BT-Drucksache 17/4546

Schwule, lesbische und transsexuelle Jugendliche stärken

Vom 26. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4546
17. Wahlperiode 26. 01. 2011

Antrag
der Abgeordneten Kai Gehring, Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Josef Philip
Winkler, Memet Kilic, Ekin Deligöz, Katja Dörner, Priska Hinz (Herborn), Agnes
Krumwiede, Monika Lazar, Tabea Rößner, Krista Sager und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Schwule, lesbische und transsexuelle Jugendliche stärken

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Lesben, Schwule und Transsexuelle müssen endlich als selbstverständlicher Teil
unserer vielfältigen Gesellschaft vollständig anerkannt werden. In ihrem Alltag
und Lebensumfeld – in Familie, Schule, Beruf und Freizeit sowie bei rechtlichen
Regelungen – sind sie noch immer nicht angemessen akzeptiert und gleichge-
stellt. Nach wie vor sind sie verschiedenen Formen von Diskriminierung, Homo-
phobie und Transphobie ausgesetzt, die konsequent geächtet und endlich über-
wunden werden müssen.

Jeder und jede Jugendliche hat unabhängig von der sexuellen Identität ein Recht
auf individuelle Förderung und bestmögliche Bedingungen zur Persönlichkeits-
entwicklung. Gerade für die junge Generation von Lesben und Schwulen sind
gleiche Teilhabe sowie die Sichtbarkeit, Anerkennung und Wertschätzung viel-
fältiger Lebensformen unerlässlich. Schwule und lesbische Jugendliche sollen
selbstbestimmt, angst- und diskriminierungsfrei leben können. Vieles hat sich
zum Positiven entwickelt. Doch trotz gesellschaftlicher und gesetzlicher Fort-
schritte bestehen in Teilen der Gesellschaft weiterhin Vorurteile gegenüber
gleichgeschlechtlichen Jugendlichen. Sie sind negativen Einstellungen ihrer
Umwelt ausgesetzt, werden mit Unverständnis, Unwissenheit und Ablehnung
konfrontiert. Berichte und Studien zeigen Ausgrenzung, Mobbing und subtile
Herabwürdigung schwuler, lesbischer und transsexueller Jugendliche.

Notwendig sind aktive Unterstützung und Antidiskriminierungsarbeit. Für viele
der schwulen, lesbischen, aber auch transsexuellen Jugendlichen ist der Weg zum
Coming-out trotz gesellschaftlicher Liberalisierung mit großen Belastungen ver-
bunden. Das Elternhaus ist hier oft ebenso überfordert wie die Schule oder
Jugendeinrichtung. Zwar gibt es in vielen Großstädten schwul-lesbische Einrich-
tungen und Freizeitangebote oder sogar Jugendzentren. Vielerorts, besonders in
ländlichen Räumen, fehlen Jugendlichen aber noch immer kompetente Anlauf-

stellen und Ansprechpartner, die sie bei ihrer Identitätssuche beraten und im
Coming-out unterstützen können sowie in konkreten schweren Krisensituationen
unverzüglich Hilfestellung geben können. Es ist alarmierend, dass Suizidver-
suche bei homosexuellen Jugendlichen siebenmal häufiger auftreten als bei
heterosexuellen. Dagegen braucht es nachhaltige Präventionsstrategien: Herab-
würdigungen und Mobbing müssen im Alltag bekämpft werden. Schulen und
Jugendeinrichtungen müssen überall Orte ohne Homophobie werden. In den

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Lehrplänen der Schulen und Hochschulen müssen gleichgeschlechtliche Lebens-
weisen besser berücksichtigt werden. Dies gilt ebenso für die Aus- und Fort-
bildung von Lehrkräften und Jugendhilfe. Schwul-lesbische Beratungsstellen
und -angebote sind unverzichtbare Maßnahme im Rahmen der Jugendhilfe, die
ausgeweitet werden müssen. Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte haben
in ihrer Familie ein höheres Risiko, wegen ihres Andersseins abgelehnt zu wer-
den – vor allem, wenn im Herkunftsland Homosexuelle kriminalisiert, verfolgt
oder sogar ermordet werden. Für solche Familien sind zielgruppenspezifische
Angebote vorzuhalten, um gleichgeschlechtliche Jugendliche zu schützen,
gleiche Chancen zu sichern und Akzeptanz zu schaffen. In allen gesellschaft-
lichen Bereichen muss Akzeptanzförderung zum Selbstverständnis gehören,
auch in den Sportvereinen und -verbänden.

Ein fundiertes Gesamtbild über die Lebenssituation homosexueller Jugendlicher
gibt es bis heute nicht. Der Deutsche Bundestag hat dies im Jahr 2005 in einem
Beschluss (Bundestagsdrucksache 15/5691) eingefordert, aber weder die große
Koalition noch die schwarz-gelbe Bundesregierung sind dieser Verantwortung
gerecht geworden. Obwohl 5 bis 10 Prozent der Jugendlichen lesbisch oder
schwul sind, bleiben ihre Belange und Lebenslage vielfach unbeachtet oder
ausgeblendet. In der Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage „Les-
bische und schwule Jugendliche“ (Bundestagsdrucksache 17/2588) zeigen sich
Ignoranz und Desinteresse diesen Jugendlichen und ihren Problemen gegenüber.
Um die Situation homosexueller Jugendlicher zu verbessern und ihnen gleiche
Entfaltungsmöglichkeiten zu eröffnen, braucht es endlich beherztes Handeln
und breite Unterstützung statt Tabuisierung oder Desinteresse.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung daher dazu auf,

● den Bundestagsbeschluss von 2005 umzusetzen und eine breit angelegte
bundesweite wissenschaftliche Studie zur Lebenssituation homosexueller
Jugendlicher durchzuführen, die u. a. Formen und Orte der Diskriminierung,
gesundheitliche Belastungen und die gesellschaftliche Verbreitung homo-
sexuellenfeindlicher Einstellungen sowie Handlungsempfehlungen beinhal-
tet,

● ein umfassendes Paket an Präventionsstrategien zu entwickeln, um die dra-
matisch hohen Zahlen von Mobbing, Gewalt und Suizidversuchen homo-
sexueller sowie transsexueller Jugendlicher zu senken und damit ihr Recht
auf Gesundheit und Wohlergehen zu garantieren,

● eine umfassende Förderung der schwul-lesbischen Jugendarbeit und den sys-
tematischen Ausbau entsprechender Angebote im Kinder- und Jugendplan
des Bundes zu verankern,

● gemeinsam mit den Ländern ein Maßnahmenpaket zur Stärkung lesbischer,
schwuler und transsexueller Jugendlicher in Bildungs- und Jugendeinrich-
tungen auf den Weg zu bringen,

● bei den Ländern darauf hinzuwirken, Schulbücher und andere Schulmedien
für die positive Darstellung von Vielfalt der Familien, Partnerschaften und
Lebenswelten zu öffnen,

● gemeinsam mit der Bundeszentrale für politische Bildung, der Bundeszen-
trale für gesundheitliche Aufklärung sowie schwul-lesbischer Jugend- und
Bürgerrechtsverbände zusätzliche zielgruppenspezifische Informationsmate-
rialien für Jugendliche und ihre Angehörigen zu initiieren,

● bei den Bundesländern dafür einzutreten, dass Lehrpläne in den Schulen um
Themen wie die Vielfalt sexueller Identitäten und Lebensweisen, die Ge-

schichte Homosexueller in Deutschland und Menschenrechtsbildung auch in
Bezug auf Lesben und Schwule erweitert werden sowie Handreichungen mit

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pädagogisch-didaktischen Unterrichtsmaterialien nach dem Vorbild einzel-
ner Bundesländer zu erstellen,

● gemeinsam mit den Ländern Aus- und Weiterbildungsprogramme für Lehr-
kräfte und Mitarbeiter der Kinder- und Jugendhilfe zu den Themen sexuelle
Vielfalt (Diversity) und Identität, Coming-out und Prävention von Homo-
und Transphobie zu initiieren und verstärkt das Thema gleichgeschlechtliche
Lebensweisen zu behandeln,

● den Nationalen Integrationsplan um interkulturelle Angebote zu den Themen
sexuelle Vielfalt sowie Homo- und Transphobie mitsamt Angeboten für
homosexuelle Jugendliche mit Einwanderungsgeschichte zu erweitern,

● Musik und Telemedien mit homosexuellenfeindlichen und damit verbunde-
nen gewaltverherrlichenden Inhalten verstärkt zu ächten und zu indizieren
sowie den verschiedenen Formen von Cyber-Mobbing (u. a. in sozialen Netz-
werken) wirksam entgegenzuwirken,

● einen bundesweiten „Jugendwettbewerb gegen Homophobie und für Viel-
falt“ nach dem Vorbild von Nordrhein-Westfalen zu initiieren,

● eine bundesweite Informations- und Akzeptanzkampagne zur sexuellen Viel-
falt durchzuführen und bei der Konzeptionierung und Durchführung gesell-
schaftliche Gruppen wie Jugend- und Sportverbände zu beteiligen,

● die Situation schwuler und lesbischer Jugendlicher regelmäßig in Berichten
der Bundesregierung angemessen zu berücksichtigen.

Berlin, den 25. Januar 2011

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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