BT-Drucksache 17/5038

Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen

Vom 16. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/5038
17. Wahlperiode 16. 03. 2011

Antrag
der Abgeordneten Christel Humme, Caren Marks, Petra Crone, Ingrid Arndt-Brauer,
Rainer Arnold, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Dr. Hans-Peter Bartels, Sören Bartol,
Bärbel Bas, Uwe Beckmeyer, Gerd Bollmann, Klaus Brandner, Willi Brase, Edelgard
Bulmahn, Ulla Burchardt, Elvira Drobinski-Weiß, Garrelt Duin, Dr. h. c. Gernot Erler,
Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer, Elke Ferner, Gabriele Fograscher,
Peter Friedrich, Sigmar Gabriel, Martin Gerster, Iris Gleicke, Ulrike Gottschalck,
Angelika Graf (Rosenheim), Michael Groschek, Michael Groß, Michael Hartmann
(Wackernheim), Dr. Barbara Hendricks, Gabriele Hiller-Ohm, Dr. Eva Högl,
Frank Hofmann (Volkach), Oliver Kaczmarek, Ulrich Kelber, Lars Klingbeil,
Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe (Leipzig), Anette Kramme, Ute Kumpf,
Christian Lange (Backnang), Steffen-Claudio Lemme, Gabriele Lösekrug-Möller,
Kirsten Lühmann, Katja Mast, Hilde Mattheis, Petra Merkel (Berlin), Dr. Matthias
Miersch, Franz Müntefering, Aydan Özog˘uz, Thomas Oppermann, Florian Pronold,
Mechthild Rawert, Sönke Rix, René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Karin Roth (Esslingen), Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Anton Schaaf,
Axel Schäfer (Bochum), Ulla Schmidt (Aachen), Swen Schulz (Spandau),
Rolf Schwanitz, Stefan Schwartze, Dr. Carsten Sieling, Sonja Steffen, Kerstin Tack,
Dr. h. c. Wolfgang Thierse, Franz Thönnes, Rüdiger Veit, Ute Vogt, Dr. Marlies
Volkmer, Heidemarie Wieczorek-Zeul, Waltraud Wolff (Wolmirstedt), Dagmar Ziegler,
Manfred Zöllmer, Dr. Frank-Walter Steinmeier und der Fraktion der SPD

Entgeltgleichheit zwischen Männern und Frauen gesetzlich durchsetzen

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Der Grundsatz des gleichen Entgelts bei gleicher bzw. gleichwertiger Arbeit
für Frauen und Männer ist seit 1957 in der Europäischen Union verankert (Arti-
kel 141 des EG-Vertrages). Mit Unterzeichnung des Amsterdamer Vertrages
1997 verpflichtete sich Deutschland, Entgeltgleichheit sicherzustellen.

Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) von 2006 enthält ein Verbot
der Entgeltdiskriminierung.
Trotz des Verbots der unmittelbaren und mittelbaren Diskriminierung erhalten
Frauen nach wie vor weniger Lohn für gleiche und gleichwertige Arbeit. In der
Praxis kommt gerade die mittelbare Diskriminierung immer noch häufig vor.

So ist es Realität, dass der Einkommensunterschied zwischen den Geschlech-
tern seit Mitte der 90er-Jahre bis heute sogar noch angestiegen ist und bei
23 Prozent verharrt.

Drucksache 17/5038 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der inzwischen jährlich stattfindende Equal Pay Day trägt dazu bei, dass Trans-
parenz über die vorhandene Entgeltungleichheit hergestellt wird und er damit
für eine Bewusstseinsbildung in der Öffentlichkeit sensibilisiert. Dabei mar-
kiert der Termin den Zeitraum, den berufstätige Frauen in Deutschland über das
Jahresende hinaus arbeiten müssten, um das durchschnittliche Vorjahresgehalt
der Männer zu erlangen. Im Jahr 2011 ist Equal Pay Day am 25. März.

Selbst unter Berücksichtigung von erklärenden Faktoren (z. B. Art und Dauer
der Berufsausbildung, häufigere Teilzeitarbeit von Frauen u. a.) bleibt immer
noch ein Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen, der nicht anders als
durch Diskriminierung erklärt werden kann. So erhalten Teilzeitbeschäftigte
durchschnittlich einen 4,27 Euro niedrigeren Stundenlohn als Vollzeitbeschäf-
tigte.

Der Handlungsbedarf ist also erkannt. Allein mit tariflichen Regelungen kann
dieser Entwicklung jedoch nicht entgegengewirkt werden. Denn gerade Frauen
sind in Branchen beschäftigt, die keine Tarifbindung aufweisen. Das gilt vor
allem für den Dienstleistungsbereich. Es bedarf also gesetzlicher Regelungen,
zumal auch nicht alle Tarifverträge diskriminierungsfrei sind.

Es fehlt an Instrumenten der Durchsetzung, was letztlich bedeutet, dass der
Grundsatz der Entgeltgleichheit ein Prinzip ohne Praxis ist. Dies hat strukturelle
Gründe im Recht. So muss das Durchsetzen von Entgeltgleichheit durch die Dis-
kriminierte selbst erfolgen. Unter erschwerten Bedingungen kann sie auch durch
einen Betriebsrat (sofern vorhanden) und bei offensichtlichen (groben) Ver-
stößen durch die Gewerkschaft durchgesetzt werden.

Das bedeutet aber in der Praxis, dass die Schwächste (die Beschäftigte) das in-
dividuelle Risiko trägt, während die Starken (Arbeitgeber, u. U. Betriebsrat)
kein oder nur ein geringes Interesse an der Durchsetzung dieses Rechtsprinzips
haben. Mit dem AGG konnten bisher in der gesellschaftlichen Realität der Ent-
geltungleichheit keine relevanten Verbesserungen erreicht werden.

Im Ergebnis bleibt daher festzuhalten: Es fehlt kein materieller Rechtsgrund-
satz, der gleiches Entgelt für gleiche und gleichwertige Arbeit bestimmt,
sondern ein Instrument, welches seine Durchsetzung effektiv sicherstellt.

Dieses ist in einem Entgeltgleichheitsgesetz zu verankern. Dabei darf das Gesetz
die Rechte von Betriebs-/Personalräten oder im Betrieb vertretenen Gewerk-
schaften ebenso wie die Individualrechte der Beschäftigten, selbständig gegen
(vermutete) Entgeltdiskriminierung vorzugehen, nicht einschränken.

Aber der Staat kann der mangelhaften Umsetzung der Entgeltgleichheit nicht
weiter tatenlos zusehen. „Freiwillige Vereinbarungen“ haben die diskriminie-
rende Lage nicht verbessert.

Ein Entgeltgleichheitsgesetz muss zum Ziel haben, nicht den Unternehmen
staatlich entwickelte Entgeltsysteme aufzuzwingen, sondern vielmehr die Ver-
antwortlichen zu veranlassen, ihre eigenen Entgeltsysteme diskriminierungsfrei
zu gestalten.

So muss für Entgeltsysteme gelten, dass sie in ihrer Gesamtheit so beschaffen
sein müssen, dass unmittelbare und mittelbare Diskriminierungen auf Grund des
Geschlechts ausgeschlossen werden können; gleiche und gleichwertige Arbeit
muss gleich bezahlt werden. Tarifvertragsparteien und Unternehmen sind ver-
pflichtet, ihren Entgeltsystemen diskriminierungsfreie Arbeitsbewertungsver-
fahren und Arbeitsbewertungen zugrunde zu legen.

So sind Tätigkeiten, die überwiegend von Frauen ausgeführt werden, nach den
gleichen Kriterien zu bewerten wie diejenigen Tätigkeiten, die überwiegend
von Männern ausgeführt werden.
Es gibt inzwischen verschiedene zielführende Instrumente zur Prüfung auf Ent-
geltungleichheit.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/5038

Freiwilliges Handeln einzelner Unternehmen, das die Bundesregierung präfe-
riert, reicht aber bei Weitem nicht aus.

Um Entgeltungleichheit wirksam zu bekämpfen, müssen Unternehmen ver-
pflichtet werden, Entgeltstrukturen im Betrieb in Bezug auf geschlechtsspezifi-
sche Unterschiede festzustellen, zu analysieren und zu beseitigen. Dazu müssen
auch die Beschäftigten und die Betriebs- und Tarifvertragsparteien eingebunden
werden.

Gefordert sind nicht nur die Unternehmen, sondern vordringlich der Gesetz-
geber. Er ist durch Verfassung und Europarecht aufgefordert, zielführend tätig
zu werden und entsprechende gesetzliche Regelungen in Kraft zu setzen. Dabei
müssen die spezifischen Bedingungen für die Durchsetzung der Entgeltgleich-
heit berücksichtigt werden.

Dazu zählt auch, dass es der Respekt vor der Tarifautonomie gebietet, die gesetz-
lichen Eingriffe des Staates so gering wie möglich zu halten. Seine Aufgabe ist
es, Prozesse in Gang zu setzen und typische Blockaden überwinden zu helfen,
damit diejenigen, denen die kollektive Entgeltfindung übertragen ist, ihren Auf-
gaben adäquat nachkommen können.

Neben einer gesetzlichen Regelung zur Entgeltgleichheit kann im Vorfeld die
Einführung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns einen wichtigen
Beitrag leisten, um die Entgeltungleichheit zwischen Männern und Frauen zu
verringern. Angesichts der geringen Tarifbindung in den Bereichen mit mehr-
heitlich Frauentätigkeiten ist seine Einführung erforderlich und alternativlos (so
das Fraunhofer-Gutachten für das Bundesministerium für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend). Allerdings wird mit einem Mindestlohn nur eine Lohn-
untergrenze gesetzt.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf zur Durchsetzung von Entgeltgleichheit vorzulegen,
der aus folgenden Kernelementen besteht:

– Das Gesetz soll für alle Arbeitgeber der Privatwirtschaft mit einer be-
stimmten Beschäftigtenanzahl, den öffentlichen Dienst und für Tarif-
vertragsparteien, die Branchen- oder Firmentarifverträge abschließen,
gelten;

– die Unternehmen werden aufgefordert, einer behördlichen Stelle anony-
misierte, geschlechtsspezifisch aufgeschlüsselte betriebliche Entgeltdaten
in Form eines betrieblichen Entgeltberichts in regelmäßigen Abständen
vorzulegen;

– die behördliche Stelle prüft den Entgeltbericht auf Verdachtsmomente,
die auf eine geschlechtsspezifische Ungleichbehandlung hinweisen. Das
Ergebnis ist betriebsöffentlich zugänglich zu machen;

– die Unternehmen stellen sicher, dass bei der Erstellung des Berichts
Betriebs- und Personalräte, Gleichstellungsbeauftragte und Beschäftigte
sowie Tarifvertragsparteien einbezogen werden;

– die Sicherstellung des Datenschutzes muss durch die behördliche Stelle
gewährleistet werden;

– ergeben sich aus der Prüfung Verdachtsmomente für eine Entgelt-
diskriminierung, so muss eine detaillierte, expertengestützte Prüfung
mittels eines Lohnmessverfahrens vorgenommen werden;

Drucksache 17/5038 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
– bei dieser erweiterten betrieblichen Prüfung können sich Verdachts-
momente erhärten oder ausgeräumt werden. Das Auskunftsrecht auf die
für eine Prüfung notwendigen Daten haben die Beschäftigten, der Be-
triebs- und Personalrat sowie die Gewerkschaften;

– bei Vorliegen von Entgeltungleichheit wird der Arbeitgeber verpflichtet,
diese binnen einer im Gesetz festgelegten Frist zu beseitigen;

– im Verfahren zur Beseitigung festgestellter Entgeltungleichheit wird eine
erweiterte Einigungsstelle analog zum Betriebsverfassungsgesetz als Ent-
geltgleichheitskommission eingerichtet. Der Spruch der Einigungsstelle
ist bindend, der behördlichen Stelle vorzulegen sowie betriebsöffentlich
zu machen;

– zivilgesellschaftliche Akteure außerhalb der Betriebe müssen mit Ein-
flussmöglichkeiten ausgestattet werden, um staatliches Eingreifen auf ein
Minimum zu reduzieren;

– ein Verbandsklagerecht für die entsprechenden Antidiskriminierungsver-
bände (z. B. Gewerkschaften) ist vorzusehen, wenn die Verpflichteten
sich weigern, Entgeltungleichheit zu beseitigen;

– die Tarifvertragsparteien werden verpflichtet, ihre Tarifverträge in Bezug
auf Entgeltgleichheit zu überprüfen und gegebenenfalls umzugestalten.
Hierfür müssen die Tarifvertragsparteien zunächst einen tariflichen Ent-
geltbericht erstellen;

– sofern die Ablösung bisher geltender Tarifverträge und Entgeltsysteme
durch diskriminierungsfreie Regelungen zu erheblichen Erhöhungen bei
der Lohnsumme führt und die wirtschaftliche Situation des Unter-
nehmens dies erfordert, sind Regelungen vorzusehen, die die Umsetzung
diskriminierungsfreier Entgeltsysteme in Stufen ermöglichen;

2. einen Gesetzentwurf entsprechend dem Entwurf eines Gesetzes über die
Festsetzung des Mindestlohnes (Bundestagsdrucksache 17/4665 (neu)) vor-
zulegen, der die Einführung eines gesetzlichen flächendeckenden Mindest-
lohns regelt.

Berlin, den 15. März 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

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