BT-Drucksache 17/2348

Lesbische und schwule Jugendliche

Vom 29. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2348
17. Wahlperiode 29. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Kai Gehring, Volker Beck (Köln), Ekin Deligöz, Katja Dörner,
Priska Hinz (Herborn), Ingrid Hönlinger, Agnes Krumwiede, Monika Lazar,
Tabea Rößner, Krista Sager, Josef Philip Winkler und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Lesbische und schwule Jugendliche

Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Er-
ziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlich-
keit. Daraus resultiert die Mitverantwortung der Bundesregierung, die Rahmen-
bedingungen für das Aufwachsen der nachfolgenden Generationen weiter zu
verbessern. Dazu zählt auch das soziale, psychische und physische Wohlbefin-
den von Kindern und Jugendlichen. Der 13. Kinder- und Jugendbericht setzt sich
intensiv mit der Lebenssituation der Heranwachsenden auseinander und zeigt
der Bundesregierung Handlungsbedarfe auf. Allerdings wird in dem umfangrei-
chen Bericht auf die Anliegen von homo- und bisexuellen Jugendlichen kaum
eingegangen. Ihre Lebenssituation wird nicht ausreichend beachtet. Zwar wer-
den im 13. Kinder- und Jugendbericht die in der Wissenschaft entwickelten
diversitätsorientierten Ansätze, die unter anderem die sexuelle Orientierung be-
rücksichtigen, erwähnt. Aber es werden lediglich homosexuelle Männer einmal
im Kontext der Hauptrisikogruppen für HIV-Infektionen erwähnt.

Gleichzeitig zeigen die Ergebnisse einer von der Antidiskriminierungsstelle des
Bundes in Auftrag gegebenen Studie, dass trotz wachsender Akzeptanz von Les-
ben und Schwulen Homophobie immer noch ein großes Problem darstellt. Dem-
nach möchten 61 Prozent der Deutschen mit dem Thema Homosexualität mög-
lichst wenig in Berührung kommen und 46 Prozent würden sich durch einen
Kuss von einer gleichgeschlechtlichen Person provoziert fühlen (Abschluss-
bericht: Diskriminierung im Alltag – Wahrnehmung von Diskriminierung und
Antidiskriminierungspolitik in unserer Gesellschaft, Sinus Sociovision, Juli
2008, S. 85).

An den Schulen ist Homophobie besonders verbreitet. Das Wort „schwul“ ist zu
einem der häufigsten Schimpfwörter geworden. Nach Angaben der Bundes-
regierung erleben lesbische und schwule Jugendliche gesellschaftliche Dis-
kriminierung zum einen in Form von verbaler und psychischer Gewalt und zum
anderen sehen sie sich auch körperlicher und sexueller Gewalt ausgesetzt (Bun-
destagsdrucksache 16/4818, S. 86). Für die große Zahl der gleichgeschlechtlich
orientierten Jugendlichen ist daher der Weg vom inneren zum öffentlichen

Comingout mit einer großen psychischen Belastung verbunden. Dies drückt sich
auch darin aus, dass zum Zeitpunkt der Erhebung 18 Prozent der schwulen oder
lesbischen Jugendlichen bereits einen oder mehrere Suizidversuche hinter sich
hatten; mehr als die Hälfte hatte bereits an Selbstmord gedacht (ebenda, S. 87).

Die vom „Lesben- und Schwulenverband in Deutschland“ (LSVD) – in Zusam-
menarbeit mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und

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Jugend (BMFSFJ) – erstellte Studie der Universität Kiel „Einstellungen zur
Homosexualität. Ausprägungsformen und sozialpsychologische Korrelate bei
Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund“ kam zu dem Ergebnis, dass
gerade unter solchen Schülern mit Migrationshintergrund, die weniger gut in die
deutsche Gesellschaft integriert sind, homosexuellenfeindliche Einstellungen
wesentlich stärker verbreitet sind als in der deutschen Vergleichsgruppe. Ein
zweites wichtiges Ergebnis dieser Studie war, dass Schwule und Lesben mit
Migrationshintergrund im besonderen Maße von dieser Form der Homophobie
betroffen seien (vgl. Zeitschrift für Entwicklungspsychologie und Pädagogische
Psychologie (2008) S. 87 bis 99).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung seit ihrer Antwort auf
die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Jugendliche
in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationenge-
rechtigkeit“ (Bundestagsdrucksache 16/4818) über Ausmaß und Erschei-
nungsformen gesellschaftlicher Diskriminierungen, mit denen lesbische und
schwule Jugendliche konfrontiert sind, sowie über die Auswirkungen von
Diskriminierung auf die Lebenssituation der Jugendlichen gewonnen?

2. Welche neuen Erkenntnisse hat die Bundesregierung seit ihrer Antwort auf
die Große Anfrage der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Jugendliche
in Deutschland: Perspektiven durch Zugänge, Teilhabe und Generationenge-
rechtigkeit“ (Bundestagsdrucksache 16/4818) über Akzeptanz oder Nichtak-
zeptanz von sexuellen Identitäten und gleichgeschlechtlichen Lebensweisen
Jugendlicher in deren Familien – mit und ohne Migrationshintergrund – und
über die Auswirkungen von Nichtakzeptanz auf die Lebenssituation der Ju-
gendlichen gewonnen?

3. Steht die Bundesregierung in ihren jugendpolitischen Bemühungen zu den in
der Wissenschaft entwickelten diversitätsorientierten Ansätzen, die unter
anderem die sexuelle Identität berücksichtigen?

Wenn ja, wie drückt sich dies hinsichtlich der lesbischen und schwulen
Jugendlichen aus?

Wenn nein, wie wird dies begründet?

4. Sind der Bundesregierung die besonderen Probleme, mit denen lesbische und
schwule Jugendliche in ihrer Pubertät konfrontiert werden, bewusst?

Wenn ja, wie wird dem Rechnung getragen?

Wenn nein, wie wird dies begründet?

5. Plant die Bundesregierung Maßnahmen zur Akzeptanzförderung der sexuel-
len Vielfalt bei Jugendlichen im Bildungsbereich (wie zum Beispiel ange-
lehnt an die Initiative „Schulen ohne Homophobie – Schulen der Vielfalt“
siehe: www.schule-der-vielfalt.de, abgerufen am 17. Juni 2010)?

Wenn nein, warum nicht?

6. Wie erklärt die Bundesregierung die wissenschaftlich nachgewiesenen über-
proportionalen Raten an Suizidversuchen unter lesbischen und schwulen Ju-
gendlichen?

7. Beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen zu ergreifen, um den überpro-
portionalen Raten an Suizidversuchen unter lesbischen und schwulen Ju-
gendlichen entgegenzuwirken?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2348

8. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung in Bezug auf die Identitäts-
findung Jugendlicher, die laut dem 13. Kinder- und Jugendbericht die zen-
trale Herausforderung der Jugendphase darstellt, hinsichtlich der lesbischen
und schwulen Jugendlichen?

9. Plant die Bundesregierung angesichts des Fehlens jeglicher Angaben zu les-
bischen und schwulen Jugendlichen im 13. Kinder- und Jugendbericht eine
bundesweite wissenschaftliche Bestandsaufnahme zur Lebenssituation ho-
mosexueller Jugendlicher, zu deren Erfahrungen mit Diskriminierung sowie
zu den Comingout-Prozessen durchzuführen?

Wenn ja, wann sind deren Ergebnisse zu erwarten?

Wenn nein, wie begründet die Bundesregierung das Ignorieren eines rele-
vanten Teils der Jugendlichen in ihrer jugendpolitischen Arbeit?

10. Inwieweit richtet sich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
als Fachbehörde für Prävention und Gesundheitsförderung an lesbische,
schwule und bisexuelle Jugendliche?

11. Beabsichtigt die Bundesregierung Maßnahmen zu ergreifen, um der – nach
eigenen Angaben (Bundestagsdrucksache 16/4818, S. 86) – weit verbreite-
ten psychischen wie physischen Gewalt, mit der lesbische, schwule und
bisexuelle Jugendliche konfrontiert werden, präventiv entgegenzuwirken?

Wenn ja, welche?

12. Plant die Bundesregierung den „Nationalen Aktionsplan der Bundesrepu-
blik Deutschland zur Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit,
Antisemitismus und darauf bezogene Intoleranz“ um das Problemfeld Ho-
mophobie zu ergänzen?

Wenn ja, wann?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

13. Haben die Bundesländer bzw. die Kommunen im Rahmen des Nationalen
Integrationsplans (NIP) Selbstverpflichtungen abgegeben zur Förderung
von interkulturell angelegten Angeboten

– im Bildungs- bzw. sozialpädagogischen Bereich für (männliche) Jugend-
liche mit Migrationshintergrund mit dem Ziel, die Akzeptanz unter-
schiedlicher sexueller Identitäten und den Respekt gegenüber Lesben
und Schwulen zu fördern,

– zur Arbeit (gerade auch mit männlichen) homophoben Gewalttätern mit
Migrationshintergrund bzw.

– zugunsten von Opfern homophober Gewalt und zur Stärkung junger
Lesben und Schwuler (mit und ohne Migrationshintergrund)?

Wenn ja,

– an welchen Stellen haben Länder und Kommunen – nach Kenntnis der
Bundesregierung – eine derartige Selbstverpflichtung abgegeben und

– in welchen Ländern wurden diese Selbstverpflichtungen inzwischen in
haushaltswirksame Maßnahmen umgesetzt?

Wenn nein, warum nicht?

Drucksache 17/2348 – 4 – Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode

14. Hat die Bundesregierung im Rahmen des NIP Selbstverpflichtungen abge-
geben zur Förderung von interkulturell angelegten Angeboten

– im Bildungs- bzw. sozialpädagogischen Bereich für (männliche) Jugend-
liche mit Migrationshintergrund mit dem Ziel, die Akzeptanz unter-
schiedlicher sexueller Identitäten und den Respekt gegenüber Lesben
und Schwulen zu fördern,

– zur Arbeit (gerade auch mit männlichen) homophoben Gewalttätern mit
Migrationshintergrund bzw.

– zugunsten von Opfern homophober Gewalt und zur Stärkung junger
Lesben und Schwuler (mit und ohne Migrationshintergrund)?

Wenn ja,

– an welchen Stellen hat die Bundesregierung diese Selbstverpflichtungen
abgegeben und

– mit welchen haushaltswirksamen Maßnahmen wurden diese Selbstver-
pflichtungen inzwischen umgesetzt (mit der Bitte um Angabe des ent-
sprechenden Haushaltstitels)?

Wenn nein, warum nicht?

Werden entsprechende Projekte eventuell außerhalb des NIP gefördert
(wenn ja, welche, mit der Bitte um Angabe des entsprechenden Haushalts-
titels)?

15. Hat die Bundsregierung im Rahmen des NIP Selbstverpflichtungen abgege-
ben zur Förderung von interkulturell angelegten Angeboten zur Aufklärung
von bzw. zur Beratung für Familien mit Migrationshintergrund zum Thema
Homosexualität?

Wenn ja,

– an welchen Stellen hat die Bundesregierung diese Selbstverpflichtungen
abgegeben und

– in welchen haushaltswirksamen Maßnahmen wurden diese Selbstver-
pflichtungen inzwischen umgesetzt (mit der Bitte um Angabe des ent-
sprechenden Haushaltstitels)?

Wenn nein, warum nicht?

Werden entsprechende Projekte eventuell außerhalb des NIP gefördert
(wenn ja, welche, mit der Bitte um Angabe des entsprechenden Haushalts-
titels)?

16. Welche aus Sicht der Bundesregierung vorbildlichen Initiativen/Projekte
führen Migrantenorganisationen gegen Homophobie bzw. zur Toleranz ge-
genüber Schwulen und Lesben durch?

17. Ist die Bundesregierung bereit, Migrantenorganisationen bei der Konzep-
tion, Finanzierung und Durchführung derartiger Initiativen und Projekte zu
unterstützen?

Wenn ja, inwiefern?

Wenn nein, warum nicht?

18. Ist die Bundesregierung bereit bzw. willens, dem Beispiel des Berliner Se-
nats aus dem Jahr 2008 zu folgen und zusammen mit muslimischen Organi-
sationen (z. B. innerhalb der Deutschen Islam Konferenz) eine Erklärung
gegen Homophobie bzw. für Toleranz gegenüber Schwulen und Lesben
abzuschließen, und wenn nein, warum nicht?

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 5 – Drucksache 17/2348

19. Wieviele Lieder und Alben von deutschen oder ausländischen Interpreten
wurden nach Kenntnis der Bundesregierung von der Bundesprüfstelle für
jugendgefährdende Medien seit dem Jahr 2005 wegen homophoben oder
transphoben Inhalten indiziert?

Welche sind dies?

20. Welche weiteren Indizierungsverfahren der Bundesprüfstelle für jugend-
gefährdende Medien wegen homophoben oder transphoben Inhalten wur-
den nach Kenntnis der Bundesregierung seit dem Jahr 2005 durchgeführt?

21. Welche weiteren Maßnahmen plant oder unternimmt die Bundesregierung,
um homophobe und/oder gewaltverherrlichende Inhalte in Songs der Ju-
gendkultur zu verhindern oder ihnen vorzubeugen?

22. Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Einbeziehung der
Problematik der Entwicklung der sexuellen Identität (einschließlich gleich-
geschlechtlicher Orientierung, Bi-, Trans- und Intersexualität) in den Bil-
dungsplänen der Bundesländer?

23. Welche Rolle spielen nach Erkenntnissen der Bundesregierung die Ge-
schichte und die Perspektiven von schwul-lesbischer Emanzipationsbewe-
gung in der Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung?

Welche Publikationen gab es zu diesem Thema?

24. Plant – nach Erkenntnissen der Bundesregierung – das BMFSFJ als einer
der Initiatoren des Projekts „Wertebildung in Familien“, dieses Projekt bzw.
ähnliche Initiativen um das Thema Akzeptanz von Lesben und Schwulen zu
ergänzen?

Wenn ja, in welcher Form?

Wenn nein, mit welcher Begründung?

25. Welche Projekte hat die Bundesregierung in welcher Höhe in den Jahren
2008 und 2009 gefördert, die sich mit der Verbesserung der Lebenssituation
von schwulen oder lesbischen Jugendlichen beschäftigen (bitte Zuwen-
dungsgeber, Zuwendungsempfänger und Höhe der Förderung differenziert
ausweisen)?

26. Was unternimmt die Bundesregierung, um über pseudowissenschaftliche
Angebote für die sogenannten Konversions- oder Reparationstherapien auf-
zuklären und homosexuelle Jugendliche vor deren fragwürdigen Methoden
zu warnen?

Berlin, den 29. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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