BT-Drucksache 17/68

Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syrischen-Rückübernahmeabkommens

Vom 25. November 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/68
17. Wahlperiode 25. 11. 2009

Antrag
der Abgeordneten Josef Philip Winkler, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger,
Memet Kilic, Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour,
Wolfgang Wieland und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Unverzügliche Aussetzung des Deutsch-Syrischen-Rückübernahmeabkommens

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das am 14. Juli 2008 geschlossene „Abkommen zwischen der Regierung der
Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Arabischen Republik Syrien
über die Rückführung von illegal aufhältigen Personen“ (Rückübernahmeab-
kommen) ist am 3. Januar 2009 in Kraft getreten. Schon die Unterzeichnung des
Abkommens hat bei Menschenrechtsorganisationen schwere Bedenken ausge-
löst, da wichtige internationale Menschenrechtsabkommen von Syrien entweder
nicht ratifiziert wurden oder in der Praxis nicht eingehalten werden.

Auf Grundlage des Rückübernahmeabkommens werden derzeit nicht nur aus-
reisepflichtige syrische Staatsangehörige nach Syrien abgeschoben. Auch Dritt-
staatsangehörige und Staatenlose fallen unter das Abkommen, wenn diese über
einen Aufenthaltstitel oder ein Visum der syrischen Seite verfügt haben oder un-
mittelbar aus Syrien eingereist sind. Bei den Verhandlungen über das Abkommen
im November 2006 sind die Vertragsparteien von 8 354 ausreisepflichtigen syri-
schen Staatsangehörigen ausgegangen. Angaben zur Zahl Staatenloser bzw. Per-
sonen mit ungeklärter Staatsangehörigkeit aus Syrien lagen nicht vor (Bundes-
tagsdrucksache 16/11959). Es sind in den letzten Wochen von Menschenrechts-
organisationen dokumentierte Fälle bekannt geworden, in denen im Rahmen des
Rückübernahmeabkommens nach Syrien Abgeschobene direkt nach der Einreise
in Syrien inhaftiert wurden und misshandelt wurden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. das Rückübernahmeabkommen mit der Arabischen Republik Syrien unver-
züglich auszusetzen,

2. Abschiebungen nach Syrien sofort zu stoppen,

3. das Schicksal der bislang nach Syrien Abgeschobenen und dort inhaftierten
Menschen unverzüglich aufzuklären und den Deutschen Bundestag hiervon
zu unterrichten,

4. die Erkenntnisse über den Umgang mit nach Syrien Abgeschobenen bei der
Anerkennungspraxis des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zu be-

rücksichtigen,

5. sich gemeinsam mit der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten u. a.
im Rahmen eines Menschenrechtsdialogs für die Achtung und Einhaltung der
Menschenrechte in Syrien einzusetzen.

Berlin, den 25. November 2009

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Drucksache 17/68 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung

Trotz der Schwierigkeit, das Schicksal von Abgeschobenen in Syrien rückzuver-
folgen, sind inzwischen Fälle unmittelbarer Inhaftierungen nach der Einreise
bekannt geworden.

So wurde eine am 8. Oktober 2009 aus Nordrhein-Westfalen abgeschobene fünf-
köpfige syrische Familie in Syrien nach der Ankunft inhaftiert. Die Organisation
Kurdwatch geht nach einer Recherche davon aus, dass sich die Familie weiterhin
in Haft befindet.

Anfang September 2009 wurde ein 31-jähriger syrischer Kurde nach seiner Ab-
schiebung aus Frankfurt am Main vom syrischen Geheimdienst einbestellt. Er
war anschließend mehrere Wochen verschwunden. Inzwischen ist er angeklagt
worden. Ihm wird die Verbreitung „falscher Informationen“ über Syrien im Aus-
land (§ 287 des syrischen Strafgesetzbuchs) vorgeworfen. Dies ist ein Vorwurf,
der jeden aus Deutschland abgeschobenen Flüchtling treffen kann, da allein das
Stellen eines Asylantrags schon beinhaltet, dass man Verfolgungsvorwürfe
gegen das Herkunftsland erhebt. Für die Freilassung des Mannes setzt sich auch
amnesty international ein.

Im August war eine schwangere Frau aus Niedersachsen abgeschoben, noch am
Flughafen verhaftet und später freigelassen worden. Anwälte berichten über wei-
tere Fälle, in denen Inhaftierte nur durch die Zahlung erheblicher Geldsummen
„freigekauft“ werden konnten.

Die Behandlung der Betroffenen bei ihrer Ankunft in Syrien verletzt in höchstem
Maße humanitäre Standards. Laut einem Lagebericht des Auswärtigen Amts
vom 9. Juli 2009 droht diesen Menschen nicht nur eine mehrstündige Befragung
durch den syrischen Geheimdienst und eine bis zu zwei Wochen andauernde
Identitätsprüfung durch die Geheimdienste. Auch mehrmonatige Inhaftierungen
der Rückgeführten, körperliche Misshandlungen während der Befragungen bzw.
die Inhaftierungen durch Angehörige des syrischen Geheimdienstes und men-
schenunwürdige, erniedrigende Haftbedingungen sind keine Seltenheit. Bei un-
begleiteten Minderjährigen kann nicht sichergestellt werden, dass diese nach der
Ankunft in Syrien menschenwürdig untergebracht werden können. Dem Aus-
wärtigen Amt liegen laut Lagebericht bisher noch keine Erfahrungswerte zur
Umsetzung des Rückführungsübereinkommens vor.

Das Verwaltungsgericht Osnabrück hat aufgrund der Erkenntnisse des Auswärti-
gen Amts am 7. Oktober 2009 dem Eilantrag eines Kurden, der nach Syrien im
Rahmen des Rückübernahmeabkommens abgeschoben werden sollte, in einem
Asylfolgeverfahren stattgegeben (Az. 5 B 94/09). Seine Zweifel an der Rechtmä-
ßigkeit der Abschiebungsandrohung begründet das Gericht mit § 60 Absatz 2
des Aufenthaltsgesetzes, wonach ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden darf, in dem für diesen Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter
oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unter-
worfen zu werden.

Neben der drohenden Gefahr, nach der Ankunft in Syrien inhaftiert zu werden,
stellt sich die Lebenssituation von Staatenlosen in Syrien als besonders drama-
tisch dar: Sie dürfen die syrische Staatsangehörigkeit nicht erwerben und nicht
wählen. Der Kauf oder Besitz von Land und Immobilien ist ihnen verwehrt; vom
Erbrecht sind sie ausgeschlossen. Staatenlose haben weder einen Anspruch auf
die Behandlung in öffentlichen Krankenhäusern noch auf staatlich subventio-
nierte Lebensmittel. Das Ausüben bestimmter Berufe – wie Arzt oder Ingenieur –
ist ihnen verboten. Außerdem sind Staatenlose in ihrer Freizügigkeit sogar inner-
halb von Syrien extrem beschränkt. Die Behandlung dieser Personengruppe
durch den syrischen Staat stellt insofern eine Gefahr für Leib, Leben und Freiheit

dar, die nach dem Aufenthaltsgesetz zu einem Abschiebungshindernis führt. Die
Bundesregierung selbst hat bestätigt: „Staatenlose, die vom syrischen Staat als

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/68

sich legal auf syrischem Hoheitsgebiet aufhaltende Ausländer in einem geson-
derten Zivilregister geführt werden, haben keine staatsbürgerlichen Rechte. (…)
Ein kleiner Teil der Staatenlosen – die sog. Verborgenen – ist faktisch rechtlos,
weil diese Personen nicht im Zivilregister registriert und daher ohne amtliche
Papiere sind.“ (Bundestagsdrucksache 16/11959).

Keine der beiden UN-Konventionen zum Schutz von Staatenlosen (Konvention
betreffend den Status von Staatenlosen vom 28. September 1954, Konvention
betreffend die Reduzierung von Staatenlosigkeit vom 30. August 1961) hat
Syrien ratifiziert (Bundestagsdrucksache 16/11959).

Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass der von der Bundesregierung angekün-
digte Menschenrechtsdialog zwischen der EU und der syrischen Regierung, ins-
besondere zum Umgang mit Staatenlosen und ihren Rechten, bereits zur Verbes-
serung der Situation geführt hat.

Wegen der Behandlung aller Abgeschobenen bei der Einreise nach Syrien und
der aussichtslosen Situation für Staatenlose in diesem Land, sollte die Bundes-
regierung das Rückübernahmeabkommen unverzüglich aussetzen und Abschie-
bungen nach Syrien sofort stoppen. Die Schicksale der Abgeschobenen müssen
unverzüglich aufgeklärt werden, und das Bundesamt für Migration und Flücht-
linge muss bei seiner Anerkennungspraxis die Erkenntnisse über den Umgang
mit nach Syrien Abgeschobenen berücksichtigen. Die Bundesregierung soll sich
gemeinsam mit der EU und ihren Mitgliedstaaten auch im Rahmen eines Men-
schenrechtsdialogs für die Achtung und Einhaltung der Menschenrechte in
Syrien einsetzen.

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