BT-Drucksache 17/4911

Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch streichen - Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen gewährleisten

Vom 24. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4911
17. Wahlperiode 24. 02. 2011

Antrag
der Abgeordneten Dr. Ilja Seifert, Dr. Martina Bunge, Diana Golze, Matthias W.
Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Katja Kipping, Jutta Krellmann, Cornelia
Möhring, Kathrin Senger-Schäfer, Kersten Steinke, Kathrin Vogler, Harald
Weinberg, Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Kostenvorbehalt in § 13 des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch streichen –
Selbstbestimmtes Leben für Menschen mit Behinderungen gewährleisten

Der Bundestag wolle beschließen:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf, kurzfristig einen Ge-
setzentwurf zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch (SGB XII)
vorzulegen, der die Aufhebung des Kostenvorbehalts in § 13 Absatz 1 SGB XII
vorsieht.

Berlin, den 24. Februar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Alle Menschen haben nach Artikel 13 der Allgemeinen Erklärung der Men-
schenrechte das Recht auf Freizügigkeit. Darunter fällt auch die freie Wahl
des Aufenthaltsortes. Menschen mit Behinderungen werden jedoch aus (im
SGB XII gesetzlich verankerten) Kostengründen gegen ihren Willen gezwun-
gen, in einem Heim zu leben, obwohl sie in einer eigenen Wohnung oder ande-
ren Wohnform leben möchten. Möglich wird das, wenn die Kommune nicht be-
reit ist, ggf. höhere Kosten für Assistenzleistungen in einer eigenen Wohnung im
Vergleich zu anfallenden Assistenzkosten in einer stationären Einrichtung zu be-
zahlen.

Was dies für die Betroffenen bedeutet, bezeugen eindrucksvoll die Lebens- und
Leidensgeschichten von Elke Bartz (siehe Projekt „Marsch aus den Institu-
tionen: Reißt die Mauern nieder!“ in www.forsea.de), Matthias Grombach
(siehe u. a. „Grombachs Freiheit immer noch bedroht – ZDF berichtet“ in
www.kobinet-nachrichten.org vom 30. April 2010) und viele andere inzwischen
dokumentierte Berichte von Menschen mit Behinderungen.

Seit dem 26. März 2009 ist die UN-Konvention über die Rechte von Menschen
mit Behinderungen (BRK) geltendes Recht in der Bundesrepublik Deutschland.
Danach sind die Bundesregierung, Landesregierungen und Kommunen ver-
pflichtet, Menschen mit Behinderungen zu ermöglichen, ihren Aufenthaltsort

Drucksache 17/4911 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
frei zu wählen und zu entscheiden, wo und mit wem sie leben. Menschen mit Be-
hinderungen sind nicht verpflichtet, in besonderen Wohnformen zu leben; ihnen
ist der Zugang zu einer Reihe von gemeindenahen Unterstützungsdiensten zu
Hause und in Einrichtungen, einschließlich der persönlichen Assistenz, die zur
Unterstützung des Lebens in der Gemeinschaft und der Einbeziehung in die
Gemeinschaft sowie zur Verhinderung von Isolation und Absonderung von der
Gemeinschaft notwendig ist, zu gewähren (vgl. Artikel 19 BRK).

Dem entgegen steht immer noch die Regelung des § 13 Absatz 1 Satz 3
SGB XII, wonach Behörden Menschen gegen ihren Willen zwingen können, in
einem Heim zu leben, „wenn eine Leistung für eine geeignete stationäre Einrich-
tung zumutbar und eine ambulante Leistung mit unverhältnismäßigen Mehr-
kosten verbunden ist.“ Dabei vermuten die Kommunen ungerechtfertigt einen
großen Ermessensspielraum hinsichtlich der Frage, was zumutbar ist. Doch
nach der BRK entfällt grundsätzlich der erst 1996 eingeführte Kostenvorbehalt,
wenn die betroffene Person eine stationäre Einrichtung für sich als Wohnform
ausschließt.

Zwei Jahre nach Ratifizierung der Menschenrechtskonvention ist eine rechtliche
Klarstellung durch Streichung des Kostenvorbehalts folgerichtig und notwen-
dig. Sie gewährleistet, dass Menschen mit Behinderungen in allen Kommunen
ihren Aufenthaltsort auch ohne langwierigen Rechtsstreit frei wählen können
und nicht mehr gegen ihren Willen aus Kostengründen gezwungen werden, in
Behinderten- und Altenheimen oder anderen stationären Einrichtungen zu le-
ben.

x

Schnellsuche

Suchen Sie z.B.: "13 BGB" oder "I ZR 228/19". Die Suche ist auf schnelles Navigieren optimiert. Erstes Ergebnis mit Enter aufrufen.
Für die Volltextsuche in Urteilen klicken Sie bitte hier.