BT-Drucksache 17/5858

Herkunft des Urans in deutschen Atomkraftwerken

Vom 16. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5858
17. Wahlperiode 16. 05. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ute Koczy, Sylvia Kotting-Uhl, Hans-Josef Fell,
Viola von Cramon-Taubadel, Oliver Krischer, Dorothea Steiner,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Cornelia Behm, Birgitt Bender,
Dr. Thomas Gambke, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul,
Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Tom Koenigs, Agnes Malczak,
Kerstin Müller (Köln), Ingrid Nestle, Omid Nouripour, Dr. Hermann Ott,
Brigitte Pothmer, Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Christine Scheel,
Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele, Markus Tressel, Daniela Wagner,
Dr. Valerie Wilms und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Herkunft des Urans in deutschen Atomkraftwerken

Deutschland ist von Uranimporten abhängig. Der Abbau von Uran ist äußerst
gefährlich und bringt massive Risiken für Mensch und Umwelt mit sich. In vie-
len Abbaugebieten werden Menschenrechte missachtet und massive und lang-
anhaltende Umweltverschmutzungen billigend in Kauf genommen. Viele der
uranexportierenden Staaten sind aufgrund von Problemen in der Regierungs-
führung und von Korruption nicht in der Lage, eine effektive Einhaltung beste-
hender Gesetze und Auflagen zum Schutz von Mensch und Umwelt zu garan-
tieren. Darüber hinaus fehlt in vielen Staaten eine entsprechende Umwelt-
gesetzgebung. So gibt es beispielsweise häufig keine Strahlenschutzgesetze
oder bestehende Gesetze werden nicht umgesetzt. Atombehörden fehlen bzw.
sind nicht unabhängig. Kritikerinnen und Kritiker werden eingeschüchtert, zum
Teil sogar verhaftet und vor Gericht gestellt. 75 Prozent der weltweiten Uran-
vorräte liegen in Regionen, in denen indigene Bevölkerungsgruppen leben.
Uranbergbau zerstört ihre Lebensgrundlagen und ihre Kultur, ihre heiligen Stät-
ten und auf viele Generationen hinaus ihre Gesundheit. Auf und um Abraum-
halden bleiben 80 Prozent der ursprünglichen radioaktiven Strahlung erhalten.
Uran gelangt durch Inhalation von verseuchter Luft oder durch verseuchtes
Trinkwasser in den menschlichen Körper und kann verschiedene Arten von
Krebs und Bluterkrankungen verursachen. Diese Gesundheitsschädigungen
sind Menschenrechtsverletzungen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort und
die Bewohnerinnen und Bewohner naheliegender Dörfer werden diesen Men-
schenrechtsverletzungen in unverantwortlicher Weise ausgesetzt.

Die Herkunft des in deutschen Atomkraftwerken verwendeten Urans nach

Ursprungsländern und Minen bzw. Bergwerken wird bislang allerdings nicht
offengelegt. Klarheit und Transparenz in Bezug auf die Herkunft des Urans
sind jedoch dringend notwendig. Gerade im Hinblick auf die aktuelle Debatte
zum Atomausstieg darf die Herkunft des Urans nicht außer Acht gelassen wer-
den. Als Importeur kann Deutschland nicht aus der Verantwortung für die Schä-
den und Gefahren vor Ort entlassen werden.

Drucksache 17/5858 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Informationen liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Her-
kunft des in Deutschland verwendeten Urans seit dem Jahr 2000 vor (bitte
aufschlüsseln nach Jahren, Kraftwerken, Minen, Uranförderländern, Wei-
terverarbeitungsländern und Lieferketten, Liefermengen sowie Lieferunter-
nehmen)?

2. Falls der Bundesregierung diese Informationen nicht vorliegen:

a) Warum verfügt sie nicht über diese Informationen?

b) Wie begründet die Bundesregierung, dass sie sich nicht darum bemüht
hat, diese Informationen zu erhalten?

c) Was wird die Bundesregierung in der Zukunft unternehmen, um diese
Informationen zu erhalten?

d) Welchen uranimportierenden und atomstromproduzierenden Ländern
liegen diese Informationen vor?

3. Wie hoch ist der Anteil der einzelnen Uranförderländer bzw. Minen an der
Uranversorgung Deutschlands seit dem Jahr 2000?

4. In welchem Umfang importiert Deutschland Uran aus Kasachstan (bitte
aufschlüsseln nach Menge und Jahr seit dem Jahr 2000), und welcher An-
teil des von Russland nach Deutschland importierten Urans stammt aus Ka-
sachstan (bitte aufschlüsseln nach Menge, Anteil an den Importen aus
Russland und Jahr, seit dem Jahr 2000)?

5. In welchem Umfang ist Deutschland von Uranimporten abhängig?

6. Welche ökologischen, sozialen, gesundheitlichen und menschenrechtlichen
Probleme und Gefährdungen sind im Zusammenhang mit Uranabbau für
Beschäftigte und die lokale Bevölkerung sowie Natur und Umwelt nach In-
formationen, die der Bundesregierung vorliegen, prinzipiell möglich, und
wie bewertet die Bundesregierung diese Informationen?

7. Wie beurteilt die Bundesregierung die Situation in Bezug auf Rechtsstaat-
lichkeit, gute Regierungsführung und Menschenrechte in Staaten, die Uran
exportieren?

8. Welche Informationen hat die Bundesregierung im Hinblick auf die ökolo-
gischen, sozialen, gesundheitlichen und menschenrechtlichen Auswirkun-
gen des Uranabbaus in den Minen und Uranförderländer, aus denen das in
Deutschland verwendete Uran stammt?

9. Welche ökologischen, sozialen, menschen- und arbeitsrechtlichen Kriterien
und Standards hält die Bundesregierung in den Abbauländern für notwen-
dig, und welche Kriterien und Standards gelten nach Kenntnis der Bundes-
regierung in den Minen und Uranförderländern, aus denen das in Deutsch-
land verwendete Uran stammt?

10. Wie schätzt die Bundesregierung die Einhaltung und Kontrolle der am
13. September 2007 von den Vereinten Nationen verabschiedeten Deklara-
tion der Rechte indigener Völker im Kontext des Uranabbaus ein, insbe-
sondere in den Uranförderländern, aus denen das in Deutschland verwen-
dete Uran stammt?

11. Wie schätzt die Bundesregierung die Respektierung des Free, Prior and
Informed Consent, wie in der ILO-Konvention 169 (ILO: Internationale
Arbeitsorganisation) vorgesehen, in den Uranabbaugebieten ein und ins-
besondere in den Uranförderländern, aus denen das in Deutschland ver-
wendete Uran stammt?

12. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die Kriterien, welche
die deutschen Kraftwerksbetreiber für das in ihren Werken verwendete

Uran für den Abbau des Urans anlegen, wie schätzt sie diese Kriterien ein
im Hinblick auf ihre Verbindlichkeit und die Kopplung an internationale

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5858

Standards einerseits sowie im Hinblick auf eine unabhängige Kontrolle und
Überprüfung andererseits?

13. Welche Standards gelten im Hinblick auf das nach Deutschland und in die
EU importierte Uran, und wie bewertet die Bundesregierung diese?

Plant die Bundesregierung Schritte, diese Standards zu erhöhen?

Wenn ja, welche sind dies konkret?

Wenn nein, warum ist dies aus Sicht der Bundesregierung nicht erforder-
lich?

14. Inwiefern thematisiert die Bundesregierung im Rahmen ihrer Entwick-
lungszusammenarbeit mit Ländern, die Uran abbauen bzw. dies planen,
den Uranabbau, und inwiefern setzt sich die Bundesregierung für den
Schutz der in den Uranabbaugebieten aktiven Zivilgesellschaft ein?

15. Welche Informationen hat die Bundesregierung über die radioaktiven Tai-
lings der Uranminen, aus denen das in Deutschland verwendete Uran
stammt?

16. Welche deutschen Firmen und Firmen mit Sitz oder Niederlassungen in
Deutschland sowie welche deutschen Institutionen, Universitäten, Ministe-
rien etc. führten seit dem Jahr 2000 Uranexplorationen durch bzw. waren
daran beteiligt (bitte aufschlüsseln nach Jahren, Explorationsgebieten, Län-
dern, Projekten)?

17. Wie hoch waren, nach Jahren und Projekten aufgeschlüsselt, Zuschüsse
oder Kredite des Bundes und der Länder zu diesen Explorationen?

18. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung vor in Bezug auf eine
deutsche Beteiligung an Explorationsvorhaben in Tansania?

a) In welcher Form war bzw. ist die Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe (BGR) involviert?

b) Im Falle von entsprechenden Aktivitäten der BGR, was war bzw. ist das
Ziel der Beteiligung der BGR, was sind die Ergebnisse der Explora-
tionen, und wie ist die BGR aktuell beteiligt, bzw. ist geplant, dass die
BGR weiterhin involviert ist?

c) War bzw. ist das deutsche Unternehmen Uranerzbergbau GmbH in die
Explorationen involviert?

d) Falls ja, in welcher Form, und in welchem Zeitraum?

e) Was sind die aktuellen Aktivitäten und Eigentümerstrukturen der Uran-
erzbergbau GmbH?

19. Welchen Kenntnisstand hat die Bundesregierung in Bezug auf die geplante
Uranförderung in Mali?

20. Warum bezeichnet das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie
(BMWi) Uran als „quasi einheimische Energie“ (vgl. www.bmwi.de/BMWi/
Navigation/Energie/Energietraeger/uran-kernenergie,did=156140.html), ob-
wohl dargelegt wird, dass die Veredelung des Urans in Deutschland statt-
findet, die Förderung des Urans aber in anderen Ländern getätigt wird?

21. In welchen Ländern wird das Uran gewonnen, das in der Urananreiche-
rungsanlage Gronau angereichert wird?

22. In welche Atomkraftwerke wird das in der Urananreicherungsanlage
Gronau angereicherte Uran geliefert?

23. Welchen Anteil am deutschen, europäischen und weltweiten Bedarf an
Uran für Atomkraftwerke erzeugt die Urananreicherungsanlage Gronau?

24. Wie lange reichen nach Einschätzung der Bundesregierung die in Deutsch-

land gelagerten Uranvorräte und Brennstäbe, um die Atomkraftwerke in
Deutschland zu betreiben?

Drucksache 17/5858 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
25. Wie kommt das BMWi zu der Einschätzung, dass die Uranreserven in über-
wiegend politisch stabilen Regionen liegen (vgl. www.bmwi.de/BMWi/Na-
vigation/Energie/Energietraeger/uran-kernenergie,did=156140.html) ange-
sichts der Tatsache, dass große Mengen von Uran in Niger abgebaut wer-
den, und damit in einem Land, das mehrere Staatsstreiche hinter sich hat
und derzeit von einer Militärregierung regiert wird?

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die Entwicklung des Uranmarktes kurz,
mittel- und langfristig in Bezug auf Produktion, Bedarf, Preise, Abbau-
gebiete/Länder?

27. Wie schätzt die Bundesregierung die mittel- und langfristige Versorgungs-
lage mit Uran ein, und welche Entwicklung sieht sie für die Sicherheit der
Versorgung der deutschen Atomwirtschaft mit Uranbrennstoff?

28. Wann wird nach Einschätzung der Bundesregierung die weltweite Nach-
frage nach Uran das Angebot übersteigen?

29. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der Verknappung der Uran-
vorräte die künftige Rolle der Atomkraft in der weltweiten Energieversor-
gung?

30. Inwiefern bezieht die Bundesregierung im Rahmen der aktuellen Atomde-
batte die Herkunft des in Deutschland verwendeten Urans mit ein, bzw. in-
wiefern plant sie dies zu tun?

31. Haben sich die von der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel eingesetzten
Kommissionen über die Zukunft der Energieversorgung Deutschlands mit
der Herkunft des in Deutschland verwendeten Urans beschäftigt, bzw. wer-
den sie dies tun?

Wenn nein, warum nicht?

32. Welche Kosten sind durch die Stilllegung, Sanierung und Rekultivierung
von Urangewinnungs- und Uranaufbereitungsbetrieben in Sachsen und
Thüringen entstanden, und wer hat die Kosten getragen (bitte nach Jahren
und Kostenträgern aufschlüsseln)?

33. In welchem Verhältnis stehen die Kosten für Stilllegung, Sanierung und
Rekultivierung verglichen mit den Gewinnen, die durch die Urangewin-
nungs- und Uranaufbereitungsbetriebe in Sachsen und Thüringen insge-
samt erwirtschaftet wurden?

34. Sind der Bundesregierung Berechnungen bekannt, in denen die Gewinne
durch Uranförderung mit den Kosten für Stilllegung, Sanierung und Rekul-
tivierung gegenübergestellt werden?

35. Wer ist für die Stilllegung, Sanierung und Rekultivierung von Uranminen in
den Förderländern, aus denen Deutschland Uran bezieht, verantwortlich?

36. Trägt Deutschland Sorge dafür, dass die Stilllegung, Sanierung und Rekul-
tivierung von Uranminen nicht von den oft ohnehin armen Förderländern
getragen wird?

Wie wird dies sichergestellt?

37. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen nicht die Förderbetriebe
die Kosten für die Stilllegung, Sanierung und Rekultivierung von Uran-
minen getragen haben, sondern diese von den Förderländern getragen wer-
den mussten bzw. diese gar nicht stattfand?

Berlin, den 13. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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