BT-Drucksache 17/2484

10 Jahre UN-Resolution 1325 - Frauen, Frieden und Sicherheit - Nationaler Aktionsplan für eine gezielte Umsetzung

Vom 7. Juli 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2484
17. Wahlperiode 07. 07. 2010

Antrag
der Abgeordneten Kerstin Müller (Köln), Katja Keul, Ute Koczy, Tom Koenigs,
Ekin Deligöz, Monika Lazar, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Viola von Cramon-Taubadel, Katja Dörner, Kai Gehring, Priska Hinz (Herborn),
Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Agnes Malczak, Omid Nouripour,
Claudia Roth (Augsburg), Manuel Sarrazin, Dr. Frithjof Schmidt, Hans-Christian
Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

10 Jahre UN-Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit – Nationaler
Aktionsplan für eine gezielte Umsetzung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Am 31. Oktober 2010 jährt sich zum 10. Mal die Verabschiedung der UN-Reso-
lution 1325 „Frauen, Frieden und Sicherheit“, ein Meilenstein auf dem Weg zu
einer geschlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik. Im Oktober 2000
wurde zum ersten Mal in der Geschichte der Vereinten Nationen eine völker-
rechtlich verbindliche Vorgabe zur Beteiligung von Frauen an Entscheidungen
über Krieg und Frieden beschlossen. Die Resolution wurde leider bisher nur äu-
ßerst schleppend in den UN-Mitgliedstaaten umgesetzt. Auch Deutschland hat
bis heute keinen nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der Resolution 1325
vorgelegt.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat in den Folgejahren drei weitere
Resolutionen zu diesem Thema verabschiedet: im Juni 2008 die Resolution
1820, in der zum ersten Mal ausdrücklich festgestellt wird, dass sexuelle Gewalt
gegen Zivilpersonen ein Hindernis bei der Wiederherstellung des Weltfriedens
und der internationalen Sicherheit darstellt, und in der zweiten Hälfte des Jahres
2009 kurz hintereinander die Resolutionen 1888 und 1889, die konkrete Vorga-
ben für eine schnellere Umsetzung der Resolution 1325 festlegen.

Kriege und gewaltsame Konflikte sind heute zunehmend innerstaatliche Aus-
einandersetzungen, bei denen die Zivilbevölkerung in viel stärkerem Ausmaß
betroffen ist und Leid erfährt, als dies bei Kriegen zwischen Staaten und Armeen
der Fall ist. Seit 1945 haben in 313 bewaffneten Konflikten zwischen 92 und
101 Millionen Menschen ihr Leben verloren. Frauen sind in mehrfacher Hin-
sicht von kriegerischen Auseinandersetzungen betroffen. Sie stehen in der
Verantwortung, das Überleben der Familie im Kriegsalltag zu organisieren, und
leben gleichzeitig unter ständiger Bedrohung vergewaltigt, verschleppt und ge-
tötet zu werden. Sie müssen fürchten, dass ihre Kinder als Soldaten missbraucht
und junge Mädchen als sexuelle Sklaven gehalten werden. Sexuelle Gewalt und
Ausbeutung werden systematisch und als bewusst angewandte Kriegswaffe mit
dem Ziel ausgeübt, die betroffenen Frauen und ihre Gemeinschaften zu demüti-
gen, zu bestrafen, zu vertreiben und bestehende soziale Strukturen zu zerstören.

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Frauen und Mädchen jeden Alters erleiden schwerste Menschenrechtsverletzun-
gen, werden brutal misshandelt, schwer verletzt und verstümmelt, wie die Bei-
spiele in der Demokratischen Republik Kongo, Darfur und damals in Ruanda,
Kosovo und Bosnien zeigen. Infolge dieser sexualisierten Gewalt breiten sich
der HI-Virus sowie andere sexuell übertragbare Krankheiten rapide aus und un-
gewollte Schwangerschaften nehmen zu.

Obwohl sexualisierte Gewalt als Kriegsmittel ein weit verbreitetes Verbrechen
gegen Frauen und ein Verstoß gegen das Völkerrecht ist, blieben diese Men-
schenrechtsverletzungen lange Zeit ungesühnt. Die beiden von den Vereinten
Nationen eingerichteten Internationalen Strafgerichtshöfe (IStGH) für das ehe-
malige Jugoslawien (ICTY) und Ruanda (ICTR) stellten zum ersten Mal dieses
Verbrechen explizit unter Strafe. Im sogenannten Foca-Fall 2001 wurden Ein-
zelpersonen wegen sexueller Gewalt, organisierter Vergewaltigung und sexuel-
ler Versklavung in Zusammenhang mit Kriegshandlungen angeklagt und verur-
teilt. Der IStGH mit Sitz in Den Haag hat 2003 seine Arbeit aufgenommen. Das
Statut des IStGH stellt sexualisierte Gewalt wie Vergewaltigung, sexuelle Ver-
sklavung oder Zwangsprostitution unter Strafe und schreibt fest, dass diese
Straftaten Kriegsverbrechen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Völ-
kermord gleichkommen können. Die Arbeit des IStGH konzentriert sich aktuell
auf vier afrikanische Staaten. Gegenwärtig hat der IStGH unter anderem wegen
Vergewaltigung und der Haltung von Sexsklavinnen und Sexsklaven Verfahren
zu Verbrechen in der Demokratischen Republik Kongo und ein weiteres zu Ver-
brechen in der Zentralafrikanischen Republik eröffnet. Darüber hinaus hat der
IStGH entsprechende Haftbefehle gegen Mitglieder der ugandischen Lords
Resistance Army und gegen drei Personen wegen der Verbrechen in Darfur,
darunter der sudanesische Präsident Omar al-Baschir, erlassen.

Für viele Frauen endet die Gewalt auch nach Kriegsende nicht. Frauen und Kin-
der stellen weltweit 80 Prozent der Flüchtlinge. Das Menschenrecht auf Wasser
und Sanitäranlagen sowie Nahrungsmittel bleibt ihnen oft verwehrt. Aufgrund
geschlechtsspezifischer Arbeitsteilungen sind sie für die Versorgung der Familie
zuständig und werden häufiger beim Wasserholen oder der Feldarbeit durch
Minen verletzt. Auch in Flüchtlingslagern sind Frauen und Mädchen oft unzu-
reichend vor sexuellen Übergriffen geschützt. Mit der Heimkehr demobilisierter
Kämpfer steigt in vielen Regionen die häusliche Gewalt drastisch an.

Spätestens seit Anfang der 90-Jahre weisen Berichte über UN-Missionen in
Kambodscha (UNTAC), Westafrika und auch im Kongo (MONUC) darauf hin,
dass sexualisierte Gewalt auch in Friedenseinsätzen durch Soldaten inter-
nationaler Friedensmissionen, zivile UN-Mitarbeiter oder Helfer humanitärer
Organisationen ausgeübt wird. Das Ausbildungs- und Forschungsinstitut der
UN (UNITAR) hat spezielle Fortbildungen entwickelt wie z. B. „Training for
Civilian Personnel in Peacekeeping Operations on the Special Needs of Women
and Children in and after Conflict”. Auch die NATO hat 2004 eine Politik der
Nulltoleranz gegenüber sexualisierter Gewalt und Vergewaltigung durch Sol-
daten und Friedenstruppen eingeführt und entwickelte Sensibilisierungsschu-
lungen zum Thema Menschenhandel für die Militärs. Die Umsetzung von ent-
sprechenden Verhaltensstandards für NATO-Missionen hängt allerdings von
den einzelnen Mitgliedstaaten ab, die für die Ausbildung, das Training, das
Kommando und für die Disziplin der durch sie zur Verfügung zu stellenden Frie-
denstruppen verantwortlich sind.

Anfang Dezember 2008 legten der EU-Ministerrat und die Europäische Kom-
mission einen gemeinsamen umfassenden Ansatz der EU zum Schutz und zur
Rolle von Frauen in Konflikt- und Postkonfliktsituationen vor. Sie überarbeite-
ten das ESVP-Papier über die Umsetzung der durch Resolution 1820 verstärkten
Resolution 1325 des UN-Sicherheitsrates im Rahmen der ESVP (Dok. 15782/3/
08 REV 3), das am 8. Dezember 2008 vom Rat gebilligt wurde. Darin wird die

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Gleichstellung von Frauen und Männern als eines der Grundprinzipien der Ge-
meinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und der Europäischen Si-
cherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP/GSVP) der EU bezeichnet, das dem
Ziel, die Effizienz der EU bei der Krisenbewältigung zu erhöhen, dienen soll.
Bei der Umsetzung des Grundprinzips zur Gleichstellung von Männern und
Frauen werden im Rahmen der GSVP nur langsam Fortschritte gemacht. Für die
Entwicklung von Strukturen und Verfahren im Rahmen des Aufbaus eines
Europäischen Auswärtigen Dienstes (EAD) wurden bisher weder qualitative
und quantitative Gender-Mainstreaming-Ziele formuliert noch Instrumente zur
Messbarkeit ihrer Umsetzung entwickelt. Das Zentrum für Internationale Frie-
denseinsätze (ZIF), das für die Entsendung des deutschen zivilen Personals zu
Friedensmissionen zuständig ist, betrachtet die Ziele der Resolution 1325 und
damit die Verankerung von Gleichstellungsfragen als Querschnittsaufgabe, die
beim Aufbau des Personalpools, bei der Konzeption der Ausbildungsmodule
und bei der Entsendung von zivilem Missionspersonal umgesetzt werden soll. In
Ermangelung eines nationalen Aktionsplans mit konkreten Benchmarks ist die
Umsetzung dieser Querschnittsaufgabe allerdings weder qualitativ noch quan-
titativ verlässlich messbar.

Frauen sind nicht nur Opfer von Kriegshandlungen, sondern auch aktiv als
Kämpferinnen, Soldatinnen und Unterstützerinnen an diesen beteiligt. Frauen
haben aber auch für den Wiederaufbau von krisen- und kriegszerrütteten Gesell-
schaften eine immens wichtige Rolle. Dennoch spielen sie als Akteurinnen in
der Sicherheits, Friedens- und Menschenrechtspolitik bzw. bei der Suche nach
friedlichen Lösungen in den Postkonfliktgesellschaften nur eine Nebenrolle. Die
Erfahrungen von Frauen im Verlauf von gewalttätigen Auseinandersetzungen
sind vielfältig und unterscheiden sich je nach Konfliktphase und Konfliktart.
Frauen sind Haushaltsvorstand und versorgen ihre Familien, sie pflegen die Ver-
wundeten und organisieren den Nachschub an Waffen und Munition. Sie kämp-
fen an der Seite ihrer Männer oder sind in Friedensgruppen gegen den Krieg
aktiv. Allerdings werden sie in dieser Vielfalt von Aktivitäten, Verantwortung
und Beteiligung oft nicht wahrgenommen.

Frauen haben sich vielerorts einen wichtigen Platz in der Zivilgesellschaft er-
obert, den sie auch nach Kriegsende nicht verlieren wollen und dürfen. Sie wollen
am Wiederaufbau ihres Landes mitarbeiten und wissen, welche Maßnahmen er-
griffen werden müssen. Studien belegen, dass auch humanitäre Aktionen und
Friedensmissionen dieses Wissen zu wenig wahrnehmen und nutzen. In erster
Linie orientieren sich diese noch immer vorwiegend an den Interessen von Män-
nern. Beim Wiederaufbau staatlicher Institutionen in Nachkriegsländern werden
die Erfahrungen und das Wissen von Frauen wenig bis gar nicht ausgewertet und
einbezogen, was allzu oft dazu führt, dass Frauenrechte nicht gewährleistet und
sexualisierte Kriegsverbrechen nicht aufgeklärt werden. Gerade die für die Sta-
bilisierung von Postkonfliktgesellschaften so wichtigen innergesellschaftlichen
Versöhnungsprozesse drohen damit zu scheitern, was zu einem Wiederaufflam-
men von Gewalt und Krieg führen kann. Frühwarnindikatoren, wie sie das
OSZE Office for Democratic Institutions and Human Rights (ODIHR) entwi-
ckelt hat, die u. a. die Umsetzung von Frauenrechten, das Ausmaß von häus-
licher Gewalt, den Zugang zu Bildungsprogrammen oder ökonomischer Förde-
rung sowie die Angebote für Frauen im Rahmen von Demobilisierungs- und
Reintegrationsprozessen bewerten, sind die lobenswerte Ausnahme. Der Gene-
ralsekretär der UN hat in seinem Bericht vom 6. April 2010 (Dok. S/2010/173)
als Ergebnis der Resolution 1889 nun einen umfassenden Katalog an Indikato-
ren zur Prüfung der Umsetzung der UN-Resolution 1325 vorgelegt.

In praktisch allen Krisengebieten dieser Welt gibt es Fraueninitiativen, die sich
für Dialog, Frieden und Versöhnung stark machen. Frauen sind nicht nur Opfer,
sie sind Akteurinnen, die für ihre Rechte kämpfen und Verantwortung für die
Gemeinschaft übernehmen, wie die Arbeit des „Jerusalem Link“, die Friedens-

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gruppe afrikanischer Frauen „Mano River Women Peace Network“ (MARWO-
PNET), die „Frauen in Schwarz“ in Belgrad, das Frauennetzwerk im Kosovo,
die „Revolutionary Association of the Women of Afghanistan“ (RAWA) oder
die „Promotion et Appui aux Initiatives Féminines“ (PAIF) in der Demokrati-
schen Republik Kongo anschaulich belegen. Sie müssen systematisch und als
Expertinnen anerkannt werden sowie stärker in den Friedenprozess, die Kon-
fliktbearbeitung und den Wiederaufbau einbezogen werden.

UN-Resolution 1325 – Meilenstein für Friedens- und Sicherheitspolitik und
Frauenpolitik

Der Blick auf die verschiedenen Rollen von Frauen, sowohl passiv Opfer von
Kriegs- und Gewalthandlungen zu sein als auch aktiv als Friedensakteurinnen
und Gestalterinnen der Gesellschaft zu leben, ist das zentrale Thema der UN-
Resolution 1325 – Frauen, Frieden und Sicherheit und das Ergebnis der jahr-
zehntelangen beharrlichen Bemühungen international arbeitender Frauenorga-
nisationen. Diese Resolution ist ein Meilenstein auf dem Weg zu einer ge-
schlechtersensiblen Friedens- und Sicherheitspolitik sowie den Frauen-
Menschenrechten. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat diese Reso-
lution im Oktober 2000 einstimmig verabschiedet und darin betont, dass die
Berücksichtigung der Interessen und Bedürfnisse von Frauen und ihre Mitwir-
kung am Friedensprozess zur Wahrung und Förderung des Weltfriedens und der
internationalen Sicherheit beitragen. Zum ersten Mal in der Geschichte der Ver-
einten Nationen wurde damit eine völkerrechtlich bindende Vorgabe zur Betei-
ligung von Frauen an Entscheidungen über Krieg und Frieden beschlossen.

Die Resolution enthält dazu eine Reihe von Vorschlägen. Die vier Hauptpunkte
sind die Prävention von Konflikten, der Schutz für Frauen und Mädchen in
Kriegs- und Krisensituationen vor Gewalt, die volle Beteiligung der Frauen an
den politischen und gesellschaftlichen Entscheidungsprozessen und die fun-
dierte geschlechtersensible Vorbereitung für alle beteiligten Akteurinnen und
Akteure.

Der Deutsche Bundestag begrüßt, dass mit diesem Beschluss die Geschlechter-
perspektive in die internationale und die deutsche Außen-, Sicherheits- und
Menschenrechtspolitik aufgenommen wurde, eine Perspektive, der es darum
geht, nicht einfach von Menschen zu sprechen, sondern Männer und Frauen in
ihrer jeweiligen Rolle sichtbar zu machen und ihre je unterschiedlichen Interes-
sen, Bedürfnisse, Rollen und Lebenssituationen zu berücksichtigen. Frauen und
Männer, Mädchen und Jungen sind von Krisen und Konflikten, vom Verlauf und
vom Austragen gewaltsamer Konflikte verschiedenartig betroffen. Die gesell-
schaftlichen Geschlechterrollen, die Erwartungen und Normen, die an Frauen
und Männer gerichtet sind, bestimmen sich sozial, kulturell und wirtschaftlich
sowie durch vorherrschende religiös-moralische und rechtliche Vorstellungen.
Geschlechterrollen sind somit nicht unveränderlich, sondern wandel- und ge-
staltbar und spielen in jedem Konflikt eine zentrale Rolle. Die Resolution 1325
ermutigt Frauen, ihre eigenen Sicherheitsbedürfnisse und Interessen zu artiku-
lieren und die vollinhaltliche Umsetzung ihrer Menschenrechte einzufordern.

Genderperspektive in der zivilen Konfliktprävention und bei Auslandseinsätzen

Die Bundesrepublik Deutschland gehört seit 2003 den „friends of the Resolution
1325“ in New York an. In dieser Arbeitsgruppe haben sich einige UN-Mitglied-
staaten zusammengeschlossen, um die Umsetzung der Resolution zu beschleu-
nigen und die Maßnahmen der UN aktiv zu unterstützen. Dies zeigt sich auch in
der Berichterstattung der Bundesregierung an den UN-Generalsekretär im Jahr
2004. Auf Betreiben der Bundesrepublik Deutschland wurde die Geschlechter-
perspektive in UN-Mandate für Friedensmissionen, z. B. 2001 für Afghanistan,
aufgenommen. Die Resolution 1325 führte auch zur Einrichtung eines offiziel-

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len Beobachterstatus für Frauen an den Verhandlungen in Burundi und zur akti-
ven Teilnahme von Frauen am Friedensprozess in Sri Lanka. Im Januar 2007
setzte die UN erstmals eine reine Fraueneinheit zur Friedenssicherung ein. In der
UN-Mission in Liberia (UNMIL) verrichten indische Elitepolizistinnen in einer
speziellen Frauenpolizeieinheit seit 2007 ihren Dienst. UNMIL hat ein speziel-
les Gender Office eingerichtet.

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat dazu beigetragen, dass Deutsch-
land im Bereich der zivilen Krisenprävention und Konfliktbearbeitung innerhalb
der EU eine bedeutende Rolle einnimmt, wie u. a. die Gründung des ZIF, der Zi-
vile Friedensdienst und der Aktionsplan „Zivile Krisenprävention, Konfliktlö-
sung und Friedenskonsolidierung“ zeigen. Die Unterstützung der Initiativen zur
Entstehung des „OSZE-Gender-Aktionsplans“ war ebenfalls Teil deutscher
Außenpolitik unter Rot-Grün.

Ein wichtiges Element des zivilen Krisenmanagements sind internationale Poli-
zeimissionen der UN oder OSZE. In Ausbildung und Vorbereitung der deut-
schen Kontingente muss die Umsetzung der Resolution 1325 verwirklicht wer-
den. Dies setzt voraus, dass Polizisten und Polizistinnen neben Kenntnissen über
die Kultur des jeweiligen Einsatzlandes auch für die Geschlechterverhältnisse
vor Ort sensibilisiert und umfangreich zum Thema häusliche Gewalt geschult
werden.

Die Resolution 1325 muss konsequent auch in die Ausbildung und Vorbereitung
von Bundeswehrsoldaten und -soldatinnen für ihre internationalen Aufgaben
umgesetzt werden. Laut Weißbuch der Bundesregierung zur „Sicherheitspolitik
Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“ hat die Bundeswehr heute pri-
mär die Aufgabe, einen Beitrag zur internationalen Konfliktverhütung und Kri-
senbewältigung im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme zu leisten. In ihren
internationalen Einsätzen müssen Soldaten und Soldatinnen in unterschied-
lichen sozialen und politischen Konfliktlagen handeln und sich mit Akteuren
verschiedenster Art auseinandersetzen. Neben traditionellen militärischen Fä-
higkeiten müssen sie dafür zusätzliche soziale und interkulturelle Fähigkeiten
entwickeln, die auch auf Versöhnung verfeindeter Gruppen zielen. Dazu sind
Kenntnisse über die Ursachen und Dynamiken des Konflikts, den Verlauf und
über die sozialen, politischen und kulturellen Verhältnisse und auch die Ge-
schlechterverhältnisse vor Ort erforderlich.

„Peacekeeping“ und „Peacebuilding“ haben nicht nur mit Gewalteindämmung
und Kriegsverhinderung, mit humanitärer Hilfe und ziviler Polizeiarbeit, mit
Minenräumung und Demobilisierung zu tun, sondern auch mit dem internatio-
nalen Menschenrechtsschutz, Rückkehrerproblematiken und gesellschaftlicher
Wiedereingliederung, Wahlbeobachtung und im Rahmen von „nation and state
building“ mit dem Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen. Das
UN Department for Peacekeeping Operations (DPKO) hat dazu umfangreiche
Trainingsmaterialien entwickelt, die wesentlich stärker als bisher in die Ausbil-
dungskonzepte auch von Bundespolizei und Bundeswehr einfließen müssen.
Die UN Peacebuilding Commission, der Deutschland derzeit vorsitzt, müsste
für ihren Zuständigkeitsbereich entsprechend „Beste Praktiken“ entwickeln.

Der Primat deutscher Außenpolitik muss weiterhin im Bereich der Prävention
und Gewaltvorbeugung gesetzt werden. Der Einsatz von Streitkräften kann im-
mer nur im Rahmen kollektiver Sicherheitssysteme mit Mandat der Vereinten
Nationen stattfinden und muss Ultima Ratio sein.

Nationaler Aktionsplan

Die hohen Erwartungen an die Resolution haben sich auch 10 Jahre nach deren
Verabschiedung noch nicht erfüllt. Die Berichte der Bundesregierung zur natio-
nalen Umsetzung der Resolution 1325 zeigen detailreich den guten Willen und

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die einzelnen Anstrengungen, verlieren sich allerdings in vielen kleinen Einzel-
maßnahmen und lassen eine einheitliche Strategie vermissen. Dies wurde auch
von frauenpolitisch arbeitenden Nichtregierungsorganisationen und dem Frau-
ensicherheitsrat kritisiert. Das in der deutschen Politik verankerte Prinzip des
Gender-Mainstreamings kann eine hilfreiche Unterstützung für die Umsetzung
sein, es reicht aber bei weitem nicht aus, um die Ziele der Resolution 1325 zu
verwirklichen. Inzwischen haben 18 Staaten, u. a. Großbritannien, Dänemark,
Schweden, Norwegen, Kanada und die Schweiz, dies bereits erkannt und natio-
nale Aktionspläne erarbeitet. Seit der UN-Generalsekretär 2005 einen „System-
weiten Aktionsplan 2005 bis 2007“ vorgelegt und um Fortschreibung des Plans
gebeten hat, ist Dynamik in die geschlechtersensible Friedens- und Sicherheits-
politik gekommen. Mitte 2006 fand die erste internationale Konferenz des UN-
Weltbevölkerungsfonds (UNFPA) gegen sexuelle Gewalt in Kriegs- und Krisen-
gebieten in Brüssel statt. 200 Delegierte aus 14 Ländern verabschiedeten den
„Brüsseler Aktionsplan“, der unter anderem Forderungen nach neuen Gesetzes-
initiativen, freier medizinischer und psychologischer Versorgung, Trainings-
und Sicherheitsmaßnahmen enthält und sich ausdrücklich auf die Resolution
1325 bezieht. Die Verantwortung für die Umsetzung der Resolution 1325 liegt
bei den einzelnen Mitgliedstaaten der UN. Der Handlungsbedarf für die Bun-
desrepublik Deutschland ist weiterhin groß. Zur Gestaltung einer geschlechter-
gerechten Außen-, Sicherheits- und Menschenrechtspolitik bedarf es der ge-
meinsamen Strategie aller beteiligten Akteure und dies kann nur durch einen
nationalen Aktionsplan mit konkreten Zielvorgaben und Quoten für die ver-
schiedenen Bereiche und Maßnahmen geschehen.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. eine nationale Monitoringstelle zur Umsetzung der Resolution 1325 einzu-
richten und diese durch eine institutionelle Förderung finanziell unabhängig
auszustatten. Dazu gehört die Bildung eines „Gender Round Table“ aller
beteiligten Bundesministerien (Auswärtiges Amt, Bundesministerium der
Verteidigung, Bundesministerium des Innern, Bundesministerium für wirt-
schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, des ZIF, der Forschung und
der Zivilgesellschaft (besonders frauenspezifisch arbeitender NGOs – Nicht-
regierungsorganisationen) und die Ernennung einer politischen Beauftragten
als Vorsitzende dieser Monitoringstelle. Die Federführung für diesen Prozess
sollte beim Auswärtigen Amt liegen;

2. zur detaillierten Erfassung der bisherigen Initiativen zur Umsetzung der Re-
solution 1325 einen Gender Audit durchzuführen. Durch diese Studie soll
zum einen aufgezeigt werden, in welcher Weise die verantwortlichen Akteu-
rinnen und Akteure agieren, und verdeutlichen, in welchen Bereichen und
Bundesministerien es Überschneidungen und Doppelungen gibt und wo
erhöhter Handlungsbedarf besteht. Zum anderen werden die deutschen Pro-
jekte und Initiativen in Krisenregionen hinsichtlich ihrer jeweiligen Auswir-
kungen auf Männer und Frauen evaluiert;

3. aus den Ergebnissen des Gender Audit einen nationalen Aktionsplan zur stra-
tegischen Umsetzung der Resolution 1325 bis zum Internationalen Frauentag
2011 zu erarbeiten, der Maßnahmen zu den vier Hauptpunkten beinhaltet:

– Zur Prävention müssen genderbezogene Frühwarn- und Präventionsindi-
katoren aus den Vorgaben der OSZE übernommen sowie eine Präzisierung
der Begriffe „Frieden und Sicherheit“ vorgenommen und zusammen mit
gender benchmarks in alle Länderberichte, Länderanalysen und Lagebe-
richte der verschiedenen Ministerien eingearbeitet werden.

– Im Bereich Partizipation ist langfristig das Ziel, dass jedes Geschlecht mit
mindestens 40 Prozent in allen Projekten, die im Bereich der Krisenprä-

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 7 – Drucksache 17/2484

vention, der Friedenssicherung oder des Aufbaus von demokratischen
Strukturen durchgeführt werden, vertreten ist. Frauen müssen mit spezifi-
schen Angeboten im Gesundheits-, Rechts- und Bildungswesen gestärkt
werden und auch in Institutionen wie der Polizei vertreten sein. Hierzu ist
es erforderlich, Frauen systematisch zu qualifizieren und zu fördern, damit
sie für die genannten Positionen in Frage kommen und sich verstärkt und
gleichberechtigt am Aufbau einer demokratischen und gerechten Gesell-
schaft beteiligen können. Finanzielle Mittel müssen nach dem Prinzip des
Gender-Budgeting vergeben werden, wobei auf die Nachhaltigkeit der
Projekte und Programme zu achten ist.

– Im Bereich der Protektion muss den von sexueller Gewalt betroffenen
Frauen und Mädchen im Rahmen der UN-Resolution 1820 Unterstützung
bei der Identifizierung und strafrechtlichen Verfolgung der Täter gegeben
werden. Es wird ein „Gender Code of Conduct“ für alle Beteiligten an zi-
vilen und militärischen Einsätzen erarbeitet, der u. a. sexuelle Gewalt und
sexuelle Ausbeutung in den Einsatzgebieten unter Strafe stellt. Dazu ge-
hören auch eine Beteiligung an Zwangsprostitution und Prostitution mit
Minderjährigen sowie die Beteiligung bzw. Duldung von Frauen- und
Mädchenhandel.

– Im Bereich der Präparation muss eine Sensibilisierung für die Geschlech-
terperspektive in alle Ausbildungsprogramme des Peacekeeping und der
Wahlbeobachtung, bei Projekten der Entwicklungszusammenarbeit, der
Krisenprävention, der Konfliktbeilegung und des demokratischen und
friedlichen Aufbaus von Nachkriegsgesellschaften (Peacebuilding) auf-
genommen und als Einsatzvoraussetzung bewertet werden. Dies gilt für
alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der einzelnen Bundesministerien,
Soldatinnen und Soldaten, zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter inklu-
sive der humanitäre Helferinnen und Helfer in Katastrophengebieten so-
wie der vor Ort eingesetzten Polizistinnen und Polizisten. Der Aktionsplan
zur zivilen Konfliktbearbeitung, das Weißbuch zur Sicherheitspolitik
Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr, die Grundlagen des zivi-
len Friedensdienstes und der humanitären und Katastrophenhilfe sollen
durch systematische Implementierung und konzeptionelle Einbindung der
Geschlechterperspektive überarbeitet werden;

4. jährlich zum Internationalen Frauentag (8. März) dem Bundestag Bericht
über die Umsetzung zu erstatten;

5. bei der nationalen Umsetzung der Resolution 1325 die Kooperation mit zivil-
gesellschaftlichen Gruppen, insbesondere mit frauenpolitisch arbeitenden
NGOs, zu stärken und deren Expertise systematisch einzubeziehen;

6. dafür zu sorgen, dass der Anteil weiblicher deutscher Sonderbeauftragter und
Sonderbotschafterinnen für die EU und die UN deutlich zunimmt;

7. ihren Einfluss im Rahmen der EU geltend zu machen, dass zivile Konflikt-
prävention und Konfliktbearbeitung im Sinne der Resolution 1325 in der
GASP/GSVP einen besonderen Stellenwert erhält und finanziell sowie per-
sonell deutlich besser ausgestattet wird;

8. sich innerhalb der EU dafür einzusetzen, dass der umfassende Ansatz für die
Umsetzung der vom UN-Sicherheitsrat verabschiedeten Resolutionen 1325
und 1820 – wie vom Rat am 8. Dezember 2008 verabschiedet – zügig um-
gesetzt wird;

Drucksache 17/2484 – 8 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

9. dafür zu sorgen, dass GSVP-Missionen und -Operationen eine bessere Gen-
derbalance haben und Frauen auf allen Ebenen und Stufen der Planung und
Durchführung inklusive Lagebeurteilungen sowie Sondierungs- und Erkun-
dungsmissionen stärker beteiligt werden, von allen beteiligten Akteuren
geschlechterspezifisches Fachwissen einbezogen wird sowie systematische
und solide Schulungen in Gleichstellungsfragen vor der Entsendung von
Personal im Rahmen von Einsätzen und Operationen stattfinden und gleich-
stellungsspezifische Anliegen bei der Durchführung von Operationen bzw.
Programmen weiterentwickelt werden;

10. Beitragsaufrufe der EU mit weiblichen und männlichen Kandidaten für
Grenzkontrollen, gerade auch in bisher männerdominierten Aufgabenge-
bieten wie Feldlazarette, Polizei- und Gefängnisdienste, Patrouillen, die
zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC), die einsatzorientierte Öffent-
lichkeitsarbeit (PSYOPS) und die Aufklärung (HUMINT) zu beantworten;

11. zu unterstützen, dass bei der Planung von GSVP-Einsätzen der Mitwirkung
von örtlichen Frauenorganisationen am Friedensprozess Rechnung getra-
gen wird in Würdigung des spezifischen Beitrags, den sie dazu leisten kön-
nen und in Anerkennung der besonderen Art und Weise, in der Frauen von
Konflikten betroffen sind;

12. sich dafür einzusetzen, dass bei der Besetzung hochrangiger Positionen im
EAD ein Gleichgewicht zwischen Männern und Frauen hergestellt wird und
eine größere Zahl für gleichstellungsspezifische Fragen zuständige Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt werden;

13. dafür zu sorgen, dass der Aspekt der Gleichstellung der Geschlechter im
Rahmen der GSVP-Schulungsmaßnahmen unter der Verantwortung des
Europäischen Sicherheits- und Verteidigungskollegs (ESVK) gebührend
berücksichtigt wird;

14. zu unterstützen, dass in den Beziehungen zu Drittstaaten oder regionalen
Organisationen und bei der Information der Öffentlichkeit im Bereich der
GSVP die Bedeutung von Gleichstellung und der Verhütung von sexuali-
sierter Gewalt und geschlechtsspezifischer Gewalt hervorgehoben wird;

15. eine Monitoringstelle zur Umsetzung der Resolution 1325 auf EU-Ebene
einzurichten und dafür zu sorgen, dass alle EU-Mitgliedstaaten von der
Resolution Kenntnis erhalten, und nationale Beauftragte zur Monitoring-
stelle entsenden;

16. sich dafür einzusetzen, dass der Beschluss des Ministerrats der OSZE von
2005 über Frauen in der Konfliktverhütung, der Krisenbewältigung und der
Konfliktnachsorge umgesetzt wird;

17. bei den Vereinten Nationen für die Anerkennung und Anwendung der Indi-
katoren zur Umsetzung der Resolution 1325 aktiv einzutreten und ihrer
Pflicht aus Resolution 1889 nachzukommen, die deutsche und die EU-
Politik – insbesondere die GSVP – entlang der Indikatoren zur Umsetzung
der Resolution 1323 zu überprüfen und die Berichtspflicht vor der UN zum
Anlass zu nehmen, einen entsprechenden nationalen Aktionsplan auszu-
arbeiten, um den Stellenwert der Resolution in der deutschen Außen- und
Sicherheitspolitik international sichtbar zu machen;

18. sich als Mitglied der Kommission zur Friedenskonsolidierung dafür einzu-
setzen, dass in Post-Konflikt-Situationen internationale und nationale Ak-
teure die Geschlechterperspektive in ihrer Arbeit beachten und lokale oder
regionale Frauenorganisationen über ihre Rechte und Möglichkeiten infor-
miert, bei Bedarf geschult und in die Konsultationen eingebunden werden;

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 9 – Drucksache 17/2484

19. für Stellenbesetzungen in den Vereinten Nationen, anderen internationalen
Organisationen und in Delegationen in Friedensprozessen gezielt Frauen
auszubilden, aktiv zu fördern und zu unterstützen;

20. sich als aktives Mitglied der „friends of resolution 1325“ für den Austausch
von „Lessons learned und Best Practices“ auf internationaler Ebene ein-
zusetzen und darüber Bericht zu erstatten;

21. innerhalb der UN, insbesondere innerhalb der UN Peacebuilding Commis-
sion, dafür einzutreten, dass bei Mandaten für eine neue Nachkriegsord-
nung und bei Gesprächen mit Regierungsvertretern von Nachkriegsländern
Frauen gleichberechtigt am politischen, gesellschaftlichen und wirtschaft-
lichen Wiederaufbau des Landes beteiligt werden und die Gleichstellung
der Geschlechter in der Verfassung verankert und umgesetzt wird.

Berlin, den 6. Juli 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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