BT-Drucksache 17/4992

Gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten am 19. Februar 2011 in Dresden

Vom 4. März 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4992
17. Wahlperiode 04. 03. 2011

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Dr. Dagmar Enkelmann,
Klaus Ernst, Nicole Gohlke, Annette Groth, Dr. Rosemarie Hein, Inge Höger,
Dr. Lukrezia Jochimsen, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Caren Lay, Michael Leutert,
Ulrich Maurer, Dorothee Menzner, Kornelia Möller, Niema Movassat, Petra Pau,
Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Sabine Stüber, Dr. Kirsten
Tackmann, Harald Weinberg, Katrin Werner und der Fraktion DIE LINKE.

Gewaltsames Vorgehen der Polizei gegen Antifaschistinnen und Antifaschisten
am 19. Februar 2011 in Dresden

Rund 20 000 Antifaschistinnen und Antifaschisten haben am 19. Februar 2011
in Dresden der Neonaziszene eine klare Niederlage bereitet. Der geplante Auf-
marsch der extremen Rechten wurde durch das entschlossene Handeln der anti-
faschistischen Demonstrantinnen und Demonstranten vereitelt, die damit ihren
Erfolg aus dem Vorjahr, als sie den Naziaufmarsch ebenfalls verhindern konn-
ten, noch übertrafen.

Das Einsatzkonzept der sächsischen Polizei – die von Einheiten der Bundes-
polizei unterstützt wurde – sah aber die rigorose Abschottung der Gegen-
demonstranten vor. Dabei kam es mitunter zu äußerst gewaltsamem und eskalie-
rendem Vorgehen, wie durch zahlreiche Videos im Internet und Augen-
zeugenberichte dokumentiert. Insbesondere über massiven und ohne Vorwar-
nung erfolgten Einsatz von Pfefferspray bzw. Pepperball sowie von
Wasserwerfern wird berichtet (www.youtube.com/watch?v=EdXsLFLY_fs,
Pfeffersprayeinsatz gegen abziehende Personengruppe; www.youtube.com/
watch?v=9bAVcACehOc&feature=player_embedded, Pfeffersprayeinsatz auf
gewaltfreien Demonstranten, möglicherweise einen Journalisten). Um einen
besonders eklatanten Fall von Polizeigewalt handelt es sich beim anlasslosen
Angriff eines Wasserwerfers auf eine Menschenmenge, die sich friedlich über
eine Kreuzung bewegte (www.youtube.com/watch?v=N1vYuHpGKlI&feature=
player_embedded).

Räumlichkeiten des Bündnisses „Dresden Nazifrei“ sowie die Geschäftsstelle
der Partei DIE LINKE. wurden am Abend des 19. Februar 2011 von einem Ein-
satzkommando der Polizei durchsucht. Von der Razzia waren auch andere
Räumlichkeiten des Gebäudes betroffen, darunter eine Anwaltskanzlei und ein
Jugendverein. Nach Augenzeugenberichten wurden Mobiliar zertrümmert,

Türen eingetreten, willkürlich Menschen festgenommen. Die Polizei wollte,
einer Sprecherin des Landeskriminialamtes Sachsen zufolge, eine Koordinie-
rungsstelle „finden und ausschalten“.

Hingegen konnten Nazis, die mit Steinen und Eisenstangen ein linkes Wohn-
projekt im Dresdener Stadtteil Löbtau angriffen, dort ungehindert von der Poli-
zei agieren, die sich aufs Beobachten beschränkte (www.youtube.com).

Drucksache 17/4992 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Der Vizepräsident des Deutschen Bundestages, Dr. h. c. Wolfgang Thierse,
kommentierte die Ereignisse in der Presse folgendermaßen: „Die Polizei ist
eben vollauf damit beschäftigt, die Neonazis zu schützen (…) Das ist sächsi-
sche Demokratie.“

Es muss aufgeklärt werden, inwiefern Einheiten der Bundespolizei zu dieser
Art der Demokratiedurchsetzung beigetragen haben. Wenn eine Landespolizei
brutal gegen Antifaschisten vorgeht, um Nazis zu schützen, sollte die Bundes-
polizei dies nicht auch noch unterstützen.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Mit wie vielen Einsatzkräften war die Bundespolizei an welchen Stellen in
Dresden eingesetzt?

a) Wie viele davon waren als Unterstützung der sächsischen Landespolizei
eingesetzt?

b) Wie viele waren im Rahmen der bahnpolizeilichen Aufgabenwahrneh-
mung eingesetzt?

c) Wie viele Bundespolizisten werden sonst durchschnittlich im Rahmen
der bahnpolizeilichen Aufgabenwahrnehmung eingesetzt?

d) Welche Kosten sind dabei entstanden, und wer kommt für diese auf?

2. Welche Unterstützungsanforderungen wurden bis zum Abschluss des Ein-
satzes an die Bundespolizei herangetragen, und wie waren sie jeweils be-
gründet, in welchem Umfang – Personal und Gerät – wurde ihnen jeweils
nachgekommen, welche Kosten sind dabei entstanden, und wer kommt für
diese Kosten auf?

3. Wie ist der Einsatz von Bundespolizisten konkret geregelt worden?

a) Welche Gremien und Stäbe sind eingerichtet worden, in denen die Bun-
despolizei oder andere Vertreter des Bundes vertreten waren (bitte Anzahl
der Vertreter, die entsendenden Behörden unter Angabe der jeweiligen
Abteilung, die Gesamtzusammensetzung der Gremien und jeweilige Auf-
gaben nennen)?

b) Inwiefern ist die Bundespolizei in die Einsatzstrategie und -taktik einge-
weiht worden bzw. inwiefern hat sie diese mitgestaltet?

c) Wie ist der Einsatz in der Praxis durchgeführt worden, wer hat ihn geführt,
von wem hat die Bundespolizei Weisungen erhalten, und wie ist die Ko-
ordination ihres Einsatzes im Rahmen des Gesamteinsatzes sichergestellt
worden?

4. Wie sah das Einsatzkonzept aus, und wie bewertet die Bundesregierung des-
sen Umsetzung?

5. Wie bewertet die Bundesregierung den von zahlreichen Teilnehmerinnen
und Teilnehmern der Proteste sowie auf Videos dokumentierten großflächi-
gen Einsatz von Pfefferspray?

6. Haben Angehörige der Bundespolizei Pfefferspray oder andere Reizmittel
verwendet, und wenn ja,

a) wann und wo genau,

b) wie viele Sprühdosen wurden verbraucht bzw. welcher Ersatzbedarf
wurde angezeigt (bitte jeweils die Füllmenge angeben)?

c) Verfügt die Bundespolizei mittlerweile über Pepperball-Systeme, und

wenn ja, hat sie diese gegen Demonstranten eingesetzt, und wenn ja, wie
viele Schüsse hat sie wann und wo genau abgegeben?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4992

7. Hat die Bundespolizei Wasserwerfer eingesetzt, und wenn ja,

a) wann und wo genau, und inwiefern waren dem Wasser Reizstoffe beige-
mischt?

b) Inwiefern wurden die Opfer des Einsatzes vorgewarnt, bzw. in welchen
Fällen ist dies unterblieben (bitte begründen)?

c) Inwiefern war die Bundespolizei am Wasserwerfereinsatz, wie er auf
youtube (www.youtube.com) dokumentiert ist, beteiligt?

8. Welche rechtlichen Grundlagen regeln den Einsatz von Wasserwerfern,
insbesondere bei Minustemperaturen?

9. Wie bewertet die Bundesregierung die Durchsuchung des Pressebüros des
Bündnisses „Dresden Nazifrei“, bei der auch Räume der Partei DIE LINKE.
durchsucht und Computer sowie Mobiltelefone beschlagnahmt wurden?

Welche rechtliche Grundlage gab es für diese Aktion, und inwiefern waren
Bundespolizisten daran beteiligt?

10. Ist der Bundesregierung bekannt, ob es in Zusammenhang mit den polizei-
lichen Maßnahmen gegen die antifaschistische Bewegung Ermittlungen
nach § 129 des Strafgesetzbuches gibt (bitte ggf. soweit möglich Details
mitteilen)?

11. Waren Bundespolizisten während der Angriffe von Nazis auf das linke
Hausprojekt „Praxis“ zugegen, und wie erklärt sich die Bundesregierung,
dass die anwesende Polizei diesen Überfall nur beobachtete und es den
Nazis möglich war, sich an diesem Tag unter den Augen der Polizei diesem
Gebäude zu nähern?

12. Ist in der Vorbereitung des Polizeieinsatzes auf eine besondere Gefährdung
von Gebäuden, die linke Projekte oder Parteien beherbergen, hingewiesen
worden, und welche Planungen wurden für den Fall eines Naziangriffs vor-
genommen?

13. Gab es nach Kenntnis der Bundesregierung Anweisungen, Abgeordnete der
Partei DIE LINKE. nicht durch Polizeisperren zu lassen und sie gezielt
anders zu behandeln, als Abgeordnete anderer Parteien?

Wer kann solche Anweisungen gegenüber Beamten der Bundespolizei aus-
sprechen, die sich ebenfalls darauf bezogen haben und Mandatsträger der
Partei DIE LINKE. nicht durchgelassen haben?

14. Mit wie vielen Beamten ist die Bundespolizei an der nun eingesetzten
„Sonderkommission 19. Februar“ beteiligt?

a) Wer leitet die Sonderkommission, und wer gehört ihr außerdem noch an?

b) Wird der Überfall auf das „Haus der Begegnung“ am Abend des 19. Fe-
bruar 2011 ebenfalls Untersuchungsgegenstand der Sonderkommission
sein?

c) Welche Vorkommnisse sind aus Sicht der Bundesregierung vorrangig zu
prüfen, und welche Verdachtsfälle unverhältnismäßiger Polizeigewalt
gehören hierzu?

15. Wie viele Politikerinnen und Politiker werden nach ersten Erkenntnissen in
die Vorprüfungen für die Aufhebung der Immunität und der Einleitung von
Ermittlungsverfahren einbezogen sein?

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16. Wie bewertet die Bundesregierung den Naziaufzug am 19. Februar 2011?

a) Welches Spektrum der rechtsextremen Szene war hier vertreten?

b) Aus welchen Bundesländern bzw. anderen europäischen Staaten kamen
Nazis nach Dresden?

17. Wie kam der Vertreter der Bundespolizei in der Sitzung des Innenausschus-
ses des Deutschen Bundestages am 23. Februar 2011 zu der nach Auffassung
der Fraktion DIE LINKE. völlig überzogenen Einschätzung, es seien in
Dresden 3 500 „gewaltbereite“ linke Demonstrantinnen und Demonstranten
gewesen?

a) Auf welcher Grundlage beruht diese Angabe?

b) Über welche eigenen diesbezüglichen Erkenntnisse verfügt die Bundes-
regierung, und wie hat sie diese erlangt?

c) Falls sie nicht über eigene Erkenntnisse verfügt, inwiefern macht sie
sich Angaben der sächsischen Landesregierung zu eigen, und was weiß
sie über diesen Angaben zugrunde liegende Erkenntnisse?

d) Wie viele Demonstranten haben sich nach Auffassung der Bundesregie-
rung tatsächlich gewalttätig verhalten, und inwiefern wertet sie hierbei
schon Blockaden als Gewalttat?

18. Wie bewertet die Bundesregierung den politischen Schaden, der entsteht,
wenn eine Landespolizei mit Unterstützung der Bundespolizei, wie am
19. Februar 2011 in Dresden, ihre Kraft vorrangig darauf konzentriert, den
Naziaufmarsch zu schützen, und dafür ganze Stadtteile frei von Antifa-
schisten zu halten?

19. Beabsichtigt die Bundesregierung, die Erfahrungen von Dresden im Rah-
men der Innenministerkonferenz zu thematisieren und Konsequenzen für
künftige Polizeieinsätze anlässlich von Naziaufmärschen zu ziehen, und
wenn ja, welche Konsequenzen erwägt sie?

Berlin, den 1. März 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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