BT-Drucksache 17/4694

Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes

Vom 9. Februar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4694
17. Wahlperiode 09. 02. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic,
Jerzy Montag, Dr. Konstantin von Notz, Wolfgang Wieland, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes

A. Problem

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 3. Juli 2008 (Akten-
zeichen 2 BvC 1/07, 2 BvC 7/07) festgestellt, dass das Bundeswahlgesetz
(BWahlG) punktuell gegen das Grundgesetz verstößt, weil ein Zuwachs an
Zweitstimmen zu einem Verlust an Sitzen der Landeslisten oder ein Verlust an
Zweitstimmen zu einem Zuwachs an Sitzen der Landeslisten führen kann (Phä-
nomen des sogenannten negativen Stimmgewichts). Der Gesetzgeber wird auf-
gefordert, bis spätestens zum 30. Juni 2011 eine verfassungsgemäße Regelung
zu treffen.

B. Lösung

Beseitigung des negativen Stimmgewichts durch eine systemkonforme Ände-
rung im geltenden Wahlsystem.

C. Alternativen

Die Koalitionsfraktionen der CDU/CSU und FDP haben immer noch keinen
Alternativentwurf zum vorliegenden Vorschlag vorgelegt, der dem in der letz-
ten Legislaturperiode eingebrachten im Wesentlichen entspricht (vgl. Bundes-
tagsdrucksachen 16/11885, 16/13658).

D. Kosten

Es ist mit minimalen Kosten für die Anpassung der für die Wahl eingesetzten
Berechnungssoftware zu rechnen. Länder und Gemeinden werden durch die
Novellierung nicht mit Kosten belastet.

6. § 7 wird wie folgt gefasst:
b) In Absatz 2 werden nach dem Wort „werden“ die
Wörter „vorbehaltlich der Regelung in § 7 Absatz 6“
eingefügt.

3. In § 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 werden die Wörter
„§ 6 Abs. 2 Satz 2 bis 7 für die Verteilung der Sitze auf

㤠7
Zuteilung der Sitze an die Parteien auf Bundesebene

(Oberzuteilung)

(1) Zwischen den Parteien erfolgt die Verteilung der
Drucksache 17/4694 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes

Vom …

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung des Bundeswahlgesetzes

Das Bundeswahlgesetz in der Fassung der Bekanntma-
chung vom 23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288, 1594), zuletzt
geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom … (BGBl. I
S. …), wird wie folgt geändert:

1. Die Inhaltsübersicht wird wie folgt geändert:

a) Der Erste Abschnitt wird wie folgt gefasst:

„Erster Abschnitt

Wahlsystem

§ 1 Zusammensetzung des Deutschen
Bundestages und Wahlrechtsgrundsätze

§ 2 Gliederung des Wahlgebietes

§ 3 Wahlkreiskommission und
Wahlkreiseinteilung

§ 4 Stimmen

§ 5 Wahl in den Wahlkreisen

§ 6 Allgemeines zur Verteilung im
Verhältniswahlsystem

§ 7 Zuteilung der Sitze an die Parteien auf
Bundesebene (Oberzuteilung)

§ 7a Zuteilung der Sitze an die Landeslisten
der Parteien (Unterzuteilung)“.

b) Die Angabe zu § 29 wird wie folgt gefasst:

„§ 29 (weggefallen)“.

c) Die Angabe zu § 53 wird wie folgt gefasst:

„§ 53 Übergangsregelung“.

2. § 1 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 1 wird folgender Satz angefügt:

„Ziel ist dabei, dass die Zusammensetzung des Deut-
schen Bundestages unter Berücksichtigung der Di-
rektmandate insgesamt dem Verhältnis der bundes-
weiten Zweitstimmenanteile der Parteien entspricht.“

4. § 5 wird wie folgt gefasst:

㤠5
Wahl in den Wahlkreisen

Mit Ausnahme der in § 7 Absatz 6 geregelten Fälle ist
der Bewerber im Wahlkreis gewählt, der die meisten
Stimmen auf sich vereinigt. Bei Stimmengleichheit ent-
scheidet das vom Kreiswahlleiter zu ziehende Los.“

5. § 6 wird wie folgt gefasst:

㤠6
Allgemeines zur Verteilung im Verhältniswahlsystem

(1) Die Sitze sind zunächst auf die Parteien (§ 7) und
sodann auf die Landeslisten der Parteien (§ 7a) zu vertei-
len.

(2) Bei der Verteilung der Sitze werden nur Parteien
berücksichtigt, die mindestens 5 vom Hundert der im
Wahlgebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten oder in
mindestens drei Wahlkreisen erfolgreich waren. Das gilt
nicht für Parteien nationaler Minderheiten.

(3) Bei der Berechnung werden die Zweitstimmen
derjenigen Wähler, die ihre Erststimme einem erfolgrei-
chen Wahlkreisbewerber im Sinne des § 20 Absatz 3
oder einem erfolgreichen Parteibewerber gegeben ha-
ben, für den in dem Land keine Landesliste zugelassen
ist, nicht berücksichtigt. Ebenso nicht berücksichtigt
werden die Zweitstimmen derjenigen Wähler, die eine
nach Absatz 2 nicht zu berücksichtigende Partei gewählt
haben.

(4) Die Gesamtzahl der zu vergebenden Sitze im
Sinne der nachfolgenden Vorschriften entspricht der in
§ 1 Absatz 1 Satz 1 genannten Zahl. Dies gilt nicht in
den in Absatz 3 genannten Fällen und in den Fällen, in
denen eine Partei in weniger als drei Wahlkreisen erfolg-
reich war, ohne mindestens 5 vom Hundert der im Wahl-
gebiet abgegebenen Zweitstimmen erhalten zu haben. In
diesen Fällen ist die Zahl der danach erfolgreichen
Wahlbewerber zur Ermittlung der Gesamtzahl von der in
§ 1 Absatz 1 Satz 1 genannten Zahl abzuziehen.

(5) Soweit in den nachfolgenden Vorschriften eine
Rundung vorgesehen ist, werden Zahlenbruchteile unter
0,5 auf die darunterliegende ganze Zahl abgerundet,
Zahlenbruchteile über 0,5 auf die darüberliegende ganze
Zahl aufgerundet. Zahlenbruchteile, die gleich 0,5 sind,
werden so auf- oder abgerundet, dass die Gesamtzahl der
zu vergebenden Sitze eingehalten wird. Ergeben sich da-
bei mehrere Sitzzuteilungen, entscheidet das vom Bun-
deswahlleiter zu ziehende Los.“
die Landeslisten“ durch die Wörter „§ 7 Absatz 2 bis 4
für die Verteilung der Sitze auf die Parteien“ ersetzt.

Sitze im Verhältnis der zu berücksichtigenden Zweit-
stimmen, die sie im Wahlgebiet erhalten haben.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4694

(2) Hierzu werden alle zu berücksichtigenden Zweit-
stimmen durch die Gesamtzahl der zu vergebenden
Sitze geteilt (Bundesdivisor). Der Bundesdivisor gibt
an, wie viele Zweitstimmen notwendig sind, um nach
dem Ergebnis der Zweitstimmen einen Sitz im Deut-
schen Bundestag zu erlangen.

(3) Anschließend werden für jede Partei die nach
Absatz 1 zu berücksichtigenden Zweitstimmen zusam-
mengezählt. Die Stimmensummen werden jeweils
durch den Bundesdivisor geteilt. Jedes Teilungsergeb-
nis wird gerundet.

(4) Entspricht die Summe der nach Absatz 3 für die
Parteien ermittelten Sitze nicht der Gesamtzahl der zu
vergebenden Sitze, ist der Bundesdivisor so herauf-
oder herabzusetzen, dass die Gesamtzahl der zu verge-
benden Sitze erreicht wird.

(5) Die so für jede Partei ermittelte Zahl ist die Zahl
der ihr zur Verfügung stehenden Sitze (Gesamtsitz-
zahl).

(6) Erzielt eine Partei bei der Zuteilung mehr Direkt-
mandate, als ihr Sitze nach Absatz 5 zustehen, so wer-
den die überzähligen Wahlkreissitze der Kandidaten
dieser Partei mit dem geringsten prozentualen Stim-
menanteil nicht besetzt; bei gleichem Stimmenanteil
entscheidet das Los.

(7) Erhält eine Partei, auf die mehr als die Hälfte
aller zu berücksichtigenden Zweitstimmen entfallen,
nicht mehr als die Hälfte aller Sitze, so werden ihr so
viele weitere Sitze zugeteilt, bis sie über eine absolute
Sitzmehrheit verfügt. Die Verteilung unter den anderen
Parteien findet ohne Berücksichtigung dieser Sitze
statt.“

7. Nach § 7 wird folgender § 7a eingefügt:

㤠7a
Zuteilung der Sitze an die Landeslisten der Parteien

(Unterzuteilung)

(1) Die Verteilung der Sitze auf die Landeslisten
einer Partei, die ihr nach § 7 zustehen, erfolgt nach
dem Verhältnis der Zweitstimmenergebnisse dieser
Listen.

(2) Hierzu wird die Summe der zu berücksichtigen-
den Zweitstimmen, die eine Partei im Wahlgebiet er-
rungen hat, durch die für diese Partei nach § 7 Absatz 1
bis 4 errechnete Gesamtzahl der ihr zustehenden Sitze
geteilt (Parteidivisor). Der Parteidivisor gibt jeweils
an, wie viele Zweitstimmen eine Partei benötigt, um
nach dem Ergebnis ihrer Zweitstimmen einen Sitz im
Deutschen Bundestag zu erlangen.

(3) Anschließend werden die zu berücksichtigenden
Zweitstimmen einer Partei in jedem Land zusammen-
gezählt. Die Stimmensummen werden jeweils durch
den für diese Partei ermittelten Parteidivisor (§ 7a
Absatz 2) geteilt. Jedes Teilungsergebnis wird gerun-
det. Das so ermittelte Ergebnis gibt vorbehaltlich der
Absätze 4 bis 7 die Zahl der Mandate an, die eine Par-
tei in einem Land insgesamt errungen hat.

die betreffende Partei nach § 7 Absatz 1 bis 4 errech-
neten Gesamtzahl, ist der Parteidivisor so herauf- oder
herabzusetzen, dass die Gesamtsitzzahl erreicht wird.

(5) Von der nach den vorstehenden Absätzen für die
Landesliste einer Partei ermittelten Abgeordnetenzahl
wird die Zahl der von der betreffenden Partei in den
Wahlkreisen des betreffenden Landes errungenen Man-
date abgezogen (Sitzzahl einer Landesliste).

(6) Verbleiben nach der Berechnung gemäß Absatz 5
Sitze, so werden diese aus der Landesliste in der dort
festgelegten Reihenfolge besetzt. Bewerber, die in
einem Wahlkreis gewählt sind, werden dabei nicht be-
rücksichtigt. Ist die Liste erschöpft, so wird der Sitz
aus der Landesliste besetzt, auf die er bei erneuter An-
wendung der Absätze 2 bis 4 entfällt. Sind alle Landes-
listen dieser Partei erschöpft, so bleibt der Sitz unbe-
setzt.

(7) Ergibt sich bei der Berechnung gemäß Absatz 5
eine negative Zahl, so muss der Parteidivisor so her-
aufgesetzt werden, dass die Zahl der dieser Partei zu-
stehenden Sitze unter Berücksichtigung der zu ihren
Gunsten errungenen Direktmandate der für diese Partei
ermittelten Gesamtsitzzahl (§ 7 Absatz 5) entspricht.
Absatz 6 gilt entsprechend.“

8. § 29 wird aufgehoben.

9. In § 46 Absatz 2 wird die Angabe „§ 6 Abs. 4 Satz 3“
durch die Wörter „§ 7a Absatz 6 Satz 2“ ersetzt.

10. § 48 Absatz 1 wird wie folgt gefasst:

„(1) Wenn ein gewählter Bewerber stirbt oder dem
Landeswahlleiter schriftlich die Ablehnung des Er-
werbs der Mitgliedschaft erklärt oder wenn ein Abge-
ordneter stirbt oder sonst nachträglich aus dem Deut-
schen Bundestag ausscheidet, so wird der Sitz aus der
Landesliste derjenigen Partei besetzt, für die der ge-
wählte Bewerber oder ausgeschiedene Abgeordnete
bei der Wahl aufgetreten ist. Wurde der gewählte Be-
werber oder ausgeschiedene Abgeordnete über eine
Landesliste gewählt, wird der Sitz aus dieser Landes-
liste besetzt. Hat der gewählte Bewerber oder ausge-
schiedene Abgeordnete den Sitz in einem Wahlkreis
errungen, wird der Sitz aus der Landesliste besetzt, auf
die er bei erneuter Anwendung von § 7a Absatz 2 bis 7
entfällt. Bei der Nachfolge bleiben diejenigen Listen-
bewerber unberücksichtigt, die seit dem Zeitpunkt der
Aufstellung der Landesliste aus dieser Partei ausge-
schieden oder Mitglied einer anderen Partei geworden
sind. Unberücksichtigt bleiben ebenso Listenbewerber,
die als gewählte Bewerber im Wahlkreis ihren Mit-
gliedschaftserwerb abgelehnt oder als Abgeordnete auf
ihre Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag verzichtet
haben. Ist die Liste erschöpft, so wird der Sitz aus der
Landesliste besetzt, auf die er bei erneuter Anwendung
von § 7a Absatz 2 bis 4 entfällt. Sind alle Landeslisten
dieser Partei erschöpft, so bleibt der Sitz unbesetzt. Die
Feststellung, wer als Listennachfolger eintritt, trifft der
Bundeswahlleiter. Er benachrichtigt den Listennach-
(4) Entspricht die Summe der nach Absatz 3 ermit-
telten Sitze einer Partei in allen Ländern nicht der für

folger und fordert ihn auf, binnen einer Woche schrift-
lich zu erklären, ob er die Nachfolge annimmt.“

Drucksache 17/4694 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

11. § 53 wird wie folgt gefasst:

㤠53
Übergangsregelung

Auf Berufungen von Listennachfolgern in den
17. Deutschen Bundestag nach § 48 Absatz 1 finden
die Regelungen dieses Gesetzes in seiner Fassung vom
23. Juli 1993 (BGBl. I S. 1288), zuletzt geändert durch
Gesetz vom 17. März 2008 (BGBl. I S. 394) Anwen-
dung.“

Artikel 2
Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in
Kraft.

Berlin, den 8. Februar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

zur Verteilung der Zweitstimmenmandate – enthalten ist. ßend auf Landesebene (Unterzuteilung) ermittelt werden. Er
Das im Gesetzentwurf enthaltene und für die Berechnung
der Sitzzahlen nach dem Zweitstimmenergebnis relevante
Zuteilungsverfahren ist das Divisorverfahren mit Standard-

enthält zudem Regelungen, die für die nachfolgenden Vor-
schriften (§§ 7 und 7a) gemeinsam gelten.

Die Regelung zur 5-Prozent-Hürde in Absatz 2 entspricht
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4694

Begründung

A. Allgemeiner Teil

Das Bundesverfassungsgericht hat mit seiner Entscheidung
vom 3. Juli 2008 den Gesetzgeber aufgefordert, das verfas-
sungswidrige Phänomen des sogenannten negativen Stimm-
gewichts zu beseitigen. Es hat dem Gesetzgeber hierfür eine
Frist bis zum 30. Juni 2011 eingeräumt. Die Koalitionsfrak-
tionen der CDU/CSU und FDP haben bislang keinen Ge-
setzentwurf zur Umsetzung des Urteils erarbeitet, obwohl
seit der Entscheidung zweieinhalb Jahre vergangen sind.
Damit haben sie die Entscheidung des Bundesverfassungs-
gerichts missachtet, die nicht die unmittelbare Nichtigkeit
des Gesetzes aussprach, um eine ausreichende Beratungs-
zeit im Parlament zu sichern. Die Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN hat bereits in der letzten Wahlperiode dem
Deutschen Bundestag einen Gesetzentwurf vorgelegt (vgl.
Bundestagsdrucksachen 16/11885, 16/13658). Diesen legt
sie nunmehr mit einigen Überarbeitungen erneut vor.

Eine öffentliche Anhörung der Initiatorin zum Gesetzent-
wurf in der 16. Wahlperiode hat ergeben, dass der beste-
hende Makel des Wahlrechts geeignet ist, das Wahlergebnis
zu verfälschen und Mehrheiten manipulativ zu verschieben.
Die Nachwahl im Wahlkreis Dresden I am 2. Oktober 2005
hat gezeigt, dass die Wählerinnen und Wähler sehr wohl in
der Lage sind, das bestehende Phänomen des negativen
Stimmgewichts in ihre Entscheidung einzukalkulieren und
entsprechend zu handeln.

Die elementare Bedeutung, die faire Wahlen für unsere
Demokratie haben, gebietet es, den Makel der Verfassungs-
widrigkeit im bestehenden Wahlrecht schnellstmöglich zu
beseitigen. Darüber hinausgehende Überlegungen zur
Reform des Wahlrechts können indes späteren Gesetzes-
initiativen vorbehalten werden.

Der vorliegende Entwurf beseitigt die Verfassungswidrig-
keit im Bundeswahlgesetz dadurch, dass die Anrechnung
der Direktmandate auf das Zweitstimmenergebnis bereits
auf Bundesebene, auf der Ebene der sogenannten Oberzu-
teilung, und nicht – wie nach bislang geltendem Recht – auf
Länderebene geschieht. Überhangmandate werden nicht
mehr entstehen: Dies verhindert die genannte Anrechnungs-
methode auf der Ebene der Oberzuteilung.

Der Gesetzentwurf will darüber hinaus dem Anspruch ge-
recht werden, das Wahlrecht in den zur Änderung anstehen-
den Teilen normenklarer und verständlicher zu machen (vgl.
BVerfG, 2 BvC 1/07 vom 3. Juli 2008, Absatz 144). Die ein-
zelnen mathematischen Rechenschritte zur Verteilung der
Mandate werden in ihrer logischen Reihenfolge aufgeführt.
Grundsätzliche Regelungen werden zu Beginn aufgenom-
men – so zum Beispiel die 5-Prozent-Hürde, die sich im
Entwurf an zentraler Stelle in § 6 Absatz 2 befindet, derzeit
jedoch in § 6 Absatz 6 BWahlG – also nach den Regelungen

(vgl. § 6 Absatz 2 BWahlG). Zu den Vorteilen dieses Ver-
fahrens vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zur Ein-
führung des Verfahrens auf Bundesebene (Bundestags-
drucksache 16/7461).

Als wesentliche Änderung gegenüber dem Ausgangsent-
wurf der 16. Wahlperiode wird nunmehr auch das Problem
der Überhangmandate bei der CSU gelöst. Es ist im Bun-
desstaat nicht hinnehmbar, dass ein Parteienkonglomerat
(CDU/CSU) Vorteile maximiert, indem einerseits bei der
Wahl zum Deutschen Bundestag Unabhängigkeit vorgespie-
gelt wird, andererseits sofort mit der Konstituierung des
Parlaments eine Fraktionsgemeinschaft gebildet wird. So-
lange CDU und CSU keine Listenverbindung eingehen, ist
die in § 7 Absatz 6 vorgeschlagene Regelung daher erfor-
derlich.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1

Zu Nummer 1

Es handelt sich um eine redaktionelle Anpassung der amt-
lichen Inhaltsübersicht des Gesetzes.

Zu Nummer 2 (§ 1)

Mit der neuen Regelung in Absatz 1 wird unterstrichen,
dass das leitende Prinzip des Bundeswahlrechts das des Ver-
hältniswahlrechts ist.

In Absatz 2 handelt sich um eine Folgeänderung, die auf-
grund der Neuregelung in § 7 Absatz 6 (Nichtzuerkennung
von Überhangmandaten) notwendig wird. Auf die Begrün-
dung zu § 7 Absatz 6 wird verwiesen.

Zu Nummer 3 (§ 3 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2)

Es handelt sich um eine redaktionelle Folgeänderung auf-
grund der Änderung in Nummer 6.

Zu Nummer 4 (§ 5)

Es handelt sich um eine Folgeänderung, die aufgrund der
Neuregelung in § 7 Absatz 6 (Nichtzuerkennung von Über-
hangmandaten) notwendig wird. Auf die Begründung zu § 7
Absatz 6 wird verwiesen.

Zu Nummer 5 (§ 6)

Der neue § 6 umreißt die Rahmenbedingungen der Vertei-
lung der Sitze nach dem Ergebnis der Zeitstimmen.
Absatz 1 stellt klar, dass die einer Partei zustehenden Sitze
zunächst auf Bundesebene (Oberzuteilung) und anschlie-
rundung nach Sainte-Laguë/Schepers. Dieses Verfahren
kommt bereits im geltenden Wahlrecht zur Anwendung

inhaltlich der Regelung im bisherigen § 6 Absatz 6 BWahlG
und rückt diese Vorschrift damit an eine zentralere Stelle.

Drucksache 17/4694 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Regelung in Absatz 3 Satz 1 entspricht inhaltlich der
Regelung im bisherigen § 6 Absatz 1 Satz 2 BWahlG. Mit
der Neuregelung in § 6 Absatz 3 Satz 2 wird eine vom Bun-
desverfassungsgericht in früheren Entscheidungen im bis-
herigen Wahlrecht vorhandene Regelungslücke geschlos-
sen, die bereits Gegenstand eines Gesetzentwurfs der Frak-
tion der CDU/CSU in der 15. Wahlperiode war (vgl. Bun-
destagsdrucksache 15/4717; BVerfGE 79, 161 ff., 168 f.;
95, 335 ff., 357). Mit der Neuregelung werden bei der Be-
rechnung der Verteilung der Sitze die abgegebenen Zweit-
stimmen der Wähler nicht mehr berücksichtigt, die ihre
Stimme erfolgreichen Wahlkreisbewerbern gegeben haben,
ohne dass für die entsprechende Partei die Grundmandats-
klausel nach § 6 Absatz 2 zur Anwendung kommt (soge-
nannte Berliner Zweitstimmen). Die Regelung erscheint un-
ter dem Gesichtspunkt der Gleichheit der Erfolgschancen
aller Stimmen notwendig, da bei einem stimmensplittenden
Wahlverhalten die Abrechnung eines Wahlkreismandates
mangels Landesliste von vornherein unmöglich ist. Der bis-
lang möglichen Berücksichtigung der entsprechenden
Zweitstimmen kommt daher ein nicht zu rechtfertigendes
Gewicht zu.

Absatz 4 regelt die Sitzzahl, von der bei der weiteren Be-
rechnung zur Zuteilung der Sitze auszugehen ist. Sie beträgt
grundsätzlich 598, vermindert sich aber in den in der Vor-
schrift genannten Fällen. Die Regelung entspricht im We-
sentlichen derjenigen des § 6 Absatz 1 Satz 3 BWahlG,
erweitert um die dort nicht explizit genannten Fälle, in de-
nen eine Partei weniger als drei Direktmandate errungen,
die 5-Prozent-Hürde bei den Zweitstimmen jedoch nicht
überschritten hat. Diese Sitze können nicht für die Ermitt-
lung der Zahl der den Parteien nach Maßgabe des Zweit-
stimmenergebnisses zustehenden Listenplätze herangezo-
gen werden.

In Absatz 5 sind die für das zur Anwendung kommende
Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/
Schepers notwendigen Rundungsregelungen, die für die
nachfolgenden Vorschriften der §§ 7 und 7a gelten, enthal-
ten. Sie finden sich derzeit in § 6 Absatz 2 Satz 3 und 4
BWahlG.

Generell kann im Rahmen der Beratungen des Gesetzent-
wurfs überlegt werden, ob das Berechnungsverfahren nicht
als Höchstzahlverfahren beschrieben werden soll (vgl. die
entsprechenden Regelungen in den Landeswahlgesetzen
von Bremen und Baden-Württemberg). Dies könnte die
Länge der Vorschriften verkürzen.

Zu Nummer 6 (§ 7)

Nach dieser Vorschrift wird errechnet, wie viele Sitze einer
Partei nach ihrem Zweitstimmenergebnis bundesweit und
insgesamt zustehen (Oberzuteilung). Grundsätzlich werden
dabei 598 Sitze verteilt (zu den Ausnahmen vgl. Nummer 4,
dort § 6 Absatz 4).

Die Regelung nach § 7 BWahlG, wonach die Landeslisten
als verbundene Listen gelten sofern nichts anderes erklärt
wird, wird durch die neue Regelung aufgehoben. Bislang ist
kein einziger Fall einer Erklärung nach § 7 Absatz 1

Zu den Absätzen 1 bis 5

Mit Absatz 1 wird klargestellt, dass die Verteilung der Sitze
anhand einer Verhältnismäßigkeitsrechnung durchgeführt
wird.

Die Absätze 2 bis 4 enthalten die nach dem Divisorver-
fahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/Schepers
notwendigen Berechnungsschritte. Der Zuteilungsdivisor
wird – in Abgrenzung zum Zuteilungsdivisor auf der Ebene
der Unterzuteilung (vgl. Nummer 6) – hier als Bundes-
divisor bezeichnet. Aufgrund der Teilung der Stimmen-
summen für jede Partei durch den Bundesdivisor und der
anschließenden Anwendung der Rundungsregelungen (vgl.
Absatz 3 des Gesetzentwurfs) ist es möglich, dass die
Summe der für die einzelnen Parteien ermittelten Sitze nicht
der Anzahl der zu vergebenden Sitze entspricht. In diesen
Fällen ist der Bundesdivisor so anzupassen (herauf- oder
herabzusetzen), dass die zu vergebende Sitzzahl erreicht
wird. Zur weiteren Begründung des Verfahrens vgl. die
Begründung des Gesetzentwurfs zur Einführung des Verfah-
rens auf Bundesebene (Bundestagsdrucksache 16/7461).

Zu Absatz 6

In seltenen Fällen (insbesondere bei der CSU; vgl. Ab-
schnitt A) kann es vorkommen, dass einer Partei nach der
Berechnung nach § 7 weniger Sitze zustehen würden, als sie
Direktmandate errungen hat. Die Differenz sind sogenannte
Überhangmandate. Nach der Regelung in Absatz 6 werden
diese Überhangmandate nicht mehr zuerkannt. Diese Lö-
sung ist angelehnt an frühere Vorschläge von Prof. Dr. Hans
Meyer (vgl. Innenausschussdrucksache 16(4)592 B). Unbe-
setzt bleiben diejenigen überschüssigen Sitze, die den ge-
ringsten prozentualen Stimmenanteil aufweisen.

Alternativ wäre die Fraktion gesprächsbereit, eine Lösung
zu unterstützen, die dahin geht, als zusätzliches Auswahl-
wahlkriterium beim Wegfall eines Wahlkreismandates auf
die Frage abzustellen, ob der Wahlkreis über die Landesliste
im Parlament vertreten ist.

Gegen diese Lösung bestehen im Übrigen keine verfas-
sungsrechtlichen Bedenken. So hat der Bayerische Verfas-
sungsgerichtshof entschieden, dass eine Regelung zulässig
ist, wonach bei Überhängen „die Stimmkreisbewerber in
der Reihenfolge der niedrigsten Stimmzahlen ausscheiden“
(vgl. Hans Meyer: Die Zukunft des Bundestagswahlrechts,
2010, S. 86 m. w. N.).

Zu Absatz 7

Die Vorschrift enthält die auch im geltenden Wahlrecht ent-
haltene Mehrheitsklausel (vgl. § 6 Absatz 3 BWahlG). Sie
ist notwendig, da der Fall, dass aufgrund der im Zuteilungs-
verfahren vorgesehenen Rundungen einer Partei nicht über
die Hälfte der Sitze zugesprochen werden, obwohl sie über
die Hälfte aller abgegebenen, gültigen und für die Berech-
nung zu berücksichtigenden Zweitstimmen erhalten hat,
nach wie vor auftreten kann.

Zu Nummer 7 (§ 7a)

Mit den Regelungen des neu zu schaffenden § 7a werden

BWahlG aufgetreten. Der Gesetzentwurf geht daher ohne
Weiteres davon aus, dass die Landeslisten verbunden sind.

die einer Partei auf Bundesebene insgesamt zustehenden
Sitze auf die Länder zugeteilt.

Land zu den Zweitstimmen der Partei insgesamt erfolgt.

Der Zuteilungsdivisor, der für die Berechnung nach dem
Divisorverfahren mit Standardrundung nach Sainte-Laguë/
Schepers verwendet wird, wird hier Parteidivisor genannt.

Die nach der Berechnung für ein Bundesland ermittelte Zahl
gibt die Anzahl der der betreffenden Partei in diesem Bun-
desland nach dem Zweitstimmenergebnis berechneten und
insgesamt zustehenden Mandate an (vgl. Absatz 3 Satz 4).
Dabei muss unter Umständen aufgrund von Rundungs-
ergebnissen der Parteidivisor so angepasst werden, dass die
Summe der für die Länder errechneten Sitzzahlen der für
die Bundesebene ermittelten Gesamtsitzzahl der betreffen-
den Partei wieder entspricht.

Von der für ein Bundesland und eine Partei ermittelten Sitz-
zahl werden nach Absatz 5 die für die Partei in diesem
Bundesland errungenen Direktmandate abgezogen. Ist die
Summe dieser Direktmandate kleiner als die errechnete
Sitzzahl, wird die Differenz aus der Landesliste besetzt
(Absatz 6 Satz 1). Ist die Differenz null, erhält keiner der
Listenbewerber einen Sitz. Ist die Differenz indes kleiner
als null – es wurden also mehr Direktmandate erzielt als der
betreffenden Partei in dem Bundesland nach dem Ergebnis
der Zweitstimmen eigentlich zustehen würden (sogenannter
interner Überhang), so bleiben diese Direktmandate erhal-
ten. Bei der nach Nummer 6, dort § 7 Absatz 5 rein nach
Zweitstimmenanzahl ermittelten Gesamtsitzzahl muss dann
aber dieser interne Überhang berücksichtigt werden, ohne
sie jedoch zu vergrößern. Für die Berechnung sind somit die
internen Überhänge von der Gesamtsitzzahl abzuziehen. An
die so errechnete Zahl ist die Summe der der betreffenden
Partei in allen Ländern zustehenden Sitzzahl anzupassen.
Dies geschieht durch Heraufsetzen des Parteidivisors.

Bei der Besetzung aus den Landeslisten kommt – entspre-
chend der neuen Regelung in § 48 Absatz 1 zur Berufung
von Listennachfolgern – grundsätzlich diejenige Kandidatin
bzw. derjenige Kandidat aus der Liste der betreffenden Par-
tei in dem betreffenden Land zum Zuge. Dies gilt nach der
jetzt in Absatz 6 Satz 3 vorgeschlagenen Neuregelung dann
nicht, wenn die betreffende Liste erschöpft ist. In diesen
Fällen wird auf die Landesliste zurückgegriffen, die als
nächste „gezogen“ hätte. Erst nach Erschöpfung aller Lan-
deslisten bleibt der Sitz unbesetzt.

Zu Nummer 8 (§ 29)

Die Landeslisten gelten künftig automatisch als verbunden,
die Regelung in § 29 wird damit obsolet (vgl. Begründung
zu Nummer 6).

Zu Nummer 9 (§ 46 Absatz 2)

Es handelt sich um eine Folgeänderung aufgrund der Ände-
rung nach Nummer 7. Eine inhaltliche Änderung geht damit
nicht einher.

Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Nummer 7
(§ 7a).

Die Regelung entspricht im Wesentlichen der alten Rege-
lung des § 48 Absatz 1 BWahlG: Sofern Bewerber ihr
Mandat nicht annehmen oder Mitglieder des Deutschen
Bundestages aus ihrem Amt ausscheiden, wird der frei wer-
dende Sitz aus der Landesliste nachbesetzt, für die der Be-
werber bzw. ausgeschiedene Abgeordnete angetreten ist.
Dies gilt – wie bislang auch – nicht in Fällen des Ausschei-
dens aus einem sogenannten Überhangmandat. Hier bleibt
der entsprechende Sitz unbesetzt.

Grundsätzlich wird der Nachrücker aus der Liste der betref-
fenden Partei in dem betreffenden Land besetzt. Dies gilt
nach der jetzt vorgeschlagenen Neuregelung in § 48
Absatz 1 Satz 7 dann nicht, wenn die betreffende Liste er-
schöpft ist. In diesen Fällen wird auf die Landesliste zurück-
gegriffen, die als nächste „gezogen“ hätte. Erst nach Er-
schöpfung aller Landeslisten bleibt der Sitz unbesetzt.

Problematisch sind in Nachrücksituationen ausgeschiedene
Direktkandidaten, die einen Platz aufgrund des internen
Überhangs erhalten haben. Denn diesen Sitz musste eine an-
dere Landesliste bei der ursprünglichen Sitzverteilung abge-
ben (vgl. Nummer 6, § 7a Absatz 7 und die entsprechende
Begründung). In diesen Fällen wählt die Neuregelung in
Satz 4 den Weg, dass eine neue Berechnung nach
Nummer 6 – § 7a Absatz 2 bis 4 – durchgeführt und dabei
berücksichtigt wird, dass der interne Überhang insoweit
weggefallen ist. Der frei gewordene Sitz wird also dergestalt
besetzt, wie er – nach dem Zweitstimmenergebnis – besetzt
worden wäre, hätte es die Anerkennung des internen Über-
hangs insoweit nicht gegeben.

Da es nach der Neuregelung in Satz 4 bei der Ausführung
des Nachrückverfahrens auch zu bundeslandübergreifenden
Veränderungen kommen kann, ist für die Feststellung, wer
Listennachfolger ist, nunmehr der Bundeswahlleiter (statt
bislang der betreffende Landeswahlleiter) zuständig.

Die – durchaus auch in der Kritik stehende – Regelung zur
Nachwahl in § 48 Absatz 2 BWahlG wird durch den vorlie-
genden Gesetzentwurf nicht verändert.

Zu Nummer 11 (§ 53)

Sollten für den 17. Deutschen Bundestag noch Listennach-
folger berufen werden müssen, gelten hierfür die Bestim-
mungen des Bundeswahlgesetzes in seiner bisherigen Fas-
sung.

Eine Übergangsregelung für § 48 Absatz 2 BWahlG ist
obsolet, da in den 17. Deutschen Bundestag keine Abgeord-
neten direkt gewählt wurden, die die Voraussetzungen der
Regelung erfüllen.

Zu Artikel 2

Artikel 2 regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4694

Klargestellt wird in Absatz 1, dass die Verteilung anhand
des Verhältnisses der Zweitstimmen der Partei in einem

Zu Nummer 10 (§ 48 Absatz 1)

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