BT-Drucksache 17/3298

Generationengerechtigkeit im politischen Handeln der Bundesregierung

Vom 13. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3298
17. Wahlperiode 13. 10. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Tabea Rößner, Elisabeth Scharfenberg,
Ekin Deligöz, Katja Dörner, Priska Hinz (Herborn), Agnes Krumwiede, Monika
Lazar, Britta Haßelmann, Sven-Christian Kindler, Dr. Konstantin von Notz,
Dr. Valerie Wilms, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Generationengerechtigkeit im politischen Handeln der Bundesregierung

Generationengerechtigkeit wird zwar in politischen Reden proklamiert, es ist
aber fraglich, ob sie derzeit im politischen Handeln umfassend als Querschnitts-
aufgabe und als eine zentrale Herausforderung moderner Gerechtigkeitspolitik
adäquat berücksichtigt wird. Die Bundesregierung beruft sich punktuell auf Ge-
nerationengerechtigkeit. Daher ist es wichtig, welchem Verständnis, welchen
Werten die Bundesregierung dabei folgt, und welche politischen Konsequenzen
sie daraus für ihr Regierungshandeln in einzelnen Politikfeldern zieht.

Aufgrund des demografischen Wandels wird Jugend immer mehr zu einer struk-
turellen gesellschaftlichen Minderheit. Die Gesamtzahl der Jugendlichen unter
20 Jahren wird bis 2060 bei Fortsetzung der aktuellen Trends von heute 19 Pro-
zent auf 16 Prozent sinken. Gleichzeitig steigt die Zahl der über 65-Jährigen von
heute 20 Prozent auf über 34 Prozent. Das heißt: 2060 wird jede/jeder Dritte
über 65 Jahre und nur etwa jede/jeder Siebte unter 20 Jahre alt sein. Aus dieser
geänderten Generationenschichtung ergeben sich neue politische Herausforde-
rungen.

Nicht nur der Anteil der Älteren wird in den nächsten Jahrzehnten weiter stark
ansteigen. Auch die Zahl der Menschen ohne Kinder oder Enkelkinder vergrö-
ßert sich. Mit einer zunehmenden Kinderlosigkeit könnten aber alltägliche Be-
rührungspunkte zwischen den Generationen verloren gehen. Eine Studie des
Max-Planck-Instituts für demografische Forschung in Rostock hat erstmals em-
pirisch nachgewiesen, dass die Bereitschaft an jüngere Menschen zu denken
schwindet, je älter die Befragten waren und ob sie Kinder oder Enkelkinder
haben (MPIDR, WP-2009-034). Die aktuelle Shell-Jugendstudie kommt zu dem
Ergebnis, dass zwar immer mehr Jugendliche Respekt vor der älteren Genera-
tion haben, aber doch mehr als die Hälfte das Verhältnis zwischen Jung und Alt
als eher angespannt ansieht (16. Shell Jugendstudie, Jugend 2010).

Um den Zusammenhalt unserer Gesellschaft weiterhin zu gewährleisten und da-

für Sorge zu tragen, dass die demografische Entwicklung sich nicht negativ auf
die Solidarität zwischen den Generationen auswirkt, wird es immer wichtiger,
politische Entscheidungen auf ihre Generationengerechtigkeit zu überprüfen.

Drucksache 17/3298 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wir fragen daher die Bundesregierung:

I. Maßnahmen zur Verwirklichung von Generationengerechtigkeit

1. Wie definiert die Bundesregierung den Begriff „Generationengerechtig-
keit“?

2. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass das Prinzip der Generatio-
nengerechtigkeit erfordert, die natürliche Umwelt zu erhalten?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

3. Mit welchen konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung Generatio-
nengerechtigkeit zu verwirklichen?

4. Welchen Stellenwert nimmt die Kinderpolitik in der Arbeit der Bundes-
regierung ein, wodurch wird dieser Stellenwert deutlich, und welche Ziele
verfolgt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Kinderpolitik?

5. Welchen Stellenwert nimmt die Jugendpolitik in der Arbeit der Bundes-
regierung ein, wodurch wird dieser Stellenwert deutlich, und welche Ziele
verfolgt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Jugendpolitik?

6. Welchen Stellenwert nimmt die Altenpolitik in der Arbeit der Bundesregie-
rung ein, wodurch wird dieser Stellenwert deutlich, und welche Ziele ver-
folgt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Altenpolitik?

7. Welchen Stellenwert nimmt die Demografiepolitik in der Arbeit der Bun-
desregierung ein, wodurch wird dieser Stellenwert deutlich, und welche
Ziele verfolgt die Bundesregierung im Rahmen ihrer Demografiepolitik?

8. Durch welche konkreten kinder-, jugend-, alten- und demografiepoliti-
schen Maßnahmen plant die Bundesregierung einen Beitrag zur Generatio-
nengerechtigkeit zu leisten?

9. Hält es die Bundesregierung für richtig, künftige Generationen und ihre
Interessen grundgesetzlich zu schützen und das Ziel Generationengerech-
tigkeit als Staatsziel oder in anderer Form im Grundgesetz zu verankern?

10. Wie beurteilt die Bundesregierung die Aussage im Koalitionsvertrag, wo-
nach die Nachhaltigkeitsprüfung „durch eine offizielle Generationenbilanz
ergänzt werden soll, die die monetarisierbaren Leistungen und Lasten heu-
tiger Politik für kommende Generationen transparent macht“?

11. Ist der Bundesregierung bekannt, dass Klaus Töpfer bereits 2006 die vom
Vorsitzenden des Rates für Nachhaltige Entwicklung in Auftrag gegebene
Studie zur Generationenbilanz vorgestellt hat, und dass diese weit über die
Analyse staatlicher Einnahmen und Ausgaben hinaus ging?

12. Plant die Bundesregierung wesentliche Felder der Gesellschaft, wie Mobi-
lität, Energie, Integration, Bildung, Geld und Einkommen, das Naturerbe
und die Stadtentwicklung in die Generationenbilanz einzubeziehen?

Wenn nein, warum nicht?

13. Wie bewertet die Bundesregierung, dass Klaus Töpfer den weiten Ansatz
einer Generationenbilanz bei der Vorstellung im Rat für Nachhaltige Ent-
wicklung begrüßt hat?

14. In welchem Verhältnis sollen nach Einschätzung der Bundesregierung die
Einkommen und Vermögen auf die verschiedenen Generationen verteilt
sein, und warum?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/3298

15. Entspricht die derzeitige Einkommens- und Vermögensverteilung auf die
Generationen aus Sicht der Bundesregierung dem Prinzip der Generatio-
nengerechtigkeit?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

II. Generationengerechtigkeit in konkreten Beschlüsse der Bundesregierung

16. Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Lasten für die „Rente mit 67“
gerecht auf alle Generationen verteilt?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

17. Sind nach Auffassung der Bundesregierung die Lasten der „Rente mit 67“
gerecht auf Männer und Frauen, die eine höhere Lebenserwartung und oft-
mals geringere Rentenansprüche haben, verteilt?

Wenn ja, warum?

Wenn nein, warum nicht?

18. Wie schätzt die Bundesregierung die Rolle von Frauen, welche in den älte-
ren Jahrgängen einen besonders hohen Anteil haben, im demografischen
Wandel ein, und welche politischen Konsequenzen zieht sie daraus?

19. Wie bewertet die Bundesregierung die Entwicklung der Renten und Pen-
sionsansprüchen (in Bund, Ländern und Kommunen) vor dem Hintergrund
der Generationengerechtigkeit?

20. Hält die Bundesregierung die Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraft-
werken und damit die immense Vergrößerung des Atommüll-Aufkommens
für generationengerecht und verantwortbar gegenüber nachfolgenden und
noch ungeborenen Generationen?

21. Hält die Bundesregierung das seit der Föderalismusreform I im Grundge-
setz geltende Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern im Bil-
dungsbereich für generationengerecht und verantwortbar gegenüber nach-
folgenden und noch ungeborenen Generationen?

22. Hält die Bundesregierung die Maßnahme, Mittel zur Gebäudesanierung,
Förderung der erneuerbaren Energien oder der Kraft-Wärme-Kopplung zu
kürzen bzw. mit Sperrvermerken zu versehen für generationengerecht und
verantwortbar gegenüber nachfolgenden und noch ungeborenen Generatio-
nen?

23. Welche Rolle spielt die Generationengerechtigkeit bei der Ausgestaltung
des Bundesprogramms zur biologischen Vielfalt?

Welche konkreten Maßnahmen sind zur Erreichung der Zielsetzung Gene-
rationengerechtigkeit in diesem Bereich geplant?

24. Hält die Bundesregierung das Verhältnis von Schulden und Zinslasten zu
Investitionen im Haushaltsentwurf 2011 für generationengerecht und ver-
antwortbar gegenüber nachfolgenden und noch ungeborenen Generatio-
nen?

25. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass die in dieser Legislaturpe-
riode beschlossenen Steuersenkungen angesichts der bestehenden Schulden
einen Beitrag zur Generationengerechtigkeit darstellen?

Wenn ja, warum?
Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/3298 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

26. Wie beurteilt die Bundesregierung die Chancen nachfolgender Generatio-
nen auf Investitionen und Gestaltung angesichts der dramatischen und in
dieser Höhe nie dagewesenen Staatsverschuldung?

27. Hält die Bundesregierung es für zukunftsweisend und generationengerecht,
den Investitionsbegriff so zu modernisieren, dass die Nettoausgaben für Bil-
dung, Wissenschaft und Forschung den Nettoinvestitionen in traditionellen
Bereichen haushaltsrechtlich gleichgestellt werden, damit Anreize für ver-
mehrte Ausgaben in diesem Bereich entstehen?

a) Falls ja, welche Konsequenzen zieht sie daraus?

b) Falls nein, warum nicht?

III. Generationengerechtigkeit aus der Perspektive von Jugendlichen

28. Wie beurteilt die Bundesregierung den Wissensstand Jugendlicher und die
zu erwartenden Verhaltenskonsequenzen bezüglich der Folgen des demo-
grafischen Wandels auf den Staat und ihr eigenes Leben?

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Bundesregierung daraus?

29. Hält die Bundesregierung das geltende Wahlrecht für generationengerecht
und verantwortbar gegenüber nachfolgenden und noch ungeborenen Gene-
rationen, oder befürwortet sie eine Absenkung der aktiven Wahlaltergrenze
(z. B. auf 16 oder 14 Jahre)?

30. Welche Möglichkeiten sieht die Bundesregierung, die Versorgungssicher-
heit mit jugendlicher Infrastruktur (Jugendzentren, Freizeitangeboten u. a.)
und bei Einrichtungen der Daseinsvorsorge vor den Hintergrund des demo-
grafischen Wandels in den Kommunen sicherzustellen?

IV. Generationengerechtigkeit aus der Perspektive von Alt und Jung

31. Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der demografischen Alterung
und Schrumpfung unserer Gesellschaft das Potential für Verteilungskon-
flikte zwischen der jüngeren und der älteren Generation?

Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung ergreifen, um Verteilungs-
konflikte zwischen den Generationen präventiv zu begegnen?

32. Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung angesichts des prognosti-
zierten Fachkräftemangels?

Wie schätzt die Bundesregierung die Auswirkungen des Fachkräfteman-
gels ein

a) auf die Ausbildungschancen Jugendlicher,

b) auf die Berufsperspektiven junger Berufsanfängerinnen und -anfänger,

c) auf die Arbeitsmarktchancen älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer,

d) auf die Beschäftigungsquote älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer,

e) auf die Produktivität und die wirtschaftliche Lage in Deutschland?

33. Wird die Bundesregierung das Aktionsprogramm Mehrgenerationenhäuser
fortsetzen?

a) Falls nein, wie wird die Bundesregierung die bisherig geschaffenen
Strukturen der Mehrgenerationenhäuser nachhaltig und über den För-
derzeitraum hinaus festigen?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/3298

b) Falls ja, welche validen Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
bisherige Arbeit der Mehrgenerationenhäuser, und wie bewertet sie
diese?

c) Falls ja, welche attraktiven Angebote, Dienstleistungen und Hilfestel-
lungen sollen nach den Vorstellungen der Bundesregierung Mehrgene-
rationenhäuser für Jugendliche sowie Seniorinnen und Senioren künftig
bereitstellen?

d) Falls ja, wie wird die Bundesregierung zukünftig gewährleisten, dass
durch die Arbeit der Mehrgenerationenhäuser wirklich ein Austausch
zwischen den Generationen erfolgt, und nicht nur die Bereitstellung ge-
nerationenspezifischer Angebote fokussiert wird?

34. Welche konkreten Maßnahmen zur Förderung des intergenerativen Dialogs
plant die Bundesregierung?

35. Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregierung zur Förderung
der Begegnung von Jung und Alt im bürgerschaftlichen Engagement?

Berlin, den 13. Oktober 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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