BT-Drucksache 17/2815

Achtung der Menschenwürde in Arbeitsverhältnissen

Vom 26. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2815
17. Wahlperiode 26. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze, Herbert
Behrens, Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Werner Dreibus, Klaus Ernst,
Dr. Barbara Höll, Katja Kipping, Harald Koch, Ulla Lötzer, Cornelia Möhring,
Kornelia Möller, Richard Pitterle, Ingrid Remmers, Kersten Steinke, Dr. Axel Troost,
Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Achtung der Menschenwürde in Arbeitsverhältnissen

Das Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) soll die Achtung der Menschenwürde
in Arbeitsverhältnissen zwischen Belegschaft und Arbeitgeber garantieren.
Nach dem Geist des Gesetzes sind Betriebe mit Betriebsrat in einer Demokratie
das Normale. Der einzelne Beschäftigte ist vom Arbeitgeber viel mehr abhängig
als umgekehrt. Die Menschenwürde wird in dieser einseitigen existenziellen
Abhängigkeit des einzelnen Beschäftigten vom Arbeitgeber im Arbeitsverhält-
nis in unserer demokratischen Gesellschaft durch die Möglichkeit der Mit-
bestimmung der Beschäftigten an den Entscheidungen im Betrieb, die sie direkt
betreffen, geschützt und garantiert.

Die neuesten Zahlen aus dem Arbeitsmarkt zeigen aber, dass einheitliche und
überschaubare betriebliche Strukturen immer mehr zergliedert werden:

a) Der Anteil der Leiharbeitnehmer, die keine eigene Betriebsgemeinschaft und
damit keine reelle Chance mehr haben, das BetrVG zur Bildung von Betriebs-
räten zu nutzen, wächst ständig.

b) Die Zahl von Beschäftigten, die ihre Existenz mit mehreren Minijobs in ver-
schiedenen Betrieben, oft jeweils am Rande der Stammbelegschaft angesie-
delt, sichern müssen, nimmt zu. Auch diese Beschäftigten werden aus den
strukturellen Vorgaben des Arbeitsmarkts heraus der Schutz- und Mitgestal-
tungsmöglichkeiten des BetrVG beraubt.

Mitbestimmung durch die Möglichkeit der Bildung von Betriebsräten ver-
schwindet in diesen Strukturen. Es ist anhand von Beispielen, über die in der
Öffentlichkeit berichtet wurde, gut zu beobachten, dass dies entscheidende
Nachteile für die Wahrung der Menschenwürde in Arbeitsverhältnissen nach
sich zieht. Arbeitgeber und Betriebsrat sind gemeinsam gesetzlich dazu ver-
pflichtet darüber zu wachen, dass alle in einem Betrieb tätigen Personen nach
dem Grundsatz von Recht und Billigkeit behandelt werden. Wo dieses Netz
fehlt, bezahlen Beschäftigte, die sich gegen Missstände wehren und die gravie-
rende Rechtsverstöße abstellen wollen, meist mit Existenzverlust.
Die „STUTTGARTER NACHRICHTEN“ vom 18. Dezember 2009, die „Lan-
desschau“ vom 17. Dezember 2009 des Südwestrundfunks und die „junge Welt“
vom 23. Dezember 2009 veröffentlichten Berichte darüber, dass in Betrieben
des Stuttgarter Autobauers Daimler AG die Reinigungsfirma Klüh tätig war, die
nach den Informationen durch ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und nach
den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Waiblingen diese schikanös behandelt

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und sich rechtsfrei verhalten hat. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die sich
gewehrt haben, verloren alle ihre Existenz und stehen bis heute ohne Arbeit da.

Obwohl seit der Veröffentlichung bereits Zeit vergangen ist, wirken diese Ereig-
nisse nach, denn Beschäftigte des Daimler-Konzerns haben diese Ereignisse
hautnah mitbekommen. Betroffene Werkarbeitnehmerinnen haben sich an den
Betriebsrat des Daimler-Betriebes in Untertürkheim gewandt, in dem sie ihre
Reinigungsarbeiten auszuführen hatten, und diesen um Unterstützung gebeten.
Auch die Geschäftsführung des Daimler-Betriebes in Untertürkheim hatte
Kenntnis von dem Umgang des von ihnen beauftragten Reinigungsunterneh-
mens mit seinen Beschäftigten und hat hier nicht eingegriffen. Im Gegenteil:
Weil ein Betriebsratsmitglied seine Verantwortung aus dem Betriebsverfas-
sungsgesetz wahrgenommen hat und sich auch um diese im Betrieb tätigen Per-
sonen gekümmert hat, wurde es abgemahnt.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche Anforderungen an die Behandlung von Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer bestehen gegenüber Arbeitgebern, bei denen Personen über
Werk- oder Dienstvertrag oder als Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeit-
nehmer beschäftigt werden?

2. Welche Anforderungen bestehen an Betriebsräte von solchen Einsatzbetrie-
ben gegenüber dort tätigen Personen, insbesondere gegenüber Personen, die
über Werkverträge in den Unternehmen tätig werden, oder gegenüber Leih-
arbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern?

3. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Arbeitgeber ihre Betriebsräte
für deren Einsatz für im Unternehmen tätige Personen sanktionieren dürfen,
und wie bewertet sie die Sanktion, einem Betriebsratsmitglied bei Daimler
für die Zeit der Mandatsausübung nach § 75 BetrVG den Lohn zu kürzen?

4. Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass Betriebsratsmitglieder, die
während ihrer Betriebsratsarbeit eine menschenwürdige Behandlung nach
den Grundsätzen von Recht und Billigkeit der im Betrieb tätigen Personen
sichern wollen, in diesem Zusammenhang abgemahnt werden dürfen?

Wenn ja, worin besteht der Pflichtverstoß der Betriebsratsmitglieder, und
wenn nein, wie sind Arbeitgeber zu sanktionieren, die Abmahnungen im
oben genannten Sinne erteilen?

5. Besteht nach jetziger Gesetzeslage die Möglichkeit, dass Arbeitgeber wie
beispielsweise die Reinigungsfirma Klüh, die nachweislich einen Teil ihrer
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zwang, sich die Verlängerung ihres
Arbeitsvertrags zu erkaufen, zu sanktionieren?

Wenn ja, wie gedenkt die Bundesregierung gegen solche Arbeitgeber vorzu-
gehen?

6. Welchen gesetzlichen Schutz vor Arbeitsplatzverlust haben Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmer mit befristeten Arbeitsverträgen, die, wie bei der
Firma Klüh, durch ihre Vorgesetzten als „Halbschwuchteln“, „Arschficker“,
„Schlampen“, „Nutten“, „schwarze Teufel“ oder „schwarze Baumaffen“ be-
schimpft werden, wenn sie sich gegen diese Übergriffe wehren?

7. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass befristet beschäftigte Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer tatsächlich den gleichen Schutz genießen wie
unbefristet Beschäftigte, und wenn ja, wie, und in welcher Form kann dieser
Schutz realistisch umgesetzt werden?

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8. Stimmt die Bundesregierung der Aussage zu, dass besonders Arbeitnehme-
rinnen und Arbeitnehmer, die befristet in Betrieben und dabei besonders in
Leiharbeitsfirmen eingestellt sind, Repressalien hinnehmen müssen, aus
Angst, eine mögliche Verlängerung des Arbeitsvertrags nicht zu erhalten
oder immer in der Hoffnung, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis zu erhalten,
und wenn nein, warum nicht?

9. Welche Kontrollinstrumente setzt die Bundesregierung ein, um zu sichern,
dass abhängig Beschäftigte, gleich in welcher Form sie beschäftigt werden,
in ihrer Würde und in der Behandlung nach Recht und Billigkeit von ihren
Arbeitgebern geachtet werden?

10. Ist die Bundesregierung bereit, für den Fall, dass keine ausreichenden Kon-
trollinstrumente vorhanden sind, diesbezüglich gesetzgeberisch tätig zu
werden?

11. Besteht die Absicht der Bundesregierung, befristet Beschäftigten und Leih-
arbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmern einen stärkeren gesetzlichen
Schutz als Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer angedeihen zu lassen?

Wenn ja, in welcher Form, und wenn nein, warum nicht?

12. Haben Arbeitgeber, wie beispielsweise die Daimler AG, die mit der Firma
Klüh einen Werk- bzw. Dienstvertrag abgeschlossen hat, eine besondere
Fürsorgepflicht aus § 75 Absatz 1 BetrVG, und wenn nicht, wie gedenkt die
Bundesregierung dagegen vorzugehen, dass die in Verruf geratene Leih-
arbeit zunehmend durch die Vergabe von Werk- oder Dienstverträgen um-
gangen wird?

13. Wie kontrolliert die Bundesregierung die Einhaltung der Arbeitszeiten,
wenn Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gezwungen werden, weniger
Stunden im Stundennachweis aufzuführen als tatsächlich gearbeitet wurden
und infolgedessen unter Umständen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
aufstockende Leistungen in Anspruch nehmen müssen?

14. Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass auf diese Art und Weise Leis-
tungsmissbrauch betrieben wird, und wie wird dagegen vorgegangen?

Berlin, den 24. August 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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