BT-Drucksache 17/7093

Menschenrechtsklauseln in Verträgen der Europäischen Union und der Bundesrepublik Deutschland

Vom 23. September 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/7093
17. Wahlperiode 23. 09. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Tom Koenigs, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Marieluise
Beck (Bremen), Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsklauseln in Verträgen der Europäischen Union und der
Bundesrepublik Deutschland

Am 28. November 1991 beschloss die Europäische Kommission, dass es ein
Ziel der Europäischen Union (EU) sei, durch ihre Interaktionen mit Drittstaaten
zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage in den Partnerländern der EU
beizutragen. Positive Anreize sollten dabei Vorrang vor Sanktionen haben.
Damit von Vergünstigungen oder Geldern der EU nicht Regime profitierten, die
offensichtlich gravierende Menschenrechtsverletzungen verüben, beschloss der
Europäische Rat am 29. Mai 1995, in alle Abkommen mit Drittländern eine
Klausel einzufügen, um die Abkommen in Fällen von Menschenrechtsverlet-
zungen aussetzen zu können. Seitdem ist der Respekt für Menschenrechte ein
wesentlicher Bestandteil jedes Abkommens, was gemäß Artikel 60 des Wiener
Übereinkommens über das Recht der Verträge den Vertragsparteien erlaubt, ge-
eignete Maßnahmen bis hin zur Aussetzung des Abkommens zu ergreifen, wenn
eine Seite einen wesentlichen Bestandteil des Abkommens nicht erfüllt. Von
einigen Ausnahmen abgesehen hat die EU seitdem Menschenrechtsklauseln in
Abkommen mit Drittländern eingefügt.

Die Einhaltung der Menschenrechtsklauseln wird in der Regel so überwacht,
dass eine Vertragspartei Hinweise auf Menschenrechtsverletzungen auf einer
Sitzung des Assoziationsrats des jeweiligen Abkommens, in dem die Vertrags-
parteien vertreten sind und der die Einhaltung des Abkommens überwachen
soll, zur Sprache bringt. Können die Hinweise nicht entkräftet werden, kann
das Abkommen ausgesetzt werden.

Die hohe Stellung von Menschenrechten in Abkommen mit der EU ist im inter-
nationalen Vergleich ungewöhnlich. Die Anwendung der Klauseln ist aller-
dings nicht einheitlich. Auch birgt die Formulierung der Klauseln einen erheb-
lichen Deutungsspielraum.

Auch die Bundesregierung nennt die Klauseln als Bestandteil ihrer Menschen-

rechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen (siehe Bundestagsdrucksache 17/
2840). Als Mittel der bilateralen Menschenrechtspolitik Deutschlands werden
Menschenrechtsklauseln allerdings nicht explizit erwähnt. Angesichts dessen,
dass die Menschenrechtsklausel seit Jahren fester Bestandteil internationaler
Verträge ist, stellt sich die Frage, inwieweit solche Klauseln von der Bundesre-
gierung genutzt oder weiterentwickelt werden, um die ehrgeizigen Ziele hin-
sichtlich der Menschenrechtspolitik in den auswärtigen Beziehungen (der EU
oder Deutschlands) zu erreichen.

Drucksache 17/7093 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Sollen die Menschenrechtsklauseln nach Ansicht der Bundesregierung ge-
währleisten, dass durch das Abkommen und seine Folgen die Menschen-
rechte in den Staaten der Vertragsparteien nicht beeinträchtigt werden?

2. Inwieweit folgt die Bundesregierung der Auffassung des Europäischen Par-
laments (z. B. Report on the evaluation of EU sanctions, 2008/2031(INI)),
dass der Schutz von Menschenrechten durch Sanktionen und geeignete
Maßnahmen im Prinzip höher wiegt als eventuell zu erwartende wirtschaft-
liche Nachteile durch jene Maßnahmen für EU-Bürger und die wirtschaft-
lichen Interessen der EU und ihrer Mitgliedstaaten?

3. Inwieweit hält es die Bundesregierung für sinnvoll, dass Menschenrechts-
klauseln in zukünftigen Abkommen die Formulierung des Cotonou-Ab-
kommens, dabei insbesondere die Artikel 9 und 96, erhalten?

4. Führen Bundesregierung und EU eine regelmäßige Evaluation der Wirk-
samkeit von Menschenrechtsklauseln durch, und wenn ja, von welchen
Stellen und auf der Grundlage welcher Indikatoren, Benchmarks und Infor-
mationen wird diese Evaluation durchgeführt?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Wirksamkeit von Menschenrechts-
klauseln?

6. Inwieweit hält die Bundesregierung es für sinnvoll, ein Human Rights Im-
pact Assessment (HRIA) vor Abschluss der Verhandlungen von Abkom-
men mit Drittländern durchzuführen und dessen Ergebnisse in die Verhand-
lungen einfließen zu lassen?

7. In welcher Form beteiligt sich die Bundesregierung daran, die konkreten
geeigneten Maßnahmen zu wählen, die ergriffen werden, falls festgestellt
wurde, dass ein Drittland wesentlichen Bestandteilen eines EU-Abkom-
mens nicht nachgekommen ist, und welche Institution legt fest, wie sich die
Bundesregierung in den entsprechenden Verhandlungen positioniert?

8. Inwiefern erachtet es die Bundesregierung für sinnvoll, einen Beschwerde-
mechanismus in EU-Abkommen einzurichten, um nichtstaatlichen Akteu-
ren zu ermöglichen, sich über durch EU-Abkommen entstandene Men-
schenrechtsverletzungen zu beschweren?

Wenn nein, warum nicht?

Wenn ja, wie sollte ein solcher Beschwerdemechanismus ausgestaltet sein,
und welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um einen
solchen Beschwerdemechanismus einzurichten?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Wirkung einer stärkeren Transpa-
renz und Öffentlichkeit der Beratungen der Vertragsausschüsse, die über
etwaige Verletzungen der Respektierung von Menschenrechten in den je-
weiligen Vertragsstaaten verhandeln, beispielsweise durch Ex-post-Unter-
richtungen?

10. Inwieweit hält es die Bundesregierung für zweckdienlich, Unterausschüsse
in den Vertragsausschüssen einzurichten, die sich vor allem mit menschen-
rechtsrelevanten Themen beschäftigen (wie z. B. im Assoziationsrat zum
Assoziationsabkommen zwischen der EU und Algerien, wo ein solcher
Unterausschuss am 20. Mai 2011 eingerichtet wurde, siehe 2011/325/50,
Official Journal L 146, 01/06/2011 P. 0018 - 0020)?

11. Inwieweit erachtet es die Bundesregierung als sinnvoll, den Deutschen
Bundestag mindestens einmal pro Jahr über den Stand laufender Verhand-

lungen über Abkommen zu unterrichten und anschließend die Möglichkeit
zu gewähren, Empfehlungen abzugeben, und erwägt die Bundesregierung,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/7093

die jeweiligen Verhandlungsposition vom Deutschen Bundestag mandatie-
ren zu lassen?

12. Bei welchen Abkommen hat sich die Bundesregierung aus welchen Grün-
den dafür eingesetzt, dass ein Abkommen aufgrund von Menschenrechts-
verletzungen ausgesetzt wird (bitte nach einzelnen Ländern aufschlüsseln)?

13. Welche (bilateralen und multilateralen) Abkommen, die die Bundesrepublik
Deutschland mit anderen Staaten geschlossen hat, enthalten Menschen-
rechtsklauseln?

14. In welche (bilateralen und multilateralen) Abkommen, die die Bundes-
republik Deutschland mit anderen Staaten geschlossen hat, beabsichtigt die
Bundesregierung im Rahmen von Nach- oder Neuverhandlungen, Men-
schenrechtsklauseln aufzunehmen?

15. In welche künftigen (bilateralen und multilateralen) Abkommen, die die
Bundesrepublik Deutschland mit anderen Staaten schließen möchte, beab-
sichtigt die Bundesregierung, Menschenrechtsklauseln aufzunehmen?

16. Gibt es eingespielte Verfahren, wie im Rahmen der EU eine gemeinsame
Verhandlungsposition für den Fall festgelegt wird, dass nach der Beratung
in einem Assoziationsausschuss festgestellt wurde, dass eine Verletzung
der Menschenrechtsklauseln stattgefunden hat und eine angemessene Maß-
nahme ergriffen werden soll?

17. Welche Maßnahmen, die unterhalb der Schwelle der Aussetzung des betref-
fenden Abkommens liegen, wurden bislang von der EU in Reaktion auf eine
Verletzung der Menschenrechtsklauseln ergriffen, und inwieweit tragen
diese Maßnahmen nach Einschätzung der Bundesregierung jeweils zur Ver-
besserung der Menschenrechtslage im Zielland der Maßnahme bei (bitte
nach einzelnen Ländern aufschlüsseln)?

18. In welchen Fällen wurden trotz Verstößen gegen die Menschenrechtsklau-
seln durch das Partnerland von Seiten der Bundesregierung und der EU
keine geeigneten Maßnahmen ergriffen, und aus welchen Gründen wurde
von Konsequenzen abgesehen (bitte nach einzelnen Ländern aufschlüs-
seln)?

19. Inwieweit folgt die Bundesregierung der Einschätzung, dass den Vertrags-
ausschüssen, die die Einhaltung des Abkommens überwachen, nicht ge-
nügend Kompetenzen zur Reaktion auf Menschenrechtsverletzungen aus
der bisherigen Standardformulierung der Menschenrechtsklausel in EU-
Abkommen erwachsen, weil diese nur die Respektierung von Menschen-
rechten als wesentliches Element des Abkommens vorsieht, aber nicht den
Schutz und die Förderung der Menschenrechte (siehe z. B. Human Rights
and Democracy Clauses in the EU’s International Agreements von Lorand
Bartels, Studie im Auftrag des EU-Parlaments, NT/584/584520EN vom
29. September 2005)?

20. Wie und auf welcher Grundlage werden Menschenrechtsfragen in die
Tagesordnungen der Assoziationsräte einbezogen?

21. Inwieweit könnten nichtstaatliche Akteure und Experten nach Ansicht der
Bundesregierung die Umsetzung der Menschenrechte im Rahmen der Ab-
kommen – z. B. durch mit dem Assoziationsrat verbundene Arbeitsgrup-
pen oder durch ihre Teilnahme an Unterausschüssen – überwachen und
darüber Bericht erstatten?

22. Welche Mängel sieht die Bundesregierung im Hinblick auf einen eindeuti-
gen Umsetzungsmechanismus von Menschenrechtsklauseln?

Drucksache 17/7093 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
23. Ist es nach Ansicht der Bundesregierung sinnvoll, die Leitlinien zur Umset-
zung und Bewertung restriktiver Maßnahmen (Sanktionen) im Rahmen der
Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik der EU (15114/05 vom
2. Dezember 2005) so zu erweitern, dass sie ausdrücklich auch eine Aus-
setzung oder Kündigung von Abkommen mit Drittstaaten beinhalten, und
wenn nein, warum nicht?

24. Sind die Kriterien für die Einleitung eines Konsultationsverfahrens oder die
Anwendung restriktiver Maßnahmen aus Sicht der Bundesregierung objek-
tiv oder hängen sie eher von politischen oder wirtschaftlichen Interessen ab?

Inwieweit würde ein genauer festgelegtes Verfahren eine objektive Anwen-
dung erleichtern?

Wie sollten die Parlamente auf nationaler und europäischer Ebene bei die-
sem Verfahren in den Entscheidungsprozess über die Einleitung von Kon-
sultationen oder die Aussetzung eines Abkommens einbezogen werden?

25. Welchen Stellenwert haben Menschenrechtsklauseln in der Menschen-
rechtspolitik der Bundesregierung, und sieht die Bundesregierung in Men-
schenrechtsklauseln ein geeignetes Instrument, um die Menschenrechts-
lage in Partnerländern zu verbessern?

26. Inwieweit fließen Erkenntnisse und Erfahrungen aus den Verhandlungen in
Assoziationsräten in die Vorbereitung und Ausgestaltung von Menschen-
rechtsdialogen (und vice versa) ein, und inwieweit ist die Bundesregierung
der Auffassung, dass im Zuge der geplanten Intensivierung der Menschen-
rechtsdialoge (siehe Bundestagsdrucksache 17/6696) auch das Instrument
der Menschenrechtsklauseln und ihrer Überwachung intensiviert werden
sollte?

27. Welche Maßnahmen sind nach Einschätzung der Bundesregierung geeignet,
um die Verhandlungen von Menschenrechtsverletzungen in den Koopera-
tions- und Assoziationsräten „interaktiver“ im Sinne der Antwort der Bun-
desregierung auf die Mündliche Frage des Abgeordneten Tom Koenigs
(Frage 53 vom 6. Juli 2011, Plenarprotokoll 17/119, S. 13865 A) zu gestal-
ten, und wie geht die Bundesregierung vor, um dieses Ziel zu erreichen?

Berlin, den 23. September 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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