BT-Drucksache 17/5098

Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt aus der Reichsversicherungsordnung in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch überführen und zeitgemäß ausgestalten

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5098
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Birgitt Bender, Fritz Kuhn, Elisabeth Scharfenberg, Maria
Klein-Schmeink, Dr. Harald Terpe, Katja Dörner, Monika Lazar, Britta Haßelmann,
Kerstin Andreae, Ekin Deligöz, Kai Gehring, Katrin Göring- Eckardt, Sven-Christian
Kindler, Agnes Krumwiede, Stephan Kühn, Markus Kurth, Beate Müller-Gemmeke,
Brigitte Pothmer, Tabea Rößner, Christine Scheel, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Leistungen bei Schwangerschaft und Geburt aus der Reichsversicherungsord-
nung in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch überführen und zeitgemäß ausgestalten

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Vielen Schwangeren sind ihre gesetzlichen Ansprüche auf die Unterstützung
durch Hebammen in der Schwangerschaft, während der Geburt sowie im Wo-
chenbett und in der Stillzeit nicht bekannt. Dies hängt auch damit zusammen,
dass die Regelungen zu Schwangerschaft und Geburt für Versicherte der gesetz-
lichen Krankenversicherungen in der Reichsversicherungsordnung (RVO) fak-
tisch nicht auffindbar sind.

Die Regelungen der RVO werden weder der Praxis noch den zeitgemäßen An-
forderungen an eine gesetzliche Regelung gerecht. Deshalb müssen diese Rege-
lungen endlich in das Fünfte Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) überführt und
dabei umfassend überarbeitet werden. Es fehlen u. a. eine gesetzliche Definition
der Hebammenhilfe, die Benennung aller Geburtsorte (Klinik, Geburtshaus,
Hausgeburt), Leistungsansprüche bei der Adoption von Säuglingen oder für Vä-
ter, wenn die Mutter verstirbt, nicht verfügbar oder nicht in der Lage ist, den
Säugling zu versorgen. Ebenso wenig ist geregelt, dass Schwangere einen An-
spruch auf die Begleitung durch Hebammen bei späten Abbrüchen und dem sich
anschließenden Wochenbett haben. Neben medizinischen sollten auch psycho-
soziale Aspekte wie z. B. die Förderung der Mutter-Kind-Bindung aufgenom-
men werden.

Die bestehenden Regelungen zur Begleitung von Schwangeren sind eingebun-
den in ein System, das insbesondere auf die Behandlung von Krankheiten
(pathogenetisch) und nicht auf die Stärkung bestehender Ressourcen (saluto-
genetisch) ausgerichtet ist. Die mit dem pathogenetischen Ansatz verbundene

Risikoorientierung schlägt sich zum Beispiel in der sehr hohen Zahl der Inan-
spruchnahme pränataldiagnostischer Untersuchungen nieder. Dabei sind
Schwangerschaft und Geburt nur in seltenen Fällen mit behandlungsnotwendi-
gen gesundheitlichen Beeinträchtigungen der (werdenden) Mütter und Kinder
verbunden. Die Begleitung der Schwangeren sollte, sowohl in deren Interesse
als auch mit Blick auf den effizienten Einsatz der Ressourcen, differenzierten
Versorgungslogiken folgen und zwischen gesunden Schwangeren mit geringen

Drucksache 17/5098 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Risiken, Schwangeren mit moderaten Risiken und Hochrisikoschwangerschaf-
ten unterschieden und eine optimale Versorgung ohne Verschwendung gewähr-
leistet werden.

(Familien-)Hebammen sind wegen ihres unmittelbaren Zugangs zu diesen Fami-
lien im Kontext früher Hilfen von besonderer Bedeutung. Insbesondere bei
Familien in belastenden Lebenslagen leisten sie Unterstützung sowohl im
psychosozialen als auch im medizinischen Bereich. Familienhebammen bieten
Unterstützungsleistungen, die sowohl der Jugendhilfe als auch dem Gesund-
heitswesen zuzuordnen sind. Sie sind im Hinblick auf die Förderung einer
gesunden Entwicklung des Kindes und auch unter Kosten-Nutzen-Gesichts-
punkten als Alternative zu oft teureren Hilfeformen erfolgreich erprobt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem die Regelungen der §§ 179 und
195 bis 200 RVO in das SGB V zu übertragen und zeitgemäß auszugestalten
sind.

Dabei sind ergänzend aufzunehmen:

● die Beschreibung der Geburt als natürlicher, gesunder, nicht krankheits-
ähnlicher Vorgang und die Stärkung von Aspekten der Gesundheitsförde-
rung (z. B. Bindungsförderung, Ernährung) und Prävention (z. B. Alko-
hol- und Nikotinprävention),

● eine Definition der Hebammenhilfe, die den Betreuungsbogen Schwan-
gerschaft, Geburt, Wochenbett und Stillzeit sowie eine ausführliche Bera-
tung der Eltern umfasst,

● Ansprüche auf Hebammenleistungen nicht nur für die biologische Mutter
sondern nach der Geburt auch für die Säuglinge selbst, für Adoptions-
oder Pflegeeltern eines Säuglings sowie für Väter dann, wenn die Mutter
verstirbt, nicht verfügbar oder nicht in der Lage ist, den Säugling zu ver-
sorgen,

● die Nennung aller in Frage kommenden Geburtsorte (Krankenhaus, Ge-
burtshaus, Hausgeburt) und Regelungen zur jeweiligen Kostenübernahme
(z. T. bereits in § 134a SGB V geregelt),

● die Begleitung von Schwangeren durch Hebammen bei allen ärztlicher-
seits künstlich eingeleiteten (Fehl-)Geburten/Abbrüchen und dem sich an-
schließenden Wochenbett,

● Regelungen zur umfassenden Beteiligung der Hebammenverbände an der
Erstellung der Mutterschaftsrichtlinien des Gemeinsamen Bundesaus-
schusses,

● Ergänzungen der Regelungen zur Vergütung von Beleghebammen in
Krankenhäusern um die Bereiche Bereitschaftsdienste und Leistungen,
die nicht direkt an den Gebärenden erbracht werden,

● die Zusammenführung der Abrechnungsdaten aller gesetzlichen Kranken-
versicherungen für Hebammenleistungen in Anlehnung an die Rege-
lungen für Arzneimittel (§ 84 Absatz 5 SGB V) bzw. Heilmittel (§ 84
Absatz 8 SGB V);

2. schnellstmöglich einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die in § 134a SGB V
bereits geregelte Berücksichtigung der berechtigten wirtschaftlichen Interes-
sen der freiberuflich tätigen Hebammen bei den Vergütungsverhandlungen
mit den gesetzlichen Krankenkassen konkretisiert, um eine angemessene

Honorierung von Hebammen zu gewährleisten;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5098

3. Vorschläge zu unterbreiten, wie

● die Sicherstellung der Versorgung von Schwangeren vor, während und
nach der Geburt durch Hebammen gewährleistet werden kann, damit
Schwangere die Wahlfreiheit haben, sich für die Geburt ihres Kindes zu
Hause, im Geburtshaus oder im Krankenhaus entscheiden zu können,

● die in der Praxis seit einiger Zeit auftretenden Probleme beim Ruf eines
Krankentransports durch Hebammen und bei der Anordnung von Labor-
untersuchungen im Interesse der Schwangeren gelöst werden können,

● Überweisungs- bzw. Einweisungsmöglichkeiten von Hebammen an Ärzte
und Ärztinnen sowie Krankenhäuser für weitere notwendige Untersu-
chungen (z. B. Feinsonografie) oder Behandlungen eingeführt werden
können,

● Regelungen zur Qualitätssicherung der Hebammenhilfe und zur Fortbil-
dung von Hebammen gestaltet und verankert werden können,

● die Vernetzung zwischen Hebammen, Frauenärztinnen und -ärzten und
Krankenhäusern gestärkt und finanziert werden kann, um eine kontinuier-
liche Begleitung und Versorgung auch über die Sektorengrenzen hinweg
zu ermöglichen,

● Schwangere besser über die ihnen zustehenden Leistungen vor, während
und nach der Geburt informiert werden und wie dabei insbesondere Ziel-
gruppen, die eine Begleitung durch Hebammen seltener in Anspruch neh-
men (z. B. junge Mütter, Migrantinnen), erreicht werden können;

4. zu prüfen,

● wie und wo eine sich an Wochenbett und Stillzeit anschließende, in den
Kontext der frühen Hilfen eingebundene, Stärkung der Erziehungskom-
petenz der Eltern durch (Familien-)Hebammen verankert und finanziert
werden kann (siehe Bundestagsdrucksache 16/3024),

● wie und wo in Deutschland das in der Richtlinie 2005/36/EG des Euro-
päischen Parlaments und des Rates vom 7. September 2005 über die
Anerkennung von Berufsqualifikation für Hebammen vorgesehene Tätig-
keitsfeld „angemessene Aufklärung und Beratung in Fragen der Familien-
planung“ gesetzlich verankert werden kann.

Berlin, den 15. März 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.