BT-Drucksache 17/2710

Leiharbeit in Krankenhäusern II

Vom 4. August 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2710
17. Wahlperiode 04. 08. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Jutta Krellmann, Sabine Zimmermann, Diana Golze,
Matthias W. Birkwald, Heidrun Dittrich, Klaus Ernst, Inge Höger, Katja Kipping,
Cornelia Möhring, Kornelia Möller, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin Vogler,
Harald Weinberg, Jörn Wunderlich und der Fraktion DIE LINKE.

Leiharbeit in Krankenhäusern II

In vielen Krankenhäusern, Altenheimen und mobilen Pflegediensten werden zu-
nehmend Leiharbeitskräfte eingesetzt. Nach einer aktuellen Studie für die Hans-
Böckler-Stiftung (Christoph Bräutigam u. a.: Flexibilisierung und Leiharbeit in
der Pflege – eine explorative Studie, Arbeitspapier 215, Hans-Böckler-Stiftung,
2010) hat sich die Zahl der Leiharbeitsbeschäftigten in dieser Branche verfünf-
facht. Auch wenn das Niveau noch relativ gering ist, ist die Dynamik alarmie-
rend. Zurückgeführt wird dies vor allem auf den Abbau von Vollzeitstellen und
die zurückgehenden bzw. stagnierenden Ausbildungszahlen bei gleichzeitig stei-
gendem gesellschaftlichen Bedarf an Pflegekräften und fehlendem Willen, Fi-
nanzmittel für zusätzliche Stellen einzusetzen. Die Arbeitgeber im Gesundheits-
wesen nutzen die Leiharbeit, um Verwaltungs- und Personalkosten einzusparen.

Ein Beispiel für den Einsatz von Leiharbeitskräften in Krankenhäusern ist die
Klinikum Bayreuth GmbH, ein Maximalversorger mit 1 050 Betten und rund
2 000 Beschäftigten. Träger des Klinikums ist der Zweckverband Bayreuth, be-
stehend aus der Stadt und dem Landkreis Bayreuth. Der Tarifvertrag für den
öffentlichen Dienst (TVöD) findet Anwendung und das Haus ist Mitglied im
Kommunalen Arbeitgeberverband Bayern e. V. Vor vier Jahren wurde als Tochter
der Klinikum Bayreuth GmbH die Klinikum Servicegesellschaft Bayreuth mbH
gegründet. In diese Gesellschaft werden nahezu alle neuen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter, die nicht dem ärztlichen Dienst angehören und keine Führungs-
kräfte sind, eingestellt. Insbesondere zu Beginn wurden zuvor befristet beim
Klinikum Bayreuth angestellte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach Auslau-
fen ihres Vertrages in der Servicegesellschaft weiterbeschäftigt. Die Service-
gesellschaft verleiht ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ausschließlich an das
Klinikum Bayreuth.

Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Servicegesellschaft werden entspre-
chend dem Tarifvertrag entlohnt, der zwischen dem Deutschen Gewerkschafts-
bund und dem Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ)
abgeschlossen wurde. Demnach liegt der Lohn beispielsweise für eine Kranken-

schwester bei 9,27 Euro pro Stunde. Das sind rund 30 Prozent weniger Lohn als
sie nach dem TVöD bekommen würde. Zurzeit sind rund 300 Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter bei der Servicegesellschaft beschäftigt.

Ein weiteres Beispiel für den Einsatz von Leiharbeit bzw. für die Umgehung be-
stehender tariflicher Standards durch Ausgliederungen ist die Berliner Charité.
Bereits seit dem Jahr 2006 übernimmt die ausgegründete Tochtergesellschaft
Charité Facility Management GmbH (CFM) sämtliche Dienstleistungen für die

Drucksache 17/2710 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Charité, die nicht unmittelbar am Patienten stattfinden. Hierfür sind bei der CFM
rund 2 700 Voll- und Teilzeitbeschäftigte angestellt. Nach Angaben der Ge-
schäftsführung arbeiten dort rund 35 Prozent der Beschäftigten zeitlich befristet.
Der Gewerkschaft ver.di zufolge ist das Unternehmen nicht tarifgebunden und
durch schlechte Arbeitsbedingungen gekennzeichnet.

Seit Anfang 2010 werden an der Charité nach Angaben der zuständigen Ge-
werkschaft ver.di verstärkt Beschäftigte der im Januar neu gegründeten Perso-
nalverleihfirma „CFM Zeitarbeit GmbH“ eingesetzt, wobei CFM in diesem Fall
für Clinical Facility Management steht. Die Zeitarbeitsfirma ist ver.di zufolge
weder beim Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA) noch
beim Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen e. V. (iGZ) Mitglied.
Beim Einsatz der Leiharbeitskräfte geht es laut ver.di nicht um das Abfangen
von Produktions- bzw. Dienstleistungsspitzen, sondern um langfristige Einsätze
von ein bis zwei Jahren. Neben den möglicherweise niedrigeren Lohnkosten
dient dies wohl dem Ziel, die Belegschaft zu spalten und durch unsichere Be-
schäftigungsverhältnisse zu disziplinieren.

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wie bewertet die Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller
geschilderten Beispiele für den Einsatz von Leiharbeit (Klinikum Bayreuth
und Berliner Charité), insbesondere wenn dieser zu einer erheblich niedrige-
ren Bezahlung der Leiharbeitsbeschäftigten im Vergleich zu den Festan-
gestellten und zu einer Ersetzung von Stammbelegschaften führt?

2. Handelt es sich bei den genannten Fällen nach Einschätzung der Bundes-
regierung um Missbräuche in der Leiharbeit oder sind die geschilderten Ein-
sätze mit den Zielen, die von der Bundesregierung im Zusammenhang mit der
Leiharbeit verfolgt werden, vereinbar?

3. Wie bewertet die Bundesregierung allgemein die Tatsache, dass in öffent-
lichen Einrichtungen durch den langfristigen Einsatz von Leiharbeit, Be-
schäftigte, die die gleiche Arbeit verrichten, ungleich behandelt und entlohnt
werden?

4. Wie bewertet die Bundesregierung den langfristigen Einsatz von Leiharbeit
vor dem Hintergrund, dass Gewerkschaften berichten und Studien belegen,
der Einsatz von Leiharbeitskräften könne dazu führen, dass Belegschaften
gespalten und diszipliniert werden?

Kann die Bundesregierung eine solche Funktion von Leiharbeit bestätigen
(bitte begründen)?

5. Wie gedenkt die Bundesregierung einen solchen Missbrauch in der Leih-
arbeit gesetzgeberisch zu verhindern?

Hat sie bereits Ideen oder Vorschläge entwickelt, die einen Einsatz von Leih-
arbeit verhindern können, der lediglich auf Lohndumping und Ersetzung von
Stammbelegschaften abzielt?

6. Hält die Bundesregierung eine Regelung, der zufolge neu eingesetzte Leih-
arbeitskräfte den gleichen Lohn wie Stammbeschäftigte erhalten müssen,
sofern sie innerhalb der letzten sechs Monate vor ihrem Einsatz bereits im
gleichen Konzern in einem Arbeits- oder Ausbildungsverhältnis gestanden
haben, für ausreichend, um zu verhindern, dass dauerhaft bisher von Stamm-
beschäftigten erledigte Aufgaben von Leiharbeitskräften zu schlechteren Be-
dingungen ausgeführt werden?

Ist es nach Ansicht der Bundesregierung dann nicht auch weiterhin möglich,
Stammbelegschaften zu schlechteren Bedingungen zu ersetzen – mit Leih-

arbeitskräften, die vorher nicht bereits regulär im Konzern beschäftigt waren
(bitte begründen)?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2710

7. Handelt es sich nach Ansicht der Bundesregierung auch dann um einen
Missbrauch der Leiharbeit, wenn Leiharbeitskräfte, die nicht bereits in den
letzten sechs Monaten vor dem Einsatz im Konzern beschäftigt waren, Tä-
tigkeiten übernehmen, die bis dahin von Stammbeschäftigten erledigt wur-
den, dafür aber einen geringeren Lohn erhalten als die Stammbeschäftigten?

8. Welchen gesetzgeberischen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung
aufgrund der Tatsache, dass die EU-Leiharbeitsrichtlinie lediglich einen
vorübergehenden Einsatz von Leiharbeitskräften, aber keinen dauerhaften
Einsatz, wie er derzeit in Deutschland möglich ist, für zulässig erklärt?

Wie ist der Begriff „vorübergehend“ juristisch definiert?

Welchen Zeitraum umfasst nach Ansicht der Bundesregierung ein vorüber-
gehender Einsatz?

9. Ist nach Ansicht der Bundesregierung ein Branchenmindestlohn Leiharbeit
ausreichend, um Lohndumping zu verhindern?

Welchen Stellenwert hat nach Ansicht der Bundesregierung eine Stärkung
des Equal-Pay-Prinzips, wenn das Ziel ist, Lohndumping zu verhindern?

10. Haben die CFM Zeitarbeit GmbH und die Klinikum Servicegesellschaft
Bayreuth mbH eine Erlaubnis der Bundesagentur für Arbeit zur gewerbs-
mäßigen Arbeitnehmerüberlassung?

Hat die Bundesagentur für Arbeit in beiden Fällen bisher örtliche Prüfungen
durchgeführt?

Wenn ja, mit welchem Ergebnis?

Wenn nein, warum nicht?

Nach welchen Kriterien entscheidet die Bundesagentur für Arbeit, welche
Leiharbeitsfirmen einer örtlichen Prüfung unterzogen werden?

11. Auf welcher Grundlage werden die Beschäftigten der CFM Zeitarbeit
GmbH entlohnt?

Gilt hier der Gleichbehandlungsgrundsatz oder wird auf Basis eines Tarif-
vertrags davon abgewichen?

12. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über den Einsatz von
Leiharbeitskräften im Gesundheitswesen vor?

Ist der Bundesregierung die in der Vorbemerkung der Fragesteller genannte
Studie für die Hans-Böckler-Stiftung bekannt?

Wenn ja, wie bewertet sie diese, und leitet sie hieraus gesetzgeberischen
Handlungsbedarf ab?

Wenn nein, warum hat die Bundesregierung diese Studie nicht zur Kenntnis
genommen?

13. Wie viele Leiharbeitskräfte in der Klinikum Servicegesellschaft Bayreuth
mbH und in der CFM Zeitarbeit GmbH bekommen zusätzlich zu ihrem
Lohn aufstockende Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch
(SGB II), und wie hoch ist der Anteil von Frauen?

Wie hoch sind die Finanzmittel, mit denen die Grundsicherungsträger die
niedrigen Löhne der betroffenen Leiharbeitskräfte aufstocken, um ihre
Existenz zu sichern?

14. Wie viele Beschäftigte

a) in der Leiharbeitsbranche,

b) in Krankenhäusern bzw. im Gesundheitswesen,
c) als Leiharbeitskräfte in Krankenhäusern

Drucksache 17/2710 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode
erhalten zusätzlich zu ihrem Lohn aufstockende Leistungen nach dem
SGB II (bitte die aktuellsten verfügbaren Daten angeben und nach
Geschlecht, Vollzeit/Teilzeit sowie Alter differenzieren)?

Wie hoch sind jeweils die durchschnittlichen aufstockenden Leistungen
(bitte auch die aktuellsten verfügbaren Daten angeben)?

Berlin, den 23. Juli 2010

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

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