BT-Drucksache 17/4229

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung - Drucksachen 17/3000, 17/4147 - Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2010

Vom 15. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4229
17. Wahlperiode 15. 12. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Stephan Kühn, Fritz Kuhn, Cornelia Behm, Katrin
Göring-Eckardt, Britta Haßelmann, Undine Kurth (Quedlinburg), Monika Lazar,
Dr. Harald Terpe, Wolfgang Wieland, Alexander Bonde, Priska Hinz (Herborn),
Ingrid Hönlinger, Dr. Konstantin von Notz, Dr. Hermann Ott, Tabea Rößner,
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Daniela Wagner und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
– Drucksachen 17/3000, 17/4147 –

Jahresbericht der Bundesregierung zum Stand der Deutschen Einheit 2010

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Das Jahr 2010 steht im Zeichen der Erinnerung an die Friedliche Revolution
von 1989 und des Gelingens der Deutschen Einheit. Es ist ein geeigneter Zeit-
punkt zur Reflexion der Leistungen des Aufbaus Ost, der Analyse der aktuellen
Situation in den Neuen Ländern und der Entwicklung von zukünftigen Perspek-
tiven. Unbestreitbar liegen die Erfolge des Aufbaus Ost in den letzten 20 Jahren
im Freiheitsgewinn, in einem gelungenen politischen und rechtsstaatlichen Sys-
temwechsel, der Verbesserung der Umweltbedingungen sowie einer grund-
legenden Modernisierung der Infrastruktur. Zugleich hat sich Ostdeutschland
regional sehr unterschiedlich entwickelt. Die ostdeutschen Regionen erfahren
einen sozial-räumlichen Teilungsprozess, Aufbruchstimmung steht neben per-
sönlicher Frustration, sich weiter stabilisierende Wachstumskerne liegen nahe
bei strukturschwachen Schrumpfungsregionen.

Die positiven wirtschaftlichen Veränderungen gegenüber der Ausgangslage
von 1989 sind unübersehbar. Dennoch ist es bislang nicht gelungen, in Ost-
deutschland einen selbsttragenden, wirtschaftlich dynamischen Entwicklungs-
pfad zu etablieren. Das ökonomische Wachstum pendelt sich seit Mitte der
90er-Jahre auf einem stagnierenden Niveau ein. Trotz einer überproportionalen
Wirtschaftsförderung bei rückgängigen Bevölkerungszahlen stagniert der Kon-

vergenzprozess. Während im Bundesgebiet mit einem Anstieg des Bruttoin-
landsprodukts (BIP) um 2,1 Prozent im Vergleich zu 2009 gerechnet wird,
steigt das BIP in Ostdeutschland und Berlin um nur 1,6 Prozent. Insgesamt liegt
das (nominale) BIP der Neuen Länder bei nur 73 Prozent des Niveaus der alten
Bundesländer. Ausgenommen von diesem stagnierenden Trend sind nur wenige
prosperierende Branchen wie die erneuerbaren Energien mit mehr als 50 000
Arbeitsplätzen. Dennoch sind in Ostdeutschland strukturelle Defizite der Wirt-

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schaftsentwicklung zu beobachten: Es gibt nur wenige kapitalträchtige Großun-
ternehmen, es besteht eine sektorale und sehr kleinteilige Branchenstruktur mit
zu wenig produzierender Industrie, nicht wenige Betriebe fungieren als ausge-
lagerte Werkbänke und zahlreiche Unternehmen sind abhängig von staatlichen
Subventionen. Nur knapp 5 Prozent der industriellen Forschung werden in den
Neuen Ländern getätigt.

Durch die stagnierende Wirtschaftsentwicklung manifestieren sich in den
Neuen Ländern weitere Problemlagen. Trotz anhaltender Abwanderung er-
werbsfähiger Bevölkerungsteile verfestigt sich eine hohe Arbeitslosenquote
von durchschnittlich 11 Prozent und das Bruttolohnniveau liegt bei 81 Prozent
des Westniveaus. Laut dem Sozialbericht des Deutschen Gewerkschaftsbunds
(2009) ist die soziale Armut doppelt so hoch: 16,4 Prozent der Bevölkerung im
erwerbsfähigen Alter sind in den Neuen Ländern auf ALG-II-Leistungen ange-
wiesen. In den ländlichen Regionen Ostdeutschlands sind das Phänomen einer
Abwanderung von bildungs- und aufstiegsorientierten jungen Frauen und eine
zunehmende „Überalterung“ weiterhin Realität und führen zu dramatischen de-
mografischen Verschiebungen, die neue Anforderungen an die Daseinsvorsorge
bei schwindenden Finanzen in kommunalen Haushalten stellen. Die im sog.
Einheitsbericht 2010 zurückhaltend formulierte Zielsetzung eines „Aufschlie-
ßens zu den strukturschwächeren (westdeutschen) Ländern bis zum Auslaufen
des Solidarpakts II im Jahr 2019“ ist angesichts dessen kritisch zu sehen. Es ist
an der Zeit zu erkennen, dass der Aufbau Ost als nachholende Modernisierung
nach dem Vorbild West erkennbar seine Grenzen erreicht hat. Es stellt sich die
Frage, wie für die Bürgerinnen und Bürger aller Regionen Ostdeutschlands
Lebensqualität und Zukunftsperspektiven bewahrt und die Zivilgesellschaft
gefördert werden können.

Das absehbare Ende der hohen Finanztransfers in die Neuen Länder spitzt diese
Fragestellung mit ablaufender Zeit weiter zu. Werden aus dem Solidarpakt
Korb I im Jahr 2010 noch circa 8 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, so sind es
aufgrund der degressiven Ausgestaltung im Jahr 2019 letztmalig noch circa
2 Mrd. Euro. Von dem zugesagten Gesamtvolumen des Korbes II in der Höhe
von 51 Mrd. Euro bis 2019 sind im Zeitraum von 2005 bis 2007 bereits
circa 26 Mrd. Euro, also die Hälfte der vorhandenen Finanzmittel, abgeflossen.
Absehbar geringer werden ab 2014 auch die EU-Fördermittel ausfallen, da die
ostdeutschen Länder dann nicht mehr die Kriterien der Höchstfördergebiete der
EU-Strukturpolitik erfüllen.

Eine strategische Neuausrichtung der Förderpolitiken des Solidarpakts ist somit
geboten. Noch wird dem Infrastrukturausbau und einer einseitigen Investitions-
förderung ein zu starkes Gewicht beigemessen. Der Begriff „Investitionen“ wird
im Solidarpakt immer noch nach finanzstatistischen Kriterien definiert, so dass
in erster Linie Bauinvestitionen als echte „Investitionen“ gelten. Allein im Jahr
2009 flossen aus dem Korb II mehr als drei mal soviel Bundesmittel in die Poli-
tikfelder Wirtschaft (Investitionszulage, Gemeinschaftsaufgaben) und Verkehr
als in das Politikfeld Innovation, Forschung und Entwicklung, Bildung. Unge-
achtet kritischer Kosten-Nutzen-Relationen und einer nicht mehr vorhandenen
Infrastrukturlücke haben Verkehrsinfrastrukturprojekte nach wie vor oberste
Priorität. Künftig sind den Investitionen in Bildung und Forschung, in Innova-
tions-, Wissens- und Technologietransfer sowie in Gründungsförderung Vorrang
in der Aufbau-Ost-Politik zu geben. Dies muss sich in den Programmgewichtun-
gen und Förderregelungen niederschlagen. Die noch zur Verfügung stehenden
Mittel aus dem Solidarpakt II müssen stärker auf das Politikfeld Innovation, For-
schung und Entwicklung, Bildung und somit auf die wirtschaftlichen Zukunfts-
felder in Ostdeutschland konzentriert werden. Die Investitionszulage ist in eine
Innovationszulage umzuwandeln. In Anbetracht des bevorstehenden Fachkräf-

temangels in der regionalen Wirtschaft und zugleich geringen privat finanzierten
Forschungsleistungen liegt es zudem nahe, die ostdeutschen Hochschulen und

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Wissenschaftseinrichtungen als regionale „Innovationssysteme“ aufzubauen.
Eine auf regionales Wirken und Qualitätsbesserung setzende Hochschulzu-
kunftsstrategie könnte hier ansetzen.

Für die ländlichen und peripheren Regionen braucht es eigenständige Lösungen.
Benötigt werden auch hier eine Neuausrichtung und eine ressortübergreifende
Verzahnung der maßgeblichen Förderprogramme auf europäischer, nationaler
und regionaler Ebene. Die Reformen der europäischen Regionalpolitik und der
europäischen Agrarpolitik bis 2013 bieten die Chance, einen Paradigmenwech-
sel einzuleiten. Anstelle von Infrastrukturneubau und der sektoralen Branchen-
förderung sind die Korb-II-Mittel verstärkt für integrierte Konzepte einzusetzen.
Eine Förderung von Unternehmens- und Innovationsnetzwerken, der Einsatz
von Regionalbudgets sowie die Einführung eines grünen Zukunftsfonds können
wichtige Bestandteile einer integrierten Regionalentwicklung werden. Ziel des
Zukunftsfonds muss es sein, die endogene Wirtschaftskraft zu aktivieren, die
Chancen der demografischen Entwicklung zu ergreifen und regionale Akteure
zu vernetzen. Insbesondere die ökologische Modernisierung bietet greifbare und
weit reichende Potentiale für eine nachhaltige Entwicklung ländlicher Räume.
Ersetzt man beispielsweise Energieimporte schrittweise durch eigene Energie-
produktion, entstehen neue Wertschöpfungsketten. Auf nationaler Ebene bedür-
fen die Gemeinschaftsaufgaben zur Verbesserung der regionalen Wirtschafts-
struktur (GRW) und zur Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes
(GAK) als die mit Abstand finanzstärksten Komplementärangebote zu den
europäischen Strukturfonds deshalb eine entsprechende Revision. Für eine
sozial ausgewogene ländliche Entwicklung sind zudem ein Moratorium des Ver-
kaufs der land- und forstwirtschaftlichen Flächen durch die BVVG Bodenver-
wertungs- und -verwaltungs GmbH und in diesem Zusammenhang ein grund-
legendes Überdenken der Veräußerungskriterien notwendig. Auswüchse der
Bodenspekulation bzw. -konzentration müssen vermieden werden.

Den Städten und Kommunen kommt bei der Organisation der Daseinsvorsorge
und den demografischen Prozessen eine besondere Funktion zu. Bei ihren pre-
kären Finanzlagen sind ihnen keine weiteren Mindereinnahmen oder zusätz-
liche Leistungen aufzubürden. Die ostdeutschen Kommunen werden zukünftig
dennoch durch steigende Sozialausgaben überproportional belastet. Bei den
Kosten der Unterkunft für ALG-II-Beziehende entzieht sich der Bund durch
eine nicht realitätsgerechte Anpassungsformel für die Bundesbeteiligung der
Verantwortung zur anteiligen Finanzierung und bürdet den Kommunen durch
die Abschaffung des Heizkostenzuschusses und des Kinderwohngeldes weitere
Kosten auf. Dabei gibt es einen direkten Zusammenhang zwischen Kommunen
in Nothaushalten und der örtlichen Arbeitslosenquote.

Auch die drastischen Kürzungen von 25 Prozent bei den Städtebauförderungen
treffen die ostdeutschen Kommunen im besonderen Maß. Wohl wissend be-
zeichnete die Bauministerkonferenz die Städtebauförderung als einen „unver-
zichtbaren Beitrag zum Aufbau Ost“. Die Folgen der Kürzungen des Programms
„Stadtumbau Ost“ für die Zukunftsfähigkeit der Städte werden angesichts einer
drohenden zweiten Leerstandswelle ignoriert. Die noch rigoroser gekürzte
„Soziale Stadt“ zeichnete sich gerade durch die Moderation von Beteiligungs-
prozessen und die Initiierung von lokalem Engagement aus, wie sie in städti-
schen Brennpunkten und Stadtumbaugebieten dringend gebraucht werden.
Dabei wird gerade in vielen Bereichen der Daseinsvorsorge lokales Engagement
eine besondere Notwendigkeit gewinnen.

Zum Gelingen der inneren Einheit ist deshalb die Garantie von Zugangs- und
Teilhabechancen für alle Bürgerinnen und Bürger in jeder Region geboten. Dies
gilt für Jung und Alt: Die Förderung demokratischer Teilhabemöglichkeiten be-

ginnt bereits zentral mit der Vermittlung demokratischer Spielregeln und der
Förderung von Partizipation und zivilgesellschaftlichem Engagement an den

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Kitas und Schulen. Aber auch die Sicherung und Förderung einer umfassenden
sozialen und kulturellen Teilhabe für ältere Menschen, unabhängig von ihrer
materiellen Lage, ist aufgrund der für Ostdeutschland prognostizierten Alters-
armut nötig. Neben der seit Langem ausstehenden Rentenangleichung zwi-
schen Ost und West bedarf es einer umfassenden Rentenreform, um Alters-
armut zu bekämpfen und die Kommunen vor steigenden Kosten für die
Grundsicherung im Alter zu schützen.

Gerade für finanzschwache Kommunen gewinnt eine funktionierende Zivilge-
sellschaft zunehmend an Bedeutung – für die Lebensqualität der Bürger, aber
auch als „weicher Standortfaktor“. Wollen Kommunen im Werben um den Zu-
zug neuer Einwohner, insbesondere internationaler Fachkräfte, erfolgreich sein,
braucht es eine Ausstrahlung als offene und tolerante Gesellschaft. Alltagsras-
sismus und Fremdenfeindlichkeit, rechtsextreme Gewalttaten und Wahlerfolge
der rechtsextremen Parteien müssen produktiv bekämpft werden. Das wird nicht
von Erfolg beschieden sein, wenn man engagierte Bürgerinnen und Bürger und
Initiativen mit „Extremismus-Verdacht“ überzieht, sondern vielmehr, indem
soziale, kulturelle und demokratische Teilhabemöglichkeiten vor Ort befördert
und nicht unterschreitbare Mindeststandards bzw. Rahmenbedingungen der
kommunalen Daseinsvorsorge festlegt werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. den Korb II des Solidarpakts II in seinem 2005 beschlossenen finanziellen
Umfang analog zum Korb I mit den notwendigen Degressionsstufen rechts-
verbindlich festzuschreiben;

2. die Solidarpaktmittel mit einem Investitionsbegriff nach dem Konzept der
wachstums- und nachhaltigkeitswirksamen Ausgaben (WNA) einzusetzen,
so dass auch Investitionen in eine qualitativ hochwertige und vielfältige
Bildungs- und Kulturlandschaft sowie Grundlagen- und wirtschaftsnahe
Forschung verstärkt stattfinden;

3. ab dem Jahr 2011 50 Prozent der Korb-II-Mittel abzüglich der im dort für
die EU-Strukturfonds reservierten Mittel gezielter in den Förderbereichen
Innovation, Forschung, Technologietransfer und Bildung einzusetzen und
sicherzustellen;

4. die 2013 auslaufende Investitionszulage in eine Innovationszulage umzu-
wandeln;

5. sich im Rahmen der Exzellenzinitiative dafür einzusetzen, dass die Kon-
zepte für die Verbesserung der Lehre bei der Bewertung der Zukunfts-
konzepte auch tatsächlich verstärkt berücksichtigt werden. Darüber hinaus
sind nachhaltige Ausgründungen aus Hochschulen sowie Wissenschafts-
und Innovationstransfer zu fördern, die guten Lehr- und Studienbedingun-
gen bekannter zu machen und dadurch die Mobilitätsbereitschaft westdeut-
scher Studienberechtigter an ostdeutschen Hochschulen zu steigern;

6. die zwei für Ostdeutschland besonders wichtigen Wirtschaftsförderinstru-
mente „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der regionalen Wirtschafts-
struktur“ (GRW) und „Gemeinschaftsaufgabe zur Verbesserung der Agrar-
struktur und des Küstenschutzes“ (GAK) besser aufeinander abzustimmen,
so dass eine Gießkannenförderung unterbunden wird, eine stärkere Ausrich-
tung auf die Bedürfnisse der ostdeutschen Unternehmens- und Akteursstruk-
turen erfolgt und mehr Entscheidungskompetenz und Finanzhoheit von der
Landes- und Bundesebene auf die regionale Ebene verlagert werden;

7. einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, um den

Niedriglohnsektor in Ostdeutschland zu verringern;

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8. die Kommunen von den Kosten der Langzeitarbeitslosigkeit durch eine
Ausrichtung des Bundesanteils an den Unterkunftskosten für ALG-II-Be-
ziehende an der tatsächlichen Kostenentwicklung zu entlasten. Als erste
Notmaßnahme für finanzschwache Kommunen muss der Bundesanteil im
Jahr 2011 aufgestockt werden;

9. die strukturelle Unterfinanzierung der finanzschwachen Kommunen zu be-
seitigen und die Kommunen in die Lage zu versetzen,

a) ihre Einnahmen zu stabilisieren durch

– einen Verzicht auf weitere Steuersenkungen,

– eine Weiterentwicklung der Gewerbesteuer zu einer kommunalen
Wirtschaftssteuer,

– eine ökologische Ausrichtung und Stärkung der Grundsteuer;

b) eine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen sicherzustel-
len. Hierzu ist es erforderlich, im Grundgesetz (GG) folgende Änderun-
gen vorzunehmen:

– eine Ergänzung der Selbstverwaltungsgarantie der Kommunen in
Artikel 28 GG durch eine Garantie,

– eine Mindestfinanzausstattung und ein Ausgleich für Mehrbelastun-
gen bei zusätzlichen Aufgabenübertragungen,

– eine Aufhebung des sog. Kooperationsverbotes zwischen Bund und
Kommunen insbesondere bei Zukunftsinvestitionen in Umwelt und
Soziales,

– eine Regelung zur „Konnexität“, um zu verhindern, dass die Kosten
von Gesetzesvorhaben weiterhin auf die Kommunen abgewälzt wer-
den und

– verbindliche Mitwirkungsrechte im Gesetzgebungsverfahren und
eine verbesserte Gesetzesfolgenabschätzung;

10. die Mittelkürzungen bei der Städtebauförderung mit den für Ostdeutschland
wichtigen Programmen „Stadtumbau Ost“, „Soziale Stadt“, „Sanierungs-
und Entwicklungsmaßnahmen Ost“, „Denkmalschutz Ost“ als festen Be-
standteil des Korbes II zurückzunehmen und

– die Förderung auf dem gleichen Niveau von 2010 fortzuführen,

– insbesondere die Programme „Stadtumbau Ost“ und „Soziale Stadt“
uneingeschränkt zu erhalten,

– die Streichung der nichtinvestiven Maßnahmen in den Modellprojek-
ten von „Soziale Stadt“ zurückzunehmen,

– in den Bund-Länder-Vereinbarungen auf eine Flexibilisierung der Förder-
instrumentarien, auf eine Stärkung des integrativen Bestandteils sowie
auf eine stärkere Förderfähigkeit von nichtinvestiven Maßnahmen hinzu-
wirken,

– in diesem Zusammenhang hinsichtlich der Altschuldenhilfe für die am
Stadtumbau beteiligten Wohnungsunternehmen und Wohnungsgenos-
senschaften eine abschließende Lösung zu finden;

11. wie im Enquetebericht „Kultur in Deutschland“ gefordert,

– 2 Prozent der im Korb II bis 2019 als zweckgebundene Zuweisungen
des Bundes zur Verfügung stehenden Mittel für die ostdeutsche Kultur
in ihrer Vielfalt an Institutionen, Netzwerken, Kooperationen und Pro-

jekten verbindlich festzuschreiben,

Drucksache 17/4229 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

– die auch zur kulturellen Vielfalt gehörenden soziokulturellen Strukturen
– nicht zuletzt weil sie eine „gesellschaftliche Integration von unten“
ganz besonders dort, wo es um kulturelle Kinder- und Jugendbildung
geht, leisten – umfassend und nachhaltig zu fördern;

12. noch in dieser Legislatur eine Vereinheitlichung der Rentensysteme anzu-
gehen,

– d. h. alle maßgeblichen Bezugsgrößen und die Berechnung der Rente in
Ost und West zu vereinheitlichen; dies betrifft insbesondere den Renten-
wert, die Berechnung der Entgeltpunkte sowie die Beitragsbemessungs-
grenze. Die Hochwertung der Einkommen in der Vergangenheit ist da-
bei so anzupassen, dass die gegenwärtigen Renten in ihrer Höhe
unverändert bleiben;

– hinzukommen muss die Sicherung und Förderung einer umfassenden
sozialen, kulturellen und demokratischen Teilhabe für ältere Menschen,
unabhängig von ihrer materiellen Lage;

– eine Regelung zu Gunsten von Frauen einzuführen, die vor 1992 in den
neuen Ländern geschieden wurden und die wegen Kindererziehung ihre
Erwerbsarbeit unterbrochen oder eingeschränkt hatten; in Anlehnung an
den Versorgungsausgleich die individuellen Ansprüche der Frauen aus
der Ehezeit zu ermitteln, diese zu halbieren und ihrem Rentenkonto für
die Ehezeit zusätzlich die Hälfte eines durchschnittlichen Rentenan-
spruchs gutzuschreiben sowie den Ausgleich aus Steuermitteln zu finan-
zieren, da ein rückwirkender Versorgungsausgleich zu Lasten des ge-
schiedenen Ehepartners rechtlich nicht möglich ist;

13. gleichzeitig ein Konzept einer umfassenden Rentenreform zur Bekämp-
fung der Altersarmut und zum Schutz der Kommunen vor massiv steigen-
den Kosten für die Altersgrundsicherung vorzulegen, dass eine zu diesem
Zweck steuerfinanzierte Garantierente für langjährig Versicherte als Teil
der Rentenversicherung vorsieht, durch die geringe Rentenansprüche auf
ein Mindestniveau aufgestockt werden, welches über dem durchschnittli-
chen Grundsicherungsniveau liegt;

14. die Bildung von großen Agrarstrukturen in Ostdeutschland nicht weiter zu
befördern, sondern geeignete Maßnahmen zu entwickeln, die in Ost-
deutschland strukturangepasste nachhaltig arbeitende Agrarbetriebe unter-
stützen. In diesem Zusammenhang ist die Privatisierung von land- und
forstwirtschaftlichen Nutzflächen, die sich im Eigentum bundeseigener
Unternehmen wie der BVVG befinden, auszusetzen und die Privatisie-
rungsgrundsätze für die BVVG grundlegend zu überarbeiten. Gleichzeitig
ist zu prüfen, wie das Kartellrecht bei Flächenkonzentration durch den Er-
werb von einer Vielzahl von Anteilen an Agrarbetrieben zur Anwendung
gebracht werden kann;

15. sich für eine kontinuierliche Fortschreibung des Stasi-Unterlagen-Gesetzes
(StUG) einzusetzen, insbesondere die Überprüfungsfristen zu verlängern,
jedoch den zu überprüfenden Personenkreis nicht mehr nachträglich auszu-
weiten;

16. zur Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts die aktiven bürgerge-
sellschaftlichen Strukturen zu stärken und

– insgesamt auf ein gesellschaftliches Klima hinzuwirken, das Unterneh-
men und Verwaltungsspitzen zur offenen Auseinandersetzung mit
Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit in ihrer Region ermutigt;

– auch alternative zivilgesellschaftliche Angebote und Formen des Enga-

gements wertzuschätzen;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4229

– die dafür vorgesehene Bundesförderung nicht an Bedingungen zu knüp-
fen, die Initiativen in ihrer Arbeit fremdbestimmen und knebeln, die
Zusammenarbeit mit Partnern erschweren und damit gesellschaftliche
Bündnisse gegen Rechtsextremismus behindern. Insbesondere dürfen
Initiativen und die darin engagierten Bürgerinnen und Bürger nicht mit
der Verpflichtung, eine so genannte Extremismusklausel für sich und ihre
Partner unterzeichnen zu müssen, ihrerseits unter „Extremismus-Ver-
dacht“ gestellt werden. Gegenüber den Bundesländern ist darauf hinzu-
wirken, dass diese „Extremismusklausel“ keine Voraussetzung für die
Vergabe von Landesmitteln wird;

– insbesondere Rechtsextremismus, Rassismus und andere Formen der
gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ernst zu nehmen;

– die spezifischen Förderstrukturen dahingehend auszurichten, dass u. a.
auch die vorhandenen Opferberatungsstellen dauerhaft und verlässlich
gefördert werden und Opferberatung als Förderziel in die Leitlinien der
Programme gegen so genannten Extremismus aufgenommen wird.

Berlin, den 14. Dezember 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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