BT-Drucksache 17/6802

Cyber-Strategie und Cyber-Außenpolitik der Bundesregierung

Vom 16. August 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/6802
17. Wahlperiode 16. 08. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Malczak, Omid Nouripour, Tom Koenigs,
Dr. Konstantin von Notz, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Ute Koczy, Kerstin Müller (Köln), Lisa Paus, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Cyber-Strategie und Cyber-Außenpolitik der Bundesregierung

Die „Cyber-Sicherheitsstrategie für Deutschland“ der Bundesregierung vom
Februar 2011 betrachtet den Schutz des Cyber-Raums als existentielle Frage des
21. Jahrhunderts. Um Sicherheit im Cyber-Raum zu gewährleisten, strebt sie
eine enge internationale Zusammenarbeit an, und hebt hierbei insbesondere die
NATO (North Atlantic Treaty Organization) hervor. Nach Behördenangaben
und Meinung von Expertinnen und Experten hat die Bedrohung des Cyber-
Raums in jüngster Zeit zugenommen und mit neuen, insbesondere staatlichen
Akteuren eine neue Qualität erreicht. Als eine Antwort eröffnete das Bundes-
ministerium des Innern am 16. Juni 2011 das nationale Cyber-Abwehrzentrum,
mit dem künftig schneller auf Angriffe reagiert und das Krisenmanagement
optimiert werden soll.

Es gibt berechtigte Zweifel, ob die Strategie der Bundesregierung und das neue
Cyber-Abwehrzentrum geeignet sind, die Sicherheit des Cyber-Raums in
Deutschland zu verbessern. Es fehlt an technischer Expertise und Ressourcen,
um komplexe und gefährliche Angriffe überhaupt zu erkennen und darauf zu
reagieren. Auch bezüglich der konkreten Ausgestaltung der internationalen
Zusammenarbeit im Cyber-Raum herrscht weitestgehend Unklarheit. Die Be-
schreibung der Cyber-Außenpolitik der Bundesregierung bleibt vage hinsicht-
lich Form und Inhalt der von der Bundesregierung angestrebten Abstimmungen,
Regulierungen, Kontrollen und Verhaltensnormen sowie der Zuständigkeiten
auf internationaler Ebene.

Vor dem Hintergrund der von der Bundesregierung skizzierten Bedrohungslage
und angesichts der Aufrüstungsdynamik im Cyber-Raum, fragen wir daher die
Bundesregierung.

Wir fragen die Bundesregierung:
Grundsätzliche Fragen zur Cyber-Strategie

1. Welche Maßnahmen, Fähigkeiten und Mittel stellt die Bundesregierung bis-
her konkret zur Prävention und zum Schutz vor Cyber-Angriffen sowie zur
Wiederherstellung und zur Reaktion auf derartige Angriffe bereit?

Drucksache 17/6802 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung ergriffen, um die Bund-Län-
der-Kooperation im Bereich Cyber-Sicherheit zu verbessern und ein effek-
tives Krisenmanagement im Fall eines Angriffs zu gewährleisten?

3. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung zur Erhöhung des Selbst-
schutzes gegen Cyber-Angriffe?

a) Welche Maßnahmen plant sie zur Verbesserung des Meldesystems für
den Informationsaustausch?

b) Welche Maßnahmen unternimmt sie zur Reduktion der Anzahl von
Schnittstellen zwischen Netzen?

c) Welche Maßnahmen plant sie hinsichtlich der Dezentralisierung und
Diversifikation der IT-Systeme (IT = Information Technology)?

d) Welche Maßnahmen unternimmt sie zum Aufbau von doppelten und
mehrfachen Sicherungssystemen (IT-gestützt oder IT-unabhängig) im
Bereich kritische Infrastruktur?

4. Inwiefern ist nach Ansicht der Bundesregierung eine Trennung von offen-
siven und defensiven Fähigkeiten im Bereich Cyber-Sicherheit möglich?

Wie definiert sie in diesem Kontext offensive und defensive Fähigkeiten?

5. Hält die Bundesregierung einen digitalen Angriff für einen bewaffneten An-
griff im Sinne des Völkerrechts, und wenn ja, wie begründet sie dies?

6. Erfordert der Einsatz von Cyber-Fähigkeiten seitens der Bundeswehr nach
Ansicht der Bundesregierung eine Mandatierung durch den Deutschen
Bundestag, und wie begründet die Bundesregierung ihre Auffassung?

7. Kann ein Cyber-Angriff vor dem Hintergrund des Rückverfolgungspro-
blems nach Ansicht der Bundesregierung einen möglichen Fall individuel-
ler oder kollektiver Selbstverteidigung im Sinne des Völkerrechts auslösen,
und wenn ja, wie begründet sie dies?

Grundsätzliche Fragen zur Cyber-Außenpolitik

8. Welche Form, und welchen Inhalt sollten internationale Regulierungen zur
Verbesserung der Sicherheit im Cyber-Raum nach Ansicht der Bundes-
regierung haben?

9. Welche Foren und Organisationen auf internationaler Ebene sollten hierbei
nach Auffassung der Bundesregierung für jeweils welche Bereiche zuständig
sein (bitte insbesondere auf die Vereinten Nationen (VN), die Organisation
für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), die Europäischen
Union (EU), der Europarat, die Organisation für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung (OECD) oder die NATO eingehen)?

10. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der verschiede-
nen möglichen Formen internationaler Kooperationsvereinbarungen?

a) Welche Position vertritt sie hinsichtlich der Schaffung eines Rüstungs-
kontrollregimes für den Cyber-Raum?

b) Welche Position vertritt sie hinsichtlich der Schaffung verbindlicher Ver-
haltensnormen und Regeln zum Umgang mit Cyber-Angriffen und ge-
meinsamen Krisenmanagement?

c) Welche Position vertritt sie hinsichtlich der Schaffung vertrauensbilden-
der Maßnahmen, insbesondere zur Schaffung von Transparenz?

d) Welche Position vertritt sie hinsichtlich der Schaffung gemeinsamer

Fähigkeiten für Cyber-Angriffe mit Partnerländern bzw. im Rahmen von
internationalen Organisationen und Bündnissen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/6802

11. Welche Initiativen hat die Bundesregierung auf welchen Ebenen, und mit
welchen Ergebnissen bisher unternommen, um die internationale Zusammen-
arbeit zur Verbesserung der Sicherheit im Cyber-Raum voranzutreiben (bitte
einzeln auf VN, OSZE, EU, Europarat, OECD und NATO eingehen)?

12. Welche Anstrengungen mit welchen Ergebnissen hat die Bundesregierung
bisher unternommen, um einen möglichst universellen Kodex für staat-
liches Verhalten im Cyber-Raum (Cyber-Kodex) zu etablieren, der auch
vertrauens- und sicherheitsbildende Maßnahmen umfasst?

Welchen Inhalt haben die von der Bundesregierung im Rahmen der Cyber-
Sicherheitskonferenz der OSZE im Mai 2011 gemachten Vorschläge der
Bundesregierung für einen Verhaltenskodex?

13. Worin liegen nach Auffassung der Bundesregierung die Schwierigkeiten
bei der Etablierung eines solchen Kodexes, und durch welche Vorgehens-
weise versucht sie diese zu beseitigen?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Empfehlung von Expertinnen und
Experten zu einer internationalen Vereinbarung, nach der ein angegriffener
Staat unverzüglich und umfassend über den Angriff informieren und infi-
zierte Rechner vom Netz nehmen sollte?

Auf welcher Ebene sollten solche Vereinbarungen nach Einschätzung der
Bundesregierung getroffen werden?

15. Auf welcher Ebene strebt die Bundesregierung internationale Standards für
das Krisenmanagement im Fall von Cyber-Angriffen an?

a) Für welche Aspekte des Krisenmanagements befürwortet die Bundes-
regierung globale Standards?

b) Welche konkreten Vorschläge hat die Bundesregierung hierzu, und in
welchem Rahmen setzt sie sich dafür ein?

c) Was hat sie auf Ebene der VN diesbezüglich unternommen?

16. Was hat die Bundesregierung bisher unternommen, und welche Maßnahmen
plant sie, um die Transparenz im Bereich militärischer und nachrichten-
dienstlicher Fähigkeiten im Cyber-Raum zu verbessern (bitte insbesondere
auf die USA, China, Russland und Großbritannien eingehen)?

17. Wie bewertet die Bundesregierung die Idee, Frühwarnsysteme in Form
automatischer Sensorennetzwerke und Hotlines zwischen Staaten auszu-
bauen?

Was hat sie in dieser Richtung bisher unternommen, und welche Maßnah-
men plant sie?

18. Wie bewertet die Bundesregierung die russische Initiative für einen Rüs-
tungskontrollvertrag für den Cyber-Raum?

a) Welche Konsultationen mit Russland und anderen Staaten fanden hierzu
bisher statt, und mit welchen Ergebnissen?

b) Welche Schritte plant die Bundesregierung in diese Richtung?

19. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Forderung der
VN-Generalversammlung zur Schaffung einer globalen Kultur der Cyber-
Sicherheit und zum Schutz kritischer Informationsinfrastrukturen (Resolu-
tion 58/199, 30)?

Was unternimmt die Bundesregierung hierzu auf Ebene der VN?

Drucksache 17/6802 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

20. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich des US-amerika-
nischen Vorschlags für rechtlich unverbindliche Verhaltensnormen und ver-
trauensbildende Maßnahmen?

21. Was unternimmt die Bundesregierung, um neben euro-atlantischen Institu-
tionen (EU, NATO) auch asiatische und afrikanische Organisationen in die
internationalen Abstimmungsprozesse im Bereich Cyber-Sicherheit einzu-
beziehen (Vereinigung südostasiatischer Staaten zur Förderung von Frieden
und Wohlstand – ASEAN, Afrikanische Union)?

22. Welche Organisationen stehen für die Bundesregierung bei der internatio-
nalen Kooperation im Bereich Cyber-Sicherheit im Mittelpunkt?

Fragen zur Cyber-Außenpolitik im Rahmen der NATO

23. Welche Aufgaben soll die NATO aus Sicht der Bundesregierung hinsicht-
lich des Themas Cyber-Security übernehmen, wie soll die NATO dies nach
Ansicht der Bundesregierung tun, und wie versucht die Bundesregierung,
dies im Verbund mit den Partnerländern auf NATO-Ebene umzusetzen?

24. Welche Position vertritt die Bundesregierung auf NATO-Ebene bezüglich
einer Ächtung des Einsatzes von elektronischer Datenverarbeitung und
Telekommunikation zur direkten oder flankierenden Kriegsführung?

25. Welche Eckpunkte enthält die NATO Cyber Defense Policy vom 8. Juni
2011?

a) Welche Cyber-Sicherheitsmaßnahmen sieht die NATO Cyber Defense
Policy vor?

b) Welche Grundsätze und Standards sieht die NATO Cyber Defense Policy
vor?

c) Inwiefern enthält die NATO Cyber Defense Policy auch Empfehlungen
bzw. Standards für den Austausch von Information über Schwachstel-
len?

26. Welche unterschiedlichen Ansichten unter den Mitgliedstaaten gibt es be-
züglich Strategie und aufzubauenden Fähigkeiten der NATO im Bereich
Cyber-Sicherheit?

27. Welchen konkreten inhaltlichen Beitrag hat die Bundesregierung zur NATO
Cyber Defense Policy geleistet?

28. Welche Stelle der Bundesregierung hat diesen Beitrag geleistet, und welche
Institutionen und Bundesministerien waren involviert?

29. Welche Gremien und Agenturen sind für die geplante Ausarbeitung des
detaillierten Arbeitsplans zur Umsetzung der NATO Cyber Defense Policy
vorgesehen?

a) Wer nimmt hieran für die Bundesrepublik Deutschland teil, und welche
Institutionen und Bundesministerien sind involviert?

b) Welche inhaltliche Zielsetzung verfolgt die Bundesregierung hierbei?

30. Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um bei der Umsetzung
der NATO Cyber Defense Policy die Trennung von militärischen und poli-
zeilichen Aufgaben zu wahren?

31. Welche Positionen vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Befassung
der NATO mit der Bekämpfung von Internetkriminalität, wie es das neue
strategische Konzept der NATO vorsieht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/6802

32. Welchen Beitrag leistet die Bundesregierung im Rahmen ihrer Beteiligung
am NATO Cooperative Cyber Centre of Excellence in Tallinn, und mit
welchem Personal ist sie dort vertreten?

33. Inwiefern hält die Bundesregierung den Aufbau der Cyber Defence
Management Authority (CDMA) der NATO für sinnvoll und notwendig?

a) Welche Aufgaben und Funktionen hat die CDMA derzeit, und wie ist sie
personell besetzt (sowohl ziviles als auch militärisches Personal)?

b) Wie hat die Bundesregierung den Aufbau bisher unterstützt?

c) Wie beteiligt sich die Bundesregierung derzeit personell und finanziell?

d) Inwiefern treffen Berichte zu, wonach die CDMA ausgebaut werden soll
in „a war-room operation for NATO’s cyber defences with actual tactical
responses carried out by member states through a ,coalition of the
willing‘“1?

e) Inwiefern unterstützt die Bundesregierung eine solche Entwicklung bzw.
heißt sie gut?

34. Wie bewertet die Bundesregierung das am 10. März 2011 bei einem Treffen
der NATO-Verteidigungsminister in Brüssel gebilligte Cyber Defence
Concept der NATO?

Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung für den Aufbau und
Vorhalt nationaler, sowohl ziviler als auch militärischer Kapazitäten, die im
NATO-Verbund bereitgestellt werden sollen?

Fragen zur Cyber-Außenpolitik im Rahmen der EU

35. Was hat die Bundesregierung unternommen, um die vom Wirtschafts- und
Sozialrat der Europäischen Union kritisierte Uneinheitlichkeit und man-
gelnde Koordination innerhalb der EU beim Schutz kritischer Infrastruktu-
ren zu beheben?

36. Welche Initiativen hat sie ergriffen, um die ebenfalls vom Wirtschafts- und
Sozialrat angemahnte Transparenz von Sicherheitslücken und -problemen
zu verbessern?

37. Was unternimmt die Bundesregierung, um die Europäische Agentur der
Informations- und Netzsicherheit, wie von der Europäischen Kommission
gefordert, zu stärken?

38. Welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich der Forderung
des Europäischen Parlaments nach einer „Europäische Strategie für Com-
puter- und Netzsicherheit“, und welche Initiativen hat sie in dieser Richtung
unternommen?

Berlin, den 16. August 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
1 Vgl. Hughes, Rex B.: NATO and Cyber Defence, Atlantisch Perspectief, 2009, Nr.1/8.

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