BT-Drucksache 17/5769

Vertrag zwischen IAEO und WHO vom Mai 1959 kündigen - Für eine unabhängige und effektive WHO

Vom 11. Mai 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5769
17. Wahlperiode 11. 05. 2011

Antrag
der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Sylvia Kotting-Uhl, Dr. Harald Terpe, Ute Koczy,
Dr. Hermann Ott, Birgitt Bender, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Hans-Josef Fell, Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Katja
Keul, Sven-Christian Kindler, Maria Klein-Schmeink, Tom Koenigs, Markus Kurth,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Beate Müller-Gemmeke, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Frithjof
Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Vertrag zwischen IAEO und WHO vom Mai 1959 kündigen – Für eine unabhängige
und effektive WHO

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Im Mai 1959 haben die Internationale Atomenergie Organisation (IAEO) und
die Weltgesundheitsorganisation (WHO) einen über 40 Jahre geheim gehaltenen
Vertrag geschlossen, der die Unabhängigkeit der WHO bei der Veröffentlichung
von Bewertungen und Empfehlungen im Falle einer nuklearen Katastrophe er-
heblich einschränkt. In diesem Abkommen verpflichtete sich die WHO, bevor
sie ein Forschungsprogramm oder Maßnahmen zu Strahlungsfolgen einleitet,
die IAEO zu konsultieren, um die betreffende Frage einvernehmlich zu regeln.
Damit nimmt die IAEO de facto entscheidenden Einfluss auf die gesundheit-
liche Bewertung nuklearer Katastrophen, ohne dafür weder über ein Mandat
noch über ausreichende wissenschaftliche Expertise und Unabhängigkeit zu ver-
fügen.

Die Hauptziele der IAEO (Förderung der friedlichen Nutzung der Kernkraft)
und der WHO (allen Völkern und allen Menschen zur Erreichung des bestmög-
lichen Gesundheitszustandes zu verhelfen) stehen in einem unauflösbaren Wi-
derspruch. Dies zeigt sich beispielsweise auch an den unhaltbaren Differenzen
der Angaben über die Zahl der Todesfälle infolge der Reaktorkatastrophe in
Tschernobyl. Während nach Angaben der IPPNW (International Physicians for
the Prevention of Nuclear War/Ärzte in sozialer Verantwortung e. V.) die IAEO
an der Zahl von nur 50 Toten und 4 000 Krebskranken festhält, geht die WHO
immerhin von bis zu 9 000 aus. Andere Berechnungen nennen bis zu 1,8 Mil-
lionen Tote. Sicher ist, dass von den mehr als 800 000 sogenannten Liquidatoren

mehr als 100 000 bereits gestorben sind.

Adäquate Risikovorsorge und Katastrophenbewältigung braucht unabhängige
Forschung, Bewertung und auch das uneingeschränkte Recht, unabhängige und
freie Veröffentlichungen von Ergebnissen und Empfehlungen vornehmen zu
können. Der Vertrag von 1959 mit der IAEO steht dem diametral entgegen.

Drucksache 17/5769 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
Die WHO nimmt auch aktuell im Rahmen der Katastrophe von Fukushima ihre
Aufgabe nicht angemessen wahr. Zur Messung der Strahlenwerte und damit der
Gefährdung von Leib und Leben der Menschen in Japan und rund um den
Reaktor hat die WHO kein eigenes Team vor Ort. Dadurch gibt es auch keine
unabhängig erhobenen Messwerte. Die ihr zur Verfügung stehenden Messwerte
stammen von dem Betreiber des Atomkraftwerks Tepco und der IAEO und
waren zum Teil falsch und geschönt. Eine unabhängige Untersuchung durch die
WHO fand weder in Tschernobyl noch in Fukushima statt. Dieser unhaltbare
Zustand muss beendet werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher auf,

– bei der kommenden Weltgesundheitsversammlung (WHA) im Mai 2011 eine
sofortige Annullierung des Vertrages zwischen WHO und IAEO vom Mai
1959 zu beantragen;

– sich als Mitglied des Exekutivrates der WHO für eine größtmögliche Unab-
hängigkeit sowie eine ausreichende Personalausstattung der WHO bei Unter-
suchungen, Bewertungen und Empfehlungen zu den Auswirkungen ionisie-
render Strahlung und nuklearer Katastrophen einzusetzen;

– sich des Weiteren dafür einzusetzen, dass die WHO im Fall solcher Katastro-
phen zukünftig mit eigenem Personal und ausreichender technischer Ausstat-
tung Messungen vor Ort durchführen kann, um im Anschluss unabhängige
Empfehlungen für Schutz- und Hilfsmaßnahmen geben zu können.

Berlin, den 10. Mai 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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