BT-Drucksache 17/4067

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung -17/3691, 17/4048- Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008, 1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008, 1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009 und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der Europäischen Union vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss 2010/437/GASP des Rates der Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und dem erwarteten Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Dezember 2010

Vom 1. Dezember 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/4067
17. Wahlperiode 01. 12. 2010

Entschließungsantrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Dr. Frithjof Schmidt, Marieluise Beck
(Bremen), Volker Beck (Köln), Viola von Cramon-Taubadel, Ulrike Höfken,
Ingrid Hönlinger, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Agnes Malczak, Dr. Konstantin von Notz, Omid Nouripour, Claudia Roth
(Augsburg), Manuel Sarrazin, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

zu der Beratung des Antrags der Bundesregierung
– Drucksachen 17/3691, 17/4048 –

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an der EU-geführten Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie
vor der Küste Somalias auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens
der Vereinten Nationen von 1982 und der Resolutionen 1814 (2008) vom 15. Mai 2008,
1816 (2008) vom 2. Juni 2008, 1838 (2008) vom 7. Oktober 2008,
1846 (2008) vom 2. Dezember 2008, 1897 (2009) vom 30. November 2009
und nachfolgender Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
in Verbindung mit der Gemeinsamen Aktion 2008/851/GASP des Rates der
Europäischen Union vom 10. November 2008, dem Beschluss 2009/907/GASP
des Rates der Europäischen Union vom 8. Dezember 2009, dem Beschluss
2010/437/GASP des Rates der Europäischen Union vom 30. Juli 2010 und dem
erwarteten Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 13. Dezember 2010

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

1. Freie Seewege liegen im Interesse der Weltgemeinschaft, Europas und
Deutschlands. Der Schutz der internationalen Seewege ist eine kollektive
Sicherheitsaufgabe und damit eine Aufgabe der Vereinten Nationen und der
internationalen Staatengemeinschaft. Vor diesem Hintergrund ist das Mandat
der Vereinten Nationen ein wichtiger Baustein zur Bekämpfung der
maritimen Unsicherheit auf internationalen Schifffahrtswegen. Perspek-

tivisch ist die Aufstellung einer Standing oder Stand By Maritime Force unter
Führung oder im Auftrag der Vereinten Nationen zu prüfen. Bis dahin ist an-
zustreben, dass die Vereinten Nationen die Koordination aller internationalen
Kräfte vor Ort übernehmen. Hierzu sollte Deutschland Impulse geben und
einen Beitrag leisten. Keinesfalls dürfen sich Staaten oder Militärbündnisse
zum Schutz von Rohstofflieferungen oder Handelswegen im Alleingang und
ohne Mandat der Vereinten Nationen mit militärischen Mitteln Vorteile zu

Drucksache 17/4067 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Lasten anderer verschaffen. Dies gilt auch für die Operation Atalanta am
Horn von Afrika. In jedem Fall muss vermieden werden, dass aus der Abwehr
der Piraterie vor Somalia stillschweigend der Schutz der europäischen oder
anderen Industriefischerei wird, die somalische Fischgründe ausbeutet.

2. Die Bedrohung, die von der Piraterie am Horn von Afrika für die Hilfsliefe-
rungen des Welternährungsprogramms und die zivile Schifffahrt ausgeht, ist
nach wie vor erheblich. Die Hohe See steht nach dem UN-Seerechtsabkom-
men von 1982 allen gleichermaßen zur friedlichen Nutzung zu. Auf Hoher
See darf sich jeder selbst verteidigen und Nothilfe zugunsten anderer leisten.
Mit dem Mandat der Vereinten Nationen und der Gemeinsamen Aktion der
EU sind die völkerrechtlichen und verfassungsrechtlichen Voraussetzungen
für eine deutsche Beteiligung nach Artikel 24 Absatz 2 des Grundgesetzes er-
füllt. Erhebliche Defizite gibt es noch immer bei der Strafverfolgung. Die
Rechtsstaatlichkeit bei der Strafverfolgung muss zweifelsfrei gewährleistet
sein. Anzustreben ist, dass das Festhalten von der Piraterie verdächtigen Per-
sonen im nationalen Recht näher geregelt wird. Die Einrichtung einer inter-
nationalen Gerichtsbarkeit für Piraterie ist weiter voranzutreiben.

3. Die Operation Atalanta der EU hat zum Schutz humanitärer Hilfslieferungen
sowie zur Abschreckung und Vereitlung von seeräuberischen Handlungen
oder bewaffneten Raubüberfällen beigetragen. Insbesondere die Schiffe des
Welternährungsprogramms konnten im Rahmen der humanitären Hilfe für
die notleidende somalische Bevölkerung sicher nach Somalia gelangen.
Hierin liegt das eigentliche Schwerpunktziel des Auftrages. Seit Beginn des
Einsatzes konnten 86 Schiffe des World Food Programme nach Somalia
geleitet werden. Dennoch ist die Bilanz nicht zufriedenstellend. Die Zahl
bewaffneter Überfälle hat erneut zugenommen. Piraten operieren weiter im
Indischen Ozean.

4. Die Piraterie am Horn von Afrika bleibt ein ernstzunehmendes Problem, dem
man sich auf internationaler Ebene und insbesondere im Rahmen der Verein-
ten Nationen künftig stellen muss. Der Rat der Europäischen Union wird die
Verlängerung der EU-Operation Atalanta am 13. Dezember 2010 beschlie-
ßen. Ferner will die Europäische Union die Kooperation mit den anderen in-
ternationalen Organisationen und Staaten, die ebenfalls mit dem Ziel der Ver-
hinderung von Übergriffen durch Piraten im betreffenden Gebiet aktiv sind,
weiter ausbauen. Derzeit sind über 40 Schiffe und Seeaufklärer mit dem
Haupt- oder Nebenauftrag der Pirateriebekämpfung am Horn von Afrika
unterwegs. Außer den Schiffen, die unter nationalem Kommando agieren,
verzetteln sich Bündnispartner der NATO und EU in unterschiedlichen
Operationen. Das Nebeneinander verschiedener nationaler und internationa-
ler Missionen am Horn von Afrika wurde in der Vergangenheit wiederholt
kritisiert. Doppelaufträge und der ständige Wechsel zwischen EU-, NATO-
oder nationaler Mission sind nicht länger hinnehmbar. Die Bundesregierung
hat in der Vergangenheit mit der Beteiligung am Einsatz Operation Enduring
Freedom und in der NATO aktiv zu dieser Konfusion beigetragen. Das ist
politisch, militärisch und rechtlich bedenklich.

5. Die Wirkung der EU-Mission Atalanta zur Bekämpfung muss streng über-
prüft werden. Der Einsatz darf nicht zur Routine werden und muss eine
Ausstiegsperspektive (Exitstrategie) erkennen lassen. Es bedarf eines Ge-
samtkonzeptes, in welchem die zivilen Mittel zum Aufbau dauerhaft rechts-
staatlicher Strukturen in Somalia sowie zur Verbesserung der Lebensbedin-
gungen substantiellen Raum einnehmen. Denn die der Piraterie zugrunde
liegenden Ursachen müssen weiterhin vor allem an Land – insbesondere in
Somalia – angegangen werden. Das Misstrauen zwischen den Clans und den

Menschen gegenüber der Übergangsregierung sitzt unvermindert tief. Die
Übergangsregierung ist schwach und ihr Handeln erschöpft sich in Selbst-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/4067

erhalt. Wichtige Reformen, wie die der Verfassung und der Sicherheitskräfte
sowie die Bekämpfung der Korruption, geht sie nicht an. Die bedingungslose
Bekämpfung gewalttätiger Islamisten der Al-Shabaab oder Hizbul Islam
bremst jegliche Dialog- und Versöhnungsprozesse auch mit verhandlungsbe-
reiten Kräften dieser Organisationen aus. Die Friedensmission der Afrikani-
schen Union AMISOM ist weiterhin überfordert. Positive Impulse, die von
dem Demokratisierungsprozess in Somaliland ausgehen, bleiben ungenutzt.
Eritrea, ein wichtiger regionaler Spieler, wird nicht in die Friedensbemühun-
gen einbezogen. Die EU-Mission zur Ausbildung von somalischen Soldaten
(EUTM SOM) in Uganda droht fehlzuschlagen, weil sie intransparent und in
ihrer Wirkung zweifelhaft ist. Es kann nicht sichergestellt werden, dass die
ausgebildeten Einheiten nicht zu kämpfenden Milizen überlaufen. Der Deut-
sche Bundestag wurde mit der EUTM nicht ausreichend befasst, obwohl auch
deutsche Ausbilder entsandt worden sind. Die deutsche Finanzierung der
Ausbildung somalischer Polizeikräfte in Äthiopien war ein Fehler. Die Aus-
bildung erfolgte unter Missachtung der UN-Koordination, ohne Sicherstel-
lung der Bezahlung und Kontrollmöglichkeiten über Verbleib und Einsatz der
Polizeikräfte. Mit Äthiopien wurde ein Partner gewählt, der selbst Kriegspar-
tei ist.

6. Die ständige Ausweitung des Mandatsgebietes von Atalanta ist besorgniser-
regend. Die Bundesregierung hat das neue, ausgeweitete Operationsgebiet
der maritimen Mission nicht klar definiert und verweist lediglich auf den er-
weiterten Aktionsradius der Piraten. Eine ständige und unklare Ausweitung
des Operationsgebietes muss unbedingt vermieden werden.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. sich für ein effizientes und koordiniertes Vorgehen zur Abschreckung, Ver-
hütung und Beendigung von seeräuberischen Handlungen oder bewaffneten
Raubüberfällen und Geiselnahmen einzusetzen und hierbei

● alle am Horn von Afrika eingesetzten maritimen Kräfte und Fähigkeiten der
Bundeswehr ausschließlich der EU-Mission Atalanta zur Verfügung zu stel-
len,

● konkurrierenden Missionen der NATO eine Absage zu erteilen und darauf
hinzuwirken, dass auch die anderen EU- und NATO-Partner sowie interes-
sierte Drittstaaten ihre Kräfte zur Pirateriebekämpfung unter dem Dach der
EU-Mission Atalanta bündeln,

● das Einsatzgebiet von Atalanta klar zu definieren und sich gegen eine stän-
dige Ausdehnung des Operationsgebietes auszusprechen,

● sich dafür einzusetzen, die internationale Pirateriebekämpfung am Horn von
Afrika und im Indischen Ozean so schnell wie möglich unter dem Dach und
der Führung der Vereinten Nationen zusammenzuführen,

● entschlossen gegen Akte der Piraterie, identifizierte Mutterschiffe und krimi-
nelle Netzwerke der Piraten vorzugehen und dabei verhältnismäßiges und
rechtsstaatskonformes Vorgehen zu gewährleisten, auch durch die Vorlage
eines Gesetzentwurfs, der das Festhalten von der Piraterie verdächtigen Per-
sonen bis zur Entscheidung über die Strafverfolgung näher regelt,

● dem Schutz von Leib und Leben der Geiseln Priorität beizumessen;

2. im Hinblick auf die Strafverfolgung

● eine rechtsstaatliche Verfolgung sicherzustellen,
● das innerstaatliche Trennungsgebot zwischen Polizei und Militär zu beach-
ten,

Drucksache 17/4067 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

● dauerhaft Sorge dafür zu tragen, dass die international zuständigen Gerichte
den Anforderungen an rechtsstaatliche Verfahren auch tatsächlich genügen,

● die Überstellung oder Verhandlung über Überstellungsabkommen an und mit
Drittstaaten zu unterlassen, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen,
dass im betreffenden Drittstaat die völkerrechtlichen Mindeststandards nicht
beachtet werden,

● einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen, der das Festhalten von der
Piraterie verdächtigen Personen bis zur Entscheidung über die Strafverfol-
gung näher regelt,

● weiterhin die Infrastruktur des Internationalen Seegerichtshofs in Hamburg
jenseits von seerechtlichen Streitigkeiten zu nutzen,

● sich bei den Vorschlägen bezüglich der Regelungen zum Strafprozess, insbe-
sondere der Rechte der Beschuldigten und ihrer Verteidigung, des Gerichts-
organisations-, Rechtshilfe- und Auslieferungsrechts sowie der Frage des
Strafvollzugs, an dem Statut und den Regelungen des Internationalen Straf-
gerichtshofs zu orientieren,

● zu prüfen, inwieweit eine entsprechende Resolution des Sicherheitsrates an-
zuregen ist und inwieweit als mittelfristige Perspektive ein Zusatzprotokoll
zum Statut des Gerichtshofs umsetzbar ist;

3. im Hinblick auf die Beseitigung zentraler Ursachen der Piraterie und auf eine
langfristige Stabilisierung Somalias

● dafür Sorge zu tragen, dass die humanitäre Hilfe bei den Menschen in Soma-
lia ankommt,

● sich innerhalb der Somalia-Kontaktgruppe mehr auf die politische Lösung
der Krisenlage in Somalia zu konzentrieren und sich für die Einleitung eines
breit angelegten politischen Dialog- und Versöhnungsprozesses einzusetzen
unter Berücksichtigung nicht nur der Übergangsregierung, sondern auch
lokaler Führungseliten und der Zivilgesellschaft aus Süd- und Zentralsomalia
sowie aus Somaliland und Puntland,

● gegenüber der Übergangsregierung Sondierungsgespräche mit verhandlungs-
bereiten Islamisten der Al-Shabaab und Hizbul Islam anzuregen und tech-
nisch zu unterstützen,

● mit der gewählten, aber international nicht anerkannten Regierung von
Somaliland und der Regierung Eritreas Gespräche aufzunehmen über deren
Beitrag für eine Befriedung Somalias,

● sich für die Ernennung eines EU-Sonderbeauftragten für Somalia und das
Horn von Afrika zur Verbesserung der Koordination der europäischen Bei-
träge einzusetzen,

● ihre Ankündigung, sich im Bereich der Demilitarisierung, Demobilisierung
und Reintegration von bewaffneten Kämpfern und dem Aufbau von Kapazi-
täten im Rechtsstaatsbereich engagieren zu wollen, zügig zu konkretisieren
und umzusetzen,

● die Geldwäsche von erpressten Lösegeldern der Piraten sowie Finanztrans-
aktionen gewalttätiger Djihadisten-Gruppen und den anhaltenden Waffen-
schmuggel in den Nachbarländern und international wirksam zu bekämpfen,

● der illegalen Müllentsorgung in den Gewässern der ausschließlichen Wirt-
schaftszone (AWZ) Somalias wirksam und entschieden entgegenzuwirken,

● sich dafür einzusetzen, dass die zum Teil illegale Überfischung der Gewässer

vor der Küste Somalias durch europäische und japanische Fischfabriken so-
fort gestoppt wird und die noch in der Region befindlichen Trawler von dort

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/4067

abgezogen werden, sowie dafür zu sorgen, dass den somalischen Fischern
alternative Existenzgrundlagen und ausreichende Erwerbsmöglichkeiten
gestellt werden; dafür Sorge zu tragen, dass die zugesagten Finanzmittel der
internationalen Somalia-Konferenz vom 23. April 2009 und – bestärkt durch
die Istanbul-Konferenz am 23. Mai 2010 – vollständig geleistet werden und
sichergestellt wird, dass die AMISOM-Soldaten ihren Sold erhalten,

● sich innerhalb der Somalia-Kontaktgruppe dafür einzusetzen, dass AMISOM
künftig mehr die Menschen und deren humanitäre Versorgung schützt als nur
die Übergangsregierung,

● die Forderungen der interfraktionellen Beschlussempfehlung des Deutschen
Bundestages (Bundestagsdrucksache 16/5754) zu dem Antrag der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN („Politische Lösungen sind Voraussetzung für
Frieden in Somalia“ – Bundestagsdrucksache 16/4759) weiter umzusetzen,
insbesondere den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen und eines Mikrokredit-
wesens nachhaltig zu unterstützen und die Rolle der Frauen, vor allem in den
Dorfgemeinschaften, zu stärken;

4. zur Wahrnehmung der parlamentarischen Kontrolle und Mitwirkung

● dem Deutschen Bundestag im Vorfeld einer eventuellen Mandatsverlänge-
rung den vom Parlamentsbeteiligungsgesetz geforderten Evaluierungsbericht
vorzulegen und darin überprüfbare Maßnahmen und Meilensteine zur Been-
digung der Mission darzulegen,

● bei künftigen Mandaten dem Deutschen Bundestag nicht nur die bereitge-
stellten militärischen Fähigkeiten, sondern Art und Anzahl der für den Ein-
satz geplanten Mittel und Kräfte zu nennen,

● sicherzustellen, dass der Deutsche Bundestag frühzeitig und vor einer Be-
schlussfassung der EU umfassend über die Planungen von einer militärischen
EU-Ausbildungsmission im Rahmen der Gemeinsamen Sicherheits- und
Verteidigungspolitik für somalische Sicherheitskräfte konsultiert und betei-
ligt wird.

Berlin, den 30. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Pirateriebekämpfung

Das Nebeneinander verschiedener nationaler und multinationaler Militäropera-
tionen zur Abschreckung, Eindämmung und Bekämpfung der Piraterie birgt
Effizienzdefizite. NATO und EU müssen die Konkurrenzsituation beenden und
Kooperation in den Vordergrund stellen. Ziel muss sein, eine Mission unter dem
Dach und der Führung der Vereinten Nationen einzurichten. Wechselnde Unter-
stellungsverhältnisse (Atalanta, NATO, national) sind politisch und militärisch
unproduktiv und rechtlich bedenklich. Neben der Bundeswehr sollten auch an-
dere europäische Fähigkeiten ausschließlich der EU-Mission unterstellt werden.

Drucksache 17/4067 – 6 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Strafverfolgung

Der Einsatz der internationalen Staatengemeinschaft zum Schutz von Schiffen
bzw. zur Eindämmung und Bekämpfung von Raubüberfällen auf See weist hin-
sichtlich der Strafverfolgung immer noch große Unterschiede und Defizite auf.
Bislang fehlt es an einer einheitlichen Strategie und an einem eng abgestimmten
Vorgehen.

Nach Kenia hat die EU nun auch mit den Seychellen ein Abkommen, das es den
EU-Marineeinheiten erlaubt, mutmaßliche Piraten und bewaffnete Räuber, die
sie im Laufe ihrer Einsätze in deren AWZ (200 Seemeilen) aufgreift, an den
Inselstaat überstellen zu können.

Soweit die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr Personen aufgreifen, fest-
halten und überstellen, müssen neben den allgemeinen Menschenrechten auch
die Grundrechte des deutschen Grundgesetzes beachtet werden. Von besonderer
Bedeutung ist eine Strafverteidigung nach rechtsstaatlichen Grundsätzen, für die
auch eine Kostenübernahme der deutschen Seite sicherzustellen ist.

Personen, die festgesetzt werden, weil sie im Verdacht stehen, seeräuberische
Handlungen begangen zu haben, sind der deutschen Strafverfolgung zuzufüh-
ren. Alternativ müssen die Behörden diese Personen entweder an einen Staat
übergeben, der sein Strafverfolgungsinteresse angemeldet bzw. sich zur Straf-
verfolgung bereit erklärt hat, oder die Personen freisetzen. Eine Entscheidung
darüber ist unverzüglich herbeizuführen.

Nach einer Entscheidung, festgesetzte Personen der deutschen Strafverfolgung
zuzuführen, sind diese Personen unverzüglich deutschen Polizeibehörden zu
übergeben. Dabei sind auch die besonderen Bedingungen auf Hoher See zu be-
rücksichtigen. Nach Übergabe der festgehaltenen Personen an deutsche Polizei-
behörden ist innerhalb von längstens 48 Stunden eine richterliche Entscheidung
über die Fortdauer der Freiheitsentziehung herbeizuführen.

Die Bundesregierung hat durch die Außenvertretungen selbst dafür Sorge zu tra-
gen und bei anderen Stellen darauf hinzuwirken, dass die Gerichte derjenigen
Staaten, die ein Strafverfolgungsinteresse angemeldet bzw. sich zur Strafverfol-
gung bereit erklärt haben, den Anforderungen an rechtsstaatliche Verfahren und
völkerrechtliche Verpflichtungen auch tatsächlich genügen.

Eine Überstellung an Drittstaaten ist zu unterlassen, wenn konkrete Anhalts-
punkte dafür vorliegen, dass im betreffenden Drittstaat die haft- und verfahrens-
bezogenen Menschenrechte nicht die völkerrechtlichen Mindeststandards be-
achtet werden.

Ursachenbekämpfung

Die Zunahme der Piraterie, aber auch des gewalttätigen, antiwestlichen Djiha-
dismus, vertreten durch Gruppen wie Al-Shabaab und Hizbul Islam, sind auch
Ergebnis dauerhafter Armut und anhaltender Unsicherheit aufgrund fehlender
Erwerbsmöglichkeiten und fehlender Staatsgewalt seit fast 20 Jahren. Die UNO
hält die humanitäre Lage in Somalia wieder für ähnlich dramatisch wie 1991.
Die humanitäre Versorgung an Land erfolgt aufgrund der schlechten Sicher-
heitslage nur sporadisch, seitdem die Al-Shabaab die Hafenstädte vor der Küste
übernommen hat. Viele Somalis sind in Nachbarländer wie Kenia geflohen. Der
Einfluss, die Stabilität und die Akzeptanz der somalischen Übergangsregierung
nehmen kontinuierlich ab, weil sie die Lebensumstände der Menschen nicht ver-
bessert hat. Gleiches gilt auch für die AMISOM, deren Aufgabe sich zu sehr auf
den Schutz der Übergangsregierung und nicht den Schutz der Menschen kon-
zentriert.

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/4067

Das internationale Engagement ist halbherzig und zu kurzfristig gedacht. Die in-
ternationale Gemeinschaft konzentriert sich zu stark auf Sicherheitsmaßnahmen
und die Unterstützung der Übergangsregierung. Sie hat die Unterstützung poli-
tischer Lösungen und Aussöhnungsprozesse durch eine stärkere Berücksichti-
gung lokaler Führungseliten und der Zivilgesellschaft – auch derer von Somali-
land und Puntland – aus dem Blick verloren.

Piraten und gewalttätige Djihadisten können weiter aufrüsten und sich etablie-
ren, weil die Geldwäsche von Lösegeld durch gewinnbringende Finanzanlage
und sonstige Finanztransfers wie in Kenia nicht gestoppt wird, der Waffen-
schmuggel weiter blüht, die illegale Überfischung und Müllentsorgung vor der
Küste Somalias nicht entschlossen genug bekämpft wird und der Aufbau des
somalischen Rechtsstaats nicht intensiv genug gefördert wird, um der Straflosig-
keit ein Ende zu bereiten.

Nur knapp ein Drittel der zugesagten Finanzmittel für die AMISOM sind ange-
kommen. AMISOM-Soldaten erhalten seit April 2009 keinen Sold mehr. Der
Plan der EU, künftig mit eigenen Ausbildungsmissionen den Aufbau von Militär
und Polizei der Übergangsregierung voranzutreiben, birgt nicht nur die Gefahr
von ineffizienten Parallelstrukturen, sondern auch die Gefahr, dass gut ausgebil-
dete Sicherheitskräfte zu zahlungskräftigeren Piraten oder Djihadisten überlau-
fen.

Parlamentsbeteiligung

Die Bundesregierung hat dem Bundestag im Vorfeld der Mandatsverlängerung
keinen Evaluierungsbericht vorgelegt. Umfassende Informationen über den Ein-
satz und die Rahmenbedingungen sind auch wichtig, um gegebenenfalls Ein-
fluss auf die Entscheidungsfindung der Bundesregierung oder der EU nehmen
zu können. Die Bundesregierung beteiligt sich an einer einsatzgleichen Mission
im Ausland, um Soldaten für die somalische Übergangsregierung auszubilden.
Der Bundestag sollte bei solchen problematischen Missionen befasst werden.
Keiner weiß genau, wo die ausgebildeten Kämpfer später bleiben und ob sie
langfristig bezahlt werden können.

Die Europäische Ausbildungsmission in Uganda, die den Aufbau von Militär
und Polizei der Übergangsregierung vorantreiben soll, birgt nicht nur die Gefahr
von ineffizienten Parallelstrukturen, sondern auch die Gefahr, dass gut ausgebil-
dete Sicherheitskräfte zu zahlungskräftigeren Piraten oder Djihadisten überlau-
fen.

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