BT-Drucksache 17/240

Keine Kopfpauschale - Für eine solidarische Krankenversicherung

Vom 15. Dezember 2009


Deutscher Bundestag Drucksache 17/240
17. Wahlperiode 15. 12. 2009

Antrag
der Abgeordneten Harald Weinberg, Dr. Martina Bunge, Dr. Dietmar Bartsch, Karin
Binder, Klaus Ernst, Inge Höger, Dr. Ilja Seifert, Kathrin Senger-Schäfer, Kathrin
Vogler und der Fraktion DIE LINKE.

Keine Kopfpauschale – Für eine solidarische Krankenversicherung

Der Bundestag wolle beschließen:

I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:

Krankheit kann jeden Menschen treffen. Im Krankheitsfall muss jede und jeder
eine umfassende medizinische Versorgung erhalten – unabhängig von ihrem/
seinem Einkommen. Doch die Kosten dafür können Einzelne belasten oder gar
überfordern, da sie über unterschiedliche finanzielle Möglichkeiten verfügen.
Dies zu verhindern, ist die vordringliche Aufgabe der gesetzlichen Krankenver-
sicherung. Eines ihrer wichtigsten Prinzipien ist das Solidarprinzip: Alle Versi-
cherten zahlen entsprechend ihrem Einkommen unterschiedlich hohe Beiträge
und haben dennoch den Rechtsanspruch auf gleiche Leistungen. So zahlen die
Gesunden für die Kranken, die Jungen für die Alten und Menschen mit hohem
Einkommen für Menschen mit geringem Einkommen.

Diesen solidarischen Charakter gilt es zu erhalten und weiterzuentwickeln.

Eine Kopfpauschale ist das Ende der Solidarität von Gutverdienenden mit Ge-
ringverdienenden. Alle Menschen zahlen dann den gleichen Betrag für ihre
Krankenversicherung. Eine Supermarktverkäuferin muss dann genauso viel
Beitrag leisten wie der Konzernchef. Wer ein hohes Einkommen hat, spart rund
150 Euro pro Monat. Für Menschen mit geringem Einkommen dagegen steigt
der Beitrag. Der von der Regierung versprochene soziale Ausgleich ändert da-
ran wenig. Die Reichen werden um bis zu 40 Mrd. Euro entlastet. Eine Kopf-
pauschale verhindert eine solidarische und dauerhafte stabile Finanzierung. Das
ist nicht hinnehmbar.

II. Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregierung auf,

1. jegliche Aktivitäten zu unterlassen, die die Einführung einer einkommensun-
abhängigen Prämie zur Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung
zum Ziel haben und

2. ein Konzept zu erarbeiten, das eine stabile Finanzierung der gesetzlichen
Krankenversicherung schafft und auf die bewährten ordnungspolitischen

Prinzipien von Solidarität und Parität setzt.

Berlin, den 15. Dezember 2009

Dr. Gregor Gysi und Fraktion

Drucksache 17/240 – 2 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

Begründung
Die große Mehrheit der Bevölkerung will eine Krankenversicherung, die bei
Krankheit die bestmögliche gesundheitliche Versorgung garantiert und die da-
für notwendigen Leistungen solidarisch und sozial gerecht finanziert.

Für die gesetzlich Versicherten häufen sich vielfältige Belastungen wie Zuzah-
lungen und Praxisgebühren oder längere Wartezeiten. Immer mehr Leistungen
werden ausgegrenzt und nicht mehr von der Krankenkasse bezahlt. Immer häu-
figer und immer mehr müssen Patientinnen und Patienten Kosten für die me-
dizinische Versorgung aus dem eigenen Portemonnaie bezahlen. Damit nicht
genug: Durch die unsoziale Ausgestaltung des Gesundheitsfonds drohen zu-
künftig Zusatzbeiträge. Die Armen und Kranken werden dadurch über Gebühr
belastet.

Der Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP sieht die Einführung einer
Kopfpauschale vor. Jedoch lehnt die Mehrheit der Bevölkerung die geplante
Kopfpauschale ab, weil dann die Sekretärin genau so viel für ihre Krankenver-
sicherung bezahlen soll wie ihr Chef. Zudem ist das Modell der Kopfpauschale
eng mit dem Ziel verbunden, die Leistungen der gesetzlichen Krankenversiche-
rung auf eine Grundversorgung zu reduzieren. Damit wird der Weg in eine
Zwei-Klassen-Medizin manifestiert.

Über 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler jeder einzelnen im Deutschen
Bundestag vertretenen Partei sind dafür, dass die Gesunden die Kranken und die
Jungen die Alten unterstützen. Zudem wird von der gleichen überwältigenden
Mehrheit erwartet, dass Besserverdienende mehr für die Gesundheitsversorgung
zahlen sollen als Geringverdienende (Newsletter Bertelsmann Gesundheitsmo-
nitor 4/2008). Eine Kopfpauschale widerspricht demnach dem gesellschaftlichen
Konsens.

Auch bei den Regierungsparteien gibt es zahlreiche kritische Stimmen zur
Kopfpauschale. So meldet die Christlich-Demokratische Arbeitnehmerschaft
Widerstand gegen die Planungen des Koalitionsvertrags an. Auch von der
CSU-Spitze wird das Projekt totgesagt.

Klar ist, dass jetzt innerhalb der Koalition hinter verschlossenen Türen verhan-
delt wird. Zu Beginn des nächsten Jahres soll eine interministerielle Arbeits-
gruppe unter Leitung des Bundesministers für Gesundheit eingesetzt werden. In
der Presse gibt es viele Stimmen, die behaupten, dass es sich hier um ein tak-
tisches Kalkül vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai 2010 han-
delt.

Die Probleme zur Umsetzung einer Kopfpauschale sind nicht zu übersehen.

Wenn neuerdings von einem automatischen Sozialausgleich gesprochen wird,
fragen viele derer, die heute diverse Bedürftigkeitsprüfungen kennen, wie das
gehen soll. Ein Konzept hierfür liegt nicht vor. Wahrscheinlich ist, dass jede
Versicherte/jeder Versicherte für ihren/seinen Zuschuss vom Staat gesonderte
Anträge stellen muss. Es breitet sich bei den weniger Betuchten die Angst aus,
durch die Kopfpauschale vom selbstbewussten Versicherten mit garantierten
Ansprüchen gegenüber der Krankenkasse zum Bittsteller beim Staat degradiert
zu werden. Sie befürchten ähnliche Stigmatisierungen, wie sie alltäglich von
vielen Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern beklagt werden. Statt eines
gesetzlich garantierten Rechtsanspruchs auf medizinische Leistungen müssen
Versicherte um einen Zuschuss beim Staat bitten, um ihre Krankenversiche-
rungsprämie bezahlen zu können. Diese Regelung würde zudem unnötige Bü-
rokratie aufbauen.

Die Frage steht, woher die vielen Milliarden Euro kommen sollen, die ein So-

zialausgleich kosten würde, angesichts der Defizite im Haushalt und der ange-

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kündigten Steuersenkungen. So bekäme der Bundesminister der Finanzen ent-
scheidenden Einfluss auf die Gesundheitsversorgung.

Die gesetzliche Krankenversicherung ist in ihrem Grundkonstrukt nicht veral-
tet. Unterfinanzierungen, die heute bestehen, sind vorrangig politischen Ent-
scheidungen geschuldet.

So ist das für 2010 geschätzte Defizit im Gesundheitsfonds in Höhe von
7,45 Mrd. Euro nicht nur krisenbedingten Ausfällen geschuldet oder gar dem
„schlechten Wirtschaften“ von Krankenkassen. Gewollte und begrüßenswerte
Leistungsverbesserungen, wie die spezialisierte Palliativversorgung oder die
überfällige Honorarangleichung für Ärztinnen und Ärzte im Osten, führen na-
türlich zu Mehrausgaben.

Aber auch durch direkte finanzpolitische Entscheidungen werden die Kranken-
kassen dauerhaft geplündert. So führt beispielsweise der zu niedrige Pauschal-
betrag für die Krankenversicherung von ALG-II-Bezieherinnen und -Beziehern
zu milliardengroßen Löchern in der gesetzlichen Krankenversicherung.

Das zentrale Problem der gesetzlichen Krankenversicherung liegt darin, dass
die Einnahmen hinter den Ausgaben zurückbleiben. Deshalb ist der Gesetz-
geber in der Pflicht, eine stabile Finanzierung herzustellen.

Die Probleme um die Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung sind
lösbar.

Die Bevölkerung wünscht sich ein solidarisches, sozial gerechtes Gesundheits-
system. Für eine stabile und solidarische Finanzierung wäre folgendes Konzept
geeignet: Alle erhalten sämtliche medizinisch erforderlichen Leistungen und
jede/jeder zahlt Beiträge nach ihrer/seiner finanziellen Leistungsfähigkeit. Er-
forderlich ist, dass die Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber wieder die Hälfte der
Krankenversicherungsbeiträge auf Löhne und Gehälter ihrer Beschäftigten
übernehmen. Die gegenwärtige Schieflage, dass Versicherte faktisch 60 Pro-
zent der Kosten tragen und die Arbeitgeberseite nur 40 Prozent, ist zu beseiti-
gen. Mit der Einbeziehung aller Einkommen und aller Bürgerinnen und Bürger
könnte der Beitragssatz deutlich niedriger liegen als heute. Das schafft eine
sozial gerechte nachhaltige Finanzierung, die ohne Praxisgebühren, Zusatz-
beiträge und Zuzahlungen auskäme.

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