BT-Drucksache 17/5777

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der deutschen Rechtsordnung an die volle europarechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-8-Staatsangehörigen zum 1.5.2011

Vom 11. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5777
17. Wahlperiode 11. 05. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Memet Kilic, Brigitte Pothmer, Marieluise Beck (Bremen),
Volker Beck (Köln), Birgitt Bender, Viola von Cramon-Taubadel, Ingrid Hönlinger,
Katja Keul, Maria Klein-Schmeink, Tom Koenigs, Stephan Kühn, Fritz Kuhn,
Jerzy Montag, Beate Müller-Gemmeke, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Elisabeth Scharfenberg, Wolfgang Wieland,
Josef Philip Winkler und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der deutschen Rechtsordnung an die
volle europarechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-8-Staatsangehörigen
zum 1.5.2011

A. Problem

Nach den entsprechenden EU-Beitrittsverträgen wird zum 1. Mai 2011 die volle
Freizügigkeit des Europarechts auch für die EU-8-Staatsangehörigen gelten. Die
nationale Rechtsordnung enthält jedoch nach wie vor Regelungen, die anderes
suggerieren, weil die Bundesregierung es versäumt hat, eine entsprechende ge-
setzliche Klarstellung rechtzeitig auf den Weg zu bringen.

B. Lösung

Die die Arbeitnehmerfreizügigkeit verunklarenden Regelungen werden aufge-
hoben.

C. Alternativen

Eine Klarstellung der europarechtlichen Rechtslage durch Verwaltungsvor-
schriften oder sonstige Weisungen an Behörden reicht nach der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes nicht aus.

D. Kosten

Keine.

Republik, der Republik Estland, der Republik Zypern, der
Republik Lettland, der Republik Litauen, der Republik
Ungarn, der Republik Malta, der Republik Polen, der
Republik Slowenien und der Slowakischen Republik zur
Europäischen Union (BGBl. 2003 II S. 1408) oder“ gestri-
chen.

Artikel 2

Änderung des Freizügigkeitsgesetzes/EU

Das Freizügigkeitsgesetz/EU vom 30. Juli 2004 (BGBl. I
S. 1950, 1986), das zuletzt durch … geändert worden ist,
wird wie folgt geändert:

§ 13 wird wie folgt geändert:

1. Die Wörter „des Vertrages vom 16. April 2003 über den
Beitritt der Tschechischen Republik, der Republik
Estland, der Republik Zypern, der Republik Lettland, der
Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Republik
Malta, der Republik Polen, der Republik Slowenien und
der Slowakischen Republik zur Europäischen Union
(BGBl. 2003 II S. 1408) oder“ werden gestrichen.

Das Dritte Buch Sozialgesetzbuch – Arbeitsförderung –
(Artikel 1 des Gesetzes vom 24. März 1997, BGBl. I S. 594),
das zuletzt durch … geändert worden ist, wird wie folgt ge-
ändert:

§ 284 Absatz 1wird wie folgt gefasst:

„(1) Staatsangehörige der Staaten, die nach dem Vertrag
vom 25. April 2005 über den Beitritt der Republik Bulgarien
und Rumäniens zur Europäischen Union (BGBl. 2006 II
S. 1146) der Europäischen Union beigetreten sind, und deren
freizügigkeitsberechtigte Familienangehörige dürfen eine
Beschäftigung nur mit Genehmigung der Bundesagentur für
Arbeit ausüben und von Arbeitgebern nur beschäftigt wer-
den, wenn sie eine solche Genehmigung besitzen, soweit
nach Maßgabe des EU-Beitrittsvertrages abweichende Re-
gelungen als Übergangsregelungen der Arbeitnehmerfreizü-
gigkeit Anwendung finden.“

Artikel 4

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 10. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion
Drucksache 17/5777 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines Gesetzes zur Anpassung der deutschen Rechtsordnung an die
volle europarechtliche Arbeitnehmerfreizügigkeit für die EU-8-Staatsangehörigen
zum 1.5.2011

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Aufenthaltsgesetzes

Das Aufenthaltsgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 25. Februar 2008 (BGBl. I S. 162), das zuletzt
durch … geändert worden ist, wird wie folgt geändert:

In § 39 Absatz 6 werden die Wörter „nach dem Vertrag
vom 16. April 2003 über den Beitritt der Tschechischen

2. Folgender Satz wird angefügt:

„Zeiten rechtmäßigen Aufenthaltes, die Unionsbürger
und ihre freizügigkeitsberechtigten Familienangehörigen
vor Herstellung der vollständigen Freizügigkeit im Bun-
desgebiet verbracht haben, werden nach Herstellung
vollständiger Freizügigkeit bei Anwendung dieses Geset-
zes mitgerechnet.“

Artikel 3

Änderung des SGB III

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5777

Begründung

A. Allgemeines

Zum 1. Mai 2011 gilt für die Staatsangehörigen von der
Tschechischen Republik, der Republik Estland, der Republik
Lettland, der Republik Litauen, der Republik Ungarn, der Re-

gesetzliche Änderungen zumindest im Dritten Buch Sozial-
gesetzbuch (SGB III) sowie im Freizügigkeitsgesetz/EU not-
wendig. Die Bundesregierung ist also nicht in der Lage das
nationale Recht europarechtskonform zu gestalten, obwohl
sie selbst die Notwendigkeit dafür gesehen hat und initiativ
publik Polen, der Republik Slowenien und der Slowakischen
Republik die uneingeschränkte Freizügigkeit innerhalb der
Europäischen Union. Bei Staatsangehörigen der Republik
Malta und der Republik Zypern ist dies bereits der Fall.

Dieser europarechtliche Rechtszustand muss sich aus der
deutschen Rechtsordnung klar ergeben. Es reicht dabei nach
ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes
nicht aus, dies durch eine Verwaltungsanweisung oder Ver-
waltungsvorschrift zu regeln. Vielmehr müssen die nationa-
len Gesetze klar die europarechtliche Lage widerspiegeln.

Dass die Bundesregierung – offenkundig mit Blick auf
diverse Landtagswahlkämpfe – nicht rechtzeitig zum 1. Mai
2011 einen Regelungsvorschlag gemacht hat, ist als schwe-
res politisches Versäumnis zu betrachten.

Stattdessen hat nun das Bundesministerium für Arbeit und
Soziales klammheimlich veranlasst, die absehbare Rechts-
lücke über eine Verwaltungsanweisung bzw. Verwaltungs-
vorschrift zu schließen.

Das, was die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine
diesbezügliche Mündliche Frage des Abgeordneten Memet
Kilic der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom
6. April 2011 als „europäische Normalität“ darstellt, ist je-
doch europa- und verfassungsrechtlich alles andere als nor-
mal.

Ein solches Vorgehen ist – nicht nur nach ständiger Recht-
sprechung des Europäischen Gerichtshofes – europarecht-
lich ungenügend (Nachweise der EuGH-Rechtsprechung zur
Richtlinienumsetzung in: Grabitz, E./Hilf, M./Nettesheim,
M.: „Das Recht der Europäischen Union“ (2010), Rn. 116
bis 120 zu Artikel 175 EGV). Das Agieren kann auch zu
einem Vertragsverletzungsverfahren seitens der EU-Kom-
mission führen und dem Verhältnis Deutschlands zu den
Beitrittsstaaten schweren Schaden zufügen.

In ihrer Antwort auf eine Mündliche Frage der grünen Abge-
ordneten Brigitte Pothmer räumte das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales (BMAS) am 6. April 2011 selber die
Unzulänglichkeit des eigenen Vorgehens ein. So sind dem
BMAS zufolge im Zuge der Freizügigkeit für Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer aus den acht EU-Beitrittsstaaten

werden müsste.

Dass die Bundesregierung dessen ungeachtet versucht, not-
wendige Gesetzesänderungen dem Parlament über den Ver-
ordnungsweg aus der Hand zu nehmen – den Deutschen
Bundestag also faktisch zu umgehen – ist aber auch verfas-
sungsrechtlich unzulässig.

Das Vorgehen der Bundesregierung in dieser Frage steht
auch in einer unseligen Tradition schwarz-gelben Regie-
rungshandelns: Mal beschließt die Regierung bestehende
Gesetze, wie das Zugangserschwerungsgesetz (sog. Internet-
Sperrgesetz) oder das Gesetz über das Verfahren des elektro-
nischen Entgeltnachweises (ELENA-Verfahrensgesetz) ein-
fach nicht anzuwenden. Dann werden in der Atompolitik
beim Aufkündigen des rot-grünen Gesetzes zur geordneten
Beendigung der Kernenergienutzung zur gewerblichen Er-
zeugung von Elektrizität (sog. Atomausstiegsgesetzes) se-
henden Auges die Beteiligungsrechte des Bundesrates miss-
achtet. Und beim wenige Monate später verkündeten Atom-
Moratorium, lässt Schwarz-Gelb nicht den Bundestag das
Atomgesetz ändern, sondern meint, dies über einen Feder-
strich der Bundeskanzlerin erledigen zu können. Die Umge-
hung des Parlamentes ist dem Rechtsstaat fremd.

B. Einzelbegründung

Zu den Artikeln 1 bis 3

Im Aufenthaltsgesetz (§ 39 Absatz 6), im SGB III (§ 284)
und im Freizügigkeitsgesetz/EU (§ 13) werden jeweils die
Bezugnahmen auf die Beitrittsverträge mit den entsprechen-
den Staaten gestrichen.

Ergänzend wird im Freizügigkeitsgesetz/EU (§ 39 Satz 2)
klargestellt, dass Aufenthaltszeiten die vor Herstellung der
Freizügigkeit absolviert wurden, bei den nunmehr vollstän-
dig in den Bereich der Freizügigkeit fallenden Personen mit-
gerechnet werden können.

Zu Artikel 4

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten.

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