BT-Drucksache 17/7255

Koordinierung der China-Politik

Vom 30. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7255
17. Wahlperiode 30. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Volker Beck (Köln),
Hans-Josef Fell, Ute Koczy, Tom Koenigs, Marieluise Beck (Bremen),
Birgitt Bender, Dr. Thomas Gambke, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Sven-Christian Kindler, Oliver Krischer, Stephan Kühn, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Ingrid Nestle, Omid Nouripour, Lisa Paus, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele,
Daniela Wagner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Koordinierung der China-Politik

Trotz der deutlichen Vertiefung der Beziehungen durch die ersten deutsch-
chinesischen Regierungskonsultationen am 27. und 28. Juni 2011 ist kein strate-
gischer Gesamtansatz der Bundesregierung gegenüber China zu erkennen. Viel-
mehr verfolgen die Ressorts in über 30 Dialogforen jeweils eigene Ziele. Im Ok-
tober 2009 kündigte beispielsweise der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung an, die Technische Zusammenarbeit (TZ) mit
China zu beenden. Gleichzeitig wird versucht, die bisher aus Mitteln des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ)
finanzierten Kooperationsprojekte unter dem Dach anderer Ressorts weiterzu-
führen. Ab 2014 werden keine BMZ-Mittel mehr zur Verfügung stehen. Ande-
ren Ressorts wurden hierfür bisher noch keine zusätzlichen Mittel zugewiesen.

In der Antwort auf die Große Anfrage auf Bundestagsdrucksache 16/9513
erklärte die Bundesregierung im Jahr 2008 zum Nichtvorhandensein eines um-
fassenden China-Konzepts: „Ein wesentlicher Grund dafür ist die Schnelllebig-
keit der Entwicklung in Asien, insbesondere die Dynamik im Entwicklungs-
prozess Chinas.“ Zudem können „in Teilbereichen jeweils unterschiedliche
politische Ansätze erforderlich sein“. Weiterhin seien die Kooperationsprojekte
der einzelnen Ressorts mit China an „ihren jeweiligen China-Strategien“ aus-
gerichtet und werden vom Auswärtigen Amt in einem „ressortübergreifenden
Politikansatz“ koordiniert. Laut der Antwort vom 27. Juli 2011 auf eine Schrift-
liche Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, verfolge jedes
Ressort „klar definierte Ziele“, deren Abstimmung „unter der Federführung des
Auswärtigen Amts zuletzt bei der Erarbeitung des ,Deutsch-Chinesischen
Gemeinsamen Kommuniqués‘“ 2010 erfolgt sei. Eine „einheitliche deutsche
China-Politik sei durch „[r]egelmäßige Ressortbesprechungen unter dem Vor-
sitz des Auswärtigen Amts und schriftliche Abstimmungsprozesse bei der Vor-

bereitung der deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen“ gewährleistet.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Ist die Bundesregierung weiterhin der Auffassung, dass es keines umfassen-
den China-Konzepts der Bundesregierung bedarf?

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2. Wie bewertet die Bundesregierung das im Vorfeld der diesjährigen Regie-
rungskonsultationen vorgelegte Weißbuch zur chinesisch-deutschen Zusam-
menarbeit, und welche Schlüsse zieht sie daraus in Bezug auf Frage 1?

3. Sieht die Bundesregierung angesichts der Tatsache, dass die chinesische Au-
ßenpolitik, aber auch die amerikanische China-Politik strategischer und lang-
fristiger ausgerichtet sind als die China-Politik der EU und ihrer Mitglieder
und letztere regelmäßig von China gegeneinander ausgespielt werden, einen
Handlungsbedarf?

4. Welche Rolle spielen das Asien-Konzept der Bundesregierung von 1993, das
Ostasien-Konzept des Auswärtigen Amts von 2002 und die Asien-Strategie
der Fraktion der CDU/CSU von 2007 für die heutige Politik der Bundesre-
gierung?

5. Welche zentralen Ziele und Interessen verfolgen die 14 Bundesministerien
und das Bundeskanzleramt jeweils gegenüber China?

a) Welche zentralen Ziele und Interessen verfolgt das jeweilige Ressort ge-
genüber China?

b) In welcher Form erarbeitet und dokumentiert das Ressort klar definierte
Ziele seiner China-Politik, und wann veröffentlichte es sein letztes Asien-
oder China-Konzept, und besitzt es bis heute Relevanz für seine Arbeit?

c) An welchen Kooperationsprojekten oder Dialogforen mit China ist das
Ressort beteiligt?
Welche Arbeitseinheiten beschäftigen sich in diesem Zusammenhang
regelmäßig mit chinabezogenen Fragestellungen, und welche ist hierbei
federführend?

d) Wie viele Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sind hierin jeweils involviert,
wie viele von ihnen sprechen chinesisch oder verfügen über China-Erfah-
rung?

e) Beabsichtigt das Ressort, verstärkt Personal mit entsprechenden Qualifi-
kationen einzustellen, beteiligte Einheiten aufwachsen zu lassen oder
externe Institutionen einzubinden, um den Aufbau entsprechender
Qualifikationen zu institutionalisieren?

f) Werden die jeweiligen deutsch-chinesischen Kooperationsprojekte direkt
und zeitnah zur Vor- und Nachbereitung internationaler Gipfel oder an-
derer internationaler Verhandlungen bzw. der Untermauerung dort ge-
äußerter konkreter Anliegen eingesetzt?
Besteht hier Optimierungsbedarf?
Wenn ja, welcher?

g) Welche Inkohärenzen mit anderen Ressorts oder Politikfeldern bestehen,
und welche Schritte werden diesbezüglich unternommen?

h) Mit welchen weiteren Ressorts und Mittlerorganisationen steht das Res-
sort in Bezug auf die China-Politik in regelmäßigem Austausch?

i) Befasst sich das Ressort mit Fragen der Menschenrechte und Rechtsstaat-
lichkeit in China insbesondere im Zusammenhang mit den Auswirkungen
des Handelns der Bundesregierung bzw. deutscher Unternehmen?

j) Wie wirkt sich die Beendigung der TZ mit China unter dem Dach des
BMZ auf die Tätigkeiten des Ressorts aus?
(Im Falle des BMZ: Welche Rolle spielt das BMZ heute in China, und wel-
che Kooperationsprojekte sind noch bis wann durch das BMZ finanziert?)
k) Welche Kooperationsprojekte mit China gehen auf eigene Initiativen des
Ressorts zurück, welche wurden oder werden in Zukunft aus der Zustän-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7255

digkeit des BMZ übernommen, und ist geplant, hierfür zusätzliche Fi-
nanzmittel bereitzustellen?
Welche Projekte wurden eingestellt, welche gegebenenfalls zusammenge-
führt?

6. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass anlassbezogene Abstim-
mungsprozesse im Vorfeld wichtiger Staatsbesuche ausreichend sind, um
eine langfristige strategische Perspektive zu gewährleisten?

7. Wie oft und in welchem Rahmen bzw. welcher Besetzung finden die regel-
mäßigen Ressortbesprechungen unter Vorsitz des Auswärtigen Amts statt?
Welche Entscheidungskompetenzen haben jeweils das Gremium und der
Vorsitz?

8. Warum steht die Bundesregierung dem Vorschlag, eine Koordinatorinnen-/
Koordinator- oder Beauftragtenstelle für die deutsch-chinesischen Bezie-
hungen einzurichten, ablehnend gegenüber, obwohl es beispielsweise für
die Beziehungen mit den USA oder Russland jeweils einen Koordinator
gibt?

9. In welchem Rahmen wird die Bundesregierung eine Koordinierungsstelle
für die Vorbereitung und Durchführung der Regierungskonsultationen
schaffen, wie sie im Juni 2011 mit der chinesischen Seite vereinbarte?
Wo wird diese Koordinierungsstelle angesiedelt sein, wie wird sie finanziell
ausgestattet und wie personell besetzt sein?

10. Welche Arbeitseinheit oder Institution koordiniert die jeweiligen deutsch-
chinesischen Kooperationsprojekte vor Ort in China, nachdem das BMZ
diese Funktion nicht mehr übernehmen kann?

11. Welche Rolle spielt die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusam-
menarbeit (GIZ) GmbH nach dem Ende der TZ sowie nach der Zusammen-
legung mit Inwent (Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH)
und dem Deutschen Entwicklungsdienst in China?
In welchem Umfang ist sie noch im Auftrag der Bundesregierung in China
tätig?
Wie grenzt sich die Arbeit der GIZ in China von der der politischen Stiftun-
gen ab?

12. Wie bewertet die Bundesregierung die bevorstehende Einstellung des Pro-
gramms „Integrierte Fachkräfte“ des Centrums für internationale Migration
und Entwicklung mit China?
Welche Möglichkeiten einer Weiterführung sieht sie?

13. Wie bewertet die Bundesregierung den bisherigen Verlauf der Ausstellung
„Kunst der Aufklärung“?
Wie viele Personen besuchten bisher die Ausstellung, wie viele nahmen an
den begleitenden Fachveranstaltungen teil, und welche über den Kunstbe-
reich hinausgehenden Wirkungen konnten bisher festgestellt werden?

14. Kann das Schreiben des deutschen Bundesministers des Auswärtigen vom
31. August 2010 (Eine umfassende China-Politik der Europäischen Union)
an die Hohe Vertreterin für Außenbeziehungen der EU als China-Strategie
der Bundesrepublik Deutschland verstanden werden?

a) Welche Ressorts waren daran beteiligt?

b) Welche anderen EU-Mitglieder haben ein vergleichbares Dokument vor-
gelegt?
c) Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seitdem ergriffen
oder beabsichtigt sie zu ergreifen, um zu erreichen, dass „die EU gegen-

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über China in viel stärkerem Maße als bisher als gemeinsamer Akteur
auftritt“?

d) Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seitdem ergriffen
oder beabsichtigt sie zu ergreifen, um zu erreichen, damit die EU „ihre
Kerninteressen und -ziele gegenüber China klar definier[t] und sich auf
ihre Verfolgung konzentrier[t]“?

e) Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die EU bereits „die verbes-
serten Handlungsmöglichkeiten nach dem Vertrag von Lissabon in vol-
lem Umfang“ nutzt?
Welche Kompetenzen wird sie zu diesem Zweck an die Hohe Vertreterin
und den Europäischen Auswärtigen Dienst abtreten?

f) Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung seitdem ergriffen
oder beabsichtigt sie zu ergreifen, um zu erreichen, dass der EU-Men-
schenrechtsdialog „ergebnisorientierter als bisher geführt“ und „stärker
koordinier[t]“ wird?

g) Wann und in welchem Rahmen werden regelmäßige Treffen der Men-
schenrechtsbeauftragten der EU aufgenommen?

h) Ist die Bundesregierung im Zuge einer Bündelung von Dialogforen be-
reit, auf bilaterale Formate zugunsten der EU-Ebene zu verzichten?
Wenn ja, auf welche?

i) Wie bewertet die Bundesregierung die Aussichten einer Zusammenfüh-
rung der beiden Verhandlungsstränge für das Partnerschafts- und Koope-
rationsabkommen?
Bis wann erwartet sie den Abschluss der Verhandlungen?

j) Für welche Bereiche der Zusammenarbeit ist momentan die Hohe Ver-
treterin bzw. der EU-Botschafter in Peking der einzige oder erste An-
sprechpartner für die chinesische Regierung?

k) Welche Maßnahmen sind geplant, um fachliche und sprachliche China-
Kompetenzen innerhalb der EU-Institutionen zu stärken?
In welcher Weise sind die Bundesregierung sowie externe Institutionen
daran beteiligt?

Berlin, den 30. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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