BT-Drucksache 17/5986

Umgang der Bundeswehr mit Minderjährigen

Vom 26. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5986
17. Wahlperiode 26. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Agnes Malczak, Katja Dörner, Omid Nouripour, Kai Gehring,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel,
Ekin Deligöz, Priska Hinz (Herborn), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz,
Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Kerstin Müller (Köln), Tabea Rößner, Claudia Roth (Augsburg), Krista Sager,
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Umgang der Bundeswehr mit Minderjährigen

In vielen Konfliktregionen der Welt werden Minderjährige gezwungen, als Kin-
dersoldatinnen und -soldaten an kriegerischen Auseinandersetzungen teilzuneh-
men. Gegen diese Ausbeutung von Mädchen und Jungen engagieren sich die
Vereinten Nationen seit Jahren. Deutschland unterstützt diese Bemühungen und
hat das Fakultativprotokoll zur UN-Kinderrechtskonvention betreffend die Be-
teiligung von Kindern in bewaffneten Konflikten engagiert mit erarbeitet und
am 13. Dezember 2004 ratifiziert. Zuvor hatte die Coalition to Stop the use of
Child Soldiers (ein Bündnis aus fünf großen internationalen Nichtregierungs-
organisationen) gefordert, dass niemand, der das 18. Lebensjahr noch nicht voll-
endet hat, angeworben, zwangsweise rekrutiert oder in Feindseligkeiten einge-
setzt werden soll („straight-18“-Position). In den Folgejahren nach der Ratifizie-
rung des Fakultativprotokolls hat eine deutliche Mehrheit der Staaten gegenüber
dem UN-Generalsekretär erklärt, auf die Einziehung von unter 18-Jährigen in
ihre Streitkräfte zu verzichten. Seit Januar 2011 hat Deutschland den Vorsitz der
Arbeitsgruppe „Kinder in bewaffneten Konflikten“ des UN-Sicherheitsrates
inne. Die Bundesregierung hat damit die Chance, weitere Verbesserungen zum
Schutz von Kindern vor der Rekrutierung für bewaffnete Konflikte umzusetzen.

In diesem Zusammenhang ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit, dass die Bun-
desrepublik Deutschland auch in ihrer eigenen Armee konsequent ist und die
Rechte Minderjähriger in jeder Hinsicht achtet und schützt. Hierzu gehört, dass
die Rekrutierung von Minderjährigen für die Bundeswehr ausgeschlossen sein
sollte.

Wir fragen die Bundesregierung:

Wehrdienst Minderjähriger
1. Welche Konsequenzen hat die Bundesregierung aus der Ratifizierung des Fa-
kultativprotokolls zum Übereinkommen über die Rechte des Kindes betref-
fend die Beteiligung von Kindern in bewaffneten Konflikten hinsichtlich der
Bundeswehr gezogen, und welche Maßnahmen hat sie diesbezüglich getrof-
fen?

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2. Wie viele Minderjährige haben in den vergangenen zehn Jahren jeweils frei-
willig einen Wehrdienst bei der Bundeswehr begonnen (bitte nach Verpflich-
tungsdauer, Geschlecht und Herkunftsbundesland aufschlüsseln)?

a) Wie viele von diesen haben vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres aus
welchen Gründen einen Antrag auf vorzeitige Entlassung gestellt?

b) Wie viele dieser Anträge wurden bewilligt?

3. a) Welches Verfahren findet Anwendung, wenn Minderjährige im Rahmen
des neuen freiwilligen Wehrdienstes nach Ablauf der sechsmonatigen Wi-
derrufsfrist einen Antrag auf Entlassung stellen?

b) Nach welchen Kriterien wird bewertet, ob auf der Grundlage eines Antrags
auf Entlassung ein Verbleiben im Dienst eine besondere Härte bedeuten
würde?

4. Durch welche Maßnahmen wurden in der Vergangenheit und werden zukünf-
tig Minderjährige und ihre Sorgeberechtigten über die Risiken des freiwilli-
gen Wehrdienstes aufgeklärt?

5. Inwiefern gibt es für minderjährige Soldatinnen und Soldaten besondere An-
sprechpersonen innerhalb der Bundeswehr?

a) Wenn es solche Ansprechpersonen gibt, wie viele sind es, und wo sind sie
stationiert bzw. wie sind sie für die Minderjährigen erreichbar?

b) Über welche Qualifikationen hinsichtlich ihrer Funktion als Ansprech-
person verfügen diese?

c) Inwiefern gibt es für die Eltern minderjähriger Soldatinnen und Soldaten
besondere Ansprechpersonen innerhalb der Bundeswehr?

6. Wie wird die Einhaltung der Bestimmungen zum Schutze Minderjähriger im
Sinne des Fakultativprotokolls wie auch der Bestimmungen zum Jugend-
schutz und zum Jugendarbeitsschutz innerhalb der Bundeswehr kontrolliert?

a) Verfügt die Bundesregierung über ein Aus- und Weiterbildungskonzept,
das militärische Vorgesetzte und Ausbilder hinsichtlich des besonderen
Schutzes Minderjähriger schult?

b) Ist es minderjährigen Soldatinnen und Soldaten möglich, eine ihre Schutz-
rechte betreffende Beschwerde ohne Einverständnis der Sorgeberechtig-
ten vorzubringen?

c) Wenn ja, werden die Eltern der Betroffenen minderjährigen Soldatinnen
und Soldaten durch die Bundeswehr von einer solchen Beschwerde in
Kenntnis gesetzt?

d) Wie viele Beschwerden wurden in den vergangenen zehn Jahren bezüg-
lich eines mangelhaften Minderjährigenschutzes innerhalb der Bundes-
wehr vorgebracht (bitte die Beschwerdegegenstände nach Jahren aufge-
schlüsselt benennen)?

e) In wie vielen Fällen wurden Disziplinarverfahren eingeleitet?

f) In wie vielen Fällen wurden Disziplinarstrafen verhängt?

7. Welche Berufsausbildungen können minderjährige Soldatinnen und Soldaten
bei der Bundeswehr absolvieren?

8. An welchen militärischen Ausbildungsinhalten nehmen minderjährige Sol-
datinnen und Soldaten der Bundeswehr teil?

a) Bei welchen konkreten Ausbildungsinhalten wird Minderjährigen der
direkte Umgang mit Waffen gestattet?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5986

b) Wie wird die strenge Aufsicht beim Umgang von Minderjährigen mit
Waffen sichergestellt?

9. a) Welche Verwendungen und Aufgaben werden minderjährigen Soldatin-
nen und Soldaten der Bundeswehr übertragen?

b) Inwiefern gelten für minderjährige unterschiedliche Leistungsanforde-
rungen als für volljährige Soldatinnen und Soldaten?

10. Wie verfährt die Bundeswehr mit minderjährigen Soldatinnen und Soldaten
bei Verstößen gegen Vorschriften oder die Gehorsamspflicht?

a) Wie sind die Sorgeberechtigten in dieses Verfahren einbezogen bzw. wer
vertritt gegebenenfalls an ihrer Stelle die rechtlichen Interessen der min-
derjährigen Soldatinnen und Soldaten?

b) Wie häufig ist es in der Vergangenheit zu derartigen Vorfällen gekommen
(bitte nach Jahren und mit Benennung des Vorkommnisses aufschlüs-
seln)?

11. Inwiefern sieht die Bundesregierung ihre Entscheidung gegen die Einfüh-
rung einer Mindestaltersgrenze für den freiwilligen Wehrdienst im Entwurf
zum Wehrrechtsänderungsgesetz 2011 im Einklang mit ihrem Engagement
gegen Kinder in bewaffneten Konflikten?

12. Ist der Bundesregierung der „Schattenbericht Kindersoldaten 2011“ des
Deutschen Bündnisses Kindersoldaten bekannt, und wenn ja, wie bewertet
die Bundesregierung diesen?

Werbemaßnahmen der Bundeswehr mit der Zielgruppe Minderjährige

13. Welche Werbemaßnahmen der Bundeswehr sollen gezielt Minderjährige
ansprechen?

a) Welche Ziele verfolgt die Bundeswehr mit diesen Werbemaßnahmen?

b) Welche Stellen innerhalb der Bundeswehr sind für diese Maßnahmen je-
weils inhaltlich wie organisatorisch verantwortlich?

14. Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung des Deutschen Bündnis-
ses Kindersoldaten, dass bei Werbemaßnahmen der Bundeswehr „Transpa-
renz und Offenheit“ im Vordergrund stehen müssen und entsprechend auch
die Risiken thematisiert werden müssen, wenn die Werbung im Einklang
mit der UN-Kinderrechtskonvention und dem Fakultativprotokoll erfolgen
soll?

a) Inwiefern hält es die Bundesregierung in diesem Zusammenhang für not-
wendig, dass in Werbemaßnahmen der Bundeswehr die Risiken des Be-
rufs der Soldatin oder des Soldaten bezüglich des Dienstes an der Waffe
allgemein und insbesondere auch bei einer Tätigkeit im Auslandseinsatz
thematisiert werden?

b) Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die aktuelle
Werbekampagne der Bundeswehr, bei der beispielsweise im Fernsehwer-
bespot Risiken weder sprachlich noch visuell thematisiert werden?

c) Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Aussage
einer Mitarbeiterin der für diese Kampagne zuständigen Werbeagentur
im ARD-Magazin „Panorama“ vom 31. März 2011, man würde die Aus-
landseinsätze in der Werbung nicht thematisieren, weil man ja auch nicht
das Risiko des Fettwerdens in der Werbung für Schokolade thematisiert?

d) Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund Maßnahmen

des Marketings der Bundeswehr mit sachfremdem Inhalt und Event-
charakter wie beispielsweise die „Bw-Musix“ oder sogenannte Jugend-

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Teamsport-Events wie dem „Bw Beachen“ oder die Präsentation des
U21-Wettbewerbes der Schul-Liga?

e) Wie bewertet die Bundesregierung vor diesem Hintergrund die Nutzung
des Schießsimulators durch 13- bis 15-jährige Schülerinnen und Schüler
im Rahmen eines Truppenbesuches einer Schulklasse in Schleswig-Hol-
stein, die von einem betreuenden Soldaten mit den Worten das sei „tau-
sendmal besser als die Spielkonsole zuhause“ (Süddeutsche Zeitung vom
26. März 2010, „Kameraden im Klassenzimmer“) kommentiert wurde?

Besuche von Bundeswehrangehörigen an Schulen

15. Wie wird die Arbeit der Jugendoffiziere an Schulen evaluiert?

a) Auf welche Weise wird kontrolliert, dass sich die Jugendoffiziere an die
Vorgaben des Beutelsbacher Konsenses halten?

b) Wie bewertet die Bundesregierung die unter anderem vom Deutschen
Bündnis Kindersoldaten vorgebrachte Kritik, dass Besuche von Jugend-
offizieren an Schulen, die ohne weitere Referenten mit anderen friedens-
politischen Positionen durchgeführt werden, nicht dem Ausgewogen-
heitsgebot des Beutelsbacher Konsenses entsprechen können, und
welche Konsequenzen gedenkt sie aus dieser Bewertung gegebenenfalls
gemeinsam mit den Ländern zu ziehen?

16. Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass Jugendoffiziere und
Wehrdienstberatungsoffiziere gemeinsam zu Besuchen von Schülerinnen
und Schülern bei der Truppe („Tag der Schulen“) einladen vor dem Hinter-
grund, dass das Bundesministerium der Verteidigung beispielsweise auf sei-
ner Webseite betont, dass der Jugendoffizier kein Werbeoffizier sei?

17. Wie beurteilt es die Bundesregierung, dass Wehrdienstberater der Bundes-
wehr bei Informationsvorträgen an Schulen auf den Themenbereich Aus-
landseinsätze verzichten und dies auf Nachfrage damit begründen, dass die
Bundeswehr ein Arbeitgeber wie jeder andere auch sei (so ein Wehrdienst-
berater in einem Beitrag des ARD-Magazins Panorama vom 31. März
2010)?

18. Über wie viele Jugendoffiziere verfügt die Bundeswehr derzeit und inwie-
fern ist eine Vergrößerung oder Verkleinerung dieser Zahl vorgesehen (bitte
nach eingeplanten und besetzten Dienstposten und nach Bundesländern auf-
schlüsseln)?

a) Welche Personalkosten ergaben sich für die Bereitstellung dieser Jugend-
offiziere jeweils in den Haushaltsjahren 2010, 2009, 2008 und 2007 für
den Bund (bitte nach Haushaltstiteln aufschlüsseln)?

b) Welche Kosten ergaben für die Aus- und Weiterbildung von Jugendoffi-
zieren jeweils in den Haushaltsjahren 2010, 2009, 2008 und 2007 für den
Bund (bitte nach Haushaltstiteln aufschlüsseln)?

c) Welche Kosten ergaben sich für Konzipierung, Herstellung und Verbrei-
tung von Informations- und Unterrichtsmaterialien, die Jugendoffiziere
im Rahmen ihrer Besuche an Schulen einsetzen, jeweils in den Haus-
haltsjahren 2010, 2009, 2008 und 2007 für den Bund (bitte nach Haus-
haltstiteln aufschlüsseln)?

19. Welche Ziele verfolgt die Bundeswehr mit den Kooperationsvereinbarun-
gen, die sie mit den Kultusministerien einzelner Länder bisher getroffen hat
bzw. plant, noch zu treffen?
a) Auf welche Weise werden die Kooperationsvereinbarungen zwischen
der Bundeswehr und den Kultusministerien der Länder evaluiert?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5986

b) Gibt es neben den öffentlich bekannten Kooperationsvereinbarungen
zwischen der Bundeswehr und den Kultusministerien einzelner Länder
weitere Vereinbarungen zum Einsatz von Jugendoffizieren an Schulen?

20. Mit welchen Maßnahmen informiert die Bundeswehr Schulen über ihre An-
gebote zum Besuch von Jugendoffizieren oder Wehrdienstberaterinnen und
Wehrdienstberatern an Schulen?

21. Inwiefern betrachtet die Bundesregierung die Diskussionen zur Bundes-
wehr, über Sicherheits- und Friedenskonzepte, Auslandseinsätze, Kriegs-
handlungen, die Aussetzung der Wehrpflicht sowie die Freiwilligendienste
als Themen politischer Bildung, und welche Konsequenzen zieht sie gege-
benenfalls gemeinsam mit den Ländern aus dieser Einschätzung?

Berlin, den 26. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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