BT-Drucksache 17/7176

Weitere Datenschutzskandale vermeiden - Gesetzentwurf zum effektiven Schutz von Beschäftigtendaten vorlegen

Vom 27. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7176
17. Wahlperiode 27. 09. 2011

Antrag
der Abgeordneten Gerold Reichenbach, Anette Kramme, Martin Dörmann,
Siegmund Ehrmann, Petra Ernstberger, Gabriele Fograscher, Iris Gleicke,
Wolfgang Gunkel, Michael Hartmann (Wackernheim), Hubertus Heil (Peine),
Gabriele Hiller-Ohm, Josip Juratovic, Frank Hofmann (Volkach), Johannes Kahrs,
Lars Klingbeil, Daniela Kolbe (Leipzig), Angelika Krüger-Leißner, Ute Kumpf,
Christine Lambrecht, Gabriele Lösekrug-Möller, Kirsten Lühmann, Katja Mast,
Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Stefan Rebmann, Anton Schaaf, Silvia
Schmidt (Eisleben), Ottmar Schreiner, Rita Schwarzelühr-Sutter, Rüdiger Veit,
Dr. Dieter Wiefelspütz, Brigitte Zypries, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Weitere Datenschutzskandale vermeiden – Gesetzentwurf zum effektiven Schutz
von Beschäftigtendaten vorlegen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im September 2010 hat die Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Regelung
des Beschäftigtendatenschutzes vorgelegt (Bundestagsdrucksache 17/4230).
Hiernach sollen Beschäftigtendaten durch Änderungen im Bundesdatenschutz-
gesetz geschützt werden.

Das Anliegen der Bundesregierung ist wichtig, seine Umsetzung aber unzu-
reichend. Schon vor Vorlage des Gesetzentwurfs hatten Datenschützer und
Arbeitsrechtler zu Recht gefordert, den Beschäftigtendatenschutz in einem
eigenständigen Gesetz zu regeln. Fragen des Beschäftigtendatenschutzes
müssen genau und rechtssicher beantwortet werden. Dafür reicht die Systematik
des allgemeinen Datenschutzrechts des Bundesdatenschutzgesetzes nicht aus.

Diese Bedenken wurden in einer öffentlichen Anhörung im Innenausschuss des
Deutschen Bundestages am 23. Mai 2011 untermauert. Die Ergebnisse der An-
hörung machen deutlich, dass der von der Bundesregierung vorgelegte Gesetz-
entwurf ungeeignet ist, die Persönlichkeitsrechte der Beschäftigten effektiv zu
schützen. Dies wurde durch mehrere Sachverständige bestätigt. Hinzu kommt,
dass es nicht nur bei den im Gesetzentwurf der Bundesregierung getroffenen
Regelungen bleiben soll. Vielmehr ergibt sich aus einem von den Berichterstat-

tern der Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP vorgelegten Eckpunkte-
papier (Ausschussdrucksache 17(4)255), dass die Persönlichkeitsrechte der
Beschäftigten noch weiter untergraben und der Datenschutz Beschäftigter dem
Interesse von Arbeitgebern einseitig untergeordnet werden sollen.

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II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

den Beschäftigtendatenschutz in einem eigenständigen Gesetz zu regeln, das die
Beschäftigten schützt sowie die Rechte der Betriebs- und Personalvertretungen
entsprechend ausbaut und insbesondere folgende Kriterien erfüllt:

1. Gegenüber dem von der Bundesregierung vorgelegten Gesetzentwurf sind im
neuen Gesetzentwurf folgende Verbesserungen aufzunehmen:

Das Gesetz soll die Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung ermöglichen,
soweit dies für den ordnungsgemäßen Betrieb erforderlich ist. Dabei müssen
jedoch die Privatsphäre der Beschäftigten geschützt und eine Wiederholung
vorangegangener Datenschutzskandale verhindert werden.

a) Vor der Begründung des Beschäftigungsverhältnisses ist die Datenerhe-
bung, -verarbeitung und -nutzung wie folgt zu begrenzen:

aa) Dem Arbeitgeber sind neben Fragen nach rassischer und ethnischer
Herkunft, Religion, Weltanschauung, Behinderung, sexueller Iden-
tität, Gesundheit, Vermögensverhältnissen, Vorstrafen oder laufenden
Ermittlungsverfahren – Letztere unter dem Vorbehalt, dass dieser
Grund wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingun-
gen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche
Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anfor-
derung angemessen ist – auch Fragen nach den Merkmalen Schwan-
gerschaft oder Ausübung eines Ehrenamtes verboten.

bb) Erkundigungen bei Dritten über den Bewerber außerhalb der vom Be-
werber angegebenen Referenzen sind unzulässig.

cc) Der Arbeitgeber darf keine öffentlich zugänglichen Daten, etwa aus
dem Internet, über den Bewerber erheben.

dd) Sofern eine arbeitsmedizinisch erforderliche Untersuchung vorge-
sehen ist, darf dem Arbeitgeber nicht deren Ergebnis mitgeteilt wer-
den, sondern lediglich die Feststellung des untersuchenden Arztes, ob
er den Bewerber für die Tätigkeit geeignet hält oder nicht. Es ist eine
klare Trennung zwischen arbeitsmedizinischen Präventionsmaßnah-
men, die der Gesundheitsvorsorge dienen, und ärztlichen Unter-
suchungen und Eignungstests vorzunehmen.

b) Steht fest, dass ein Beschäftigungsverhältnis nicht begründet wird, sind
die Beschäftigtendaten innerhalb von drei Monaten nach der Personalent-
scheidung zu löschen oder zurückzugeben. Dies gilt nicht, wenn der Be-
schäftigte in die weitere Aufbewahrung oder Speicherung eingewilligt hat
oder solange der Arbeitgeber wegen eines drohenden oder anhängigen
Verfahrens über die Personalentscheidung an der weiteren Aufbewahrung
oder Speicherung der Beschäftigtendaten ein berechtigtes Interesse hat.
Nach Begründung des Beschäftigungsverhältnisses ist die Datenerhe-
bung, -verarbeitung und -nutzung wie folgt zu begrenzen:

aa) Die Zwecke, zu denen Daten erhoben werden dürfen, sind abschlie-
ßend zu benennen.

bb) Eine nachträgliche Zweckänderung ist nicht erlaubt, um die Nutzung
so genannter Gelegenheitsfunde auszuschließen.

cc) Bei Tätigkeitswechsel innerhalb des Unternehmens dürfen keine ärzt-
lichen Untersuchungen mit Ausnahme von arbeitsmedizinisch not-
wendigen Maßnahmen angeordnet werden.

dd) Ein automatisierter Datenabgleich ohne Anlass und ohne Kenntnis des

Beschäftigten ist weder zur Feststellung von Verstößen gegen unter-
nehmensinterne Verhaltensregeln noch zur Feststellung von Strafta-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7176

ten erlaubt. Zur Aufklärung ausgewählter Straftaten (§§ 266, 299 und
331 bis 334 des Strafgesetzbuchs – StGB) ist er nur erlaubt, wenn
vorab zu dokumentierende tatsächliche Anhaltspunkte für den Ver-
dacht einer bereits begangenen Straftat vorliegen, die Datenerhebung
zur Aufdeckung erforderlich und die Maßnahme nach Art und Um-
fang verhältnismäßig ist.

ee) Eine Datenerhebung zur Aufklärung von Straftaten ohne Kenntnis
des Betroffenen ist auf Fälle zu beschränken, in denen vorab zu doku-
mentierende tatsächliche Anhaltspunkte den Verdacht einer bereits
begangenen Straftat begründen, die Datenerhebung zur Aufdeckung
erforderlich und die Datenerhebung nach Art und Ausmaß im Hin-
blick auf den Zweck verhältnismäßig ist. Das entspricht dem bishe-
rigen § 32 Absatz 1 Satz 2 des Bundesdatenschutzgesetzes, der sich
in der Praxis bewährt hat. Dabei sind weder planmäßige, in den pri-
vaten Bereich reichende Beschattungen noch die Nutzung technischer
Mittel zur Aufzeichnung des nicht öffentlich gesprochenen Wortes er-
laubt. Eine Datenerhebung zur Aufklärung von Verstößen gegen un-
ternehmensinterne Verhaltensregeln ist nicht erlaubt.

ff) Werden Beschäftigtendaten an einen Dritten, etwa einen Subunter-
nehmer, übermittelt, ist dem Beschäftigten mitzuteilen, an wen wel-
che Daten zu welchen Zwecken übermittelt wurden. Der betrieb-
lichen Interessenvertretung ist mitzuteilen, welche Art von Daten an
wen zu welchen Zwecken übermittelt wurde.

gg) Werden Beschäftigtendaten an einen Dritten, etwa einen Subunter-
nehmer, übermittelt, haftet der Arbeitgeber gegenüber dem Beschäf-
tigten für die zweckwidrige Nutzung durch den Dritten.

hh) Sofern einzelne nichtöffentliche Betriebsbereiche der Videokontrolle
unterliegen gilt Folgendes:
● Die Beschäftigten sind über diesen Umstand, die zeitliche und

räumliche Reichweite sowie den Zweck der Kontrolle aufzuklären.
● Die Videokontrolle zur Sicherung des Eigentums wird auf Fälle

beschränkt, in denen ein besonderes Sicherheitsinteresse aufgrund
der Besonderheiten der jeweiligen Arbeitsstätte besteht.

● Die generelle Videoüberwachung von Beschäftigten zur Qualitäts-
kontrolle ist nicht erlaubt.

● Die Videoüberwachung auch privat genutzter Pausen-, Sanitär-,
Umkleide- und Ruheräume ist unabhängig von der individuellen
oder kollektiven Nutzung nicht erlaubt.

ii) Der Einsatz von Ortungssystemen wird auf Fälle beschränkt, die der
Sicherheit des Beschäftigten sowie Koordinierungs- und Disposi-
tionszwecken dienen. Zur Leistungs- und Qualitätskontrolle der Be-
schäftigten dürfen sie nicht genutzt werden. Die Beschäftigten sind
vorab über den Einsatz und den Zweck der Ortungssysteme zu unter-
richten.

jj) Die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung biometrischer Daten zu
Authentifizierungszwecken wird auf besonders sicherheitsrelevante
Bereiche beschränkt, setzt neben der Erforderlichkeit eine Einwil-
ligung des Beschäftigten voraus und darf bei der Nutzung nur dem
Ad-hoc-Abgleich, nicht aber der Speicherung von Eingangs- und
Ausgangsdaten dienen.

kk) Die Nutzung von Telekommunikationsverkehrsdaten zur Kontrolle
ist auf vorab zu dokumentierende anlassbezogene, auf tatsächlichen

Anhaltspunkten für Fehlverhalten beruhende Verhaltenskontrollen
beschränkt.

Drucksache 17/7176 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
ll) Eine generelle Inhaltskontrolle insbesondere zu Zwecken der Qua-
litätssicherung durch Mithören und/oder Mitschneiden von Telefo-
naten ist auch bei Beschäftigten in Callcentern nicht erlaubt.

mm) Durch die Erlaubnis der privaten Nutzung wird der Arbeitgeber nicht
zum Diensteanbieter im Sinne des Telekommunikationsgesetzes.
Das ist im Telekommunikationsgesetz zu regeln. Die Nutzung ist un-
ter Beachtung der im Folgenden enthaltenen Grundsätze durch Tarif-
vertrag oder, wo ein solcher nicht existiert, durch Betriebsvereinba-
rung zu regeln. Ist weder eine Regelung durch Tarifvertrag noch eine
solche durch Betriebsvereinbarung möglich, gelten die Regelungen
über die ausschließlich dienstliche oder berufliche Nutzung entspre-
chend unter der Maßgabe, dass jede inhaltliche Auswertung ausge-
schlossen ist und eine Einsichtnahme in E-Mails nur erfolgen darf,
wenn dringende betriebliche Gründe dies erforderlich machen, der
Beschäftigte vorab informiert wird, der Zugriff unter Beteiligung des
betrieblichen Datenschutzbeauftragten und der betrieblichen Interes-
senvertretungen erfolgt und keine inhaltliche Auswertung erfolgt.

nn) Ein besteht ein ausdrückliches Verwendungs- und Verwertungsver-
bot für unrichtige oder unzulässig erhobene Daten.

oo) Beschäftigte dürfen sich unmittelbar an die für die Datenschutzkon-
trolle zuständige Behörde wenden, ohne dass sie zuvor beim Arbeit-
geber um Abhilfe ersuchen müssen.

pp) Es besteht ein Verbot der Maßregelung von Beschäftigten, die ein
unzulässiges Auskunftsersuchen nicht oder unrichtig beantworten.

qq) Die möglichen Tatbestände unbefugter Datenerhebung, -verarbei-
tung und -nutzung werden angemessen als Ordnungswidrigkeit
sanktioniert.

c) Der betrieblichen Interessenvertretung ist ein Mitspracherecht bei der Be-
stellung des Beauftragten für Datenschutz einzuräumen.

2. Es ist dafür Sorge zu tragen, dass gegenüber dem vorgelegten Gesetzentwurf
keine Verschlechterungen zulasten von Beschäftigten aufgenommen werden.
Dazu zählen insbesondere:

a) Die Zulässigkeit von Betriebsvereinbarungen, die das Schutzniveau des
Gesetzes unterschreiten,

b) die Einführung eines so genannten Konzernprivilegs, das die Datenweiter-
gabe in transnationalen Konzernen innerhalb des Konzernverbundes unter
erleichterten Voraussetzungen erlaubt und

c) die Erlaubnis, Daten über Bewerber auch in privat genutzten sozialen
Netzwerken zu erheben.

Berlin, den 27. September 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion
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