BT-Drucksache 17/3687

Evaluierung von Sicherheitsgesetzen - Kriterien einheitlich regeln, Unabhängigkeit wahren

Vom 10. November 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3687
17. Wahlperiode 10. 11. 2010

Antrag
der Abgeordneten Wolfgang Wieland, Dr. Konstantin von Notz, Jerzy Montag,
Volker Beck (Köln), Ingrid Hönlinger, Memet Kilic, Josef Philip Winkler
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Evaluierung von Sicherheitsgesetzen – Kriterien einheitlich regeln,
Unabhängigkeit wahren

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Sicherheitsgesetze müssen sich, ob sie der Gefahrenabwehr oder der Strafverfol-
gung dienen, besonders strikt an den Prinzipien unserer Verfassung orientieren.
Denn oft beinhalten sie schwerwiegende Eingriffe durch staatliche Sicherheits-
behörden in empfindliche Bereiche der freien persönlichen Lebensgestaltung.
Dies verlangt besondere Sorgfalt und Zurückhaltung – sowohl seitens des Ge-
setzgebers als auch in der Gesetzesanwendung seitens der Exekutive.

Eine regelmäßige, unabhängige Überprüfung der Wirkung sicherheitsrecht-
licher Vorschriften, insbesondere neu eingeführter, dient der Einhaltung dieser
Sorgfaltspflicht. Entscheidend sind hier gesetzliche Bestimmtheit, Präzision und
Ausgewogenheit. Deshalb hat die rot-grüne Koalition nach dem 11. September
2001 neben der Befristung bestimmter grundrechtsempfindlicher Sicherheitsge-
setze das Instrument einer gesetzlich vorgesehenen Evaluierungspflicht einge-
führt. Evaluierung wurde dabei als unabhängige Überprüfung der Grundrechts-
verträglichkeit und Verhältnismäßigkeit verstanden. Dies wurde allerdings nicht
so vom Gesetzgeber ausformuliert.

Die seitdem erfolgte Umsetzung der Evaluierungspflichten ist in dieser Hinsicht
als mangelhaft zu bezeichnen. Gesetzesevaluierungen dürfen sich inhaltlich
nicht auf die bloße Überprüfung der Funktionalität und Effektivität bestehender
bzw. neu eingeführter Maßnahmen und Instrumentarien beschränken. Vielmehr
sollte sich eine Evaluierung zentral damit befassen, welche konkreten Auswir-
kungen die Anwendung von Sicherheitsgesetzen auf individuelle Grundrechte
und das rechtsstaatliche Gefüge hat. Die zu bewertenden Gesetze sind dabei
stets im Gesamtzusammenhang der bundesdeutschen und europäischen Sicher-
heitsarchitektur zu betrachten. Institutionell ist die alleinige Zuständigkeit der
Bundesregierung für die Durchführung gesetzlicher Evaluierungsaufträge abzu-
lehnen. Der Gesetzgeber selbst hat die Kontrolle über Inhalt und Methode einer

Evaluierung auszuüben und eine politische Bewertung des Evaluierungsergeb-
nisses vorzunehmen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. die im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP angekündigte allge-
meine Evaluierung von Sicherheitsgesetzen und -behörden ernsthaft, umfas-
send und weitgehend transparent in Angriff zu nehmen;

Drucksache 17/3687 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

2. mit der Evaluierung ein institutionalisiertes Expertengremium zu beauftragen,
das unter Beteiligung der Opposition vom Deutschen Bundestag benannt wird;

3. in zukünftigen Entwürfen für Sicherheitsgesetze, insbesondere für die-
jenigen, die Grundrechte einschränken und deshalb dem Zitiergebot des Ar-
tikels 19 Absatz 1 des Grundgesetzes unterfallen, jeweils eine Evaluierungs-
klausel und eine Evaluierungsfrist vorzusehen;

4. die jeweiligen Evaluierungen an folgenden Eckpunkten zu orientieren:

a) klare und umfassende Definition des Evaluierungsgegenstandes, nicht nur
bezogen auf Nutzen und Effektivität, sondern vor allem auf die Grund-
rechtsverträglichkeit im Hinblick auf Eingriffstiefe und Eingriffshäufig-
keit;

b) paralleler und ggf. ergänzender Abgleich mit Vorgaben der Europäischen
Menschenrechtskonvention, der EU-Grundrechtecharta sowie anderer
verbindlicher menschenrechtlicher Standards;

c) Einbeziehung von unabhängigem wissenschaftlichen Sachverstand, so-
wohl zum Zwecke der methodischen als auch der inhaltlichen Beratung.

Berlin, den 9. November 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

Begründung

Das seit der rot-grünen Koalition in der Sicherheitsgesetzgebung festgeschrie-
bene Instrument der Evaluierung neu geschaffener staatlicher Eingriffsbefug-
nisse im Bereich der inneren Sicherheit ist in den vergangenen Jahren mangel-
haft umgesetzt worden. Bislang sind die Gesetzesevaluierungen einseitig,
inhaltlich verkürzt und wenig transparent ausgefallen. Über die zaghafte Absicht
eines ersten Versuches einer ernsthaften, politisch ausgewogenen und von exter-
nem wissenschaftlichen Sachverstand begleiteten Überprüfung der Wirkung
und Notwendigkeit bestimmter sicherheitsbehördlicher Befugnisse und Instru-
mente ist man nicht hinausgekommen. Während die zu überprüfenden Vor-
schriften des Terrorismusbekämpfungsgesetzes (TBG) noch von der Bundes-
regierung in Eigenregie, ohne jegliche Beratung und Kontrolle von außen,
evaluiert wurden, wurde für die Evaluierungen des Terrorismusbekämpfungs-
ergänzungsgesetzes sowie des Gemeinsame-Dateien-Gesetzes immerhin eine
externe Beratungsfirma (Rambøll Management Consulting) hinzugezogen. Kri-
tisch ist hierbei jedoch zu beobachten, dass sich die Rolle der externen Sach-
verständigen lediglich auf die methodische Beratung beschränkt. Gegenstand,
Zielsetzung und inhaltliche Kriterien der Evaluierung werden unverändert von
der Bundesregierung festgelegt. Ein Umstand, der vom Gesetzgeber nicht
hingenommen werden sollte. Als Autor der zu überprüfenden Gesetze muss der
Gesetzgeber die Kontrolle über deren Evaluierung ausüben, insbesondere um
seiner vom Bundesverfassungsgericht mehrfach festgestellten Nachbesserungs-
pflicht im gegebenen Fall und möglichst vor dem Eintreten zu weitreichender,
empfindlicher Grundrechtseingriffe nachkommen zu können. Das Parlament
muss Einfluss auf die bei der Evaluierung zu stellenden Fragen haben. Die Mög-
lichkeit, die Bundesregierung zu einer aktuellen Evaluierung zu befragen, reicht
nicht aus.
Die Einsetzung eines Evaluierungsgremiums durch den Deutschen Bundestag
würde nicht nur zu einer verbesserten demokratischen Legitimation und Trans-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3687

parenz, sondern auch zu politischer Ausgewogenheit und wissenschaftlicher
Fundierung der Evaluierungen beitragen. Geheimnisschutz und Geheimhal-
tungspflichten könnten hierbei entsprechend geregelt werden.

Abschließend ist zu betonen, dass sich die derzeitige Regierungskoalition die
Evaluierung der im Laufe des vergangenen Jahrzehnts erlassenen Sicherheitsge-
setze per Koalitionsvertrag auf die Fahnen geschrieben hat. Die Koalition ist
hier in die Pflicht zu nehmen und trägt in erster Linie die Verantwortung dafür,
dass ihr im Koalitionsvertrag dokumentiertes Bekenntnis ernst genommen wer-
den kann und die gesetzlichen Evaluierungsklauseln nicht auf bloße Floskeln
reduziert werden, sondern eine wirkliche Abwägung des sicherheitspolitischen
Nutzens und des bürgerrechtlichen Schadens vorgenommen werden kann.

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