BT-Drucksache 17/5609

Maßnahmen zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug und Evaluierung bestehender Strategien zur Minimierung der Umsatzsteuerlücke

Vom 18. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5609
17. Wahlperiode 18. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Britta Haßelmann, Lisa Paus,
Dr. Gerhard Schick, Fritz Kuhn, Alexander Bonde, Sven-Christian Kindler,
Maria Klein-Schmeink, Elisabeth Scharfenberg, Christine Scheel,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Maßnahmen zur Vermeidung von Umsatzsteuerbetrug und Evaluierung
bestehender Strategien zur Minimierung der Umsatzsteuerlücke

Steuern vom Umsatz sind in der Bundesrepublik Deutschland neben den Ertrag-
steuern die wichtigste Einnahmequelle der öffentlichen Haushalte. Das Umsatz-
steueraufkommen hat sich auch in wirtschaftlich schwierigen Jahren als stabil
erwiesen. Die große Koalition hat mit der Erhöhung der Umsatzsteuer um
3 Prozentpunkte von vorher 16 auf jetzt 19 Prozent zwar das Aufkommen der
Steuer weiter gesteigert, aber gleichzeitig die Anreize erhöht, diese Steuer zu
hinterziehen. Auch die betrügerische Erstattung von Vorsteuerbeträgen hat
nochmals an Attraktivität gewonnen.

Besonders seit der Verwirklichung des Europäischen Binnenmarkts 1993 ist die
Betrugsanfälligkeit im Bereich der Mehrwert- oder Umsatzsteuer deutlich ge-
stiegen. Durch die Befreiung innergemeinschaftlicher B2B-Umsätze und die
Möglichkeit des Vorsteuerabzugs haben Betrüger verschiedene Möglichkeiten,
die Steuerbehörden in den Mitgliedstaaten unrechtmäßig um ihre Einnahmen zu
bringen. Organisierter Umsatzsteuerbetrug kann dabei leicht in den dreistelligen
Millionenbereich gehen (so etwa 2001 der „Chipdeal-Fall“ oder aktuell der
organisierte Betrug mit CO2-Zertifikaten).

In der Bundesrepublik Deutschland wird zur Vermeidung von Umsatzsteuer-
betrug besonders mit dem Reverse-Charge-Verfahren reagiert. So soll besonders
Ketten- oder Karussellbetrug im Bereich der Umsatzsteuer verhindert werden.
Der Bundesrechnungshof hat in verschiedenen Berichten weitere Maßnahmen
zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen angeregt. Besonders im Bereich der
Zusammenarbeit und Koordination der verschiedenen Ebenen Bund, Länder
und EU-Mitgliedstaaten sieht der Bundesrechnungshof Potenzial für Verbesse-
rungen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie viele Umsatzsteuerbetrugsdelikte wurden in den Jahren 2000 bis 2010

von der Steuerverwaltung aufgedeckt (bitte jeweils die Anzahl der aufge-
deckten Fälle pro Kalenderjahr angeben)?

2. Wie hoch war der Schaden durch die erfassten Umsatzsteuerbetrugsdelikte in
den Jahren 2000 bis 2010 (bitte jeweils für das Kalenderjahr angeben), und
welcher Betrag konnte jeweils nachträglich von den Steuerbehörden einge-
trieben werden?

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3. Wie schlüsselt sich der Schaden durch erfasste Umsatzsteuerbetrugsdelikte
in den Jahren 2000 bis 2010 nach Betrugsart auf (bitte mindestens folgende
Kategorien pro Kalenderjahr angeben: Karussellbetrug, Kettenbetrug,
Umsatzsteuerbetrug durch geplante Insolvenzen, Umsatzsteuerbetrug bei
Leasing- oder Mietkaufmodellen, Umsatzsteuerausfälle durch Schwarz-
arbeit, Umsatzsteuerbetrug bei Globalzessionen, Umsatzsteuerausfälle durch
Schmuggel)?

4. Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen über den ermäßigten
Umsatzsteuersatz bzw. über den Nullsatz durch einen wissentlich falsch
ausgewiesenen Steuersatz Umsatzsteuerbetrug betrieben wurde?

Wenn ja, wie hoch waren hier die Steuerausfälle?

5. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik der Deutschen Steuer-Ge-
werkschaft, dass über die Einführung der Umsatzsteuerermäßigung für
Übernachtungsdienstleistungen vermehrt Umsatzsteuerbetrug in diesem
Bereich durch falsch deklarierte Leistungen, etwa das Frühstück, stattfindet
(vgl. DER SPIEGEL vom 28. Februar 2011)

6. Wie hoch waren die steuerbehördlichen Niederschlagungen von Umsatz-
steuerforderungen in den Jahren 2000 bis 2010 (bitte pro Kalenderjahr an-
geben)?

7. Liegen der Bundesregierung Schätzungen über die Dunkelziffer nicht nie-
dergeschlagener Umsatzsteuerforderungen vor, die aber realistisch nicht
mehr betreibbar sind?

8. Wie viele Amtshilfeersuchen wurden im Bereich der Umsatzsteuer in den
Jahren 2006 bis 2010 an deutsche Finanzbehörden gestellt, und wie lange
war die durchschnittliche Bearbeitungsdauer in deutschen Finanzbehörden
bei Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer in den Jahren 2006 bis
2010 (bitte Wert pro Kalenderjahr angeben)?

9. Wie hoch war die Anzahl der ausländischen Amtshilfeersuchen, die von den
deutschen Finanzbehörden innerhalb von einem Monat bzw. innerhalb von
drei Monaten beantwortet wurden, und wie viele Anfragen wurden außer-
halb dieser Frist bearbeitet (bitte jeweils die Zahlen für die Kalenderjahre
2006 bis 2010 angeben)?

10. Wie viele Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer haben deutsche
Finanzbehörden in den Jahren 2006 bis 2010 an Finanzbehörden anderer
EU-Mitgliedstaaten gerichtet, und wie lange war die durchschnittliche Be-
arbeitungsdauer für diese Amtshilfeersuchen (bitte jeweils Anzahl und
durchschnittliche Bearbeitungsdauer für jeden EU-Mitgliedstaat angeben)?

11. Wie viele deutsche Amtshilfeersuchen im Bereich der Umsatzsteuer haben
Finanzbehörden anderer EU-Mitgliedstaaten nicht innerhalb von drei Mo-
naten beantwortet (bitte jeweils Anzahl für jeden EU-Mitgliedstaat ange-
ben)?

12. Wie viele Umsatzsteuer-Nachschauen gab es in den Jahren 2002 bis 2010
(bitte jeweils Anzahl für jedes Kalenderjahr angeben)?

13. Wie viele Umsatzsteuer-Sonderprüfungen gab es in den Jahren 2000 bis
2010 (bitte jeweils Anzahl für jedes Kalenderjahr angeben)?

14. Wie viele Datenbanken mit umsatzsteuerlich relevanten Daten werden auf
EU-, Länder- und Bundesebene genutzt (bitte Name der Datenbank sowie
die dort umsatzsteuerlich relevanten Daten angeben)?

15. Wurde im Zuge des Vorhabens KONSENS ein bundeseinheitliches Um-

satzsteuer-Risikomanagement-System bisher realisiert, und wenn nein,
wann ist mit einem einheitlichen System zu rechnen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5609

16. Haben Bund und Länder für alle Datenbanken die gleichen Zugriffsrechte
und Einsichtmöglichkeiten?

Wenn nein, bitte aufschlüsseln, welche Ebene (und ggf. welche einzelnen
Bundesländer) auf welche Datenbank zugreifen kann und welche Gründe es
für die unterschiedliche Nutzung gibt?

17. Welche Behörden und Datensysteme auf Ebene der EU bearbeiten und be-
inhalten das Thema Umsatzsteuerbetrug?

18. Werden die gemeinschaftlichen Datensysteme jeweils von allen Mitglied-
staaten gleichwertig genutzt (sowohl bei der Eingabe wie bei der Nutzung
der Daten)?

Wenn nein, welche Mitgliedstaaten nutzen aus welchen Gründen einzelne
Systeme nicht?

19. Genügt das europäische Mehrwertsteuer-Informationsaustauschsystem
(MIAS) nach Meinung der Bundesregierung den heutigen Anforderungen
einer modernen und ausführlichen Datenbank für den innergemeinschaft-
lichen Waren- und Dienstleistungsverkehr, und kann durch Nutzung des
Systems Umsatzsteuerbetrug wirksam bekämpft werden?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik der Rechnungshöfe aus Bel-
gien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Intra-
Community VAT Fraud 2009, Gemeinsamer Bericht, S. 12 f.), dass im
Bereich der Risikoanalyse in der Bundesrepublik Deutschland keine Prü-
fungen bei Gesellschafter- oder Geschäftsführerwechsel vorgenommen
werden?

Plant die Bundesregierung hier konkrete Maßnahmen?

21. Hält die Bundesregierung eine Teilnahme an Eurocanet (European Carousel
Network) für möglich und sinnvoll, sofern eine adäquate Rechtsgrundlage
für das System geschaffen würde?

22. Hält die Bundesregierung das Risikomanagement bei der Überprüfung von
Umsatzsteuererklärungen in der Bundesrepublik Deutschland für angemes-
sen, oder sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf?

23. Wie beurteilt die Bundesregierung die Kritik der Rechnungshöfe aus Bel-
gien, den Niederlanden und der Bundesrepublik Deutschland (vgl. Intra-
Community VAT Fraud 2009, Gemeinsamer Bericht, S. 24 f.), dass im Be-
reich der Strafverfolgung die Zusammenarbeit zwischen Stellen des Bundes
und der Länder nicht zufriedenstellend verläuft?

Plant die Bundesregierung hier konkrete Maßnahmen?

24. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Untersuchungen des
ifo Instituts für Wirtschaftsforschung e. V. an der Universität München zur
Ermittlung der Mehrwertsteuerlücke, die einen Fehlbetrag für das Jahr 2008
von 17 Mrd. Euro (vgl. ifo Schnelldienst 12/2008) und damit eine Ausfall-
quote von 9 Prozent zum Ergebnis hatte?

Wie bewertet die Bundesregierung die vom ifo Institut für Wirtschaftsfor-
schung e. V. ermittelte Entwicklung der Mehrwertsteuerlücke?

25. Wie bewertet die Bundesregierung die Ergebnisse der Reckon-Studie zur
Untersuchung der Mehrwertsteuerlücke in der EU-25 aus dem Jahr 2009
(vgl. Reckon 2009: Study to quantify and analyse the VAT gap in the
EU-25 Member States)?

Woher erklären sich nach Meinung der Bundesregierung die Unterschiede

zu Ländern wie Dänemark, Luxemburg, Spanien oder den Niederlanden,
die allesamt eine sehr geringe Ausfallquote bei der Mehrwertsteuer haben?

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26. Plant die Bundesregierung eine systematische Evaluierung der Mehrwert-
steuerlücke und ihrer Ursachen, um so Maßnahmen gegen Steuerminder-
einnahmen treffen zu können?

Wenn nein, welche Gründe hat die Bundesregierung?

27. Aus welchen Gründen gibt es keine oder nur eine unvollständige statistische
Aufarbeitung und Zusammenführung von Daten bezüglich der Mehrwert-
steuerlücke und des Umsatzsteuerbetrugs in der Bundesrepublik Deutsch-
land?

Plant die Bundesregierung hier konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der
Datenbasis?

28. Plant die Bundesregierung im Laufe der Legislaturperiode weitere gesetz-
liche Maßnahmen zur Bekämpfung des Umsatzsteuerbetrugs und von
Schwarzarbeit?

Berlin, den 15. April 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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