BT-Drucksache 17/2278

Rahmenvertrag der European Financial Stability Facility

Vom 21. Juni 2010


Deutscher Bundestag Drucksache 17/2278
17. Wahlperiode 21. 06. 2010

Kleine Anfrage
der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Marieluise Beck (Bremen), Volker Beck (Köln),
Alexander Bonde, Viola von Cramon-Taubadel, Katrin Göring-Eckardt, Priska Hinz
(Herborn), Ulrike Höfken, Thilo Hoppe, Uwe Kekeritz, Katja Keul, Ute Koczy,
Tom Koenigs, Agnes Malczak, Kerstin Müller (Köln), Omid Nouripour, Lisa Paus,
Claudia Roth (Augsburg), Dr. Frithjof Schmidt, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn,
Hans-Christian Ströbele und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rahmenvertrag der European Financial Stability Facility

Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN hat ein gemeinsames europäisches
Rechtsinstrumentarium zur Einführung eines europäischen Stabilisierungs-
mechanismus bereits befürwortet, als die Bundesregierung noch blockiert und
verzögert hat. Diese Verzögerung war ursächlich dafür, dass der Deutsche Bun-
destag schließlich erneut (nach dem Griechenlandverfahren) ausgesprochen
schnell über das Gesetz zur Übernahme von Gewährleistungen im Rahmen eines
europäischen Stabilisierungsmechanismus (sog. Euro-Stabilisierungsgesetz)
abstimmen musste. Die Fraktion hat sich dabei der Stimme enthalten, weil dem
Deutschen Bundestag nur ein nationales Gesetz vorgelegt wurde und damit un-
klar blieb, wie das gemeinsame europäische Verfahren ausgestaltet sein soll.
Nichtsdestotrotz hat die Fraktion das 750-Mrd.-Euro-Paket aus Zweckgesell-
schaft, Internationalem Währungsfonds (IWF) und Mitteln der EU-Kommission
grundsätzlich begrüßt.

Die Bundesregierung hat jetzt darüber informiert, dass sie einen EFSF-Rahmen-
vertrag unterzeichnet hat, dessen Vertragspartner die Eurostaaten und die neu
gegründete European Financial Stability Facility (EFSF; Luxembourg public
limited liability company) sein sollen. Die Bundesregierung hat dabei bisher
keinen Versuch gemacht, dem Deutschen Bundestag dieses Vertragswerk zur Zu-
stimmung vorzulegen. Dabei spricht viel dafür, dass die Bundesregierung eine
derartige Zustimmung durch Gesetz einholen muss (sei es nach Artikel 59 Ab-
satz 2, sei es nach Artikel 23 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes – GG). Denn der
Vertrag sieht einen gemeinsamen Mechanismus der genannten Staaten vor, um
zu verbindlichen gemeinsamen Entscheidungen zu gelangen. Dabei werden auch
europäische Institutionen in das Verfahren eingebunden und z. B. die EU-Kom-
mission zur Verhandlungsführung mit dem potenziellen Darlehensempfänger er-
mächtigt. Die Verbindlichkeit des neu geschaffenen institutionellen Verfahrens
wird dabei auch daran deutlich, dass für Streitigkeiten zwischen den vertrags-

schließenden Parteien der Europäische Gerichtshof (EuGH) zuständig sein soll
und der Vertrag einen ausdrücklichen Vorbehalt bezüglich der notwendigen Ver-
fahren nach jeweiligem nationalem Recht enthält (siehe zu Letzterem im Vertrag:
1. Inkrafttreten). Insgesamt liegt daher die Annahme nahe, dass es sich de facto
um einen völkerrechtlichen Vertrag von erheblicher politischer Bedeutung han-
delt, der zudem auch europarechtliche Bindungskraft hat und die europäischen

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Verträge ergänzt. Derartige Verträge können nicht ohne gesetzliche Zustimmung
des Deutschen Bundestages geschlossen werden.

Die Fraktion erkennt ausdrücklich an, dass die konkrete Ausgestaltung der EFSF
von hoher Bedeutung ist. Die Frage nach der Beteiligung des Deutschen Bundes-
tages stellt nicht die Gründung der Zweckgesellschaft oder die Konstruktion der
EFSF in Frage. Die Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN unterstützt grund-
sätzlich auch die Ausgestaltung des Rahmenvertrags, sofern die notwendige Er-
mächtigung durch den Bundestag erfolgt. Dem Euro-Stabilisierungsgesetz kann
die Fraktion jedenfalls keine Ermächtigung zum Schluss eines Rahmenvertrages
entnehmen, der Verpflichtungen der Eurostaaten enthält, deren Einhaltung beim
Europäischen Gerichtshof überprüft werden kann. Deswegen hält die Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eine Ratifikation oder eine Zustimmung des Bun-
destags zum Rahmenvertrag gegenwärtig nach den Regeln des Grundgesetzes
für erforderlich. Die Bundesregierung hat in einer E-Mail an die Fraktionsvorsit-
zenden mitteilen lassen, es müssten noch „die jeweilig erforderlichen parlamen-
tarischen Verfahren abgeschlossen“ werden, womit offenbar auf den Ratifika-
tionsvorbehalt aus dem Vertrag hingewiesen wird (siehe 1. Inkrafttreten).

Wir fragen die Bundesregierung:

1. Wird die Bundesregierung die Zustimmung (durch Gesetz) des Deutschen
Bundestages zum Schluss des Rahmenvertrages einholen?

2. In welchen Euro-Staaten wird eine parlamentarische Zustimmung in Bezug
auf den Rahmenvertrag erfolgen, bzw. in welchen Staaten wird eine parla-
mentarische Ratifikation des Rahmenvertrages durch Gesetz erfolgen?

3. Wie ist der Stand des Verfahrens bezüglich der parlamentarischen Zustim-
mung und Ratifikation in den anderen Staaten?

4. Falls die Bundesregierung davon ausgeht, dass sie der Zustimmung des Ge-
setzgebers nicht bedarf (siehe Frage 1),

a) wie begründet sie dies,

b) warum ist nach Auffassung der Bundesregierung keine Ermächtigung nach
Artikel 59 Absatz 2 GG erforderlich?

5. Wenn die Bundesregierung der Auffassung ist, dass die Ermächtigung aus
dem Euro-Stabilisierungsgesetz vom 22. Mai 2010 folgt, aus welcher Norm
des Gesetzes ergibt sich aus Sicht der Bundesregierung diese Ermächtigung?

6. Falls die Bundesregierung der Auffassung sein sollte, dass der Vertrag wegen
seiner Ausgestaltung als privatrechtlicher Vertrag (nach britischem Recht)
nicht nach dem Grundgesetz (insbesondere nach Artikel 59 Absatz 2 oder Ar-
tikel 23 Absatz 1 Satz 2 GG) der Zustimmung des Bundestages durch Gesetz
bedarf, ist folgendermaßen zu beantworten,

a) ob nicht die Zuständigkeit des EuGH für Streitigkeiten zwischen den
Staaten dafür spricht, dass der Vertrag Bindungen enthält, die über die rein
privatrechtlichen Regelungen hinausreichen,

b) in welchen Fällen ansonsten Parteien privater Verträge eine Zuständigkeit
des EuGH vereinbaren können,

c) ob die Bundesregierung auch künftig davon Gebrauch machen wird, dass
sie die Regeln des Grundgesetzes (Zustimmungsbedürftigkeit) für den Ab-
schluss völkerrechtlicher Regelungen und Ergänzungen des EU-Vertrags-
rechts dadurch unterläuft, dass sie derartige Regelungen in der Form eines
privatrechtlichen Vertrages trifft,
d) welche Sanktionsmöglichkeiten bei Verurteilung eines vertragsbrüchigen
Euro-Staates vorliegen,

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 3 – Drucksache 17/2278

e) inwiefern ein Vertrag, aus dem sich eine eventuelle Verurteilung der Bun-
desrepublik Deutschland durch den EuGH ergibt, rein privatrechtlicher
Natur sein kann,

f) inwiefern ein Vertrag, aus dem sich eine eventuelle Verurteilung der Bun-
desrepublik Deutschland durch den EuGH ergibt, nicht wesentlich und
unmittelbar den Bestand des Staates oder dessen Stellung und Gewicht
innerhalb der Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemein-
schaft betreffen kann?

7. Warum ist aus Sicht der Bundesregierung eine Einbindung europäischer
Institutionen, wie sie der Vertrag an zahlreichen Stellen vorsieht und über-
dies am Ende des Verfahrens eine Verpflichtung der Eurostaaten zur Hilfe-
leistung steht (siehe auch g), rein privatrechtlicher Natur, und sind damit
nicht dennoch Regelungen zwischen Staaten getroffen, die „wesentlich und
unmittelbar den Bestand des Staates und dessen Stellung und Gewicht inner-
halb der Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemeinschaft.“
(BVerfGE 1, 372, 382) betreffen?

8. Ist die Regelung des Vertrages, dass bei unvorhergesehenen Notlagen die
Gesellschafter einstimmig über den Vertrag hinausgehende Maßnahmen be-
schließen können, nicht Beleg dafür, dass der Rahmenvertrag ein politischer
Vertrag von außenpolitischer Bedeutung ist, der wesentlich und unmittelbar
den Bestand des Staates oder dessen Stellung und Gewicht innerhalb der
Staatengemeinschaft oder die Ordnung der Staatengemeinschaft betrifft?

9. Ist mit Blick darauf, dass der Vertrag nach dem Beschluss des EFSF über ein
Darlehen das Verfahren der Bürgschaftsgebung in der maßgeblichen eng-
lischen Sprachfassung mit dem Wort „required“ regelt, die Frage dahinge-
hend zu beantworten,

a) dass „required“ (gefordert) eine Rechtsverpflichtung bedeutet, die Bürg-
schaft zu begeben, und wenn dies zutreffend ist, ist es auch zutreffend,
dass mit dem einstimmigen Beschluss der Eurogroup Working Group de
facto eine Rechtspflicht für das Bundesministerium der Finanzen (BMF)
ausgelöst wird, Darlehen auszureichen, und

b) wenn dies der Fall ist, in welcher Norm des Euro-Stabilisierungsgesetzes
hat aus Sicht der Bundesregierung der Bundestag eine solche Ermächti-
gung beschlossen, bzw. welche anderen privatrechtlichen Verträge hat
oder hatte die Bundesregierung geschlossen, die eine ähnliche Pflicht zur
Austeilung von Darlehen ohne spezifische parlamentarische Ermächti-
gung vorsehen?

10. Welche sachlichen Gründe machen es notwendig, dass auf den Vertrag eng-
lisches Recht Anwendung finden soll, und welche relevanten Unterschiede
zum deutschen Recht sind hier für die EFSF einschlägig?

11. Welche Auswirkungen hätte der Ausfall eines Schuldners auf die Definition
des Endes der Zweckgesellschaft vor dem Hintergrund, dass im Rahmenver-
trag das Ende der Zweckgesellschaft für den Zeitpunkt geregelt ist, zu dem
die Zweckgesellschaft eben ihren Zweck erfüllt hätte, und das BMF erläutert
hat, dass dieser Zweck mit der Rückzahlung der Kredite durch die eventuel-
len Schuldnerstaaten erfüllt sei?

Berlin, den 21. Juni 2010

Renate Künast, Jürgen Trittin und Fraktion

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