BT-Drucksache 17/7351

10 Jahre Frauen in der Bundeswehr

Vom 19. Oktober 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7351
17. Wahlperiode 19. 10. 2011

Antrag
der Abgeordneten Katja Keul, Agnes Malczak, Monika Lazar, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ekin Deligöz,
Kai Gehring, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Ute Koczy, Tom Koenigs, Kerstin Müller
(Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

10 Jahre Frauen in der Bundeswehr

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Seit der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes von 2000 und der daraus
resultierenden Grundgesetzänderung können in Deutschland Frauen in allen
Bereichen der Bundeswehr Dienst leisten. Ein Vierteljahrhundert nachdem die
ersten Frauen ihren Dienst im Sanitäts- und Militärmusikdienst der Bundeswehr
angetreten hatten, wurde mit dieser Öffnung aller Bereiche der Streitkräfte ein
weiterer großer Schritt in Richtung Gleichstellung von Frauen und Männern in
der Bundeswehr genommen. Die in diesem Jahr angestoßene Bundeswehr-
reform stellt eine Gelegenheit dar, um der Gleichstellung in der Bundeswehr
einen weiteren Schub zu verleihen. Die Reform sollte entsprechend genutzt
werden, um die Gleichstellung im Lichte der bisher gemachten Erfahrungen in
der Institution Bundeswehr zu verankern.

Am 2. Januar 2001 traten 244 Soldatinnen ihren Dienst an der Waffe an. Zehn
Jahre später liegt der Frauenanteil in den Streitkräften bei etwa 9 Prozent und
damit noch immer weit unter den im Soldatinnen- und Soldatengleichstellungs-
gesetz (SGleiG) angestrebten 15 Prozent. Auch in der zivilen Wehrverwaltung
liegt der Frauenanteil mit 41,8 Prozent weiterhin unter der Marke von 50 Pro-
zent, die das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) vorsieht. Oberst ist derzeit
der höchste Dienstgrad, den eine Frau im militärischen Bereich ausfüllt.

Hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte werden sowohl im zivilen als auch
im militärischen Bereich gewählt, um als Ansprechpartnerinnen zur Verfügung
zu stehen und vor allem den Vollzug des SGleiG und BGleiG in ihrem Auf-
gabenbereich zu fördern und zu unterstützen. Die Gesetze sehen eine frühzeitige
Einbindung bei Personalangelegenheiten, bei der Abfassung von Beurteilungs-
und Auswahlrichtlinien und bei Maßnahmen zum Schutz vor sexueller Beläs-

tigung vor. In den Streitkräften gibt es 35 Gleichstellungsbeauftragte, in der
zivilen Wehrverwaltung 120. Die im Zuge der Bundeswehrreform zu erwar-
tende Schließung von Dienststellen wird sehr wahrscheinlich eine Reduktion
der Zahl der Gleichstellungsbeauftragten zur Folge haben. In Anbetracht der be-
reits jetzt eher geringen Dichte – vor allem in den Streitkräften – und der jewei-
ligen Arbeitsbelastung, ist eine solche Reduktion äußerst kritisch zu betrachten.

Drucksache 17/7351 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. verstärkt auf die Besetzung von militärischen und zivilen Führungspositio-
nen in der Bundeswehr durch Frauen hinzuwirken und im Hinblick auf die
Karrieremöglichkeiten vor allem auch die Vereinbarkeit von Familie und
Dienst zu fördern;

2. unabhängig überprüfen zu lassen, inwiefern die Zahl der Gleichstellungs-
beauftragten und deren Ausstattung im Lichte der Erfahrungen seit der Ein-
führung dieses Amtes in der Bundeswehr für die Erfüllung ihrer gesetzlich
vorgegeben Aufgaben ausreichen und einen entsprechenden Evaluations-
bericht vorzulegen;

3. sicherzustellen, dass Werbemaßnahmen der Bundeswehr Frauen und Män-
ner gleichermaßen ansprechen und den Anteil von Soldatinnen kurzfristig
auf mindestens 15 Prozent zu erhöhen;

4. Tendenzen in den Streitkräften resolut entgegenzuwirken, die ein rückwärts-
gewandtes Menschenbild propagieren und Soldatinnen als Teil der Bundes-
wehr biologistisch problematisieren;

5. die Gleichstellung so in das Ausbildungskonzept der Bundeswehr zu inte-
grieren, dass jede Soldatin und jeder Soldat über die gesetzlichen Rahmen-
bedingungen und Zielsetzung der Gleichstellung umfassend informiert wird
und darüber hinaus im Zuge der weiteren Laufbahnausbildung spezifische
Genderschulungen und weitere Ausbildungsinhalte zu Gender und Gleich-
stellung fest verankert werden;

6. alle Angehörigen der Verwaltung und der Streitkräfte über gesetzliche
Grundlagen, Aufgaben und Auftragserfüllung von Gleichstellungsbeauf-
tragten transparent und verständlich zu informieren, um Verständnis und
Akzeptanz innerhalb der Streitkräfte für die Arbeit der Gleichstellungsbe-
auftragten zu erhöhen;

7. im Zuge der Bundeswehrreform sicherzustellen, dass die Auswirkungen jeg-
licher Maßnahmen auf die Gleichstellung in der Bundeswehr in allen Aspek-
ten berücksichtigt und dazu die Gleichstellungsbeauftragten umfassend ein-
gebunden werden;

8. sich eindeutig zur Förderung der Gleichstellung in der Bundeswehr zu be-
kennen, diese als klare Priorität festzulegen und die Anliegen der Gleich-
stellung in allen Arbeitsbereichen, der Ausbildung und Öffentlichkeitsarbeit
fest zu verankern;

9. alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung dazu anzuhalten, ihren Verpflichtungen aus
dem SGleiG und BGleiG nachzukommen und dementsprechend aktiv im
Sinne der Gleichstellung zu handeln.

Berlin, den 18. Oktober 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7351

Begründung

Die Bundeswehr muss bemüht sein, Arbeits- und Aufstiegsmöglichkeiten für
Frauen auf allen Ebenen und in allen Tätigkeitsfeldern anzubieten. Sie muss
sich auch für Frauen als attraktiver Arbeitgeber präsentieren. Dabei geht es
auch darum, das Bild der Bundeswehr als Arbeitsplatz für Frauen und Männer
aktiv sowohl nach innen als auch nach außen zu vermitteln. Nur auf diese
Weise wird sie dazu in der Lage sein, qualifizierte und motivierte Bewerberin-
nen und Bewerber zu gewinnen. Echte Gleichberechtigung kann nur erreicht
werden, wenn sie auf allen Ebenen einer Organisation verwirklicht wird. Es ist
daher unerlässlich, dass sie gleichberechtigt in den entsprechenden Institutio-
nen – und somit auch in der Bundeswehr – auf allen Entscheidungsebenen ver-
treten sind.

Konflikte – zumal gewaltsam ausgetragene – sind nicht geschlechterneutral.
Männer und Frauen schlagen zudem nach wie vor aufgrund ihrer unterschied-
lichen Sozialisation andere Wege bei der Konfliktvermeidung oder -lösung ein.
Frauen können daher einen wichtigen Beitrag für ganzheitliche Ansätze zur
Verhütung und Beilegung von Konflikten leisten und zudem den Zugang zu der
weiblichen Bevölkerung in Konfliktregionen oft erst ermöglichen. Mit einem
klaren Bekenntnis haben die Vereinten Nationen bereits vor zehn Jahren in der
Resolution 1325 nachdrücklich die Mitgliedstaaten dazu aufgefordert, „dafür
zu sorgen, dass Frauen in den nationalen, regionalen und internationalen Insti-
tutionen und Mechanismen zur Verhütung, Bewältigung und Beilegung von
Konflikten auf allen Entscheidungsebenen stärker vertreten sind.“

Die Integration von Frauen in die Streitkräfte hat grundlegende Diskussionen
und Entwicklungen angestoßen, von denen auch die männlichen Soldaten pro-
fitieren. Vor allem betrifft dies die Bereiche der Vereinbarkeit von Dienst und
Familie und der Gleichstellung unterschiedlicher sexueller Orientierungen.

In Führungspositionen ist der Frauenanteil dennoch besorgniserregend gering.
Dies gilt nicht nur für die 2001 geöffneten Bereiche der Streitkräfte, in denen die
zeitlichen Voraussetzungen für eine Beförderung teilweise schlichtweg noch
nicht erfüllt werden konnten, sondern auch für die zivile Wehrverwaltung sowie
den Sanitäts- und Militärmusikdienst, wo Frauen seit Jahrzehnten ihren Dienst
leisten. Es wird deutlich, dass eine „gläserne Decke“ Frauen von der Erreichung
von Spitzenpositionen bei der Bundeswehr abhält. Dass die Bundeswehr im
Sinne der Gleichstellungspolitik für eine möglichst zügige Verbesserung der
Situation handelt, ist bislang nicht zu erkennen. Gleichstellung hat in der Bun-
deswehr noch lange nicht den Charakter einer Selbstverständlichkeit.

Als der Bundesminister der Verteidigung die neuen Verteidigungspolitischen
Richtlinien am 18. Mai 2011 öffentlich vorstellte, enthielten sie keinen einzigen
Hinweis auf Frauen und Gleichstellung. Erst nachdem dieses „Versehen“ ent-
deckt wurde, nahm man einen Satz dazu auf. Daran zeigt sich exemplarisch,
dass den Fragen der Gleichstellung bis heute keine angemessene Bedeutung zu-
gewiesen wird. Obwohl die Gesetze eine frühzeitige Einbindung der Gleich-
stellungsbeauftragten vorsehen, wurden sie bei wichtigen Entscheidungen nicht
beteiligt. Die Reform der Bundeswehr steht gerade auch unter dem Anspruch
der Modernisierung von Aufbau und Strukturen. Eine umfassende und vor
allem frühzeitige Einbindung der zivilen und militärischen Gleichstellungs-
beauftragten in allen Phasen der Reform ist dazu zwingend erforderlich. Die
Bundeswehrreform darf nicht zu Lasten des bisher Erreichten fallen. Sie muss
als Chance genutzt werden, um die Gleichstellung in der Bundeswehr weiter
voranzubringen.

In der Bundeswehr existieren nach wie vor Strömungen, die Leistungen von
Soldatinnen nicht anerkennen wollen und überhaupt die Möglichkeit eines

weiblichen Beitrags zur Aufgabenerfüllung negieren. Sie bedienen sich teil-

Drucksache 17/7351 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
weise des Gedankengutes der Neuen Rechten und propagieren ein rückwärts-
gerichtetes, biologistisches Menschenbild mit traditionellen Geschlechterrollen.
Sie stellen die Existenzberechtigung von Frauen als Teil der deutschen Streit-
kräfte infrage. Zuletzt keimte diese Diskussionen im Zuge von Veröffentlichun-
gen im MarineForum und dem Studierendenmagazin der Bundeswehruniversi-
tät München auf. Solchen Tendenzen muss mit konsequenter Aufklärung ent-
gegengetreten werden. Herabwürdigende Tiraden dürfen in der Bundeswehr
keinen Platz finden.

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