BT-Drucksache 17/4557

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Martina Bunge, Inge Höger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. -17/2219, 17/3012- Umsetzung des neuen Pflegebegriffs (gemäß dem Bericht des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs)

Vom 25. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4557
17. Wahlperiode 25. 01. 2011

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Martina Bunge, Matthias
W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Diana Golze, Katja Kipping,
Jutta Krellmann, Cornelia Möhring, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Vogler, Harald Weinberg,
Jörn Wunderlich, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

zu der Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage
der Abgeordneten Kathrin Senger-Schäfer, Dr. Martina Bunge, Inge Höger,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE.
– Drucksachen 17/2219, 17/3012 –

Umsetzung des neuen Pflegebegriffs (gemäß dem Bericht des Beirats zur
Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs)

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung (Elftes Buch Sozialgesetz-
buch – SGB XI) ist seit langem überfällig. Seit der Einführung der Pflegeversi-
cherung 1995 ist der ihr zugrunde liegende verrichtungsbezogene Pflegebegriff
zu eng. Er benachteiligt insbesondere Menschen mit einer erheblich einge-
schränkten Alltagskompetenz. Auch Pflegebedarfe von Kindern können auf-
grund der zu engen Definition von Pflegebedürftigkeit des SGB XI für eine Ver-
sorgung nicht hinreichend ermittelt werden.

Der von der damaligen Bundesregierung im Oktober 2006 eingesetzte Beirat zur
Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs legte im Januar 2009 Empfehlun-
gen für einen erweiterten Pflegebegriff und für ein neues Begutachtungsverfah-
ren vor. Im Mai 2009 folgten Vorschläge für die konkrete Umsetzung. Die Emp-
fehlungen des Beirats weisen grundsätzlich in die richtige Richtung und sind
geeignet, einen Paradigmenwechsel für eine Teilhabe ermöglichende Pflege
und/oder Assistenz einzuleiten.

Der Beirat verweist darauf, dass die Politik bei der Neudefinition des Pflege-
begriffs über einen erheblichen Gestaltungsspielraum verfügt. Die zukunftswei-
sende Perspektive, die der neue Pflegebegriff für die Bürgerinnen und Bürger

ermöglicht, ist untrennbar mit den Finanzierungs- und Leistungsfragen verbun-
den, wenn die Pflegeversicherung besser und umfänglicher auf die Bedürfnisse
der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen ausgerichtet werden soll. Daran
änderten auch die Leistungsverbesserungen für Personen mit eingeschränkter
Alltagskompetenz nach den §§ 45b und 87b SGB XI durch das Pflege-Weiter-
entwicklungsgesetz vom 28. Mai 2008, das von der damaligen Bundesregierung
vorgelegt wurde, grundsätzlich nichts.

Drucksache 17/4557 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Die Neudefinition des Pflegebegriffs, der das Ermöglichen von Teilhabe zum
Ziel pflegerischen und assistierenden Handelns erklärt, ist eine entscheidende
Voraussetzung für eine ganzheitliche Pflege und für selbstbestimmte Teilhabe.
Im Kern geht es um die Frage, wie die Situation der Betroffenen zu verbessern
und ein ethisch relevanter Perspektivwechsel voranzutreiben sind. Der Beirat
schuf hierfür die Grundlagen. Es ist längst überfällig, dass die Bundesregierung
einen Vorschlag unterbreitet, um diesen gesetzlich zu verankern und umzusetzen.

Im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP wurde angekündigt, dass
etwaige Vorschläge und Ansätze zur differenzierteren Definition der Pflege-
bedürftigkeit auf die Gestaltung der Pflegeversicherung und auch die Zusam-
menhänge mit anderen Leistungssystemen hin überprüft würden. Doch passiert
ist in der Sache bis heute nichts, wie die Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion DIE LINKE. verdeutlicht. Die Bundesregierung
verweist lediglich auf die Einsetzung einer interministeriellen Arbeitsgruppe,
welche sich mit einer Neuausrichtung bzw. Reform der sozialen Pflegeversiche-
rung (SGB XI) befassen soll.

Entweder hat die Bundesregierung kein Interesse an einem neuen Verständnis
der Pflege oder es soll nur eine Schmalspurvariante des neuen Pflegebegriffs
umgesetzt werden. Die schwere Pflegearbeit soll weiterhin in erster Linie von
den Familien und insbesondere von Frauen getragen werden. Die Pflegever-
sicherung bleibt eine Teilkaskoabsicherung und ein Kostensparmodell. Eine An-
hebung der Leistungen der Pflegeversicherung soll es unter der schwarz-gelben
Bundesregierung nicht geben. Ein Ende der Minutenpflege ist nicht in Sicht. Da-
mit wird die Chance vertan, die Begutachtung von Pflegebedürftigkeit von ver-
richtungsbezogenen Minutenrastern der sozialrechtlichen Pflegestufen I bis III
auf den tatsächlichen Betreuungsbedarf eines Menschen auszurichten. Nicht zu-
letzt ergibt sich die Frage, wie die Bürgerinnen und Bürger und die Beschäftig-
ten der Pflegebranche adäquat in einen solchen Umsetzungsprozess eingebun-
den werden können.

Lippenbekenntnisse, die über die Presse lanciert werden, reichen den Betroffe-
nen sowohl auf Leistungsempfänger- als auch auf Leistungserbringerseite nicht
mehr aus. Es ist politischer Wille gefragt, den grundlegenden Paradigmenwech-
sel in der Pflegeversicherung zur Absicherung von Pflege/Betreuung und Assis-
tenz zu vollziehen. Verbunden damit ist demnach zu klären, worin der indivi-
duell angemessene Bedarf (an assistierender Pflege) eines Menschen besteht,
wie die umfassende Teilhabe von Menschen, die auf Pflege und/oder Assistenz
angewiesen sind, ermöglicht werden kann und welche praktikablen, nichtdis-
kriminierenden Erhebungs-, Verwaltungs- und Umsetzungsmodalitäten dafür
geeignet sind. Denn damit verbunden ist Frage, welchen Wert die Pflege von
Menschen in unserer Gesellschaft hat.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. einen Gesetzentwurf für eine grundlegende Reform der Pflegeversicherung
vorzulegen, der folgende Punkte umfasst:

– Die Empfehlungen des Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeits-
begriffs für eine neue, erweiterte Definition von Pflegebedürftigkeit sind
im SGB XI aufzunehmen und das neue Begutachtungsverfahren umzuset-
zen. Mit der Einführung eines neuen Begutachtungsverfahrens ist auch
das starre Pflegestufenmodell durch die Einführung von Bedarfsgraden zu
überwinden.

– Das Leistungsniveau der Pflegeversicherung ist deutlich anzuheben. Dar-
über hinaus sind die Leistungen der Pflegeversicherung jährlich regelge-

bunden zu dynamisieren, um den Werterhalt zu garantieren.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4557

– Alle bisherigen Leistungsempfängerinnen und -empfänger dürfen gegen-
über dem Status quo der sozialen Pflegeversicherung nicht schlechter ge-
stellt werden und alle zukünftigen Leistungsempfänger im Verhältnis zum
Status quo der Leistungen der sozialen Pflegeversicherung keine geringe-
ren Leistungen zu erwarten haben.

– Die solidarische Bürgerinnen- und Bürgerversicherung in der Pflege ist
einzuführen, damit eine gerechte und langfristig stabile Finanzierung der
Pflegeversicherung gewährleistet wird;

2. den Deutschen Bundestag umgehend über die Prüfergebnisse der Bundes-
regierung zur Umsetzung eines neuen Pflegebegriffs gemäß dem Bericht des
Beirats zur Überprüfung des Pflegebedürftigkeitsbegriffs zu informieren.

Berlin, den 25. Januar 2011

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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