BT-Drucksache 17/3186

Konzept für die Bewahrung kulturhistorisch bedeutsamer Kunst am Bau der jüngeren Zeit entwickeln

Vom 6. Oktober 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/3186
17. Wahlperiode 06. 10. 2010

Antrag
der Abgeordneten Dr. Lukrezia Jochimsen, Dr. Petra Sitte, Dr. Dietmar Bartsch,
Agnes Alpers, Herbert Behrens, Heidrun Bluhm, Roland Claus, Dr. Rosemarie
Hein, Katrin Kunert, Dr. Gesine Lötzsch, Kornelia Möller, Dr. Ilja Seifert, Kathrin
Senger-Schäfer, Sabine Stüber, Petra Pau, Ingrid Remmers und der Fraktion
DIE LINKE.

Konzept für die Bewahrung kulturhistorisch bedeutsamer Kunst am Bau
der jüngeren Zeit entwickeln

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Bis heute verschwinden im Rahmen von Abrissen, Neubauten und Privatisie-
rungen von öffentlichen Gebäuden Zeugnisse der jüngeren Kunstgeschichte,
darunter Werke von hohem Rang. Das betrifft in den neuen Bundesländern und
Berlin insbesondere das künstlerische Erbe der DDR, ist aber ein generelles
und bundesweites Problem. Vor dem Hintergrund der finanziellen Notsituation
der öffentlichen Haushalte in den Ländern und Kommunen droht eine Preis-
gabe des jüngeren, nach 1945 geschaffenen künstlerischen Erbes in neuer
Dimension.

Besonders sinnfällig wurde diese Problematik im Falle der beiden durch Abriss
bedrohten Wandbilder von Walter Womacka und Ronald Paris in Berlin. Die
Kunstwerke wurden nicht zerstört. Sie wurden im Internet zum Kauf angebo-
ten. Die Kosten für die Abnahme mussten die Käufer tragen. Aufgrund öffent-
lichen Drucks eingeleitete Versuche, Bundes- und Landeseinrichtungen zur
Übernahme zu bewegen, scheiterten. Es gelang nicht, diese Werke für die
öffentliche Hand zu sichern. Nun ist es privater Initiative überlassen, was mit
ihnen geschieht. Auch wenn sich jetzt eine Lösung zu ihrer Rettung abzeichnet,
ändert dies nichts an der Tatsache, dass von einem bewussten und verantwor-
tungsvollen Umgang mit öffentlichem Kunstbesitz und mit dem künstlerischen
Erbe der DDR in beiden Fällen keine Rede sein kann. Es offenbart sich an die-
sen Beispielen, dass die Bundesregierung bislang kein schlüssiges Konzept für
den Umgang mit öffentlichem Kunstbesitz, der seinen bau- oder institutionen-
bezogenen Kontext verliert, erarbeitet hat – und das im 20. Jahr der deutschen
Einheit.
Die Liste der bekannten Verluste ist lang. Hier sei nur auf die vier Wandbilder
von Walter Womacka im Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der
DDR hingewiesen, die bei dessen Abriss 1995/1996 zerstört wurden, oder auf
die Demontierung und teilweise Zerstörung der Wandbilder von Willi Sitte und
Willi Neubert im Stadtzentrum von Suhl. Fritz und Achim Kühn, international
anerkannte und geehrte Metallbildhauer, mussten nach 1989 einen Verlust von
insgesamt 56 Werken und Werkgruppen in Berlin und weiteren Städten des

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Landes hinnehmen und das, obwohl der gesamte Nachlass Fritz Kühns 1983 als
„nationales Kulturerbe“ geschützt wurde.

Eine tatsächliche Übersicht über das Verlorene gibt es bislang ebenso wenig wie
über die in Ländern und Kommunen derzeit gefährdeten Werke. Es werden
immer nur einzelne Fälle öffentlich. In Berlin ist derzeit ein weiteres Werk von
Walter Womacka, der Fries „Mensch und Raum“ am „Haus des Reisens“
(Alexanderplatz) gefährdet. Mit dem geplanten Abriss des „Hauses der Statis-
tik“ und des Bauministeriums der DDR drohten nicht nur die großen Wandbilder
von Ronald Paris und Walter Womacka der Öffentlichkeit verloren zu gehen,
sondern auch Arbeiten von Achim Kühn (Sohn des Künstlers Prof. Fritz Kühn),
so die Außengitter „Blick in den Wald“ am früheren Spezialladen für Jagdbedarf
und die Portalwände im ehemaligen Bauministerium. Aktuell gefährdet ist eben-
falls die Fassadengestaltung von Fritz Kühn an der polnischen Botschaft in
Berlin, da diese abgerissen und neu gebaut werden soll. In Erfurt konnte das
große Mosaik „Die Beziehung des Menschen zu Natur und Technik“, das der
von Francisco Franco verfolgte und in der DDR im Exil lebende spanische
Künstler Josep Renau für das Kulturzentrum im Wohngebiet Erfurt-Nord
geschaffen hatte, vor dem Abriss gerade noch gerettet und eingelagert werden.
Sein zukünftiger Verbleib aber ist ungewiss.

Es gibt auch positive Beispiele – allerdings vor allem auf der Ebene der Länder
und Kommunen. Dass mit historischer Kunst am Bau und Kunst im öffent-
lichen Raum auch verantwortungsvoll umgegangen werden kann, zeigen z. B.
das Schaudepot „Zwischenablage“ des Berliner Bezirksamtes Marzahn-Hel-
lersdorf, die Sicherung und Neuanbringung eines historischen Wandbildes in
einer Schule in Berlin-Johannisthal oder die Installation historischer Wandge-
mälde im Neubau des Innsbrucker Hauptbahnhofs. Die Verantwortlichen von
Eisenhüttenstadt sicherten mit der Unterschutzstellung der vor 1989 geschaf-
fenen öffentlichen Gebäude nicht nur Zeugnisse der Architekturgeschichte der
DDR, sondern auch die dort ebenso befindliche Kunst am Bau. Walter
Womackas umlaufende Wandgestaltung am Berliner Haus des Lehrers wurde
aufwändig restauriert. Als an der Universität Leipzig das Bronzerelief „Auf-
bruch“ im Jahre 2006 demontiert und vernichtet werden sollte, formierte sich
Protest und es wurde nicht „entsorgt“, sondern abgenommen und im Innenhof
der ehemaligen Deutschen Hochschule für Körperkultur wieder aufgestellt.
Diese Beispiele eines nachhaltigen Umgangs mit Zeugnissen der jüngeren
Kunst- und Kulturgeschichte gilt es auszuwerten und Grundlagen für einen
bundesweiten verantwortungsvollen Umgang mit diesem Erbe zu schaffen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. konzeptionelle Grundlagen für einen bewussten und verantwortungsvollen
Umgang mit öffentlichem Kunstbesitz der jüngeren Zeit, der seinen bau-
oder institutionenbezogenen Kontext verliert, zu schaffen,

2. eine Übersicht über den Bestand der nach 1945 geschaffenen baubezogenen
Kunstwerke zu erarbeiten und dazu im Zusammenwirken mit den Ländern
ein flächendeckendes, interdisziplinär vernetztes Rechercheprojekt auf den
Weg zu bringen,

3. eine umfassende Dokumentation der Artefakte zu erstellen,

4. Kriterien zur Systematisierung des Bestandes und seiner Bewertung unter
historischen, sozialen sowie künstlerisch-ästhetischen Gesichtspunkten zu
entwickeln,

5. Strategien für eine langfristige und nachhaltige Sicherung und öffentliche
Präsentation von kulturhistorisch bzw. künstlerisch bedeutsamer Kunst am
Bau der jüngeren Zeit, darunter insbesondere für den Umgang mit dem

künstlerischen Erbe der DDR, zu erarbeiten,

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6. die kulturhistorischen und wissenschaftlichen Institutionen des Bundes, wie
z. B. das Deutsche Historische Museum und das Haus der Geschichte in
Bonn oder auch Einrichtungen der Länder wie z. B. das Kunstarchiv
Beeskow, in die Erarbeitung von Konzepten, die Pflege und Sicherung der
Werke, ihre historisch-kritische Würdigung und öffentliche Vermittlung
einzubeziehen,

7. darauf hinzuwirken, dass in Einzelfällen kompetente Experten (Kunst-
wissenschaftler und Denkmalpfleger) zur Bewertung und Sicherung von
Werken herangezogen werden,

8. dafür Sorge zu tragen, dass bei der Veräußerung von Immobilien der öffent-
lichen Hand der Erhalt und gegebenenfalls die Integration betroffener
Werke in Nachfolgebauten oder Nachfolgeinstitutionen durch städtebau-
liche Verträge oder Kaufverträge gesichert wird,

9. die Länder und Kommunen anzuregen, zur Lösung dieser Aufgaben eng
mit den Künstlerverbänden zusammenzuarbeiten und

10. den wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs zu diesen Themen zu be-
fördern.

Berlin, den 5. Oktober 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Begründung

Die Bewahrung und Sicherung von baugebundener Kunst – auch der Kunst der
DDR – liegt im öffentlichen Interesse. Historisch-kritisch und künstlerisch-
ästhetisch bewertet und aufgearbeitet werden kann nur, was zuvor gesichert
oder zumindest dokumentiert wurde. Auch im Interesse der politischen und
kulturellen Bildung der nachwachsenden Generation sollten sie als aussage-
kräftige Dokumente der Zeit ihres Entstehens erhalten bleiben. Der fortdauern-
den gedankenlosen und sogar absichtsvollen Entsorgung des jüngeren künstle-
rischen Erbes muss ein Ende bereitet werden.

Hintergrund für die anhaltende Zerstörung von Bauwerken und baugebundener
Kunst der DDR ist die nach wie vor vorhandene Abwertung und Delegiti-
mierung der DDR und ihrer Kunst. Jüngstes Beispiel dafür war die Ausstellung
„Sechzig Jahre. Sechzig Werke“ anlässlich des Jahrestages des Grundgesetzes
der Bundesrepublik Deutschland, bei der in der DDR entstandene Kunst ausge-
grenzt war. Wer Einheit befördern will, muss die Kunst der DDR als gemeinsa-
mes nationales kulturelles Erbe betrachten und ihre Künstler mit entsprechender
Achtung behandeln.

Der Bund steht in der Pflicht, das nationale Kulturerbe zu bewahren. Besondere
Verantwortung hat er in jenen Fällen, wo die Kunstwerke Bestandteil des
Immobilienbesitzes des Bundes sind. Dieser Verantwortung müssen der Bund
und seine Institutionen auch durch Übernahme der Kosten für ihre Pflege und
Sicherung gerecht werden. Entscheidend aber ist, dass er bei der Entwicklung
von Konzepten vorangeht und mit den Ländern gemeinsame Strategien ent-
wickelt.

Die Pflege kulturhistorisch wertvollen Kunstbesitzes ist die ureigene Aufgabe
von Bundesinstitutionen wie z. B. dem Deutschen Historischen Museum. Sie

haben dafür auch die notwendigen Erfahrungen und sollten deshalb sowohl in

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die Erarbeitung von Strategien als auch in die konkrete Arbeit zum Erhalt und
zur Präsentation der Werke einbezogen werden. Sowohl das Deutsche Histo-
rische Museum als Bundeseinrichtung als auch das von Brandenburg und Ber-
lin unterstützte Kunstarchiv Beeskow sowie vergleichbare Institutionen in den
Ländern könnten aufgrund ihrer besonderen Sammlungsaufträge bedeutsame
Werke in ihre Obhut übernehmen und für eine angemessene historisch-kritische
Aufarbeitung und öffentliche Präsentation sorgen. Sie könnten auch in Neubau-
ten des Bundes integriert werden.

Artikel 35 des Einigungsvertrages verpflichtet die Bundesrepublik Deutschland
dazu, dafür Sorge zu tragen, dass die kulturelle Substanz im Ostteil Berlins und
in den neuen Bundesländern keinen Schaden nimmt.

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