BT-Drucksache 17/2554

Derzeitige Anwendung und Neufassung der Dublin-II-Verordnung

Vom 9. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2554
17. Wahlperiode 09. 07. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel, Josef Philip Winkler,
Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln), Ulrike Höfken, Ingrid Hönlinger,
Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Memet Kilic, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Claudia Roth (Augsburg),
Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian Ströbele und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Derzeitige Anwendung und Neufassung der Dublin-II-Verordnung

Die Dublin-II-Verordnung (Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates vom
18. Februar 2003) legt die Zuständigkeit für Asylanträge unter den Mitglied-
staaten fest. Mit einem Vorschlag zur Neufassung zielt die EU-Kommission
(KOM(2008) 820) darauf, eine Reihe von Mängel zu beheben, die die Leistungs-
fähigkeit des derzeitigen Systems und den Umfang des Schutzes betreffen, der
Personen gewährt wird, die internationalen Schutz im Rahmen des Dublin-Ver-
fahrens beantragen.

Die Neufassung der Dublin-II-Verordnung soll den Anwendungsbereich auf Per-
sonen ausweiten, die subsidiären Schutz genießen. Die Übereinstimmung mit
den bestehenden und derzeit ebenfalls in der Überarbeitung befindlichen Asyl-
vorschriften soll laut Kommissionsvorschlag ebenso sichergestellt werden. Die
belgische EU-Ratspräsidentschaft hat in ihrem Programm die Absicht erklärt,
der Reform der Dublin-Verordnung hohe Priorität einzuräumen (Ausschuss für
die Angelegenheit der Europäischen Union, Ausschussdrucksache 17(21)0208,
S. 49).

Trotz weiterhin bestehender Defizite im Vorschlag zur Neufassung der Dublin-
II-Verordnung begrüßen Menschenrechts- und Flüchtlingsverbände insgesamt
die einzelnen Veränderungsvorschläge der EU-Kommission. Die Verhandlungen
der Neufassung der Dublin-II-Verordnung im Rat und im Europäischen Parla-
ment sind im Zusammenhang mit den von der EU-Kommission vorgelegten
Richtlinien zu sehen, die Teil der im Juni 2008 vorgelegten sogenannten Asyl-
strategie sind. Ziel ist es, mit Kohärenz zwischen den unterschiedlichen Asyl-
rechtsakten qualitativ bessere und stärker vereinheitlichte Standards im Bereich
des Asyl- und Flüchtlingsschutzes in der Europäischen Union zu schaffen.

Wir fragen die Bundesregierung:
1. Wie viele Übernahmeersuchen stellte Deutschland an andere Staaten unter
der Dublin-II-Verordnung im zweiten Quartal 2010 (bitte Vergleichswert für
das vorherige Quartal anführen)?

Wie viele Zustimmungen zur Übernahme gab es durch andere Staaten in die-
sem Zeitraum?

Drucksache 17/2554 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Wie viele Personen wurden in diesem Zeitraum tatsächlich aus Deutschland
an den zuständigen Staat überstellt?

2. Wie viele Übernahmeersuchen stellten andere Staaten an Deutschland unter
der Dublin-II-Verordnung im zweiten Quartal 2010 (bitte Vergleichswert für
das vorherige Quartal anführen)?

Wie vielen Übernahmeersuchen stimmte Deutschland in diesem Zeitraum
zu?

Wie viele Personen wurden während dieser Zeit tatsächlich aus diesen Staa-
ten nach Deutschland überstellt?

3. In wie vielen Fällen hat Deutschland im Jahr 2009 und in der ersten Hälfte
des Jahres 2010 einen Asylantrag gemäß Artikel 3 Absatz 2 (Selbsteintritt)
und Artikel 15 (humanitäre Klausel) der Dublin-II-Verordnung geprüft, in
wie vielen Fällen wurde internationaler Schutz gewährt, und was waren in
den individuellen Fällen die jeweiligen Beweggründe?

4. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 17 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung, der die Kriterien und Verfahren für die Anwendung
der Ermessensklausel (humanitäre Klausel und Souveränitätsklausel) unter
den Mitgliedstaaten vereinheitlichen und effizienter gestalten und die Zu-
stimmung des Antragstellers erforderlich machen soll, und wenn nein, mit
welcher Begründung?

5. Inwiefern wird bisher im Rahmen der Dublin-II-Verordnung mit Antragstel-
lern ein Gespräch bzw. Interview im Rahmen einer Anhörung geführt, um
die notwendigen Informationen für die Bestimmung des zuständigen Mit-
gliedstaats einzuholen und ihn über seine Rechte und den Ablauf des Über-
stellungsverfahrens zu informieren?

6. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 5 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung, nach dem der zuständige Mitgliedstaat einem An-
tragsteller die Gelegenheit garantiert, ein persönliches Gespräch mit einer
nach innerstaatlichem Recht hierzu befähigten Person zu führen, und wenn
nein, mit welcher Begründung?

7. Wie lange betrug im Jahr 2009 und in der ersten Hälfte des Jahres 2010 die
durchschnittliche Aufenthaltsdauer von Antragstellern, die von Deutschland
in den nach der Dublin-II-Verordnung zuständigen Mitgliedstaat überstellt
wurden, und wurde auch nach Ablauf der in Artikel 19 Absatz 3 vorgesehe-
nen Frist von sechs Monaten ab der Annahme des Antrags auf Aufnahme
oder der Entscheidung über den Rechtsbehelf, wenn dieser aufschiebende
Wirkung hat, Antragsteller überstellt, und wenn ja, in wie vielen Fällen?

8. Wie wird innerhalb der bisherigen Regelungen der Dublin-II-Verordnung
bei einer Überstellung von Deutschland ggf. medizinische Hilfe während
des Transports gewährleistet, und wie wird sichergestellt, dass der überneh-
mende Staat über zurückliegende ärztliche und psychologische Untersu-
chungen bzw. notwendige Medikamentierungen der rückgeführten Person
alle vorhandenen Angaben erhält?

9. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 30 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung zum Austausch relevanter Informationen vor der
Überstellung, und wenn nein, mit welcher Begründung?

10. Mit welchen Staaten gibt es bei Dublin-Überstellungen bilaterale Verwal-
tungsabkommen nach Artikel 23 der Dublin-II-Verordnung, und was ist
– neben der Zuständigkeit der Bundespolizei für die Überstellung – noch
Bestandteil dieser Kooperation?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2554

11. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 26 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung, der entsprechend der Verpflichtungen aus Artikel 6
(Recht auf ein faires Verfahren) und Artikel 13 (Recht auf wirksame Be-
schwerde) der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfrei-
heiten, Artikel 47 (Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unpar-
teiisches Gericht) der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und
der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (z. B. Fall Unión de
Pequeños Agricultores (C-50/00), Urteil vom 25. Juli 2002, Antragsnummer
ECR I-667, Absatz 41) das Recht des Antragstellers auf einen gerichtlichen
Rechtsbehelf gegen einen Rückführungsbeschluss vorsieht, und wenn nein,
mit welcher Begründung?

12. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 27 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung hinsichtlich der Ingewahrsamnahme zum Zwecke der
Überstellung von Antragstellern, der in Übereinstimmung mit der Aufnah-
merichtlinie liegt, und wenn nein, mit welcher Begründung?

13. Unterstützt die Bundesregierung Artikel 31 des Neufassungsvorschlags zur
Dublin-II-Verordnung, der die vorläufige Aussetzung von Überstellungen
vorsieht, und wenn nein, mit welcher Begründung wendet sie sich dagegen,
und welche Änderungsvorschläge macht sie im Gegenzug, um „den Grund-
satz der Solidarität und gerechten Aufteilung von Verantwortlichkeiten unter
Mitgliedstaaten“ (Artikel 80 des Vertrags über die Arbeitsweise der Euro-
päischen Union – AEUV) gegenüber Mitgliedstaaten zu wahren, deren Asyl-
system außergewöhnlich schweren Belastungen ausgesetzt ist?

14. Gibt es eine Analyse bzw. Evaluation durch das Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge oder die Bundesregierung hinsichtlich der Kosten des Dub-
lin-Systems für Deutschland?

Sollte dies der Fall sein, nach welchen Kriterien ist eine solche Kostenana-
lyse durchgeführt worden, und welche unterschiedlichen Aspekte wurden
bei dieser Analyse berücksichtigt (bitte detailliert beschreiben)?

15. Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung hinsichtlich der Gesamt-
kosten des Dublin-Systems für die Bundesrepublik Deutschland vor?

Auf welche Höhe belaufen sich die jährlichen Kosten des Dublin-Systems
für Deutschland (seit 2007)?

16. Wie stellen sich die jeweiligen jährlichen Kosten für Deutschland (seit 2007)
hinsichtlich der einzelnen Phasen des Dublin-Verfahrens dar, insbesondere

a) welche Verwaltungskosten sind im Rahmen des Dublin-Verfahrens für
Deutschland entstanden,

b) welche Kosten sind durch die Überstellung von Asylbewerbern von
Deutschland an den jeweils zuständigen Staat entstanden?

17. Stellt die Bundesregierung bei den aktuellen Verhandlungen zur Neufassung
der Dublin-II-Verordnung im Rat sicher, dass sie mit den Richtlinien, die
Teil der im Juni 2008 von der EU-Kommission vorgelegten sog. Asylstrate-
gie (KOM(2008) 360), kohärent sind?

Berlin, den 9. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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