BT-Drucksache 17/4431

Entwurf eines ... Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO)

Vom 19. Januar 2011


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4431
17. Wahlperiode 19. 01. 2011

Gesetzentwurf
der Abgeordneten Christine Lambrecht, Sonja Steffen, Dr. Peter Danckert,
Sebastian Edathy, Petra Ernstberger, Dr. Edgar Franke, Iris Gleicke, Dr. Eva Högl,
Ute Kumpf, Burkhard Lischka, Thomas Oppermann, Marianne Schieder
(Schwandorf), Olaf Scholz, Christoph Strässer, Dr. Frank-Walter Steinmeier
und der Fraktion der SPD

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung
(§ 522 ZPO)

A. Problem

Mit der am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen Reform der Zivilprozessordnung
(ZPO) sind auch die Rechtsmittel neu gestaltet worden mit dem Ziel, eine Ent-
lastung der Gerichte zu erreichen. Seither kann das Berufungsgericht eine Beru-
fung gemäß § 522 Absatz 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückweisen,
wenn diese keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche
Bedeutung hat und weder die Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert.
Nach § 522 Absatz 3 ZPO ist der Beschluss unanfechtbar. Ein Vergleich der Zu-
rückweisungsquoten hat ergeben, dass in den einzelnen Bundesländern in sehr
unterschiedlichem Ausmaß von der Möglichkeit des Zurückweisungsbeschlus-
ses Gebrauch gemacht wird. Die Rechtsanwendungsgleichheit ist, den Zugang
zum Bundesgerichtshof (BGH) betreffend, nicht gewährleistet.

B. Lösung

Die Möglichkeit der Zurückweisung der Berufung durch Beschluss nach § 522
Absatz 2 ZPO wird abgeschafft.

C. Alternativen

Gegen Zurückweisungsbeschlüsse der Berufungsgerichte gemäß § 522 Absatz 2
ZPO wird ein Rechtsmittel zugelassen.
D. Kosten

Die Abschaffung der Beschlusszurückweisung wird zu einer Erhöhung der Ver-
fahren beim BGH führen. Dadurch können für den Justizhaushalt des Bundes
Mehrkosten entstehen. Über den Umfang der finanziellen Auswirkungen sind
keine verlässlichen Angaben möglich.

Drucksache 17/4431 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Zivilprozessordnung (§ 522 ZPO)

Vom . . .

Der Bundestag hat das folgende Gesetz beschlossen:

Artikel 1

Änderung der Zivilprozessordnung
In § 522 der Zivilprozessordnung in der Fassung der Be-
kanntmachung vom . . . (BGBl. . . .), zuletzt geändert durch
. . ., werden die Absätze 2 und 3 aufgehoben und die Absatz-
bezeichnung „(1)“ gestrichen.

Artikel 2

Inkrafttreten

Dieses Gesetz tritt am Tage nach der Verkündung in Kraft.

Berlin, den 18. Januar 2011

Dr. Frank-Walter Steinmeier und Fraktion

sen nach § 522 ZPO anders liegen würde, könnten sie denn
de bestehen bleiben. Im Übrigen wäre die Zahl der überprüf-
angefochten werden. In Anbetracht der beschriebenen Dif-
ferenzen bei den Zurückweisungsquoten ist die Rechtsan-
wendungsgleichheit, soweit es den Zugang zum BGH be-

baren Zurückweisungen aufgrund der hohen Streitwertgren-
ze von 20 000 Euro gering.

Die Abschaffung der in § 522 Absatz 2 ZPO vorgesehenen
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4431

Begründung

A. Allgemeines

Die im Januar 2002 in Kraft getretene ZPO-Reform zielte
u. a. auf eine Entlastung der Ziviljustiz. Der Gesetzgeber hat
dazu die Rechtsmittel grundlegend umgestaltet. Seitdem er-
öffnet § 522 Absatz 2 ZPO dem Berufungsgericht die Mög-
lichkeit, eine offensichtlich unbegründete Berufung durch
einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, wenn die Rechts-
sache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die
Rechtsfortbildung noch die Sicherung einer einheitlichen
Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts
erfordert. Dieser Beschluss ist gemäß § 522 Absatz 3 ZPO
nicht anfechtbar. Der Beschluss soll das Berufungsverfahren
abschließen und die Rechtskraft des angefochtenen Urteils
herbeiführen.

Seit Inkrafttreten der Reform wurde die Einführung der un-
anfechtbaren Beschlusszurückweisung immer wieder kriti-
siert, in der Fachliteratur sogar zunehmend deren Verfas-
sungsmäßigkeit bezweifelt. Der Rechtsweg ist nämlich
unterschiedlich, je nachdem, ob das Gericht die Berufung
durch Urteil oder durch Beschluss zurückweist. Im Falle des
Urteils kann eine weitere Instanz erstritten werden, wenn die
Revision im Berufungsurteil zugelassen wurde oder eine er-
folgreiche Nichtzulassungsbeschwerde erfolgt ist. Bei der
Zurückweisung durch Beschluss erlangt das angefochtene
Urteil mit Erlass des Beschlusses Rechtskraft.

Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes schlossen im
Jahr 2009 die Oberlandesgerichte im Bundesdurchschnitt
16,1 Prozent ihrer Verfahren durch Beschluss gemäß § 522
Absatz 2 ZPO ab. Vergleicht man die Zurückweisungsquo-
ten in den einzelnen Bundesländern im gleichen Jahr, wird
deutlich, dass die Oberlandesgerichte in unterschiedlichem
Ausmaß von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, von
5,2 Prozent in Bremen bis hin zu 27,1 Prozent in Mecklen-
burg-Vorpommern. Die Relevanz dieser Unterschiede wird
deutlich, wenn man sich die hohe Erfolgsquote der Nichtzu-
lassungsbeschwerden beim BGH vergegenwärtigt. Im Jahre
2009 haben ca. 18,3 Prozent der vom BGH sachlich beschie-
denen Nichtzulassungsbeschwerden und Anträge auf Zulas-
sung der Sprungrevision zur Revisionszulassung geführt.
Der BGH hat also die Frage nach dem Vorliegen von Revi-
sionszulassungsgründen häufig anders beurteilt als das je-
weilige Berufungsgericht. Das Nichtvorliegen von Revi-
sionszulassungsgründen ist jedoch maßgebliches Kriterium
für den Zurückweisungsbeschluss. Insbesondere die Voraus-
setzung „Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung“
dient laut BGH auch dazu, die Korrektur von Rechtsanwen-
dungsfehlern zu ermöglichen.

Wenn der BGH in knapp 18,3 Prozent der von ihm sachlich
beschiedenen Fälle anders als das Berufungsgericht das Vor-
liegen eines Revisionszulassungsgrundes bejaht, spricht we-
nig dafür, dass die Quote bei den Zurückweisungsbeschlüs-

hat weitaus größere Chancen nach seinem Unterliegen vor
den BGH zu kommen, als derjenige, der in Rheinland-Pfalz
oder Mecklenburg-Vorpommern in einen Rechtsstreit ver-
wickelt ist. Die unterschiedlichen Zurückweisungsquoten
lassen es fraglich erscheinen, ob die in § 522 Absatz 2 und 3
ZPO statuierte Möglichkeit des unanfechtbaren Zurückwei-
sungsbeschlusses noch rechtsstaatlichen Anforderungen ent-
spricht.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in seiner Ent-
scheidung 1 BvR 2587/06 vom 4. November 2008 eine
Verfassungsbeschwerde für begründet angesehen, weil der
angegriffene Zurückweisungsbeschluss das Recht des Be-
schwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 2
Absatz 1 i. V. m. Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes) ver-
letzt habe. Das BVerfG führt in den Urteilsgründen aus, dass
das Gebot effektiven Rechtsschutzes zwar keinen Anspruch
auf eine weitere Instanz begründe, habe sich der Gesetzgeber
jedoch für die Eröffnung einer weiteren Instanz entschieden,
so dürfe der Zugang nicht in unzumutbarer Weise erschwert
werden. Unvereinbar sei eine den Zugang zur Revision er-
schwerende Auslegung und Anwendung des § 522 Absatz 2
Satz 1 ZPO dann, wenn sie sachlich nicht zu rechtfertigen ist.
Die Entscheidung richtet sich zwar gegen die Auslegung der
Norm durch das Berufungsgericht und nicht gegen die Ver-
fassungsmäßigkeit von § 522 Absatz 3 ZPO. Vergegenwär-
tigt man sich jedoch die Tatsache, dass im Jahre 2009 knapp
18,3 Prozent der vom BGH sachlich beschiedenen Nicht-
zulassungsbeschwerden zur Revisionszulassung geführt
haben, so ist die Missbrauchsgefahr evident. Dies in Kombi-
nation mit einer nicht gewährleisteten Rechtsanwendungs-
gleichheit macht eine gesetzliche Korrektur erforderlich.

Die Lösungsvorschläge sind unterschiedlich. Neben der
Streichung des § 522 Absatz 2 und 3 ZPO wird die Ermögli-
chung der Rechtsbeschwerde, alternativ der Nichtzulas-
sungsbeschwerde gegen den Verwerfungsbeschluss bis hin
zur möglichen Erzwingung der mündlichen Verhandlung
nach Hinweisverfügung gefordert.

Die Rechtsbeschwerde erscheint sowohl aus systematischen
Gründen als auch deshalb ungeeignet, als dass sie in der
Konsequenz zu einer Verdopplung der Verfahren führen
würde, da der BGH keine Endentscheidung treffen, sondern
nur bei Vorliegen der Voraussetzugen an das Berufungsge-
richt zurückverweisen könnte. Auch die Nichtzulassungs-
beschwerde birgt wesentliche Nachteile in sich. Eine erfolg-
reiche Nichtzulassungsbeschwerde würde in der Regel zu
einer Aufhebung des Beschlusses und einer Zurückverwei-
sung an das Berufungsgericht führen mit der Folge, dass
dann doch eine mündliche Verhandlung vor dem Berufungs-
gericht stattfinden müsste. Dies wäre umständlich und würde
das ursprüngliche Ziel der Kosteneinsparung konterkarieren.
Das Problem der unterschiedlichen Rechtsanwendung wür-
trifft, nicht mehr gewährleistet. Wer in Brandenburg oder in
Bremen einen Zivilrechtsstreit in die zweite Instanz bringt,

Erledigungen durch Beschluss würde bei den Berufungs-
gerichten wenn überhaupt nur in geringem Umfang zu einer

Drucksache 17/4431 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Mehrbelastung führen. Nach geltendem Recht entfällt im
Falle des Zurückweisungsbeschlusses zwar die mündliche
Verhandlung, dies führt jedoch nicht unbedingt zu einer Ar-
beitsersparnis. Vor dem Zurückweisungsbeschluss ergeht
nämlich ein gerichtlicher Hinweisbeschluss an die Parteien.
Die Würdigung des daraufhin erfolgenden Parteivortrags
und die Formulierung des Zurückweisungsbeschlusses er-
fordern einen erheblichen Zeitaufwand. Zu berücksichtigen
ist auch, dass die Berufungsgerichte alle eingehenden Akten
daraufhin zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen des
§ 522 Absatz 2 ZPO vorliegen. Fraglich ist, ob dieses Proce-
dere im Vergleich zu einer Urteilsbegründung überhaupt eine
Entlastung darstellt. Der Bundesrat hat in seiner Stellung-
nahme zum Regierungsentwurf zur Reform des Zivilprozes-
ses (Bundestagsdrucksache 14/4722, S. 150) im Gegenteil
per Saldo eine Mehrbelastung der Berufungsgerichte prog-
nostiziert. Hinzu kommt, dass zunehmend von der Mög-
lichkeit der Anhörungsrüge gemäß § 321a ZPO Gebrauch
gemacht wird, was wiederum zu einem zeitlichen Mehrauf-
wand führt. Des Weiteren ist die aufgrund der derzeitigen
Rechtslage bedingte Belastung des BVerfG mit einer nicht
unerheblichen Zahl von Verfassungsbeschwerden zu berück-
sichtigen.

Zu bedenken ist auch, dass eine mündliche Verhandlung die
Möglichkeit bietet, Missverständnisse auszuräumen und eine
gütliche Einigung herbeizuführen. Die Vergleichsquote be-
trug im Jahre 2008 bei den Landgerichten 11,5 Prozent und

bei den Oberlandesgerichten 17,1 Prozent. Eine nach münd-
licher Verhandlung ergehende negative Entscheidung wird
vom Berufungsführer zudem eher akzeptiert als eine Zu-
rückweisung durch Beschluss. Zu Recht hatte der Bundesrat
in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf der Bundes-
regierung zur Reform des Zivilprozesses (Bundestagsdruck-
sache 14/4722, S. 151) die Auffassung vertreten, dass
die Einführung eines unanfechtbaren Zurückweisungsbe-
schlusses die Befriedungswirkung des Gerichtsverfahrens
schwächt und die Akzeptanz der Entscheidung deutlich be-
einträchtigt. Das mit der Einführung des Zurückweisungs-
beschlusses verfolgte Ziel einer Entlastung der Berufungs-
gerichte ist viel effektiver durch einen gerichtlichen Hinweis
auf die Aussichtslosigkeit der Berufung und die Anregung
zur Rücknahme des Rechtsmittels zu erreichen.

B. Einzelbegründung

Zu Artikel 1 (Änderung der Zivilprozessordnung)

Die Streichung der Absätze 2 und 3 ZPO führt dazu, dass das
Berufungsgericht über eine zulässige Klage mündlich ver-
handeln muss.

Zu Artikel 2 (Inkrafttreten)

Die Vorschrift regelt das Inkrafttreten des Gesetzes.

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