BT-Drucksache 17/5099

Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln - Unterrichtung und Evaluation verbessern

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5099
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Omid Nouripour, Hans-Christian Ströbele, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken, Ingrid
Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs, Agnes
Malczak, Kerstin Müller (Köln), Dr. Konstantin von Notz, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Wolfgang Wieland und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Prüfkriterien für Auslandseinsätze der Bundeswehr entwickeln – Unterrichtung
und Evaluation verbessern

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das am 24. März 2005 in Kraft getretene Gesetz über die parlamentarische Be-
teiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im
Ausland (Parlamentsbeteiligungsgesetz) stellte eine über Jahre hinweg bewährte
Parlamentspraxis auf eine gesetzliche Grundlage. Das Parlamentsbeteiligungs-
gesetz bekräftigt den Grundsatz der Bundeswehr als Parlamentsarmee. Gleich-
zeitig verpflichtet es die Bundesregierung, den Abgeordneten zur Wahrnehmung
ihrer parlamentarischen Verantwortung und Kontrollfunktion alle erbetenen
Informationen zur Verfügung zu stellen.

In der Begründung zum Gesetzentwurf (Bundestagsdrucksache 15/2742) präzi-
sierte der Gesetzgeber die Mindestanforderungen an eine sachgerechte Unter-
richtung nach § 6 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes:

„Zu § 6 (Unterrichtungspflicht)

Die Vorschrift stellt die regelmäßige Unterrichtung des Deutschen Bundestages
durch die Bundesregierung sicher. Diese soll mit Blick auf bevorstehende Ein-
sätze insbesondere über vorbereitende Maßnahmen und Planungen zum Einsatz
bewaffneter Streitkräfte unterrichten. Über den Verlauf der Einsätze und die Ent-
wicklung im Einsatzgebiet unterrichtet die Bundesregierung den Deutschen
Bundestag schriftlich. Sie soll darüber hinaus dem Deutschen Bundestag jähr-
lich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz bewaffne-
ter Streitkräfte und die politische Gesamtentwicklung im Einsatzgebiet vorle-
gen.

In den Berichten der Bundesregierung müssen allerdings geheimhaltungsbe-
dürftige Tatsachen nicht enthalten sein. Über diese Tatsachen sollen die Obleute
des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungsausschusses in geeigneter
Weise informiert werden. Findet innerhalb der Frist des § 4 Abs. 1 Satz 4 eine
Ausschusssitzung des Auswärtigen Ausschusses oder des Verteidigungsaus-
schusses nicht statt, so sollten ebenfalls die Obleute dieser Ausschüsse unter-
richtet werden.

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Die Bundesregierung soll nach Beendigung des Einsatzes einen Evaluierungs-
bericht erstellen, der sowohl die militärischen als auch die politischen Aspekte
des Einsatzes darstellt und bewertet.“

Diesen Unterrichtungspflichten ist die Bundesregierung bis dato nur lückenhaft
nachgekommen. Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass die Bundesregierung
den Abgeordneten des Deutschen Bundestages mit dem Fortschrittsbericht zur
Lage in Afghanistan 2010 erstmals einen bilanzierenden Gesamtbericht vorge-
legt hat. Evaluierungsberichte über abgeschlossene Einsätze wie z. B. die Ope-
ration Enduring Freedom liegen jedoch bis heute nicht vor. Die Praxis zeigt, dass
auch die Unterrichtung über geheimhaltungsbedürftige Einsätze insgesamt un-
befriedigend ist.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die im Parlamentsbeteiligungsgesetz vorgeschriebene Unterrichtung des
Deutschen Bundestages über Auslandseinsätze, insbesondere über den Ein-
satz von Spezialkräften zu verbessern, indem

a) sie im Anschluss an die Unterrichtungen der Obleute des Auswärtigen
Ausschusses und des Verteidigungsausschusses die hierfür angefertigten
schriftlichen Aufzeichnungen der Regierungsvertreterinnen und Regie-
rungsvertreter in der Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages für
alle Abgeordneten zur Einsicht hinterlegt;

b) sie das inoffizielle Obleuteverfahren in ihrer öffentlichen Berichterstat-
tung gegenüber dem Parlament – auch bei der Beantwortung von Fragen
im Rahmen des Interpellationsrechts – nicht mehr als pauschale Begrün-
dung dafür nutzt, auch nach Abschluss eines konkreten Einsatzes von Spe-
zialkräften nicht öffentlich zu berichten;

c) jeweils nach Abschluss einer Operation eine Unterrichtung des Auswärti-
gen Ausschusses sowie des Verteidigungsausschusses über den Einsatz
von Spezialkräften (hinsichtlich Einsatzzielen, Region, Kräfteansatz und
-zusammensetzung, Opfern und möglicher Kooperationspartnerinnen und
Kooperationspartner) erfolgt und abgeschlossene Operationen grundsätz-
lich offengelegt und evaluiert werden;

d) insgesamt die Geheimhaltung im Rahmen des Schutzes von in Operatio-
nen involvierten Personen sowie noch laufender Operationen auf das Not-
wendigste beschränkt wird;

e) sie nach Abschluss eines geheimhaltungsbedürftigen Einsatzes und der
Aufhebung der Geheimhaltungsbedürftigkeit hierzu dem Deutschen Bun-
destag einen Bericht vorlegt;

2. einen Kriterienkatalog zu erarbeiten und dem Deutschen Bundestag vorzule-
gen, der für künftige bzw. zu verlängernde Auslandseinsätze der Bundeswehr
zur Bewertung politischer, militärischer, völkerrechtlicher, europapolitischer,
ziviler und polizeilicher Fragen dient;

3. darüber hinaus endlich den Forderungen gemäß § 6 des Parlamentsbetei-
ligungsgesetzes (vergleiche Begründung zu § 6 auf Bundestagsdrucksache
15/2742) nachzukommen,

a) regelmäßig eine Unterrichtung des Parlaments zur sicherheits- sowie
gesamtpolitischen Situation in den Einsatzgebieten durchzuführen und
dabei insbesondere darzustellen, wie sich die sicherheitspolitische Lage
entwickelt;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5099

b) jährlich einen bilanzierenden Gesamtbericht über den jeweiligen Einsatz
bewaffneter Streitkräfte und zivilen Personals sowie zur politischen Ge-
samtentwicklung in allen Einsatzgebieten vorzulegen und dabei insbeson-
dere darzulegen, welche zivilen und militärischen Projekte und Maßnah-
men mit jeweils welchen Zielsetzungen und Ergebnissen abgeschlossen
sind, derzeit durchgeführt sowie geplant werden;

c) nach Abschluss eines Einsatzes zeitnah einen Evaluierungsbericht vorzu-
legen, der sowohl die militärischen als auch die zivilen Aspekte des Ein-
satzes darstellt und anhand des veröffentlichten Kriterienkatalogs ver-
bindlich bewertet;

d) einsatzrelevante schriftliche Unterrichtungen der Bundesregierung oder
einzelner Ressorts grundsätzlich dem Präsidenten/der Präsidentin des Deut-
schen Bundestages zuzuleiten, damit dieser/diese sie als Bundestagsdruck-
sachen verteilen kann;

4. in künftigen Mandaten

a) konkrete und überprüfbare Zielvorgaben zu benennen und das Parlament
jährlich bzw. auf Anfrage der thematisch befassten Ausschüsse über die
Zielerreichung zu unterrichten;

b) im Sinne eines Gesamtkonzepts den zivilen und polizeilichen Beitrag zur
Erreichung der angestrebten Einsatzziele mit zu berücksichtigen und das
Parlament ebenso detailliert über die Mittelverwendung in diesen Berei-
chen zu unterrichten wie über die Mittelverwendung im militärischen Be-
reich;

c) dem Deutschen Bundestag detaillierter als bisher darzulegen, welche zivi-
len und militärischen Kräfte mit welcher Ausrüstung und welchem Gerät
welche konkreten Aufgaben bekommen;

5. künftig den Deutschen Bundestag auch über vom Kabinett beschlossene Ent-
sendungen von Polizistinnen und Polizisten, unbewaffneten Soldatinnen und
Soldaten sowie Zivilistinnen und Zivilisten in Form von Bundestagsdruck-
sachen zu unterrichten;

6. in einem von unabhängigen Expertinnen und Experten zu erstellenden Ge-
samtbericht die Bedingungen, Kriterien und Grenzen der bisherigen Aus-
landseinsätze der Bundeswehr zu bilanzieren.

III. Der Deutsche Bundestag bekräftigt,

dass in Fällen des vereinfachten Verfahrens, in denen eine Fraktion zwar der be-
absichtigten Entsendung von Streitkräften, nicht aber dem vereinfachten Verfah-
ren widerspricht, diese Fraktion auch künftig die Gelegenheit erhalten muss, ihr
Votum im Stenografischen Bericht zu Protokoll geben zu können.

Berlin, den 15. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Das Parlamentsbeteiligungsgesetz schafft lediglich den Rahmen für die parla-
mentarischen Mitwirkungs- und Kontrollrechte. Es trifft keine Aussagen da-
rüber, ob ein Einsatz rechtmäßig, sinnvoll und verantwortbar ist. Hierüber müs-

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sen die Abgeordneten auf der Grundlage der ihnen zur Verfügung stehenden In-
formationen entscheiden.

Die Qualität der schriftlichen Unterrichtung der Abgeordneten des Deutschen
Bundestages über Auslandseinsätze der Bundeswehr ist insgesamt unbefriedi-
gend. Unter anderem hat die Bundesregierung jüngst darauf verwiesen, dass
keine eindeutigen Kriterien existieren, entlang derer Meldungen und Ereignisse
Eingang in die wöchentlichen Unterrichtungen des Parlaments finden. Der
Gesetzgeber hat im Begründungsteil zum Parlamentsbeteiligungsgesetz die
Mindestanforderungen an die Unterrichtung nach § 6 (Bundestagsdrucksache
15/2742) nur sehr vage fixiert.

In den Niederlanden bspw. werden sowohl die Kriterien für einen Auslandsein-
satz sowie die Informationspflichten der Regierung gegenüber dem Parlament
ausführlich geregelt. Seit 1995 wird dafür der sogenannte Toetsingkader an-
gewandt, der 2009 aktualisiert wurde. Er dient der Strukturierung des Informa-
tionsaustausches mit dem Parlament in Fragen der Beteiligung niederländischer
Militäreinheiten an internationalen Missionen. Neben dem Anwendungsbereich
und Zusagen der Regierung legt er zudem Schwerpunktthemen der Berichter-
stattung fest.

Grundsätzlich sollten künftig alle schriftlichen Unterrichtungen der Bundes-
regierung oder einzelner Bundesministerien über zivile, polizeiliche und mili-
tärische Aspekte von Auslandseinsätzen und die Entwicklung in den Einsatz-
ländern allen Abgeordneten in Form von Bundestagsdrucksachen (Unterrich-
tung) zugänglich gemacht werden. Der Deutsche Bundestag sollte auch über
vom Kabinett beschlossene Entsendungen von Polizistinnen und Polizisten, un-
bewaffneten Soldatinnen und Soldaten sowie Zivilistinnen und Zivilisten unter-
richtet werden. Dies trägt zur Transparenz bei und unterstreicht, dass sich
Deutschland nicht nur militärisch engagiert.

Eine besondere Herausforderung war und ist die Sicherung der parlamentari-
schen Kontrolle und Mitwirkung im Falle geheimhaltungsbedürftiger Einsätze.
Die Unterrichtung des Bundestages durch die Bundesregierung über den Einsatz
von Spezialkräften in Afghanistan, insbesondere der Task Force 47, erfolgte
reaktiv und zu einem Zeitpunkt, als in Presseberichten längst über die Operatio-
nen berichtet worden war. Das hat die grundsätzliche Frage der derzeitigen
Praxis der parlamentarischen Kontrolle von Spezialkräften und geheimhaltungs-
bedürftigen Einsätzen in den Mittelpunkt gerückt.

Das von der Bundesregierung im Dezember 2006 vorgeschlagene und seit Feb-
ruar 2007 probeweise praktizierte Verfahren der vertraulichen Unterrichtung der
Obleute und Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses und des Verteidigungs-
ausschusses sieht vor, dass eine Unterrichtung vor der Entsendung von Spezial-
kräften und nach Abschluss von wichtigen Einzeloperationen während eines
Einsatzes erfolgen soll. Entgegen dieser Ankündigung wird dieses Verfahren
nicht praktiziert. Alle sechs Monate soll eine zusammenfassende Unterrichtung
über Einsätze von Spezialkräften erfolgen. Die Unterrichtung steht unter dem
Vorbehalt, dass sie erst dann und nur insoweit erfolgt, wie dies ohne Gefährdung
des Einsatzes, der Soldatinnen, Soldaten oder ihrer Angehörigen möglich ist.

Es hat sich gezeigt, dass viele Dokumente und Informationen als geheim ein-
gestuft sind, deren Gehalt eine solche Einstufung nicht rechtfertigt. Allein der
jeweilige Autor einer schriftlichen Meldung entscheidet über die Einstufung. Ist
diese erst einmal erfolgt, wird sie in der Regel nicht mehr in Frage gestellt. Im
Kern gibt es aber nur zwei Gründe, die eine Einstufung als geheim – mit allen
Konsequenzen im Hinblick auf die parlamentarische Kontrolle – rechtfertigen.
Dies ist einmal der Schutz der jeweils handelnden Personen sowie zum anderen
der Schutz laufender Operationen. Nach Abschluss der Operationen von Spe-
zialkräften hat eine transparente Unterrichtung des Parlaments zu erfolgen.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/5099

Diese Unterrichtung muss der Öffentlichkeit zugänglich sein, da es in der demo-
kratischen Ordnung des Grundgesetzes weder geheime Kriege geben kann, noch
die Art und Weise des Führens einer militärischen Auseinandersetzung geheim
gehalten werden darf.

Der Deutsche Bundestag erwartet, dass das Instrument der Geheimhaltung nicht
genutzt wird, um die Kontrollrechte der Ausschüsse auszuhebeln. Über nicht
streng geheimhaltungsbedürftige Punkte, die den Einsatz oder die einzusetzenden
Soldatinnen und Soldaten nicht gefährden, sind weiterhin die Kernausschüsse zu
unterrichten. Abgeschlossene Operationen müssen grundsätzlich offengelegt und
evaluiert werden.

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