BT-Drucksache 17/5547

Zur Zukunft der Gleichbehandlung

Vom 13. April 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5547
17. Wahlperiode 13. 04. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Dr. Barbara Höll, Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge,
Inge Höger, Ulla Jelpke, Jens Petermann, Kathrin Senger-Schäfer, Frank Tempel,
Kathrin Vogler, Harald Weinberg und der Fraktion DIE LINKE.

Zur Zukunft der Gleichbehandlung

Am 18. August 2006 trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in-
folge der notwendigen Umsetzung der EU-Richtlinie 2000/43/EG (zur Anwen-
dung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der
ethnischen Herkunft) in Kraft. Ziel des AGG ist es, Diskriminierungen aufgrund
der ethnischen Herkunft bzw. der „Rasse“, des Geschlechts, der Religion und
Weltanschauung, der Behinderung, des Alters und der sexuellen Identität zu
unterbinden. Nach fast fünf Jahren seit dem Inkrafttreten des AGG, wird von
Betroffenen und Verbänden resümiert, dass sich das AGG in der Praxis als
„zahnloser Tiger“ erwiesen habe. Die Betroffenen von Diskriminierung scheuen
den Rechtsweg. Denn die Frist, eine Diskriminierung innerhalb von zwei Mo-
naten rechtlich anzugehen, führt de facto zu einer Nichtgeltendmachung von
Diskriminierungen am Arbeitsplatz innerhalb der Probezeit. Auch scheuen die
Betroffenen den Rechtsweg aufgrund der drohenden individuellen finanziellen
Belastung. Betroffenenverbände, wie der Antidiskiminierungsverband Deutsch-
land (advd) mahnten außerdem den Ausbau bzw. die Errichtung von staatlich
finanzierten Beratungsnetzwerken an, da viele Betroffene ihr Recht schlicht
nicht kennen.

Das Antidiskriminierungsbüro e. V. Sachsen kam nach zwei Jahren AGG zu
dem Schluss: „Es fehlt an Biss, weil es Betroffenen im konkreten Fall oft schwer
fällt, Diskriminierungen zu erkennen und nachzuweisen. Eine niedrigschwel-
lige, professionelle Beratung vor Ort, die sie dabei unterstützen könnte, ist die
Ausnahme“. An diesen Fakten, hat sich bislang nur wenig verändert.

Auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes mahnte den dringenden Bera-
tungsbedarf für die Betroffenen an: „Wir müssen langfristig erreichen, dass
Deutschland flächendeckend Beratungsstellen schafft, um Menschen bei Diskri-
minierung zu helfen“, so Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungs-
stelle des Bundes (ADS) (www.antidiskriminierungsstelle.de/SharedDocs/
Pressemitteilungen/DE/2011/20110221).

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie beurteilt die Bundesregierung bezogen auf die einzelnen Diskriminie-
rungsmerkmale den aktuellen Stand der Rechtsdurchsetzung des im AGG
verankerten Diskriminierungsschutzes?

2. Welche Maßnahmen bezogen auf einzelne Diskriminierungsmerkmale sieht
die Bundesregierung als nötig an, damit von Diskriminierung Betroffene ihr
Recht auf Gleichbehandlung geltend machen können?

Drucksache 17/5547 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

3. Wie kann der Aufbau eines auf Antidiskriminierung spezialisierten und
mehrdimensional ausgerichteten bundesweiten Beratungsnetzwerks durch
die Bundesregierung vorangebracht werden?

4. In welcher Beziehung sollten dabei staatliche Antidiskriminierungsstellen
und zivilgesellschaftliche, qualifizierte Antidiskriminierungsberatung zu-
einander stehen?

5. Welche Bedeutung hat die Einrichtung unabhängiger und qualifizierter Be-
ratungsstellen für die Durchsetzung des Rechts auf Gleichbehandlung?

6. Welche Bedeutung hat die Einrichtung von lokalen Antidiskriminierungs-
netzwerken wie die Antidiskriminierungsstelle des Bundes sie im Rahmen
ihrer „Offensive für eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“ etablieren
möchte?

7. Sieht sich die Bundesregierung in der Verantwortung, diese Netzwerke über
den Projektzeitraum hinaus zu unterstützen und bundesweit auszubauen?
Was plant die Bundesregierung, um die Nachhaltigkeit der „Offensive für
eine diskriminierungsfreie Gesellschaft“ zu gewährleisten?
Welche Folgeprojekte sind geplant?

8. Inwiefern wird sichergestellt, dass Mehrfachdiskriminierungen in der Bera-
tungsstruktur berücksichtigt werden, damit Beratungen nicht nur eine ein-
zelne Diskriminierung berücksichtigen?

9. Welche Kosten schätzt die Bundesregierung für die Etablierung effektiver
Beratungsinfrastruktur, die wohnortnahe unabhängige Beratungsangebote
beinhaltet?

10. Wie sollten diese Kosten zwischen der Bundes-, Landes- und kommunalen
Ebene aufgeteilt werden?

11. Wie stellt die Bundesregierung ihre Verpflichtung zum Diskriminierungs-
schutz auf kommunaler Ebene sicher?

12. Wie beurteilt die Bundesregierung die Idee eines Bund-Länder-Programms
zur Etablierung und Förderung einer Beratungsinfrastruktur, wie es unter
anderem der Antidiskriminierungsverband Deutschland (advd) fordert?

13. Welches Bundesministerium ist für die Querschnittsaufgabe „Antidiskrimi-
nierung mit horizontalem Ansatz“ und die Entwicklung von Antidiskrimi-
nierungsstrukturen im Sinne von Netzwerken und spezialisierten Bera-
tungsstellen zuständig?

14. Welche Einzelmaßnahmen bezogen auf die einzelnen und mehrfachen Dis-
kriminierungsmerkmale plant die Bundesregierung, um einen wirksamen
Diskriminierungsschutz im Bildungsbereich umzusetzen?

15. Welche Maßnahmen eines Antidiskriminierungsmainstreamings (anonymi-
sierte Bewerbungsverfahren, Monitoring, Dienstvereinbarung, Einrichtung
und Schulung von AGG-Beschwerdestellen etc.) werden in der Bundesver-
waltung umgesetzt?
Welche Mittel stehen für diese Maßnahmen zur Verfügung?

16. Welche Auswirkungen auf das AGG hätte die Umsetzung der noch nicht
beschlossenen Richtlinie zur Gleichbehandlung, die einen sogenannten
horizontalen Ansatz verfolgt und einen Diskriminierungsschutz ungeachtet
der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder
der sexuellen Ausrichtung erwirken soll (KOM(2008) 426)?

17. Was sind die Gründe der Bundesregierung, der Richtlinie KOM(2008) 426

nicht zuzustimmen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5547

18. Wie ist der Stand des vom Europarat eingeleiteten Vertragsverletzungsver-
fahrens, wegen der durch das AGG nur unzureichend umgesetzten EU-
Richtlinie 2000/43/EG?

19. Wie beurteilt die Bundesregierung das AGG vor dem Hintergrund der UN-
Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, welche seit
dem 26. März 2009 geltendes Recht in der Bundesrepublik Deutschland ist?
Sieht sie hier Überprüfungs- und Änderungsbedarf?

20. Wie beurteilt die Bundesregierung das im AGG verankerte zivilrechtliche
Benachteiligungsverbot für Menschen mit Behinderungen, welches auf so-
genannte Massengeschäfte beschränkt ist?
Ist diese Einschränkung angesichts der UN-Behindertenrechtskonvention
noch haltbar?

21. Inwiefern können betriebliche Weiterbildungsmaßnahmen, die beispiel-
weise darin schulen, das AGG zu unterlaufen und damit Diskriminierung
fördern, als steuerlich abzugsfähige Personal- bzw. Personalnebenkosten
geltend gemacht werden, und wie beurteilt die Bundesregierung dies?

Berlin, den 13. April 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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