Vertreter der Wissenschaft
setzen sich für eine Lohnuntergrenze ein. So beispielsweise Prof. Dr. Gerhard
Bosch, geschäftsführender Direktor des Instituts für Arbeit und Qualifikation
(IAQ) der Universität Duisburg-Essen, der seit langem einen gesetzlichen
Mindestlohn fordert (Badische Zeitung vom 30. März 2010), Prof. Dr. Joachim
Möller, Direktor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bun-
desagentur für Arbeit (IAB), der für einen mit Augenmaß festgesetzten Mindest-
lohn plädiert (Presseinformation des IAB vom 20. Dezember 2010) und auch
aus Sicht der Bertelsmann Stiftung ist die Einführung eines gesetzlichen Min-
destlohns geboten (Welt Online vom 30. Mai 2010). Alle Oppositionsfraktionen
haben im Deutschen Bundestag Mindestlohninitiativen vorgelegt. Zudem
sprechen sich auch immer mehr führende Politiker der CDU und selbst der FDP
für einen allgemeinen Mindestlohn aus. Lohndumping dürfe es in der sozialen
Marktwirtschaft nicht geben, man müsse Mindestlöhne einführen, sagte

Dr. Heiner Geißler (Stuttgarter Zeitung vom 1. März 2010). Die CDA fordert in
einem Antrag für den CDU-Bundesparteitag im November 2011 eine allgemeine

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7483

gesetzliche Lohnuntergrenze. Und selbst FDP-Bundesminister Dirk Niebel
schlägt inzwischen Mindestlöhne nach dem Modell Großbritannien vor (Ham-
burger Abendblatt vom 24. September 2011), worüber sich die Bundesarbeits-
ministerin Dr. Ursula von der Leyen erfreut zeigte (dapd vom 26. September
2011).

Im Deutschen Bundestag gibt es eine Mehrheit dafür, alle Beschäftigten durch
Mindestlöhne vor Niedrigstlöhnen zu schützen. Zudem zeichnet sich ab, dass
eine Mehrheit der Abgeordneten dafür ist, die Höhe des Mindestlohns durch
eine unabhängige Kommission unter Beteiligung der Tarifpartner und der
Wissenschaft festzulegen. Dafür bedarf es eines gesetzlichen Rahmens, der die
Modalitäten im Einzelnen regelt. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
hatte zu Beginn des Jahres einen Mindestlohn-Gesetzentwurf vorgelegt
(Bundestagsdrucksache 17/4435), der sich an dem Britischen Model einer Low
Pay Commission orientiert. Dies kann eine Grundlage für die Einrichtung einer
unabhängigen Mindestlohn-Kommission in Deutschland sein.

Ziel muss es sein, ein akzeptiertes Verfahren für die Festlegung einer Lohn-
untergrenze zu etablieren, mit dem ein für alle verbindlicher Mindestlohn in
Deutschland eingeführt werden kann, der von keinem Betrieb und in keinem
Beschäftigungsverhältnis unterschritten werden darf. Mit dieser Untergrenze
könnte zukünftig Lohndumping zu Lasten der Beschäftigten und Steuerzahler
wirksam verhindert werden. Die Bundesregierung ist aufgefordert, umgehend
einen im Deutschen Bundestag mehrheitsfähigen Gesetzentwurf vorzulegen, der
die Rahmenbedingungen für die Einführung eines allgemeinen Mindestlohns
regelt.

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